by Kira Mohn
«Ach, echt?» Dylan grinst Jackson an, der mir wiederum einen perplexen Blick zuwirft. «Was erzählst du denn so über mich?»
«Dass du heimlich Stoffhäschen sammelst.»
Dylan lacht, obwohl ich finde, so etwas Persönliches sollte man nicht einfach so locker ausplaudern. Es sei denn, es handelt sich mal wieder um einen Scherz. Ich hasse diese Scherze. Und gleichzeitig will auch so locker daherreden können.
«Dein Freund erzählt nur Mist», sagt Dylan. «Glaub ihm bloß nichts. Wie gefällt es dir denn in Edmonton? Du bist erst seit ein paar Tagen hier, oder?»
«Ja, ich …»
«Hey, Jax! Dylan!»
Die beiden Studentinnen, die auf uns zukommen, habe ich noch nie gesehen, doch offenbar sind es Freundinnen von Jackson und Dylan. Beide mustern mich, nachdem sie unseren Tisch erreicht haben, und die Kleinere von ihnen streckt mir lächelnd ihre Hand entgegen. Sie hat lange, hellblonde Haare, die ihr glänzend und glatt wie ein Seidentuch über den Rücken fallen.
«Hi, ich bin Kaylee. Du musst Haven sein. Wie nett, dich endlich mal zu treffen.»
«Hallo.» Noch während ich nach ihrer Hand greife, zermartere ich mir bereits den Kopf, was ich als Nächstes sagen könnte, doch mir ist noch immer nichts eingefallen, als Kaylee einen Schritt zur Seite tritt. Sie weist auf ihre Freundin. «Das ist Stella. Sag Hi , Stella.»
Stella wirft Kaylee einen genervten Blick zu. «Hi, Haven», sagt sie trotzdem, und auch sie lächelt dabei, doch auf eine seltsam beunruhigende Art.
Kaylee hat sich den Stuhl neben Dylan herangezogen. «Seid ihr auch zum Frühstücken hier? Ich muss jetzt dienstags um halb sieben aufstehen, weil ich den Kurs bei Professor Davis brauche – den hat er garantiert mit Absicht so früh gelegt, damit man ihn noch mehr hasst.» Sie lacht auf und sieht dann zu mir. «Was studierst du denn, Haven?»
«Umweltwissenschaften.»
«Ah. Ist bestimmt spannend, oder?»
«Ja», erwidere ich, bereits überfordert mit dieser harmlosen Frage. Warum sonst sollte ich es denn studieren, wenn nicht, weil ich es wichtig und interessant finden würde?
Jackson, der meine Unsicherheit zu spüren scheint, legt einen Arm um mich, und fast schon dankbar lehne ich mich gegen ihn. Ein wenig zu spät fällt mir endlich die richtige Gegenfrage ein. «Und was studierst du?»
«Wir studieren eigentlich alle Jura.» Diese Antwort kommt von Stella, obwohl ich die Frage an Kaylee gerichtet habe. Sie hat sich ans Tischende gesetzt, die Beine übereinandergeschlagen, und während sie mich ansieht, liegt noch immer etwas in ihrem Blick, das ich nicht einordnen kann.
Sie mag mich nicht.
Warum? Liegt es schon wieder an meiner Kleidung? Aber ich sehe jetzt ganz normal aus, genau wie alle anderen, oder?
«Wir wollen nicht frühstücken», mischt Jackson sich ein. «Wir haben uns hier nur mit Dylan getroffen.»
«Warum denn nur mit Dylan?», fragt Kaylee empört – ist sie es tatsächlich? «Wir wollen deine neue Freundin doch alle kennenlernen.»
Stella erhebt sich so abrupt, als wolle sie damit ausdrücken, dass zumindest sie kein Interesse daran hat. «Okay, ich hab nicht so viel Zeit – ich geh mir mal was zu essen organisieren.»
«Warte, ich komme mit.» Kaylee springt auf, wendet sich aber noch einmal um. «Seid ihr gleich noch da?»
«Nein», erwidert Jackson im selben Moment, in dem Dylan «Ja, klar» sagt.
«Okay, dann bis gleich.» Das ging an Dylan. «Bis später, Jax. Tschüs, Haven.» Kaylee eilt in die Richtung, in die Stella bereits verschwunden ist.
Jackson steht auf und hält mir seine Hand hin. «Wir gehen dann auch mal.»
Dylan scheint sich nicht über unseren plötzlichen Aufbruch zu wundern, im Gegensatz zu mir. Es ist nicht unbedingt so, dass ich Lust hätte, mit Stella zu frühstücken, aber wir waren doch gerade dabei, uns zu unterhalten, bevor Kaylee und Stella hinzukamen. Und vielleicht fällt mir ja doch noch irgendetwas ein – immerhin Dylan scheint nett zu sein.
«Wir könnten vielleicht noch …», beginne ich, doch Jackson wirft mir einen eindeutigen Blick zu. Er will hier weg. Warum?
Es ist unendlich frustrierend, sich immerzu fragen zu müssen, warum die Leute um mich herum etwas tun oder sagen. Ich fühle mich plötzlich … dumm. Unbeholfen. Die totale soziale Nullnummer. Sogar Dylan scheint die Situation zu verstehen, denn er nickt Jackson jetzt zu und verzieht dabei irgendwie verständnisvoll-bedauernd den Mund. «Alles klar, wir sehen uns. Bis dann, Haven, ich frag dich demnächst einfach noch mal, wie es dir hier gefällt.»
Kurz erwidere ich sein Lächeln, bevor Jackson ähnlich entschlossen losmarschiert wie Stella vor einigen Minuten und mich mitzieht.
Okay. Was war das jetzt schon wieder? Derjenige, der mir das beantworten kann, läuft ja praktischerweise direkt neben mir, und warum sollte ich nicht direkt mit dem verletzenden Gedanken beginnen, der mir in diesem Moment durch den Kopf schießt?
«Warum gehen wir, Jackson? Willst du doch nicht, dass ich deine Freunde kennenlerne? Bin ich … bin ich dir irgendwie peinlich?»
JACKSON
A uf Havens Frage hin bleibe ich so unmittelbar stehen, dass sie fast in mich hineinrennt. «Nein!»
Dieser absolut ehrlich gemeinte Ausruf bezieht sich allerdings nur auf Havens zweiten Satz, wird mir sofort bewusst. Natürlich will ich, dass sie meine Freunde kennenlernt, ich will Haven nur nicht mit meiner Exfreundin an einen Tisch bringen, bevor ich mit ihr über Stella gesprochen habe. Und Havens Frage macht mir klar, dass das genau jetzt erledigt werden muss.
Wir haben die Mensa hinter uns gelassen, und ich ziehe Haven zur Rasenfläche, wo wir niemandem im Weg stehen. «Natürlich will ich, dass du meine Freunde kennenlernst. Aber Stella und ich waren mal zusammen, und wenn es nach ihr ginge, wären wir das noch.»
Der gekränkte Ausdruck in Havens Gesicht verschwindet, so etwas wie Erleichterung schimmert auf, bevor ihr Blick wieder kritisch wird. «Deshalb mag sie mich also nicht. Aber warum ist sie sauer auf mich? Mit mir hat eure Trennung doch nichts zu tun. Und warum können wir nicht trotzdem gemeinsam in der Mensa essen? Willst du ihr nicht zumuten, uns zusammen zu sehen?»
«Nein, eigentlich …» Verflucht, Havens Fragen sind absolut berechtigt und schreddern meine bisherige Gewissheit, sie vor einer Situation wie eben schützen zu müssen. «Eigentlich dachte ich, ich will dir das nicht zumuten.»
«Ich renne selten weg.»
Cayden hatte recht. Cayden hatte wirklich so was von recht. Ich gebe hier den Beschützer, und Haven will das gar nicht. Braucht das vielleicht tatsächlich nicht.
«Okay», sage ich. «Sollen wir wieder reingehen?»
«Nein.» Sie seufzt. «Das ist jetzt auch blöd. Und ich muss sowieso meinen nächsten Raum suchen.»
Die Tatsache, dass sie mich nicht fragt, ob ich ihr den Raum zeigen kann, hält mich davon ab, ihr meine Hilfe anzubieten. Botschaft verstanden.
«In Ordnung. Sorry.»
Sie lächelt, legt mir eine Hand in den Nacken und küsst mich. «Wenn wir uns heute Nachmittag sehen, könntest du mir vielleicht ein bisschen mehr über deine ganzen Freunde erzählen. Du hast das mit Stella doch nicht wegen uns beendet, oder?»
«Nein.»
Haven nickt. «Aber es war etwas Ernstes?»
Unter dieser Frage winde ich mich, aber ich will ehrlich sein. «Nein, es war nichts Ernstes, obwohl ich … obwohl wir beide wohl am Anfang dachten, es könne etwas Ernstes werden.»
Sie lässt ihre Stirn gegen meine Schulter sinken, bevor sie wieder aufblickt und mich mustert. «Du hattest schon mehr Beziehungen als nur mit Stella, oder?»
«Ja.»
Haven beißt sich auf die Unterlippe, und ich habe das Bedürfnis, ihr die Unsicherheit sofort wieder zu nehmen. «Ich hatte mehrere Beziehungen, aber keine davon hat mir wirklich etwas bedeutet.» Abgesehen von Lynn. Ich schiebe diesen Gedanken beiseite. Zu kompliziert für diesen Moment.
«Aber das mit uns ist wichtig für dich?»
«Das mit uns ist mehr als nur wichtig für mich.» Kein Taktieren. Keine Spiele. So offen war ich zu keiner Frau mehr, seit das zwischen Lynn und mir z
erbrochen ist.
«Okay.» Sie umfasst mein Gesicht mit beiden Händen und küsst mich noch einmal. «Mir ist es auch wichtig. Bis später.»
Nachdem Haven gegangen ist, stehe ich noch eine Weile unschlüssig herum, bevor ich beschließe, nach Hause zu fahren. Die Vorlesung, die später noch ansteht, schenke ich mir.
Ich bin mit dem Wagen da, und die ganze Fahrt zurück denke ich darüber nach, dass meine Strategie, Haven langsam in mein Leben hier einzuführen, falsch war. Ständig habe ich das Gefühl, ihr irgendetwas erleichtern zu müssen, doch sie ist so konsequent ins Uni-Leben eingetaucht wie ich in den Stillen See, irgendwelche Typen, die ihr hinterherlaufen, inklusive. Dieser Kerl, der vorhin schon wieder neben ihr stand – wie hieß er noch gleich? Josh? Jon?
Haven hat, was Stella oder meine früheren Beziehungen betrifft, nicht eifersüchtig gewirkt. Irritiert, verständnislos, überfordert, all das, ja, aber nicht eifersüchtig.
Umgekehrt würde sie mich, spräche ich sie auf Josh-Jon an, garantiert nur mit diesem offenen Blick betrachten, den ich mittlerweile von ihr kenne, und nicht kapieren, warum das ein Problem für mich ist, und verfluchter Dreck, ich kapiere es ja selbst nicht! Mit absoluter Sicherheit muss ich mir keine Sorgen machen, dass Haven mit Josh-Jon flirtet, warum also nervt es mich schon, ihn auch nur neben ihr zu sehen?
Diese Frage habe ich mir schon mal gestellt, ohne zu einer Antwort zu gelangen.
Cayden kommt aus seinem Zimmer, als ich mich gerade mit einem Glas Oliven und einer Packung Grissini auf dem Sofa niedergelassen habe.
«Was machst du denn hier?», frage ich überrascht. «Müsstest du nicht längst in der Uni sein?»
«Und du?», gibt Cayden zurück. «Bist du nicht erst vorhin losgefahren?»
«Hab mich nur kurz mit Haven getroffen.»
«Und die Vorlesung?»
«Keinen Bock.»
«Ich auch nicht.» Er lässt sich mir gegenüber auf das riesige Sofa fallen. «Kaylee findet dein Waldmädchen übrigens süß, Stella wohl nicht so.»
«Hör auf, sie so zu nennen», sage ich müde und frage mich gleichzeitig, ob es Haven nicht tatsächlich egal wäre, wie Cayden sie nennt.
«Willst du wissen, was Stella gesagt hat?»
«Nein.»
«Okay. Warum hast du nur Dylan gefragt, ob er sich mit euch in der Mensa trifft?»
«Weil ich auf genau so ein Getue, wie von Stella vorhin, keinen Nerv hatte.»
«Hätte sie ja vielleicht nicht, wenn du vorher mit ihr gesprochen hättest.»
Cayden und seine gottverdammte Menschenkenntnis. Wie kann jemand, der sich im Allgemeinen so oberflächlich gibt, immer wieder punktgenau den Finger auf wunde Stellen legen?
Missgelaunt angele ich nach einer Olive.
«Kaylee schreibt außerdem, dass irgendein Typ hinter deiner Freundin her ist.»
«Woher will Kaylee das denn wissen?»
«Sie hat die beiden in der Mensa gesehen.»
Zumindest finde dann wohl nicht nur ich das Verhalten von Josh-Jon auffällig bemüht.
«Machst du dir deshalb Sorgen?»
«Nein», behaupte ich.
«Solltest du aber vielleicht.»
Gerade habe ich mir eine weitere Olive in den Mund schieben wollen, jetzt sehe ich auf. Cayden erwidert meinen Blick.
«Was soll das denn heißen?»
«Überleg doch mal, Jax: Du hast dein Waldmädchen an einem Ort kennengelernt, wo du keine Konkurrenz hattest. Du warst quasi der Erste, der sich überhaupt für sie interessiert hat – ist jetzt nicht so erstaunlich, dass sie dann auf dich abfährt.»
Mir ist danach, Cayden das Olivenglas an den Kopf zu schleudern, einfach deshalb, weil er in drei Sätze gepackt hat, was ich in den letzten Tagen ums Verrecken nicht zu greifen bekommen habe. Wieso muss er damit schon wieder recht haben?
Stattdessen schraube ich langsam den Deckel zu und atme einmal tief durch, während ich mich vom Sofa erhebe.
Cayden verschränkt die Arme im Nacken. «Jetzt guck nicht schon wieder so verkniffen – weißt du, ganz ehrlich: Du solltest dich mal fragen, ob dir diese Beziehung überhaupt guttut. Du bist echt ständig mies drauf.»
Noch immer bin ich in erster Linie damit beschäftigt, mich den Zweifeln zu stellen, die Caydens Worte in mir hervorgerufen haben. Trotzdem bleibe ich auf dem Weg in mein Zimmer neben ihm stehen.
«Ich bin nicht mies drauf, mir ist das mit Haven nur wichtig. Zum ersten Mal ist mir wirklich etwas wichtig, okay? Vielleicht bist du das bisher einfach nur nicht von mir gewohnt.»
23
HAVEN
D er erste Gedanke, der mir nach dem Betreten des Strawberry Kiss durch den Kopf geht, ist, dass es mich nicht wundert, dass diese Eisdiele auch nach über zehn Jahren noch existiert. Alles hier ist wirklich … entzückend. Bänke, Tische, Stühle, Wände, alles ist in den Farben Weiß, Rosa, Rot und einem leuchtenden Grün gehalten. Weiß gerahmte Bilder von Erdbeeren, Kirschen, Zitronen und anderem Obst hängen an den Wänden, und die Bedienungen tragen weiße Kleider mit winzigen Erdbeeren darauf.
«Wow, Zuckerschock», bemerkt Jackson, doch mir gefällt es wirklich. Hier riecht es sogar nach Erdbeeren.
«Wir haben Glück, es ist nicht allzu voll», sagt Jackson in dem Moment, in dem ich denke, dass das Café ziemlich überfüllt ist.
«Fast jeder einzelne Tisch ist besetzt», erwidere ich.
«Ja, aber es gibt keine Warteschlange.» Jackson sieht sich um. «Könnte es dort drüben gewesen sein?»
Ausnahmsweise muss ich ihn nicht fragen, was er damit meint. Ich ziehe das Album aus meinem Rucksack und vergleiche das Foto von mir vor dem Eisbecher mit dem Platz, auf den Jackson gedeutet hat.
«Ich weiß nicht … das Bild von dem Wassermelonenstück ist hier nicht drauf.»
«Vielleicht gab es damals die Obstbilder noch nicht. Aber die Sitzecke sieht genauso aus. Denk dir das Bild mal weg.»
Jackson hält das Album so, dass ich das Foto mit dem Platz vergleichen kann, und er könnte tatsächlich recht haben. Ohne diese Wassermelone an der Wand …
«Aber da sitzen schon Leute.» Das wird mir erst jetzt bewusst, weil die beiden Frauen an dem Tisch, den wir anstarren, uns mittlerweile ebenfalls mustern.
«Dann warten wir eben.» Im Gegensatz zu mir hat Jackson offenbar kein Problem damit, mitten in der Eisdiele zu stehen und die noch freien Plätze zu ignorieren.
Verlegen rutsche ich dichter an ihn heran, als eine der Bedienungen, eine junge Frau mit langem Pferdeschwanz, an uns vorbeigeht. Sie trägt ein Tablett mit zwei Eisbechern vor sich her und bringt es ausgerechnet zu dem Tisch, auf den Jackson zu warten beschlossen hat.
«Das dauert wohl noch», sage ich. «Vielleicht sollten wir uns doch einfach woandershin setzen.»
«Klar, wenn du denkst, dass es für dich dasselbe wäre?»
Wäre es das? Nein, wäre es nicht. Ich bin nicht hier, um Eis zu essen, jedenfalls nicht in erster Linie, sondern um eine vergessene Erinnerung lebendig werden zu lassen. Ich würde wirklich gern genau dort sitzen, wo ich vor ungefähr vierzehn Jahren saß, ausgehend von dem Datum, das meine Mutter neben das Foto geschrieben hat.
«Hallo, kann ich euch helfen? Sucht ihr jemanden?» Die Frau mit dem Pferdeschwanz ist auf dem Rückweg bei uns stehen geblieben und lächelt uns an.
«Nein, alles in Ordnung, wir warten nur auf diesen Tisch da.» Liebenswürdig lächelt Jackson zurück.
«Ihr habt aber gesehen, dass dort hinten noch was frei ist?»
«Ja, haben wir. Es muss nur leider dieser Tisch sein – das hat nostalgische Gründe.»
«Eigentlich …», beginnt die Frau, und ich halte den Atem an. Jetzt wird sie uns sagen, dass wir hier im Weg stehen. Wie peinlich. «Ach, was soll’s. Stellt euch nur ein bisschen mehr zur Seite, dann könnt ihr gern warten. Es wird aber noch dauern, ich habe den beiden gerade erst ihre Bestellung gebracht.» Sie nickt uns zu und läuft zu der Eistheke, wo sie etwas zu ihrer Kollegin sagt, die daraufhin zu uns guckt.
«Warte mal eben.» Jackson, an dessen Arm ich mich gerade noch anlehnen konnte, geht auf den Tisch zu, wo die beiden Frauen mit
ihren Eisbechern sitzen. Oh Gott. Er wird doch nicht …?
Ich kann nicht verstehen, was er sagt, doch die Überraschung auf den Gesichtern der beiden Frauen verschwindet innerhalb von Sekunden und wird zu etwas anderem, und was auch immer das ist, es führt dazu, dass die beiden nach ihren Eisbechern greifen und aufstehen. Jackson nimmt die Wassergläser, die noch auf dem Tisch stehen, und während er hinter den Frauen herläuft, sieht er mich an und macht eine Kopfbewegung zu der nun freien Sitzecke.
Schnell gehe ich darauf zu, und als ich mich auf den hellen Polstern niederlasse, bin ich froh, zumindest nicht mehr mitten im Raum zu stehen, wo gefühlt beinahe jeder in unsere Richtung starrte.
«Wie hast du das gemacht?», will ich von Jackson in der Sekunde wissen, in der er sich neben mich setzt.
«Einfach die Wahrheit gesagt. Dass du vor zwölf Jahren das letzte Mal hier warst und dich sehr freuen würdest, wenn du dich genau hierhin setzen dürftest.» Unbekümmert greift er nach der Eiskarte.
«Vor vierzehn Jahren», erwidere ich schwach.
«Ach?» Er macht Anstalten, sich zu erheben. «Warte, ich korrigiere das.»
Hastig greife ich nach seinem Arm. «Nein!»
Als er lacht, reguliert sich mein sprunghaft angestiegener Puls wieder ein Stück weit nach unten. Ein Scherz. Natürlich.
«Und, wie fühlt es sich an?»
Erst durch Jacksons Frage wird mir plötzlich bewusst, dass ich in dieser Sekunde auf demselben Platz sitze wie so viele Jahre zuvor. Mein sehr viel jüngeres Ich und mein aktuelles Ich – nur noch zeitlich getrennt. Würde diese Dimension in unserer Welt keine Rolle spielen, könnte ich mich jetzt mit mir selbst unterhalten. Was würde ich mir sagen?
«Es fühlt sich ein wenig seltsam an», beantworte ich endlich Jacksons Frage. «Was meinst du – ob ein Mensch Spuren seiner selbst zurücklässt, überall, wo er mal gewesen ist?» Mir gefällt der Gedanke, dass sich vielleicht genau jetzt ein winziger Partikel der damaligen Haven – zu klein, um ihn selbst mit dem stärksten Mikroskop der Welt aufzuspüren – in genau dieser Sekunde wieder mit mir verbindet. Ich muss kurz an Nate denken. Dieser Gedanke hätte auch von ihm stammen können.