Whiskey Lullaby

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Whiskey Lullaby Page 21

by Liliana Hart


  »Scheiße«, brüllte er, ließ meinen halbnackten Körper an der Wand lehnen und warf das Handy so fest dagegen, dass eine Scharte in der Wand zu sehen war. Die Selbstbeherrschung in Person.

  Kapitel 13

  Mittwoch

  * * *

  »Scheiiiißßßßßeeee!«

  Im Großen und Ganzen betrachtet, hatte ich die neue Katastrophe in meinem Leben ganz gut in den Griff bekommen. Ich wachte leicht deprimiert auf, vor allem weil ich allein war und weil die Leute um mich herum wie die Fliegen zu sterben schienen, aber zum Teil lag es auch daran, dass meine Augen fast vollständig zugeschwollen waren. Anscheinend hatte ich eine Art Gurkenallergie. Wer hätte das wissen können? Also tat ich, was alle tun, wenn sie krank sind oder irgend etwas Schreckliches passiert ist. Ich rief meine Mutter an.

  Ich griff nach dem Telefon auf meinem Nachttisch und gratulierte mir, dass ich das Modell mit den großen Tasten gekauft hatte, so konnte ich wenigsten ihre Nummer ertasten. Als meine Mutter dran ging, hatte ich plötzlich das Bedürfnis zu weinen. Schon der leicht fragende und seltsam tröstende Klang ihrer Stimme weckte die Sehnsucht nach etwas, das ich nicht erklären konnte. Was mich vom Weinen abhielt, war einzig und allein die Ungewissheit, wo die Tränen hinfließen würden, wo meine Augen doch zugeschwollen waren. Könnten meine Lider vielleicht durch den Tränenstau platzen? Das wollte ich lieber nicht aus erster Hand erfahren.

  »Addison, bist du das? Schneuz dich doch nicht ins Telefon. Ich verstehe nicht, was du sagst.« »Ich hab eibe Abbergie«, sagte ich und weinte noch mehr.

  »Was sagst du? Bist du krank?«

  »Ja.«

  »Ich bin sofort da.«

  Ich legte auf und wartete, dass sie kam. Ich lag ausgebreitet auf dem Bett und zeichnete auf meiner geistigen Landkarte den Weg, den meine Mutter bis zu meiner Wohnung zurücklegen musste. Schließlich schweiften meine Gedanken wieder zurück zum Vorabend und zu dem, was passiert wäre, wenn Nick nicht wieder zur Arbeit gerufen worden wäre. Er gab mir auf dem Weg aus der Tür einen harten Kuss und versprach, wiederzukommen. Nicht allzu bald, hoffte ich angesichts meiner neuesten misslichen Lage.

  Als ich den Schlüssel im Schloss hörte, wimmerte ich ein bisschen und wusste, meine Mutter würde alles im Handumdrehen in Ordnung bringen. Ich neigte den Kopf und lauschte, während meine Mutter in Richtung Schlafzimmer kam. Mir war nie aufgefallen, dass sie einen unverwechselbaren Gang hatte.

  »Mama?«

  »Ich bin schon da, mein Schatz. Ich hab ein paar Sachen in den Kühlschrank gestellt. Ich weiß, dass du dir nicht die Zeit nimmst, ausgewogen zu essen, jetzt wo du alleine wohnst.« Ich verkniff es mir zu sagen, dass ich nun schon zehn Jahre lang allein gelebt hatte und noch nicht an Unterernährung gestorben war.

  »Ach du lieber Gott! Was ist bloß mit deinen Augen passiert?«, fragte sie, ließ etwas auf den Boden fallen und setzte sich zu mir aufs Bett.

  »Ist es denn so schlimm?«

  Die Pause vor der Lüge war zu lang, daher wusste ich, dass es ziemlich schlimm sein musste.

  »Nein, es ist überhaupt nicht schlimm. Wir machen einfach kalte Umschläge und ich rufe Dr. Jones an und frage, ob er etwas empfehlen kann.« Meine Mutter wartete nicht ab, ob ich sie bitten würde, mir zu sagen, wie ich aussah. Natürlich war das genau das, was ich sie fragen wollte. Sie stürzte förmlich in die Küche zum Telefon, bevor ich ihr sagen konnte, sie solle das Telefon auf dem Nachttisch benutzen.

  Als sie wieder reinkam, sagte sie mir, sie habe einen Eisbeutel und die Aloe Vera Pflanze von meiner Fensterbank und ich solle bei der Kälte nicht erschrecken.

  »Du wirst sehen, wir kriegen das im Handumdrehen wieder hin«, sagte sie und nahm wieder ihren Platz an meiner Seite ein.

  »Und, wie sehe ich aus?« Ich versuchte mir den Gesichtsausdruck meiner Mutter vorzustellen, als sie mir mein neu verunstaltetes Gesicht beschrieb. Ich konnte förmlich hören, wie ihre Mundwinkel spitz wurden und ihr Blick sich konzentrierte.

  »Weißt du noch, als du dir die Augen auf der Sonnenbank verbrannt hast?« »Ja«, sagte ich und hatte Angst, was dann kam.

  »Das hier ist schlimmer. Wie in aller Welt hast du das überhaupt angestellt?« »Es war die Gurke.«

  »Oh nein«, sagte meine Mutter entsetzt. »Ich hatte keine Ahnung, dass du gegen Gurken allergisch bist. Du mochtest doch immer Gurken.« Eigentlich nicht, aber ich würde meiner Mutter nicht das Herz brechen und ihr das sagen. »Es hatte so gut funktioniert. Die Schwellung war ganz weg, als Nick gestern Abend kam.« Sie fing an, Aloe auf meine juckenden Lider zu reiben und der kühle, pflegende Balsam war wie die Erfüllung eines Gebets. »Und wie ist Nick so?« »Er ist in Ordnung. Und immer noch da, trotz deines Verhörs.« »Er schien sich sehr auf ein hausgemachtes Essen zu freuen. Nicht jeder hat ja das Glück, eine Mutter zu haben wie deine, die gern kocht. Ich mache Hackbraten. Meinen Hackbraten mögen alle.« »Hm«, sagte ich, weil mir nichts Besseres einfiel.

  In Wirklichkeit hatte der Hackbraten meiner Mutter die Konsistenz eines Backsteins, und dabei war es eins ihrer besten Rezepte. »Wir müssen die Schwellung wegkriegen«, sagte ich. »Ich muss heute Abend arbeiten und darf einen Termin nicht verpassen.« Ich dachte an die Morde und dass Nick mir Informationen vorenthielt. Ich musste John Hyatt aufsuchen. Dieses Mal beruflich und nicht als hysterische Möchtegern-Hauseigentümerin. Irgendetwas stimmte nicht mit Hyatt. Ich musste herausfinden, in welcher Beziehung er wirklich zu Loretta Swanson stand und ob sie log, um ihm ein Alibi zu geben. Für den Tod von Victor Mooney gab es keinen Grund, wenn nicht den, dass er etwas gesehen hatte, was er nicht sollte. Und da er John und Loretta hatte beobachten sollen, war es wahrscheinlich, dass das Geheimnis bei ihnen lag. Außerdem war da etwas an Loretta, dem ich nicht traute.

  »Ich weiß nicht, ob ich das gut finde, dass du immer in so gefährlichen Situationen arbeitest.« »Es ist nicht gefährlich, Mama. Ich mache nur Fotos.« Ich verschwieg ihr, dass ich mich selbst mehr gefährdete als jeder Verbrecher. Ich berichtete ihr von Nicks Verdacht, dass der Tod von Herrn Butler im The Foxy Lady irgendetwas mit Herrn Mooney und jetzt auch mit Greg zu tun hatte.

  »Der arme Greg«, sagte sie. »Aber ich verstehe nicht, was du mit Bernard Butlers Tod zu tun hast. Du warst doch nie an dem Ort, wo sie seine Leiche gefunden haben.« »Vielleicht, weil wir Kollegen waren.« Es war viel leichter zu lügen, wenn man jemandem gar nicht in die Augen sehen konnte. Es gab keinen Grund, ihr etwas von dem neuen Job in meinem Lebenslauf zu sagen, oder dass mein Vorgesetzter ein Stalker gewesen war. »Herr Mooney rief mich an und wollte sich mit mir treffen, bevor er starb, und Greg wurde vergiftet. Es muss etwas mit mir zu tun haben.« »Das ist ja schrecklich. Ich kann nicht glauben, dass in Whiskey Bayou solche Dinge geschehen. Wir müssen etwas dagegen unternehmen.« »Es gibt nichts, das wir dagegen unternehmen können, Mama«, sagte ich. Tief in meiner Brust rührte sich so etwas wie Sorge. Ich kannte diesen Ton an meiner Mutter. »Die Polizei tut ihre Arbeit und ich versuche, ihr in begrenztem Umfang zu helfen.« Es schien mir nicht nötig, zu erwähnen, was ich Kate versprochen hatte, oder dass Nick mir gesagt hatte, ich solle mich aus den Angelegenheiten der Polizei heraushalten. Das Eis, auf dem ich mich bewegte, war schon dünn genug. Meine Mutter würde völlig durchdrehen, wenn sie wüsste, dass ich die Polizei hinterging und meine eigenen Ermittlungen anstellte.

  »In deinem Zustand kannst du nirgends hin. Es muss dich jemand fahren. Ich kann das machen. Ich werde dir als Verbündete zur Seite stehen.« Ich betete, die Gurkeninfektion würde in meinen Blutkreislauf gelangen und mich dahinraffen, aber ich wurde nicht erhört.

  »Nun schlaf ein bisschen. Wenn du wach wirst, werden deine Abenteuer auf dich warten. Wir werden sein wie Batman und Robin«, versprach sie.

  Lucy und Ethel wäre wohl treffender gewesen.

  * * *

  Ein paar Stunden später wachte ich auf, als mir eine dicke Schicht Cold Cream auf die Augen geschmiert wurde. Erstaunlicherweise hat man mit geschwollenen Augen gar keine andere Wahl, als irgendwann einzuschlafen. »Dr. Jones hat das hier vorbei gebracht, gegen die Allergie«, sagte meine Mutter. »Er sagte, damit w�
�rde die Schwellung besser.« Ich war insgeheim erleichtert, dass sie dageblieben war, als ich schlief und mich nicht allein durch Küche und Bad stolpern ließ.

  »Und ich hab dir eine Kleinigkeit zu essen gemacht. Ich hoffe, es ist dir recht.« Ich fiel fast aus dem Bett, als ich merkte, dass ich die Augen einen kleinen Schlitz öffnen konnte. Etwas, das ich gar nicht näher beschreiben möchte, floss meine Wangen hinunter und ich bekam kurz die Panik, als ich immer noch nichts sehen konnte und dachte, meine Augäpfel hätten sich aufgelöst.

  »Und so was von dem bisschen Gurke«, sagte meine Mutter. »Und sie wirken ja wohl innerlich genauso. Vielleicht solltest du in Zukunft keine mehr essen.« Da konnte ich ihr nur zustimmen. Ich legte mich wieder hin und mir blieb nichts übrig, als zu schlafen.

  * * *

  Als ich wieder wach wurde, hörte ich, wie meine Mutter sich am Schrank zu schaffen machte. Ich bekam die Augen jetzt etwas weiter auf und konnte sogar etwas sehen, wenn auch nur verschwommen.

  »Was machst du da?«, fragte ich.

  »Ich mache unsere Sachen fertig. Es wird gleich dunkel und wir sollten bald losgehen, wenn wir noch einen guten Observationsort finden wollen.« Ich stöhnte und warf mich wieder aufs Bett. Ich fühlte mich beschissen und sollte jetzt auch noch mit meiner wechseljahresgeplagten Mutter Spürhund spielen. Wie sehr kann einem das Schicksal eigentlich das Leben vermiesen? »Ich habe all unsere Sachen vorbereitet«, sagte sie aufgeregt. »Wir werden so viel Spaß haben. Wir haben schon so lange keinen Mutter-Tochter-Ausflug mehr gemacht. Das letzte Mal war, als wir am Allatoona Lake campen waren. Da hast du Giftsumach und einen Sonnenbrand zweiten Grades abgekriegt. Eine unvergessliche Fahrt.« Kein Jux.

  »Was hast du denn für Sachen vorbereitet?«

  »Na unsere Klamotten natürlich. Es soll uns doch niemand erkennen.« Ich besah mir die Kleider auf dem Stuhl und bekam einen hysterischen Lachanfall. Tränen rollten aus meinen wehen Augen, aber ich konnte nicht anders. Meine Mutter hatte einen schwarzen Trenchcoat ganz hinten aus dem Kleiderschrank hervorgeholt, den ich nicht mehr anzog, weil die Knöpfe fehlten. Darauf hatte sie einen schwarzen Filzhut gelegt, den ich von meinem Vater kannte.

  »Wo hast du denn Papas Hut her?«

  »Ich bin nach Hause gerannt und hab ihn geholt, als Dr. Jones hier war. Ist das nicht aufregend?« »Hm, hm.« Dann erst besah ich mir meine Mutter genauer. Sie war von Kopf bis Fuß schwarz gekleidet—ein hautenger schwarzer Catsuit mit ausgestellten Beinen, Balletschuhe und riesige kreisförmige Ohrringe. Aber das Krasseste war das um ihren Kopf gebundene Durag. Sie saß aus wie ein nuttiger Pirat. »Draußen sind es fünfunddreißig Grad. Ich kann keinen Trench tragen. Und du kannst diesen Anzug nicht tragen. Du bist Mutter, verflixt noch mal.« »Columbo trug immer Trench, bei jedem Wetter. Und durch solche Outfits bin ich überhaupt erst Mutter geworden. Sei nicht so prüde, Addison.« »Hm«, sagte ich. Sie hatte recht. Columbo trug immer Trench, und er wirkte nie fehl am Platz. Und meine Mutter hatte wohl das Recht, anzuziehen, was sie wollte, egal wie furchtbar ich es fand. Ich konnte nur hoffen, dass unsere Verkleidung funktionierte, denn noch mehr Klatsch im Ort über mich hätte ich nicht ertragen.

  * * *

  Mein Auto war noch beschlagnahmt, also hatten wir nur den Dodge.

  »Wo fährst du hin?«, fragte ich, als ich sah, dass sie Richtung Savannah fuhr.

  »Durch diese Planerei habe ich Hunger bekommen und ich will nicht in Whiskey Bayou essen. Die Leute hier fragen zu viel und ich nehme an, du willst unsere Aktivitäten zu später Stunde geheimhalten.« Bei der Erwähnung von Essen knurrte mein Magen. Das letzte Mal hatte ich am Vorabend mit Nick etwas gegessen. Und meine Mutter hatte Recht, dass die Leute in Whiskey Bayou immer Fragen stellten. Keine von uns war im Moment in einem normalen Zustand.

  Meine Mutter fuhr in ein Burger King Drive-In und gab unsere Bestellungen auf, der Typ an der Kasse schaute uns nur ein bisschen entgeistert an. Seine milde Reaktion wirkte Wunder für mein Selbstbewusstsein. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass John Hyatt Fanny betrügt. Erst Greg, jetzt John. Wo soll das noch hinführen? Wenn es nach mir ginge, müssten die Männer lernen, ihren Hosenlatz unter Verschluss zu halten. John Hyatt und seine Familie sind hier in dieser Stadt fast so etwas wie eine Legende. Whiskey Bayou wäre eine Geisterstadt, wenn diese Familie während Alkoholverbot und Wirtschaftskrise nicht ihr eigenes Geld genutzt hätte, um die Unternehmen zu unterstützen. Und dann wurde auch noch das Eisenbahndepot zugemacht und viele Arbeitsplätze gestrichen. Der Mann ist fast so etwas wie ein Heiliger. Und nun das. Ein Ehebrecher.« Mehr als einmal war es mir durch den Kopf gegangen, welche Folgen es wohl haben würde, wenn ich einen Grundpfeiler der Gemeinde zu Fall brächte. Würde ich meinen Arbeitsplatz verlieren? Würde man mein Foto von der Wand des Good Luck Cafés entfernen, von damals, als ich so viele Hot Dogs gegessen hatte und mit einem T-Shirt prämiert wurde? Die Folgen waren zu unerträglich, um darüber nachzudenken. Wir parkten und aßen unsere Hamburger. Als jemand ans Autofenster klopfte, schraken wir hoch. Ein Mann mittleren Alters mit überkämmter Glatze und dicker Brille sah uns an und zwinkerte wie eine Eule, als er uns ausgiebig betrachtete. Meine Mutter drehte langsam das Fenster runter.

  »Tut mir leid, dass ich Sie störe«, sagte der Mann. »Aber das hier lag neben Ihrer Tür auf dem Boden.« Er gab meiner Mutter einen Fünf-Dollar-Schein, verabschiedete sich und lief zu einem blauen Honda Civic, bevor sie sich bedanken konnte.

  »Ach du liebe Scheiße«, sagte ich und stopfte die Hamburgerpackungen wieder in die Tüte. »Das ist Harry Manilow, der da ins Auto einsteigt. Er ist einer meiner Fälle.« »Harry Manilow? Ich mag seine Lieder. Besonders Mandy. Betrügt er seine Frau?« »Du meinst Barry Manilow, Mama.«

  »Ach, und wer ist Harry? Sind die verwandt?«

  Ich beschloss, meine immer noch empfindlichen Augen nicht zu verdrehen, um keine Kopfschmerzen zu bekommen. Außerdem hatte ich mich das ja eigentlich auch selbst schon gefragt.

  »Er ist einer der Fälle, die Kate mir zur Überwachung gegeben hat. Schau mal, in dem Auto, in das er einsteigt, sitzt eine Frau auf dem Beifahrersitz. Und ich bin ziemlich sicher, dass das nicht seine Frau ist.« »Bist du sicher, dass das eine Frau ist? Ich glaube, ich habe noch nie eine Frau mit so stark behaarten Unterarmen gesehen.« »Ich denke schon.« Ich sah immer noch verschwommen, also war ich nicht sicher, aber meine Mutter hatte recht. Die Frau war ganz schön behaart. »Vielleicht hat sie eine Hormonstörung oder er mag es pervers.« Meine Mutter schnappte bei dieser Bemerkung nach Luft, aber ich sah, dass sie die Möglichkeit eingehender in Betracht zog.

  »Gib Gas. Wir müssen denen nach.«

  Sie nahm mich beim Wort und fuhr den Dodge mit Vollgas über zwei Fahrspuren, bevor sie sich hinter Harry und seiner haarigen Begleiterin einordnete. Ich kramte in meiner Tasche nach seiner Fallakte, sah aber noch nicht gut genug, um sie lesen zu können. »Sie fahren bei Forreston ab«, flüsterte meine Mutter. Niemand wollte in Forreston erwischt werden. Es war zwar nicht gerade die Südstaatenversion von Compton, aber trotzdem war es ein Ort, vor dem Mütter ihre Kinder warnten.

  »Ich denke, wir sollten umdrehen und zurückfahren«, sagte sie nervös. »Wir haben uns heute Abend John Hyatt vorgenommen. Ich meine, wir sollten Harry Manilow und die Haarige auf ein andermal verschieben.« »Keine Sorge. Fahr einfach weiter. Es ist ja noch hell. Ich brauch bloß ein paar Fotos zu machen.« Ich saß auf der Vorderkante meines Sitzes, die Vinylnaht presste eine Rille in meine Oberschenkel und ich hielt die Nikon so fest, dass meine Knöchel schmerzten. Adrenalin pumpte durch meine Adern, mein Herz raste. Ich war sogar etwas außer Atem. Warum? Wegen der Verfolgungsjagd mit meiner Mutter? Um Leute beim Sex zu ertappen? Mannomann. Was war ich für ein Loser.

  »Was murmelst du da, Addison?«

  »Gar nichts. Ich hab nur nachgedacht. Pass auf, sie biegen ab. Fahr etwas langsamer, damit sie uns nicht bemerken.« »Ich glaube nicht, dass sie auch nur die Spur von uns bemerken«, sagte meine Mutter.

  Sie hatte recht.

  »Man sollte meinen, sie würden warten, bis sie in einem Hotelzimmer sind, anstatt es auf dem Parkplatz zu
treiben wie Teenager«, sagte sie und schüttelte ungläubig den Kopf.

  Ich knipste ein Bild nach dem anderen und war heilfroh, dass ich noch nicht so gut sehen konnte.

  Es war total peinlich, mit meiner Mutter im Auto zu sitzen und zwei Fremden zuzuschauen, die es wie die Karnickel trieben. Meine Mutter war die Aufmerksamkeit selbst, man hätte meinen können, sie würde später abgefragt, und ich wartete nur darauf, dass sie einen Eimer Popcorn bestellen würde.

  »Ok. Lass uns fahren.«

  Als das Auto sich nicht rührte, schaute ich rüber zu ihr.

  »Hallo?—Mama?«

  »Ich bin bereit«, rief sie, ein kleines bisschen zu freudig. »Also wirklich, das ist ja ein spannender Job. Und der Abend hat gerade erst angefangen.«

  * * *

  Wir fuhren zurück nach Whiskey Bayou und bogen in die Straße ein, in der John Hyatt wohnte. Die Villa war hell erleuchtet, für eine Person kam mir das wie Energieverschwendung vor. Meine Mutter fuhr die Straße hinunter und wendete am Ende der Sackgasse.

  »Schau mal«, sagte ich und zeigte auf eine dunkelblaue Limousine am Straßenrand.

  »Warum sitzen diese Männer einfach so da?«

  »Das sind bestimmt die Polizisten in Zivil, die Nick zur Überwachung abgestellt hat. Da Herr Mooney hier wohnte, ist es ja sinnvoll, die Lage während der Ermittlungen im Auge zu behalten.« Ich hätte wetten können, dass auch Girard Dupres und Robbie Butler aus der Nähe überwacht würden. Und jemand anders hatte sicher auch ein Auge auf Veronica, falls sie mit ihrer geplatzten Titte fliehen wollte. Nick hatte alle potentiellen Täter unter Kontrolle, also hatte er gelogen, als er sagte, er kenne den Mörder. Er stand an einem Kreuzweg mit lauter Sackgassen.

  »Diese Straße ist ein bisschen zu voll für meinen Plan. Warum fährst du nicht zum Park und wir gehen zu Fuß zurück zum Haus? So können wir uns unter den Bäumen hinter dem Haus verstecken«, schlug ich vor.

 

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