by Emily Key
Adam legte sein Kinn auf meinen Kopf und griff fester um mich, während sich das Lied dem Ende entgegen neigte. Als auch die letzten Töne verklungen waren und die wenigen Geräusche, die es nur am Meer gibt, wieder in unser Bewusstsein drangen, ließ er sanft von mir ab. Er legte eine Hand an meine Wange, und schloss gequält die Augen. Schmerz und Trauer zogen über sein Gesicht, und ich fröstelte. ›Bring es zu Ende, Hannah!‹, murmelte der Engel tief verzweifelt, und dann tat ich es. Ich rückte von ihm ab, wischte meine Tränen von den Wangen und sah ihm fest in die jetzt geöffneten Augen.
»Ich habe dir bereits eine E-Mail mit den letzten Details und Terminen geschickt. Es ist alles fertig und vorbereitet. Jede der Agenturen und Firmen, für die ihr euch entschieden habt, weiß Bescheid, wann wer wo an welchem Tag, zu sein hat. Ich habe dir den ersten Entwurf für deine Rede und ebenso den für Kellys Rede geschickt. Außerdem habe ich bei den Lieferanten veranlasst, dass die Rechnungen direkt an dich gehen. Für Kelly ist ein offizielles Schreiben mit meinem Briefkopf dabei, dass ich einen dringenden Fall in der Familie betreuen muss, der keinerlei Aufschub duldet. Sie wird es glauben, mach dir deshalb keine Gedanken. Und niemand wird jemals etwas von ... dem was war erfahren.« Seine Augen weiteten sich bei meinen bewusst kühl gesprochenen Worten, aber ich musste das hier und jetzt zu Ende bringen. Alles andere ergab keinen Sinn, alles andere würde mich zerstören. »Ich möchte kein Honorar. Das käme mir falsch vor.« Schwer schluckte ich. »Jedenfalls, das war es jetzt. Bitte nimm keinen Kontakt zu mir auf. Auf keine Weise. Keine E-Mail, kein Handy, kein Facebook, kein gar nichts. Ich werde das ebenso nicht tun. Es wird so sein, als hätte es ein Adam und Hannah niemals gegeben«, wisperte ich noch und begann bereits rückwärts zu laufen. »Es wird so sein, als würden wir uns nicht einmal kennen«, sagte ich gebrochen und drehte mich um.
Ich ließ Adam Moore, die Liebe meines Lebens, dort stehen, im Schein der aufgehenden Sonne. An jenem Strand, den ich am meisten liebte, zusammen mit dem Gefühl, das ich am meisten liebte.
Dem Gefühl, das sich in mir ausbreitete, wenn es Adam und Hannah gab.
... und dennoch ließ ich es zurück. Hastete hinfort und versuchte trotz des Tränenschleiers vor Augen nicht zu stolpern.
Wenn man das Geräusch eines brechenden Herzens akustisch darstellen sollte, wäre es wohl so, als würde man ein Geschäft, in welchem es nur Kristall, Porzellan und Geschirr gibt, in die Luft sprengen.
Nur dass ich die Bombe selbst gezündet hatte.
Kapitel 28
Hannah
»Bitte entschuldigen Sie, aber nein, ich nehme bis auf Weiteres keine neuen Aufträge an«, antwortete ich monoton in derselben Weise, in der ich aktuell jedem absagte. »Gerne lass ich Ihnen per E-Mail die Telefonnummer von Kolleginnen zukommen, die noch Kapazitäten freihaben.«
»Wir wollen aber Sie!«, sagte die Frau am anderen Ende der Leitung und ich zwang mich mühsam, nicht auszuflippen und herumzubrüllen. Oder in Tränen auszubrechen. ›Lassen Sie das lieber‹, schrie der Teufel in mir. ›Ich verliebe mich eh nur in Ihren Mann.‹ Wieder einmal trafen mich die Worte wie ein Hammer. Denn sie waren nach wie vor wahr. Der Schmerz wollte nicht leichter werden oder gar verschwinden.
»Ich bin aktuell überfüllt, es wäre nicht fair, wenn ich Sie annehme, obwohl ich jetzt schon weiß, dass ich mich nicht zu tausend Prozent – und nichts anderes haben Sie verdient – um Sie kümmern könnte.«
Die Person am anderen Ende schien kurz zu überlegen. »Und die Kontakte, die Sie haben, die sind wirklich gut?«, fragte sie dann. Mit Daumen und Zeigefinger kniff ich in meinen Nasenrücken.
»Sie sind exzellent«
»Okay, dann schicken Sie mir eine E-Mail!«
Ich zwang mich zu einem Lächeln, obwohl sie mich nicht einmal sehen konnte. Meine Mundwinkel schmerzten, da ich diese Muskeln so lange nicht bewegt hatte. »Bereits geschehen. Ich wünsche Ihnen alles Gute!«
»Ebenso. Einen schönen Tag noch!«
Ich legte auf und schloss gequält die Augen. Würde es jemals aufhören? Dieses Gefühl, das ich niemanden sein Glück gönnte? Missgunst und Neid waren die für mich schlimmste, nervenaufreibendste Emotionen, welches man empfinden konnte. Und ich schaffte es nicht mehr, mich zu kontrollieren und die Dinge hinzunehmen. Mich für andere zu freuen. Kleinigkeiten, die mir bis vor wenigen Wochen ein Lächeln ins Gesicht gezaubert hatten, brüteten nun in tristem Grau vor sich hin. Jeden Morgen zwang ich mich aufzustehen, zu duschen und mich überhaupt menschentauglich zu machen, denn es brachte nichts, wenn ich noch länger in meinem Inneren wohnte. Aber ich konnte einfach nicht aus diesem Kreis ausbrechen. Melissa hatte die letzten drei Wochen sieben Mal vorbeigeschaut und das war Rekord. Einmal am Tag rief sie mich an, um, wie sie sagte, zu überprüfen, ob ich noch atmete. Sie verstand mich insofern, dass er mir fehlte, aber diese tiefe klaffende Wunde hatte sie selbst noch nie zu spüren bekommen. Um ehrlich zu sein, ich auch nicht. Nicht in diesem Ausmaß. Jeder Liebeskummer, den ich jemals zu haben gedacht hatte, hatte mich nicht annähernd auf das vorbereiten können, was ich jetzt durchlebte. Ich wollte diesen tiefen Verlust nie wieder empfinden. Tränen schossen in meine Augen, und ich zwang mich, tief durchzuatmen. Es würde besser werden, natürlich würde es das, und meine Deadline war die Hochzeit. Wenn der Termin, und dieser würde bald heran sein, überstanden wäre, dann würde ich zum Alltag zurückkehren, dann war die Zeit, die ich ihm gegeben hatte, um mich zu besitzen und meine Gedanken zu beherrschen, vorbei. Endgültig abgelaufen.
Herrgott, ich war eine erwachsene Frau, also was zur verdammten Hölle tat ich hier? Ein ums andere Mal fragte ich mich das, aber wenn ich ernsthaft versuchte, aus diesem Kreis auszubrechen, dann verließ mich mit einem Atemzug sämtliche Kraft und ich sackte in mir zusammen. Es durfte einfach nicht wahr sein. Warum sollte das, was Adam und mich verbunden hatte, so falsch gewesen sein? Das Schicksal war ein gemeiner Verräter. Gegen mich, obwohl ich mich nicht daran erinnern konnte, jemals etwas getan zu haben, mit dem ich es verdient haben könnte, so etwas durchzumachen.
So waren die Tage. Die Nächte hingegen wurden immer schlimmer. Ich ließ mich treiben in einem Meer aus Rotwein. Keine Filme. Keine Musik. Kein Buch. Nichts war genug, um mich abzulenken. Oft verlor ich den Kampf gegen den Drang, ihn zu googeln oder ihn auf irgendwelchen Bildern anzusehen. Und jedes Mal war es wie eine Sucht nach dem nächsten Kick, der mich hinterher noch weiter in den Abgrund riss, als ich sowieso schon war. Sie zwang mich noch mehr in die Knie, bis ich ganz am Boden lag. Selbstgeißelung war schon in der Bibel ein beliebtes Mittel zur Strafe.
Am schlimmsten war es, als Melissa meinte, dass mir ein Mädels-Shoppingtag gut tun würde, denn das war mein Untergang. Wir liefen durch die Stadt, und meine Schwester gab sich die größte Mühe mich abzulenken und zu beschäftigen, aber es brachte nichts. Obwohl Adam und ich nie wirklich gemeinsam shoppen gewesen waren, außer als wir seinen beschissenen Anzug für diese beschissene Hochzeit gekauft hatten, fühlte es sich an, als würde sein Schatten neben mir wandeln und mich betrachten. Wenn ich fest die Augen schloss, war mir fast, als würde er mich berühren. Als Melissa dann vorschlug, in dem Café, in welchem ich einmal einen Sommertag mit ihm verbracht hatte, etwas zu trinken, brach ich zusammen. Es war eine zufällige Begegnung gewesen und doch hatte sie sich unwiderruflich in mein Herz gebrannt. Als ich aus dem Nichts zu weinen begann, brachte sie mich nach Hause und ließ mir meinen erneuten Zusammenbruch. An diesem Tag sagte meine liebste Schwester mir das erste Mal, dass sie mir Zeit gäbe bis nach der Hochzeit und dann diese, sie nannte es abgefuckte, beschissene Scheiße ein Ende haben würde, sonst würde sie persönlich dafür sorgen, dass er eine auf die Fresse bekam.
Ich hatte nur noch wenige Tage Schonfrist, ehe ich den Gnadenschuss bekommen und Adam Moore eine andere heiraten würde. Die Presse wäre voll von Fotos von ihm und seiner glücklichen Braut, und niemand würde wissen, dass es mich jemals in seinem Leben gegeben hatte. Niemand. Hatte ich tatsächlich das Recht, mich so verletzt und betrogen zu fühlen? So ... am Ende und verzweifelt? Nein, das hatte ich nicht und ich wusste es. Aber es ließ sich nicht abstellen.
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br /> Mein Telefon klingelte erneut und ich starrte es an. »Es ist besser so, Hannah!«, flüsterte ich mir selbst zu und meldete mich mit gezwungen fröhlicher Stimme am Telefon.
***
»Du solltest versuchen dich zu entspannen, Hannah!«, sagte meine Schwester gerade zu mir und ich war kurz davor zu kotzen. Im Strahl. Vor lauter Wut. Und vor lauter vermeintlich guten Tipps, die sie meinte, mir geben zu müssen. Die angeblich bewirken sollten, dass es mir besser ging.
»Lass mich in Ruhe, Melissa!« Der monotone Schmerz, der durch mich hindurchzog, weigerte sich zu verschwinden. Wie schon seit Tagen. Ich wusste nicht, was ich tun oder wie ich mich verhalten sollte, damit es aufhörte. Es war alles so unfair. Wir waren gefangen. Meine rationale Seite schaltete komplett ab.
»Nein! Ich lass nicht zu, dass du so untergehst!«
Energisch griff sie nach meiner Hand, aber ich entzog sie ihr. Ich wollte nicht, dass mich jemand berührte. Schon seit dem Abschied von Adam nicht mehr. Hätte mich jemand angefasst, wäre ich in Einzelteile zerfallen, davon war ich überzeugt. Dabei versuchte ich doch, mich mühsam zusammenzuhalten.
»Du musst mit dieser Selbstmitleidsmiene aufhören, Hannah Stone. Das kann doch so nicht mehr weitergehen!«
»Was an dem Satz ›Lass mich in Ruhe!‹ verstehst du nicht?«, fragte ich sie jetzt mit tonloser Stimme. Konnte sie mich nicht alleine lassen? Wieso war sie hier? Hundertmal hatte ich ihr gesagt, dass ich in Frieden gelassen werden wollte.
Morgen würde die Hochzeit stattfinden. Die Hochzeit, die mein Leben zerstören würde. Die Trauung, die mich in die Knie zwingen würde. Normalerweise war ich ein gut gelaunter, fröhlicher und freundlicher Mensch und ich glaube, im Grunde war ich auch recht ansehbar. Aber momentan? Momentan hasste ich Menschen. Abgrundtief. So sehr, dass ich nicht mehr aus noch ein wusste. So sehr, dass ich mir dachte, sterben wäre leichter als zu leben. Aber ich hielt die Schnauze. Natürlich war ich nicht so dumm so etwas vor meiner Schwester zu sagen, ansonsten hätte sie mich wohl einweisen lassen.
»Hannah, wie lange willst du noch so weitermachen?«, rief sie frustriert, stand auf, griff energisch nach meinem Weinglas, stapfte damit in die Küche und leerte es in den Ausguss.
»Hey!«, rief ich aufgebracht. »Spinnst du? Wer glaubst du zu sein, dass du einfach meinen Wein wegkippen kannst?«
»Du bist doch nicht mehr du, Hannah. Du bist nur noch ein Schatten deiner selbst ... Das kann doch nicht wahr sein, dass ein Mann so etwas mit dir anrichten kann!«
Ich zuckte lediglich die Schultern und ging ihr nach, um mein Glas wieder aufzufüllen. »Nichts da«, antwortete sie auf keine ausgesprochene Frage und hob mein Glas in die Höhe. Da sie größer als ich war, konnte ich es nicht erreichen. Automatisch fühlte ich mich wie ein Kind. »Du reißt dich jetzt mal zusammen!«
»Lass mich in Ruhe!«, knurrte ich. »Wie wär’s, wenn du dich um deinen eigenen Scheiß kümmerst? Und wie wär’s, wenn du einfach gehst, wenn du keinen Bock auf mich hast und mich nur belehren willst?« Der letzte Mensch, der etwas damit zu tun hatte, war meine Schwester, aber ich konnte und wollte mich nicht zügeln. Irgendjemand auf diesem Planeten sollte gefälligst den gleichen Schmerz empfinden, den ich gerade durchmachte. Verdammt noch mal!
»Himmel. Man würde nicht meinen, dass du die Ältere und normalerweise auch Erwachsenere von uns beiden bist.«
»Hau einfach ab, Melissa!«, schrie ich sie an. »Lass mich doch einfach in Ruhe. Wieso muss ich immer funktionieren? Weil es immer so war, mh? Genau deshalb! Gut! Willkommen im Leben«, brüllte ich und warf die Hände in die Luft. »Jetzt ist es eben anders. Akzeptier es oder mach die Fliege! Aber nur, weil du es mir sagst, wird der Schmerz nicht verschwinden und werde ich nicht aufhören mich beschissen zu fühlen. Also wenn du willst, dass ich es verstecke, dann geh, ruf mich einmal die Woche an und fertig, denn für dieses Fünf-Minutengespräch werde ich mich schon zusammenreißen können. Aber ich werde nicht leugnen, dass dieser Scheißmistkerl, dieses Riesenarschloch, dieser dumme Idiot mein Herz gebrochen hat. Denn nichts anderes ist passiert. Also wenn du damit ein verdammtes Problem hast, dann verpisst du dich am besten genauso aus meinem Leben wie er!«
Meine Schwester starrte mich mit weit aufgerissenen Augen an. Deutlicher Schock stand in ihrem Gesicht. Es tat mir nicht leid, dass ich endlich ausgesprochen hatte, was mir schon seit Wochen auf der Seele lastete. Alle Welt war glücklich gewesen, dass ich endlich wieder etwas für jemanden empfunden hatte, und nun beschwerten sie sich, wenn ich um diese Person trauerte? Es mochte kurz gewesen sein, nicht einmal offiziell, aber das schmälerte nicht die Tatsache, dass es passiert war und noch viel weniger würde ich mir einreden lassen, dass es dadurch nicht echt gewesen war.
»Du bist nicht mehr du selbst«, wisperte Melissa fassungslos, und eine einzelne Träne perlte aus ihren Augen. Normalerweise hätte ich sie jetzt in den Arm genommen, aber ich konnte nicht. Kämpfte ich doch selbst mit Müh und Not darum, nicht auseinanderzubrechen. »Sieh dir an, was er aus dir gemacht hat!«
Ihre Stimme brach und sie blickte mich noch einmal eindringlich an, ehe sie sich umdrehte, nach ihrer Tasche auf dem Tresen griff, und ging. Sie sagte kein Wort mehr. Obwohl wir beide den Kodex lebten, dass man niemals ohne Verabschiedung jemanden verließ oder ging, war die ins Schloss fallende Türe alles, was ich noch hörte.
Das feste Band, welches zwischen zwei Schwestern existiert, hatte Risse bekommen, und ich wollte mir gerade keine Gedanken darüber machen, ob die heftigen Worte, die meinen Mund verlassen hatten, eventuell dauerhaften Schaden angerichtet hatten.
Für den Moment wollte ich nichts reparieren, was auch immer gerade geschehen war.
Für jetzt und heute wollte ich einfach nur sterben.
Kapitel 29
Adam
»Wenn du das noch länger veranstaltest, dann ist ein Loch im Boden, Mann.« Scott, mein bester Freund und Trauzeuge, saß im Gegensatz zu mir, entspannt auf dem Sofa in meinem Haus. Lässig hatte er ein Bein auf dem anderen überschlagen und zappte die Kanäle durch, bis er an einer Sportsendung hängen blieb.
»Fick dich, Scott!«, antwortete ich ihm wenig nonchalant. Ich konnte nicht anders. Ich konnte nicht denken. Ich wollte nicht einmal denken.
»Setz dich hin, du Pussy. Du siehst eh schon wie ein Stück Scheiße aus!« Das sagte er mir jeden Tag.
Drei Mal.
An schlechten Tagen vier Mal.
Die letzten drei Wochen waren der Horror schlechthin gewesen. Einundzwanzig Tage, in denen ich Hannah nicht kontaktieren durfte. Weder per Telefon, noch per E-Mail, noch auf irgendeine andere Art der Kommunikation. Einundzwanzig Tage, die ich sie jetzt vermisste. Und so würde es den Rest meines Lebens laufen.
Zusammen mit Kelly.
Keine Hannah.
Es war der Vorabend unserer Hochzeit, und das alles hier fühlte sich wie ein riesengroßer, abartiger Fehler an, den ich zu begehen beabsichtigte. Ich ließ mich neben Scott auf das Sofa fallen und versuchte mich zu beruhigen. Tiefe Atemzüge nehmend zwang ich mich Hannah zu verdrängen, ehe ich aufgab und resigniert den Kopf an das von Stoff überzogene Polster des Sofas lehnte. ›Du willst Sicherheit. Du willst Beständigkeit. Du bist nicht verrückt. Du bist nicht wahnsinnig, und vor allem bist du nicht lebensmüde ...Zieh es durch. Du kannst das. Kelly ist alles, was du willst. Sie ist vorhersehbar ... sie ist kein verdammter Orkan. Sie ist ... nicht Hannah.‹
Scott warf mir einen Seitenblick zu. »Fängst du jetzt gleich an zu heulen?«, zog er mich auf und ich schloss die Augen. Er hatte einfach keine Ahnung. ›Kelly. Du willst Kelly!‹
»Fick dich, Scott!«
»Gibt’s dich auch noch mit einer anderen Platte?«
»Leck mich, Scott?«, versuchte ich es. Würde nur endlich diese grenzenlose Nervosität aufhören. Es war doch so: Wäre ich mir absolut und hundertprozentig sicher gewesen, dann hätte mich doch nicht ständig diese Übelkeit und dieses ... Magenflattern befallen, oder? Genervt seufzend schaltete Scott den Fernseher aus und drehte sich in meine Richtung. Er betrachtete mich, das spürte ich genau, aber es vergingen einige Minuten, ehe er sprach.
 
; »Du siehst scheiße aus.«
»Gibt’s dich auch mit anderer Platte?«, setzte ich dagegen und er grinste schief, ehe er den Kopf hängen ließ, ihn anschließend leicht schüttelte und die Bierflasche in seinen Händen hin und her drehte.
»Wieso tust du verdammter Idiot das?«, fragte er mich gerade, als die Türe aufgerissen wurde und eine Art Racheengel mitten in meinem Wohnzimmer stand.
»DU!«, schrie Melissa mich an. »Du verdammter Hurensohn!«, brüllte sie. Mein Selbstmitleid wandelte sich in Selbstschutz.
»Wow, wow, wow!«, rief Scott, stand auf und schaffte es gerade noch, eine wütende Melissa, die sich auf mich werfen wollte, um den Bauch zu fassen und damit zurückzuhalten. Er hob sie hoch, und sie fuchtelte wie wild mit den Armen und trat mit ihren Beinen um sich. Memo an mich selbst, ich sollte entgegen dem hiesigen Standard ab jetzt immer von innen die Haustüre abschließen, wenn ich zu Hause war.
»Lass mich runter! Er braucht eine Abreibung!«, keifte sie weiter, und jetzt sah ich sie mir endlich genauer an. Ihr Gesicht war gerötet, die Augen verquollen und die meisten ihrer blonden Haarsträhnen hatten sich aus der Frisur gelöst. Sie war wütend und zornig. Offensichtlich auf mich. Vermutlich wegen ihrer Schwester. Aber es war mir egal. Sollte sie mir doch die Augen auskratzen. Es war doch eh schon alles verloren ... was mein Augenlicht nicht mehr sonderlich in den Fokus rückte.
»Was ist hier los?«, fragte Scott. Ich beobachtete, wie Melissa langsam ruhiger wurde, und zu weinen begann. Ob aus Wut oder aus Trauer konnte ich nicht ausmachen. Ein Mann konnte den Unterschied sowieso nicht erkennen.