by Kiefer, Lena
»Ich konnte ja nicht wissen, dass du darüber informiert werden möchtest«, entgegnete Knox bockig.
»Emile und ich haben unseren Arsch riskiert, um das verdammte Ding zu besorgen! Denkst du nicht, wir wollen wissen, wenn es endlich eingesetzt wird?« Ich sah zu Lucien, dessen Gesicht eine undurchdringliche Maske war. Seine Augen verrieten mir jedoch etwas anderes: Er war zutiefst besorgt.
Knox seufzte genervt. »Mach doch nicht so ein Drama daraus, Phee.«
»Mach ich gar nicht«, sagte ich. »Aber du scheinst vergessen zu haben, dass ich Teil dieses Auftrags war. Und nun verschweigst du mir so etwas.«
»Das sagst ausgerechnet du?« Er sah mich an, nicht mehr bockig, sondern enttäuscht. »Du weichst mir doch schon seit Wochen aus.«
»Ich schätze, das ist mein Stichwort.« Lucien deutete zur Tür. »Ich werde mal nach oben gehen und den UnderTrans ordern.« Bitte beeil dich, sagte mir sein Blick. Ich nickte und er ließ uns allein.
»Was ist mit deiner Stirn?« Knox sah mich an.
»Das ist nur eine Trainingsverletzung.« Er schaute, als würde er mir nicht glauben. »Ich habe wirklich wenig Zeit, Knox«, drängte ich.
»Schon klar. Ich will auch nur eine Sache wissen.« Der Blick seiner dunklen Augen ruhte auf mir, als warte er auf einen Richterspruch. »Glaubst du, dass aus uns jemals wieder etwas wird?«
Die Frage füllte den Raum mit Schweigen. Am liebsten hätte ich Knox abgewimmelt und dieses Gespräch auf später verschoben. Aber es gab kein Später. Wenn ich heute die Insel verließ, würde ich nicht zurückkommen, nicht zu ReVerse, nicht einmal nach Europa. Ich würde Knox nie wiedersehen. Vielleicht war es gut, reinen Tisch zu machen.
»Nein«, sagte ich ehrlich. »Ich hatte es gehofft, ich habe wirklich gewollt, dass es funktioniert. Aber das tut es nicht. Du hast deine Erinnerungen zurück, bist aber trotzdem nicht mehr derselbe. Und ich bin auch nicht mehr das Mädchen, in das du dich verliebt hast. Das mit uns«, ich holte Luft, »ist vorbei.«
Wut flammte in seinen Augen auf. »Liegt es an Lucien de Marais?«
Ich schaltete schnell und gab mich überrascht. »Woher weißt du davon?«
»Emile hat es mir gesagt. Du hast es ja nicht für nötig gehalten, mir davon zu erzählen.«
»Als hätte es das besser gemacht.« Ich schüttelte verärgert den Kopf. »Nachdem du mich am Strand hast sitzen lassen, hätte ich da zu dir kommen sollen und sagen: Ach übrigens, ich hatte etwas mit dem Bruder des Königs?«
»Das wäre wenigstens ehrlich gewesen.« Knox hob stur das Kinn. »Der Typ hat dir wehgetan und du beschützt ihn trotzdem. Wieso?«
»Ich beschütze ihn nicht!«, sagte ich, obwohl das genau das war, was ich getan hatte. »Es hat einfach keine Rolle gespielt, und ich wollte dich nicht noch mehr verletzen.«
»Was für ein Schwachsinn!« Er funkelte mich an. »Es hätte mich verletzt, ganz egal, welcher Name gefallen wäre.«
»Das ist doch verlogen!«, fuhr ich ihn an. »Es hat dir nicht wehgetan, dass ich mich in jemand anderen verliebt habe. Du hast dich nur verraten gefühlt, weil es ausgerechnet ein Schakal war. Alles, was dabei gelitten hat, war dein Ego.«
»Mein Ego? Wohl eher deins! Du wolltest doch nur nicht zugeben, dass die große Ophelia Scale, die beste Manipulatorin von allen, von jemandem geschlagen wurde, der besser ist als sie!«
Ich schnaubte. »Ja, du hast vollkommen recht. Nachdem dein Clearing mir das Herz gebrochen hatte und ich endlich, endlich wieder etwas gefühlt habe, war mein Ego meine einzige Sorge.«
»Als würden dich Gefühle noch interessieren.« Er war tatsächlich tief getroffen, ich konnte es sehen. Aber das änderte nun leider nichts mehr.
»Was ist nur aus dir geworden?«, fragte ich bitter. »Du warst der aufrichtigste Mensch, den ich kannte – ehrlich, loyal und liebevoll. Und jetzt? Du bist misstrauisch, zynisch, vermutest hinter allem eine Falle. Ist das die Zukunft, wie du sie dir vorstellst?«
»Die Welt ist kein Ort für liebevolle Menschen, Phee.« Knox’ Gesicht war steinhart. »Ich habe das begriffen.«
»Dann weißt du auch, wieso das mit uns vorbei ist.« Ich sah ihn an und dachte an früher, als wir noch glücklich gewesen waren. Es schien so unendlich lange her zu sein. »Unsere Zeit in Brighton war wunderschön und ich werde sie nie vergessen. Aber das ist Vergangenheit.« In meinem Ohr hörte ich förmlich die Uhr ticken. Der DataPod war seit heute Vormittag in Costards Hand und ich diskutierte mit meinem Ex-Freund unsere gescheiterte Beziehung. Spitzentiming.
Knox nickte langsam, aber ich sah die Enttäuschung in seinen Augen. Wieso hielt er an etwas fest, das auch für ihn längst der Vergangenheit angehören musste? Ich verstand es nicht.
»Ich muss jetzt los.« Ein letztes Mal sah ich Knox ins Gesicht, aber ein Lächeln brachte ich nicht zustande. »Pass auf dich auf.« Dann schulterte ich meinen Rucksack und ging.
Lucien wartete in der offenen Tür zum UnderTrans. Schnell sprang ich an Bord.
»Können wir?« Er sah mich an.
»Wir können.«
»Dann los.« Er betätigte die Schaltfläche für den Start und die Tür schloss sich. Ein letzter Blick auf die Insel, dann verschwand sie hinter grauem Stahl. Ich setzte mich auf eine der Bänke und atmete aus.
»Bist du in Ordnung?«, fragte Lucien.
Ich nickte. Bald auf jeden Fall, dachte ich.
Lucien lächelte, als hätte er meinen Gedanken gehört – und in diesem Moment wusste ich, dass Knox unrecht hatte. Die Welt war ein Ort für liebevolle Menschen.
Und mit einem von ihnen würde ich den Rest meines Lebens verbringen.
38
Im UnderTrans redeten wir kaum, schließlich wussten wir nicht, wer bei ReVerse am Überwachungsterminal saß. Erst, nachdem der Wagen startklar war und sich das Tor vor uns öffnete, konnten wir wieder sprechen.
»Wie lange braucht man, um den DataPod in Betrieb zu nehmen?« Lucien lenkte unser Gefährt an der Küste entlang. Die Lichtkegel der Scheinwerfer tanzten über den unebenen Boden. Noch mussten wir keine Angst haben, entdeckt zu werden.
»Ich kann nur schätzen«, sagte ich. »Wenn sie schon alles vorbereitet hatten, dann einen Tag, vielleicht etwas weniger. Eigentlich sollten wir rechtzeitig da sein.«
»Eigentlich?« Er sah mich an, tiefe Falten auf seiner Stirn.
»Bestimmt«, versuchte ich ihn zu beruhigen. »Das ist komplexe Technologie, bei solchen Projekten läuft selten etwas glatt. Außerdem muss erst einmal die Vernetzung wieder in Betrieb genommen werden, die seit Jahren brachliegt. Die OmnI wird auch mit dem DataPod nicht einfach so an die Daten kommen, die sie braucht.«
»Gut. Das ist gut.« Ich erkannte, dass Lucien seine Schultern dehnte, um sich zu entspannen. Sein Gesicht blieb trotzdem starr.
Matsch wirbelte auf und bespritzte uns, während wir über den holprigen Untergrund rasten. Der Regen der letzten Tage hatte den Boden weich und rutschig gemacht, aber ich bat nicht darum, dass Lucien langsamer fuhr. Hier ging es um alles – nicht nur um uns, sondern vor allem um die Welt, die Menschheit und ihr Überleben. Wir konnten nicht schnell genug sein.
Ich dirigierte Lucien in die Richtung, die ich auf der Karte ausmachte. Immer wieder blitzte Troys lebloses Gesicht in meinem Kopf auf. Es war die richtige Entscheidung. Es war die richtige Entscheidung. Ich hatte keine Wahl.
»Wie weit ist es noch?« Lucien rief gegen den aufkommenden Wind an.
»Ich weiß es nicht«, schrie ich zurück. »Halt mal kurz an.« Ich studierte die Karte auf dem Pad.
»Wir müssen weiter nach Norden, fürchte ich.« Die Landschaft sah hier im Dunkeln völlig anders aus als auf der Karte. Aber ich war mir sicher, dass wir zu weit nach Süden gefahren waren.
»Ernsthaft?«, stöhnte Lucien. »Wir haben keine Zeit für Irrfahrten, Stunt-Girl. Das ist der falsche Zeitpunkt, um deinen Orientierungssinn zu verlieren.«
»Das weiß ich«, wehrte ich mich. »Aber die Navigation ist im Dunkeln ziemlich schwierig.« Mit Maraisvilles Hilfe
wäre es einfacher gewesen, aber dann hätten wir ihnen sagen müssen, wo wir hinfahren.
Lucien atmete ein und legte seine Hand auf meinen Rücken, strich zweimal darüber. »Du machst das schon, okay? Ich vertraue dir.«
Ich nickte, aber der Druck blieb. Wir waren im Dunkeln unterwegs und konnten uns heillos verirren. Und wenn wir es nicht bald zu diesem Bunker schafften, war die OmnI weg. Ich schloss kurz die Augen und sammelte mich, dann sah ich noch einmal auf die Karte.
»Dorthin«, sagte ich mit aller Entschlossenheit und zeigte in eine Richtung links von uns. Lucien ließ den Wagen erneut anrollen und folgte meinen Hinweisen.
»Wir kriegen das hin.« Er nickte, wie um sich selbst zu beruhigen. »Das Militär macht seinen Job, die Schakale machen ihren und wir machen unseren. Wir werden die OmnI finden.«
»Du hast trotzdem ein dummes Gefühl«, stellte ich fest. Er nickte wieder, diesmal besorgt.
Luciens Intuition war seine größte Stärke, das hatte ich gewusst. Dass sie jedoch auch ein Fluch sein konnte, verstand ich erst jetzt. Egal, was er sich einredete oder in seinem Kopf ausrechnete, gegen das Gefühl in seinem Bauch kam keine Logik an. Aber vielleicht irrte er sich. Hoffentlich irrte er sich.
Wir waren eine knappe Stunde unterwegs, als endlich meine Sinne anschlugen. In der Ferne sah ich vor dem fast vollen Mond die Silhouette, auf die ich bei meinem OmnI-Besuch einen Blick erhascht hatte. Wir waren ganz in der Nähe.
Lucien schaltete die Scheinwerfer aus und wir tasteten uns vorsichtig durch die Dunkelheit. Als ich glaubte, wir seien nicht mehr weit entfernt, hielten wir an. Schweigend rüsteten wir uns mit Waffen und Munition aus, dann versteckten wir den Wagen unter ein paar Ästen, die der Sturm von den Bäumen gerissen hatte. Wir würden ihn brauchen, wenn wir später flüchten wollten.
Es war still, der Wind hatte sich gelegt. Lucien ging voran und hielt eines der Halbautomatik-Gewehre von ReVerse im Anschlag. Ich folgte ihm. Wir versuchten, so wenig Geräusche wie möglich zu machen, redeten kein Wort. Stumm bahnten wir uns einen Weg durch das Dickicht und kamen bald zum Rand einer gewaltigen Lichtung. Ich ging in die Hocke. Auf der anderen Seite konnte ich im Mondlicht einen Eingang erkennen.
»Das ist es«, flüsterte ich. »Ich erinnere mich an die Form des Tores.« Auf der Lichtung waren deutliche Spuren von landenden und startenden FlightUnits zu sehen. Das borstige Gras war platt gedrückt und teils unter Schlamm begraben.
Lucien beobachtete den Eingang. »Standen draußen Wachen, als du hier warst?«
Ich folgte seinem Blick. »Ich habe nur eine Sekunde hinausgesehen. Wenn welche dort waren, dann jedenfalls nicht viele.« Jetzt war das Tor verwaist. Aber wenn sie niemanden erwarteten, dann brauchte es auch keine Wachen davor. »Es wird Zeit, Verstärkung zu rufen, oder? Wir wissen, dass sie hier ist.« Ich sah Lucien an. Lass uns verschwinden, sagte ich ihm mit meinen Augen.
»Nein, noch nicht. Irgendetwas stimmt hier nicht. Wir müssen nachsehen.«
»Aber was, wenn dann keine Zeit mehr ist?« Unsere InterLinks waren stumm, als würde niemand mehr am anderen Ende sitzen. Trotzdem wollte ich nicht deutlicher werden.
»Die wird schon reichen und wir müssen einfach sichergehen«, antwortete er und gab mir die Hand, um mich hochzuziehen. Dann schlug er einen Weg ein, der im Schutz der Bäume die Lichtung einmal umrundete.
Es blieb still, sogar als wir uns dem Tor näherten. Und langsam spürte ich es auch. Keine Wachen vor der Tür waren das eine, aber es war so ruhig, so … verlassen. Ich hatte die ganze Zeit nur an unsere Flucht gedacht, aber als ich die Situation mit dem Verstand eines Schakals betrachtete, lief es mir kalt den Rücken runter. Lucien hatte recht: Hier stimmte etwas nicht.
Ich ging vor und suchte nach dem Eingabe-Pad für das Tor. Als ich fündig wurde, gab es jedoch nichts mehr für mich zu tun: Das Panel war aus der Halterung gerissen und völlig zerstört. Es sah so aus, als hätte man darauf geschossen. War jemand vor uns hier gewesen?
Lucien drückte gegen das Tor und hob die Waffe, als es einfach nach innen aufschwang. Vorsichtig spähten wir ins Innere. Niemand war zu sehen. Die Notbeleuchtung flackerte rötlich durch die Schleuse, der Boden war voll mit durchsichtigen Schnipseln. Ich steckte meine Waffe weg und bückte mich, um einige davon aufzuheben.
»Was ist das?« Lucien hockte sich neben mich.
»Keine Ahnung.« Ich zerrieb die Stückchen zwischen den Fingern. »Sieht fast aus wie Reste von Layern.«
Mit gezogenen Waffen gingen wir durch die Schleuse, die abgeschaltet war und uns nicht am Eintreten hinderte. Auf der Treppe hinunter in den Hauptteil des Gebäudes herrschte fast völlige Dunkelheit. Wir waren nur wenige Stufen hinabgestiegen, da stieß mein Fuß gegen etwas Weiches. Ich unterdrückte einen erschrockenen Laut und richtete meine Lampe nach unten. Der Lichtschein streifte kurz geschorene Haare und leere Augen. Es war ein toter Wachmann. Ihm war in den Kopf geschossen worden.
Mein Herz schlug schmerzhaft bis in meinen Hals und ich sah Lucien an. Was war hier passiert?
»Weißt du noch, wo sie die OmnI untergebracht haben?«, fragte er mich nur.
Ich nickte und ging weiter. Noch drei weitere Male tauchten im Kegel meiner Lampe tote Wachmänner auf, alle auf die gleiche Weise hingerichtet. Mittlerweile wusste ich nicht mehr, was mich am Ende des Ganges wohl erwarten würde. Konnte die OmnI noch hier sein, in einem unbewachten Gebäude? Oder hatte sie den Tod dieser Männer am Ende selbst angeordnet?
Eilig ging ich voran, bemühte mich, nicht in Panik zu verfallen. Lucien folgte mir. Die Notbeleuchtung wies uns weiter unten einen dämmrig-roten Weg, die Gänge schienen endlos und ich verirrte mich zweimal, bis wir endlich im richtigen Trakt landeten. Als die Tür zu dem richtigen Raum vor mir auftauchte, war ich erleichtert und alarmiert zugleich. Sie war geschlossen und durch das kleine Fenster fiel Licht auf den Flur.
»Ich gehe vor.« Lucien schob sich an mir vorbei und legte die Hand auf die Klinke.
»Kommt nicht infrage.« Ich schüttelte den Kopf. »Das ist der falsche Zeitpunkt, um den edlen Ritter zu spielen.«
Sein Mund zuckte zu einem Lächeln. »Wie wäre es denn mit der Tatsache, dass ich der erfahrenere Agent von uns beiden bin?«
»Deine Erfahrung hilft dir da drin nicht.«
»Ich diskutiere nicht darüber, Ophelia.«
»Das trifft sich gut. Ich nämlich auch nicht.« Ich drängte mich an ihm vorbei, packte die Klinke und drückte sie herunter.
In dem Raum, wo ich bei meinem letzten Besuch auf die OmnI getroffen war, brannte Licht. Das war es jedoch nicht, was ins Auge fiel – sondern ein Terminal an der Wand, das beim letzten Mal noch nicht da gewesen war. Es war schlampig montiert worden und hing schief. Darunter stand der Tisch, auf dem der schwarze Würfel gestanden hatte. Er war leer.
Ich fluchte und stürzte zu der Wand, um genauer nachzusehen. In dem Moment ging das Terminal an. Zeilen tauchten auf, weiß auf schwarz, eine nach der anderen, bis es fünf waren.
Für dieses Element. Doch lange währt’ es nicht,
Bis ihre Kleider, die sich schwer getrunken,
Das arme Kind von ihren Gefühlen,
Hinunterzogen in den schlamm’gen Tod.>
»Was zur …«, murmelte Lucien, während er neben mir stehend den Text las.
»Das ist aus Hamlet.« Nicht nur wegen meines Namens kannte ich das Stück von Shakespeare auswendig. Mein Vater hatte immer Wert darauf gelegt, dass wir die Klassiker lasen.
»Ja, ich erinnere mich dunkel. Aber was soll das?« Lucien runzelte die Stirn.
Ich musste kurz nachdenken, um das Zitat einzuordnen. Als mir die Stelle einfiel, war es, als würde eine kalte Faust meine Eingeweide packen.
»Es ist aus dem Dialog zwischen der Königin und Laertes«, sagte ich leise. »Dabei reden sie über den Tod von Ophelia.« Im Stück wurde nicht explizit erwähnt, dass sie Selbstmord begangen hatte, aber die Worte ließen nicht viel Raum für Spekulationen. Was wollte mir d
ie OmnI damit sagen?
»Vielleicht ist das ein Versuch, dich wieder für sie zu gewinnen«, mutmaßte Lucien. »Eine letzte Chance sozusagen.«
»Nein.« Ich schüttelte den Kopf. »In der vierten Zeile muss es eigentlich heißen »Das arme Kind von ihren Melodien, nicht Gefühlen.« Ich starrte auf die Zeilen und mir wurde klar, was die OmnI mir sagen wollte. »Sie meint damit meine Gefühle für dich. Und das heißt, sie will mich nicht wieder auf ihrer Seite. Sie kündigt meinen Tod an, weil ich sie verraten habe.«
Stumm machte ich mich daran, den Raum abzusuchen, hektisch, aber systematisch. Jedes kleine Fitzelchen von Material nahm ich unter die Lupe, ich scannte jede Nische, auch im Raum daneben und in dem dahinter. Aber es gab keine Reste des schwarzen Würfels, der die OmnI umhüllte.
»Das bringt nichts, Ophelia.« Luciens Stimme holte mich zurück. Nur langsam fraß sich die Erkenntnis in mein Gehirn, dass er recht hatte. Die OmnI war nicht mehr da. Wir hatten sie verpasst und damit vielleicht die einzige Chance, sie aufzuhalten.
»Wo können sie nur die OmnI hingebracht haben?«, fragte ich verzweifelt.
»Keine Ahnung. Hat sie in eurem Gespräch etwas gesagt, irgendeine Andeutung gemacht, was sie vorhat, wenn der DataPod installiert ist?«
»Nein, hat sie n … oder vielleicht doch!« Mir fiel etwas ein. »Sie hat gesagt, Informationen aus Maraisville seien das, was sie braucht, und ich habe gemeint, das wäre schwierig, weil man sie nicht hineintragen könne. Aber vielleicht haben sie genau das vor! Vielleicht wollten sie nie die Infrastruktur von hier bis zur Stadt wieder aufbauen, sondern die OmnI direkt dort hinbringen!« Wieso hatte ich das nicht eher bedacht?
Lucien überlegte. »An der Westseite von Maraisville gibt es einen Gebirgszug, der extrem schwer zu erreichen ist. Dort laufen die Datenleitungen aus der Stadt in einem Hub zusammen. Möglicherweise haben sie es darauf abgesehen.«
Das bedeutete, es gab noch eine Chance. Wenn das Militär schnell genug war, würde man Costard und seine Leute entdecken, bevor sie Schaden anrichten konnten.
»Gen? Cas? Ist jemand da?« Lucien sprach über seine InterLinks. »Ah gut, ich dachte schon, dass wir keine Verbindung haben. Kannst du bitte ein Team zum Hub schicken? Wir denken, dass Costard dort zuschlagen will. Und –« Er brach ab und schien zuzuhören. »Alles klar«, schloss er mit verwirrtem Gesichtsausdruck.