by Kiefer, Lena
»Ich sagte, hör auf damit.« Er wiederholte es langsam und deutlich.
Kälte kroch mein Rückgrat hinunter. »Womit?«
»So zu tun, als wärst du das Mädchen, das mir auf der Ruine begegnet ist«, sagte er hart. Die vertraute Mischung aus Wut und Schmerz funkelte in seinem Blick.
»Aber das bin ich doch.« Wie kläglich ich klang.
»Nein, bist du nicht!«, fuhr er mich an. »Du bist das Mädchen, das versucht hat, meinen Bruder zu töten!«
Sein Angriff ließ mir den Atem stocken. Ich erinnerte mich daran, dass GH-47J wie die meisten Mittel Nebenwirkungen hatte. PXI machte high, HX-D3 ängstlich – und GH-47J enthemmte die Impulskontrolle. Lucien sagte gerade, was er dachte. Ohne Rücksicht auf Verluste.
Ich holte Luft. »Ich weiß, dass ich dir hätte vertrauen müssen. Und es tut mir unendlich leid, dass ich es nicht getan habe.« Es hörte sich an wie eine Abbitte.
»Nein, darum geht es nicht. Ich verstehe mittlerweile, dass du mir nicht vertraut hast.« Luciens Gesicht war vor Zorn verzerrt. »Aber du hättest Leopold vertrauen müssen. Du kanntest die Wahrheit und hast dich trotzdem dagegen entschieden!«
»Ich weiß«, wiederholte ich.
»Das ist alles, was dir dazu einfällt?«, schnauzte er. »Du wolltest auf ihn schießen, Ophelia! Auf meinen Bruder! Weil eine beschissene Maschine es dir geraten hat!«
»Ich weiß, dass es dumm war!«, rief ich.
»Dumm?« Lucien stand auf. »Das war nicht einfach nur dumm. Es war grausam! Nicht nur wegen Leopold, sondern auch meinetwegen! Ich habe dich so nah an mich herangelassen wie niemanden bisher. Ich habe dir vertraut, ich habe geglaubt, das mit uns würde dir etwas bedeuten!« Tränen sammelten sich in seinen Augen. Ich hatte ihn noch nie so aufgebracht erlebt. »Hast du überhaupt eine Ahnung, wie es sich angefühlt hat, mitten in der Nacht aufzuwachen und die Schreie der Garde zu hören? In den Gang zu laufen, dich dort auf dem Boden zu sehen und zu begreifen, was du getan hast? Weißt du, was du damit zerstört hast? Wie du mich zerstört hast?!«
Luciens Schmerz rollte nicht einfach über mich hinweg. Er pulverisierte mich zu einem Häufchen Asche.
»Wenn ich es rückgängig machen könnte, würde ich es tun«, stieß ich zittrig hervor.
»Aber das kannst du nicht!«, rief er.
»Nein, kann ich nicht«, sagte ich leise. Meine Wangen waren längst wieder tränennass. »Es war der größte Fehler, den ich je gemacht habe und den ich je machen werde – oder sonst jemand auf der Welt. Was passiert ist, war allein meine Schuld, und ich akzeptiere jede Strafe, die man über mich verhängt. Aber nicht das.« Ich versuchte, meine Stimme unter Kontrolle zu bekommen. Vergeblich. »Ich ertrage nicht, dass du mich hasst.«
Er starrte mich an, fassungslos. »Du glaubst, ich hasse dich? Du glaubst, darum geht es hier?«
»Worum sonst? Nach allem, was ich getan habe –«
»Himmel, Ophelia!« Er unterbrach mich. »Es geht nicht darum, dass ich dich hasse. Es geht darum, dass ich dich nicht lieben darf!« Er presste die Lippen aufeinander, aber sie zitterten trotzdem. »Ich habe nie etwas in meinem Leben so sehr gewollt wie uns und du hast es zum Teufel gejagt. Und jetzt darf ich dir nicht nahekommen, ich darf nichts für dich fühlen, ich darf nicht einmal an dich denken! Das schnürt mir die Luft ab, verstehst du das? Es macht mich wahnsinnig!«
»Glaubst du, mich nicht?!«, rief ich unter meinen Tränen. »Es bringt mich um!«
Wir starrten uns an, beide wütend, beide verzweifelt, aber doch so unglaublich einig. Wir wussten, dass es echt war. Dass es das immer gewesen war.
Lucien regte sich zuerst. Plötzlich verschwand die Wut und sein Blick wurde weich und hilflos.
Er machte einen Schritt auf mich zu. »Ich liebe dich, Stunt-Girl«, flüsterte er. »Ich kann nichts dagegen tun.«
»Das kann ich auch nicht.« Ich wischte mir über die Wangen, aber die Tränen liefen einfach weiter. »Ich weiß, dass ich dich verraten habe und dass du mir das nie verzeihen kannst. Und es tut mir unendlich leid, dass ich alles zerstört habe. Aber …« Ich holte Luft. »Aber das ändert nichts daran, dass ich dich liebe. Mehr als alles andere auf der Welt.«
Ich erwartete jede Reaktion. Mehr Wut, mehr Schmerz, mehr Enttäuschung. Aber stattdessen kam Lucien auf mich zu und küsste mich, so heftig und gleichzeitig sanft, wie nur er es konnte. Es war der erste Kuss ohne Lügen zwischen uns und er war besser als jeder andere zuvor. Als er endete, schlang ich die Arme um Lucien und er hielt mich einfach nur fest.
Und in diesem Moment, so unwahrscheinlich das auch vor fünf Minuten noch gewesen war, in diesem Moment war ich glücklich.
28
»Wo gehen wir hin?«
»Warte es ab.«
»Kannst du mir nicht wenigstens einen Tipp geben?«
»Nein, kann ich nicht.« Lucien grinste. »An deiner Ungeduld hat sich echt nichts geändert.«
»An deiner Geheimniskrämerei auch nicht.«
Unser Shuttle hatte an der Küste angelegt, etwa zwei Stunden nördlich des vereinbarten Treffpunkts mit Costards Leuten. Erst hatte ich gedacht, Lucien habe sich bei der Eingabe der Koordinaten vertan, aber als er nun zielstrebig in Richtung eines kleinen Pinienwäldchens ging, wurde klar, dass genau dies sein Ziel gewesen war.
»Es geht doch nichts über einen ordentlichen Streit mit anschließender Versöhnung, findest du nicht?« Lucien hatte seinen Arm um meine Schultern gelegt und zog mich während des Laufens näher zu sich. Den DataPod trug er auf dem Rücken. Der Behälter hatte zum Glück in eine der Vorratstaschen aus dem Shuttle gepasst.
»Völlig richtig.« Ich lächelte und schmiegte mich an ihn, ohne seine Rippen zu berühren. »Auch wenn das nicht –«
Er hob die Hand. »Ah, mach es nicht kaputt. Ich will dieses Gefühl wenigstens zehn Minuten lang genießen.«
»Wenn es nach mir geht, kannst du das bis in alle Ewigkeit genießen«, antwortete ich. »Aber es geht leider nicht nach mir.«
Lucien blieb stehen. »Hey, tu mir einen Gefallen: Lass uns erst mal ankommen, okay? Danach können wir immer noch über unsere aussichtslose Zukunft reden.«
Ich seufzte. »Okay.«
»Siehst du, geht doch.« Er nahm meine Hand und zog mich mit sich.
Wir durchquerten das Wäldchen und landeten bald vor einem kleinen Haus direkt an der Küste. Es war weiß gestrichen, hatte ein altmodisches Ziegeldach und hellgraue Fensterläden, die allesamt geschlossen waren. Auf der Terrasse stapelten sich ein paar alte Liegestühle, der Pool war abgedeckt. Es sah so aus, als wäre das Haus seit Ewigkeiten verlassen.
»Woher wusstest du, dass es hier ist?«, fragte ich.
Lucien hob die Schultern. »Es gehört mir.«
Ich lachte ungläubig. »Du hast ein Haus an der iberopäischen Küste?«
»Japp.« Er nickte. »Eigentlich war es das Ferienhaus unserer Familie, damals, vor der Abkehr. Meine Mutter und ich haben oft den Sommer hier verbracht, wenn mein Dad gearbeitet hat. Wahrscheinlich haben sie es deswegen mir übertragen, als sie gestorben sind.«
»Es tut mir so leid, was mit ihnen passiert ist.« Ich dachte daran, dass ich immer noch nicht wusste, wie Lucien den Brand überlebt hatte. Aber gerade jetzt wollte ich nicht danach fragen.
»Ja, mir auch.« Er lächelte schief. Dann trat er an eines der Fenster und öffnete die Läden davor. Ich sah zu, wie er prüfend an den Rahmen klopfte und dann am Rand entlangfühlte.
»Brechen wir ein?« Ich sah ihn zweifelnd an.
»Die Tür ist WrInk-gesichert und ich habe gerade keinen.« Lucien hob sein Handgelenk. »Aber ich glaube, man darf in das eigene Haus einbrechen.«
Geschickt öffnete er das Fenster und stieg hinein. Dann reichte er mir die Hand. Als ich sie ergriff und durch den Rahmen kletterte, landete ich direkt in seinen Armen.
»Das war doch Absicht«, sagte ich wie damals auf der Ruine.
»Schuldig«, grinste Lucien und küsste mich. Ich lehnte mich an die Wand und zog ihn näher zu mir
.
Es dauerte eine Weile, bis wir wieder Luft holten. Aber als ich die Augen öffnete, dachte ich an die Zukunft und meine Stimmung sank. Lucien schien es zu bemerken.
»Ich glaube, wir brauchen einen neuen Deal.«
»Was ist mit Wir tun so, als wäre nie etwas zwischen uns passiert?«
»Ich glaube, den Deal können wir als gescheitert betrachten.« Er lachte und mein Herz machte einen Hüpfer. »Wir haben noch«, er sah auf die Uhr, »vierzehn Stunden, bis wir loslaufen müssen, um es rechtzeitig zu diesem Treffpunkt mit Costards FlightUnit zu schaffen. Ich schlage vor, bis morgen früh um acht tun wir so, als gäbe es nichts außer uns. Kein Maraisville, keine Schakale, kein ReVerse.«
»Klingt himmlisch. Und gefährlich.« Der Sturz auf den Boden der Tatsachen würde gnadenlos sein.
»Ich weiß.« Lucien sah mich auf eine Weise an, die mich jeden Schmerz der letzten Monate vergessen ließ. »Aber denkst du nicht, das ist es wert?«
Liebevoll lächelte ich ihn an. »Auf jeden Fall.«
»Kluges Mädchen.« Er küsste mich wieder und überzeugte mich endgültig davon, dass der neue Deal eine gute Idee war.
Erst dann kam ich dazu, mich umzusehen.
Nachdem wir die Fensterläden geöffnet hatten, war das Haus hell und einladend. Zwar war es nicht unbedingt modern – unter den Schutzhüllen kamen urige Möbel aus dunklem Holz zum Vorschein, die mich an Leopolds Refugium erinnerten. Im Gegensatz dazu war dieses Häuschen jedoch wahnsinnig gemütlich. Knarzender Holzboden zog sich durch das kleine Wohnzimmer bis in die angrenzende Küche, ein altmodischer Ofen war in die Wand eingelassen. Die Wände waren teils weiß gestrichen, teils hatte man es bei den ursprünglichen sandfarbenen Steinen belassen. Durch die großen Fenster konnte man über den Pool hinweg direkt aufs Meer sehen.
»Wann warst du das letzte Mal hier?«, fragte ich Lucien, der gerade das Sofa von seinem Staubschutz befreite. Es sah sehr bequem aus und war mit einem grünen Stoff bezogen.
»Das ist lange her. Ab und zu kommt jemand, um nach dem Rechten zu sehen, aber ich war seit Ewigkeiten nicht mehr hier.« Er legte den Überzug zusammen und warf ihn auf einen Sessel. »In der Zeit direkt vor dem Brand wollte mein Vater nicht, dass wir allein wegfahren – und nachdem meine Eltern tot waren, wollte ich es nicht mehr. Nicht nur, weil die Schakale keinen Urlaub kennen, es … kam mir auch falsch vor.« Er trat ans Fenster und sah hinaus. Ich umarmte ihn und schmiegte mich an seinen Rücken.
»Ich wette, sie fänden es schön, dass du jetzt hier bist«, sagte ich leise.
»Ja, wahrscheinlich schon.« Lucien drehte sich in meinen Armen zu mir um. »Ich glaube, du hättest meiner Mutter gefallen. Sie hat Menschen gemocht, die ihren eigenen Kopf haben.«
Ich wusste nicht, was ich darauf antworten sollte, aber zum Glück sprach Lucien schon weiter, als wolle auch er das Thema wechseln: »Ich hoffe, das Wasser funktioniert noch.«
»Das Wasser? Warum?«
»Ich brauche nach unserem Ausflug in den Atlantik dringend eine Dusche. Kommst du mit?« Er grinste alles andere als unschuldig.
Ich antwortete darauf mit einem Kuss und zog den Verschluss seiner Jacke herunter. Als ich sie ihm von den Schultern streifte, hob er mich kurzerhand auf seine Hüften und trug mich zur Treppe. Langsam fiel die Anspannung ab und ich blendete alles aus, spürte nur seine Lippen auf meinen, seine Hände an meinem Rücken und in meinem Nacken, seine Haut unter meinen Fingern. Spätestens, als wir oben ankamen, uns von den Anzügen befreiten und Lucien mich unter den warmen Wasserstrahl der Dusche zog, gab ich das Denken endgültig auf.
Das Sofa war wirklich bequem, wie ich einige Zeit später feststellte. Wir hatten die Fenster geöffnet und ein paar Kissen und Decken aufgetrieben, die so frisch waren, als hätte man sie eben erst in den Schrank gelegt. Am Horizont versank die Sonne gerade im Meer und das Licht war warm und weich.
»Ich habe dich vermisst«, sagte ich leise und kuschelte mich an Lucien. Seine Locken waren nur noch feucht, genau wie meine Haare. Seit unserer Ankunft hatten wir nicht nur geduscht, sondern auch etwas gegessen und ein paar andere Sachen gemacht, zu denen wir in der letzten Zeit nicht gekommen waren.
»Ich habe dich auch vermisst, Stunt-Girl.« Lucien küsste mich auf die Schulter. »Dich und deine Versuche, auf spektakuläre Weise von etwas herunterzustürzen.«
Ich boxte ihn und er lachte, bevor er mich enger in seine Arme zog.
»Können wir ewig hierbleiben?«, murmelte ich.
»Nichts lieber als das.« Lucien seufzte und eine Weile schwiegen wir. Ich lauschte seinem ruhigen Atem und genoss es einfach, ihm so nahe zu sein.
»Weißt du, was ich dachte, als ich dich das erste Mal gesehen habe?«, fragte er irgendwann.
»Sie hat keinen besonders guten Gleichgewichtssinn?« Ich hatte die perfekte Position in der Kuhle seines Halses gefunden und sah nicht auf.
»Ja, das auch.« Er lachte leise. »Aber vor allem dachte ich: Verdammt, wie kann ich dieses Mädchen dazu bringen, mich zu mögen?«
Jetzt hob ich doch den Kopf. »Ist das dein Ernst? Bevor wir miteinander gesprochen haben?«
»Was soll ich sagen? Ich war dir von der ersten Sekunde an verfallen.«
»Ich glaube dir kein Wort«, grinste ich. Dann dachte ich an die Lügen der OmnI. »Warst du eigentlich zufällig dort oben? Auf der Ruine, meine ich.«
»Fast.« Er schloss genießerisch die Augen, weil ich mit den Fingern über die glatte Haut seiner Brust strich. An den Rippen war ein Bluterguss zu sehen, aber er schien schon zu heilen.
»Tut es noch weh?«
»Kaum. Ich glaube, sie waren nur geprellt.«
»Das ist gut … Moment.« Neugierig sah ich ihn an. »Hast du gerade gesagt, du warst nur fast zufällig auf der Ruine?«
»Ich habe Caspar nach euch gefragt«, gab Lucien zu. »Wie sich die Anwärter schlagen, ob er glaubt, dass es jemand schaffen kann … Smalltalk unter Freunden, die zufällig auch Agenten sind. Er sagte, dass er generell zufrieden sei, aber dass es ein ganz besonderes Mädchen gäbe. Sie sei zäh und begabt, hochgradig analytisch und trotzdem intuitiv. Außerdem hat er erwähnt, dass sie jeden Tag vor dem Training zur Ruine joggt.«
»Also hast du beschlossen, sie dir anzusehen.« Ich grinste.
»Ich war neugierig.« Lucien lächelte weich und strich mir über die Wange. »Darum bin ich morgens zur Ruine und habe gewartet, bis du auftauchst. Es war natürlich nicht geplant, dass du gleich kehrtmachst und dich dabei fast umbringst.«
»Ich war ein bisschen überrumpelt.«
»Ja, das habe ich gemerkt.« Lucien wurde ernst. »Ich habe schon im ersten Moment gewusst, dass du mir gefällst – auch ohne ein Wort mit dir zu reden. Aber dann hast du neben mir gesessen und über Freiheit und Verluste gesprochen … Ich glaube, selbst wenn du drei Arme und eine Glatze gehabt hättest, wäre ich verloren gewesen.«
Ich wollte lachen, aber es blieb an dem Kloß in meinem Hals hängen. In Luciens Augen sah ich nichts als aufrichtige Zuneigung. Wie hatte ich je daran zweifeln können?
»Dein Glück, dass ich keine Glatze habe«, sagte ich. »Und mein Glück, dass du so witzig und warmherzig und wundervoll bist. Du hast es geschafft, die einsamste Zeit meines Lebens zu einer der besten zu machen.« Ich seufzte tief. »Zumindest, bevor ich das alles zum Teufel gejagt habe.« Das waren seine Worte gewesen, vorhin im Shuttle.
Lucien holte Luft. »Was ich da gesagt habe –«
»Ist die Wahrheit«, unterbrach ich ihn. »Ich hätte dir und Leopold vertrauen müssen, statt auf Troy und die OmnI zu hören. Ich meine, wir reden hier von Troy. Er ist Preisträger der Goldenen Arschloch-Medaille am Bande seit ungefähr 1854. Man darf ihm nicht einmal glauben, wenn er sagt, das Meer sei blau.«
»Du warst einfach total verletzt. Und er hat das ausgenutzt.«
»Ja, hat er. Aber das hätte kein Grund sein dürfen, mein Gehirn abzuschalten.«
»Vielleicht nicht, nein. Aber sind wir mal ehrlich …« Lucien sah mich an. »Ich hätte an dein
er Stelle das Gleiche getan.«
»Hättest du nicht.« Ich schüttelte den Kopf.
»Ja, richtig«, sagte er sarkastisch. »Wenn es umgekehrt gewesen wäre, hätte ich natürlich erst mit dir geredet, ganz bedacht und zivilisiert.« Er lachte. »Du kennst mich, Stunt-Girl. Wenn ich erfahren hätte, dass du mich benutzt hast, hätte ich sicher nicht bis zur Nacht gewartet, um Rache zu nehmen.«
Ich lachte nicht. »Das hast du gedacht, oder? Dass ich dich benutzt habe, um an Leopold heranzukommen.«
Lucien sah auf die Decke hinunter und zupfte an einem losen Faden. »Wie hätte ich nicht? Du hast in den Verhören nicht verraten, was die OmnI dir gesagt hat, und als du dann auf die Insel kamst und die Sache mit Knox wieder anfing … für mich war das eindeutig.«
»Luc, das mit Knox –«
»Du musst mir nichts erklären«, sagte er. »Du hast ihn auf furchtbare Weise verloren und dann eine zweite Chance bekommen. Jeder hätte versucht, sie zu nutzen.«
Zweifelnd sah ich ihn an. Dann streckte ich die Hand aus und befühlte seine Stirn.
»Was machst du da?«
»Ich gucke, ob du Fieber hast.«
»Warum?«
»Du bist definitiv zu verständnisvoll.«
Lucien verzog das Gesicht. »Ich tu nur so. Eigentlich finde ich, ihr hättet es bei einer platonischen Freundschaft belassen können. Mit zwei Metern Sicherheitsabstand. Oder zweihundert.«
Nun musste ich doch lachen. Aber als ich an Knox dachte, wurde ich wieder ernst. »Nachdem ich aus Maraisville weg war, glaubte ich, er wäre meine einzige Chance. Ich wollte, dass es zwischen uns wieder so wird wie früher. Aber das war Unsinn. Unsere Beziehung hat funktioniert, solange wir die gleichen Ziele hatten. Aber spätestens, als er beschlossen hat, mit einem Attentat auf Unschuldige Rache zu nehmen, war mir klar, dass es endgültig vorbei ist.«
»Das tut weh«, Lucien presste die Hand auf sein Herz. »Ich dachte, es hätte daran gelegen, dass du jedes Mal an mich denken musstest, wenn du mit ihm zusammen warst.«
»Oh, ich habe an dich gedacht«, sagte ich düster.
»Aber nicht auf die Art, die ich mir wünsche«, vermutete Lucien.