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Page 8

by Nate Southard


  »Also genau wie Kevin.«

  »Mehr oder weniger. Ich befürchte, ihr Beckenknochen ist gebrochen.«

  »Okay.«

  »Danach lassen wir Dani auf ihre Familie und Conner aufpassen. Glauben Sie, es gelingt Ihnen, Greg loszubekommen?«

  »Was, ich? Ich weiß nicht … Ich kann’s versuchen, aber es herrscht Chaos da drinnen.«

  »Ich weiß. Geben Sie einfach Ihr Bestes. Ich muss mich dringend darum kümmern, mit dem Funkgerät im Cockpit Hilfe anzufordern.«

  Ein Funken Hoffnung flackerte in ihren Augen auf. »So etwas können Sie?«

  Er trat nervös von einem Bein auf das andere. Sein Knie protestierte. »Theoretisch schon, schätze ich. Falls es unbeschädigt und aktiviert ist, sollte ich es schaffen. Ich nehme an, Sie haben nicht zufällig irgendwo gelernt, wie man einen Funkspruch absetzt, oder?«

  »Nein, keine Ahnung. Tut mir leid.«

  »Fragen kostet ja nichts. Ich werde mich bei den anderen auch noch erkundigen, aber allzu große Hoffnung habe ich nicht. Unser Glück, dass beide Piloten gestorben sind.«

  »Ja, wir stecken knietief in der Scheiße.«

  Er lachte leise in sich hinein, ließ das Geräusch aber nicht nach draußen, als er sich die Lage vergegenwärtigte, in der sie sich befanden. »Na, dann schauen wir mal, was wir zustande bringen.«

  Während sie Jen zum Flugzeug trugen, hielt Dani ihrer kleinen Schwester ununterbrochen die Hand. Jen blieb tapfer, biss die Zähne zusammen und zischte, schrie aber nur einmal laut auf, und das lediglich kurz, ehe sie wieder verstummte. Dani bewunderte ihren Mut und ihre Selbstbeherrschung und stellte sich die Frage, ob sie in ihrer Situation auch so ruhig geblieben wäre.

  Ein weiteres Heulen entfuhr der Kehle ihrer Schwester, als sie den hinteren Abschnitt der zertrümmerten Passagierkabine erreichten. Conner stolperte beim Hineinsteigen und hätte sie beinahe fallen gelassen, im selben Moment folgte der Schrei. Jen schlug sich die freie Hand vor den Mund und kreischte hinein. Ihre Augen waren fest zusammengekniffen und ihr Gesicht glänzte vor Schweiß.

  »Bist du okay?«, fragte Conner. Dani hätte ihm am liebsten eine runtergehauen, aber Jens Faust zerquetschte regelrecht ihre Hand.

  »Bringen wir sie zu Kevin. Aber ganz vorsichtig.«

  »Kevin?« Sie suchte die Kabine nach ihrem Mann ab. Lag er auf dem Boden? War es das, was Potter vorhin angedeutet hatte? Ein heißes Schuldgefühl drängte in ihren Bauch. Sie wusste nicht, wie lange der Absturz zurücklag, aber sie wusste, dass so viel Zeit verstrichen war, nicht zu wissen, wo sich ihr Mann befand oder wenigstens, ob es ihm gut ging. Jens Verletzungen hatten sie abgelenkt. Als sie sich neben ihren Mann kniete, hoffte sie, dass er ihr verzeihen würde.

  »Es tut mir leid, Schatz. Jen war verletzt und ich wusste nicht, wo du steckst!«

  »Ist schon okay. Ich bin in Ordnung.«

  »Wirklich? Warum bist du dann hiergeblieben?«

  Das Lächeln verschwand aus seinem Gesicht. Er schloss die Hände um ihre Oberarme und hielt sie ganz fest.

  »Was ist mit dir?«, fragte sie. Der Ausdruck auf Kevins Gesicht, die unbändige Kraft in seinen Händen und die fast verzweifelte Art, wie sie sich an ihr festklammerten, jagten ihr Angst ein. Nein, hier stimmte etwas ganz und gar nicht.

  »Dani«, raunte Kevin, und dann wichen seine Augen ihr aus. Tränen kullerten. »Hat Potter es dir nicht erzählt?«

  »Was? Was hat Potter mir nicht erzählt?« Ihr Kopf fuhr herum und sie starrte den Tourmanager anklagend an. »Was hast du mir nicht erzählt, Potter?«

  Er schaute weg, ging wortlos zum Riss in der Kabinenwand und starrte nach draußen.

  »Kevin, was ist passiert?« Etwas brodelte in ihrem Hirn, versengte die Ränder und fraß sich langsam ins Zentrum vor.

  »Dani, ich … Scheiße. Ich spüre meine Beine nicht mehr.« Sie hörte auf zu atmen, als wäre sämtliche Luft aus ihrem Brustkorb entwichen. Für einige Sekunden gab sie merkwürdig glucksende Laute von sich und suchte verzweifelt nach beruhigenden Worten. Doch sie wehten davon wie Blätter im Oktoberwind, bevor man sie zu fassen bekam, flatterten und taumelten und machten alles schrecklich. Tränen brannten in ihren Augen und ihr Mund verzog sich zu einer straffen, hässlichen Fratze. Noch immer fiel ihr nichts ein, was sie zu ihm sagen konnte. Sie schaute Kevin in die Augen und las darin ein verzweifeltes Bedürfnis nach Stärke, aber sie fühlte sich aktuell nicht in der Lage, sie aufzubringen.

  Doch, sie musste! Er brauchte sie. Sie trat das Feuer lodernder Panik in ihrem Geist aus. Ihr Gesicht entspannte sich und sie beugte sich hinunter, um Kevin auf die Stirn zu küssen. »Das wird schon wieder«, verkündete sie in einem beiläufigen Tonfall, der ihr Gefühlschaos Lügen strafte. Ihr Mann zerrte an ihren Händen, als sie sie zurückzog, aber sie schüttelte ihn ab. »Keine Sorge, ich gehe nicht weg.« Sie brauchte länger, als ihr lieb war, um seine Stiefel aufzuschnüren und sie von den Füßen abzustreifen. Ihre Finger fühlten sich linkisch und schwach an, bewegten sich zu schnell, um zielstrebige Genauigkeit zuzulassen. Stattdessen wirkte jede Geste wie ein mühsam beherrschter Ausdruck äußerster Panik. Als sie endlich Kevins Socken vor sich hatte, kam es ihr vor, als wäre mehr als eine Stunde vergangen.

  »Versuch, mit den Zehen zu wackeln.«

  »Ich kann nicht.«

  »Komm mir nicht so, Schatz. Los, beweg deine Zehen!«

  »Es geht nicht!«

  »Versuch’s einfach.«

  »Was glaubst du, wie oft ich es schon versucht habe. Selbst jetzt, wo du mich anschreist. Da rührt sich nichts!«

  Sie starrte auf den Fuß hinunter, den sie zwischen ihren Händen hielt. Er bewegte sich nicht einen Millimeter, zuckte nicht einmal. Ein Schluchzer stieg in ihrer Kehle hoch wie Schluckauf, dann legte sie Kevins Fuß vorsichtig auf den Boden zurück und schluckte schwer.

  »Alles wird gut«, versprach sie. »Es könnte ein Schock, ein Trauma oder so etwas Ähnliches sein. Wir werden damit zu einem Arzt gehen, der bringt das schon in Ordnung.«

  »Klar«, erwiderte Kevin. Seine Stimme war schwach und von wachsender Verzweiflung erfüllt. Sie nahm seinen Fuß erneut in die Hände und massierte ihn, übte sanften Druck auf den Ballen aus und bemühte sich, die richtigen Worte zu finden, die richtigen Handlungen.

  »Kannst du fühlen, dass ich dich berühre?«, fragte sie.

  Kevin schüttelte den Kopf. Dann lehnte er sich zurück und bedeckte seine Augen mit der Hand. Dani wandte sich zu ihrer Schwester um und erkannte eine tiefe Traurigkeit in deren Gesicht. Sie dachte darüber nach, was sie tun sollte, kramte in ihrem Gedächtnis nach einer magischen Geste, die alles besser machen würde, aber ihr fiel nichts ein. Ihr Gehirn war leer und hatte sich in ein dunkles, von Unruhe und Sorge erfülltes Schattenreich verwandelt.

  »Ich starte mal einen Versuch mit dem Funkgerät«, verabschiedete sich Potter aus der Kabine.

  Sie wollte ihm nachlaufen, ihn zu Boden reißen und bewusstlos prügeln, weil er ihr vorenthalten hatte, dass Kevin verletzt war. Undenkbar, dass er nichts davon gewusst hatte, und doch war keine einzige Bemerkung über seine Lippen gekommen. Sie wusste, dass es nichts brachte, Potter anzugreifen, dass er bloß tat, was er zum gegebenen Zeitpunkt für das Richtige hielt, aber ihr wurde das langsam zu viel. Ein gelähmter Mann und eine verletzte Schwester brauchten sie und ihr fiel nichts Besseres ein, als Händchen zu halten und Füße zu massieren.

  Dani sank zu Boden, schloss die Augen und versuchte, nicht zu weinen. Es gelang ihr nicht.

  Als ihm die Tränen ausgingen, fing er an, mit den Zähnen zu knirschen. Die Minuten waren verstrichen – es mochte etwa eine halbe Stunde gewesen sein – und er hatte den Kopf nach wie vor nicht vom Kabinenboden gehoben. Der Teppich kratzte an seiner Stirn, aber das war ihm egal. Alles, woran er denken konnte, war Curtis, dessen lebloser Körper von einem Wesen verschleppt worden war, das einem Albtraum entsprungen sein musste. Selbst jetzt noch konnte er das Blut seines Freundes riechen und die nassen, fast schmatzenden Geräusche hören, mit denen das Monster d
ie Leiche aus dem Wrack gezerrt hatte.

  Tief in seinem Inneren stellte er sich vor, wie er sich aus den Trümmern befreite – notfalls riss er sich den verdammten Arm ab –, um das Monstrum zu verfolgen. Er würde das schreckliche Wesen mit einem Arm zu Tode dreschen, um die Überbleibsel seines Kumpels zu retten. Er wusste, dass es lächerlich war, dass das Biest ihn in Stücke reißen und nichts, was er tat, Curtis zurückbringen würde, aber machten sie es bei der Army nicht genauso? Gab es dort nicht so eine Regel, die besagte, dass niemand auf dem Schlachtfeld zurückgelassen wurde?

  »Greg?«

  Er erkannte die Stimme sofort. Die Reporterin. Sie war nett gewesen, hatte sich mit ihrem D&D-Blödsinn abgegeben und ihn sogar auf den Rücken geküsst, nachdem Curtis verschleppt worden war. Mit entschlossener Geste hob er den Kopf vom Teppich und drehte ihn, um sie anzusehen.

  »Ist mit dir alles … nein, ich weiß, dass mit dir nicht alles in Ordnung ist. Das ist Blödsinn. Wie ist … wie geht es dir? Fühlst du dich schwach oder so?«

  Ein trockenes, fast bitteres Kichern klickte in seiner Kehle. »Ich glaube nicht, dass ich sterben werde.«

  »Hurra.« Sie kletterte in die Kabine und ihre Augen wanderten zu der Wand aus verwickeltem Metall, die ihn gefangen hielt. »Womit haben wir es hier zu tun?«

  »Mit totalem Chaos.«

  »Ja, sieht so aus. Na, dann wollen wir mal versuchen, dich da rauszuholen.«

  »Ich habe es mehr als einmal versucht. Wie auch immer es da drin genau aussieht, es ist ein einziges Wrack. Irgend so ein Scheißteil bohrt sich in meinen Arm.«

  »Dann müssen wir eben vorsichtig sein.«

  »Hör mal … lass es. Das bringt nix, okay? Ich bin mir ziemlich sicher, dass das hier der Lexikondefinition von feststecken entspricht. Oder von geliefert sein. Wahrscheinlich sogar beides.«

  »Okay, aber dein Tourmanager ist ganz scharf darauf, dich hier rauszuholen, also lass mich wenigstens einen Versuch starten.«

  »Bitte tu dir keinen Zwang an.«

  »Genau, jetzt bin ich dran. Du bist ja schon ganz gut bedient.«

  Gelächter blubberte aus ihm heraus, bevor er es aufhalten konnte oder auch nur darüber nachdachte, dass es passierte. Heilige Scheiße. Die Reporterin hatte gerade einen saudummen Witz gerissen und ihn damit sogar zum Lachen gebracht. Mein Gott, er hatte es tatsächlich noch nicht verlernt, die Mundwinkel nach oben zu ziehen. »Nicht schlecht.«

  »Ich habe so meine Momente.«

  Er suchte mit den Augen die Kabine ab, während sie an den Metallteilen herumzerrte. Ohne den Stab eines Blickes zu würdigen, an dem immer noch Fleischfetzen seines toten Kumpels hingen, inspizierte er die zerstörten Sitze und das überall verstreute Gepäck. Sein Bass, ein Stingray von Music Man, lag im Frachtraum und war bei der Bruchlandung aller Wahrscheinlichkeit nach in tausend Stücke gesprungen. Dieser Gedanke ritzte wie eine Rasierklinge über seine Brust, aber er wusste, dass man das Instrument im schlimmsten Fall reparieren oder ersetzen konnte. Bei seinem zweiten Rundblick fiel ihm etwas auf. Er konnte sich im dämmerigen Licht nicht ganz sicher sein, glaubte aber, richtig gesehen zu haben.

  »Hey, Shannon?«

  »Ja?«

  Er zeigte zur gegenüberliegenden Wand »Siehst du die Reisetasche dort drüben?«

  »Welche?«

  »Sie müsste dunkelbraun mit schwarzem Rand sein. Ich möchte, dass du rübergehst, um nachzusehen, ob es die richtige ist.«

  »Die richtige?«

  »Bitte.«

  Sie durchquerte die Kabine. Ihm entging nicht, dass sie einen Schlenker machte, um nicht durch den Bereich laufen zu müssen, der mit Curtis’ Blut getränkt war. Als sie die Tasche erreichte, auf die er gezeigt hatte, streckte sie die Hand aus und drehte das Namensschildchen um.

  »Sie gehört Curtis.«

  »Dachte ich’s mir doch. Würdest du sie bitte aufmachen?«

  »Bist du dir sicher?«

  »Ja. Danke.«

  »Soll ich nach etwas Bestimmtem suchen?«

  »Ein Beutel mit Crown-Royal-Aufdruck. Lila und aus Filz.«

  »Ja, ich kenne die Marke. Er hat Whisky in seinem Handgepäck geschmuggelt?«

  »Nicht direkt.« Er sah zu, wie sie die Tasche durchwühlte, T-Shirts, Socken und Unterwäsche mit den Händen umschichtete, bis sie fand, was er wollte. Sie hob den Beutel in die Höhe und schüttelte ihn.

  »Der raschelt.«

  »Ja, das tut er. Bringst du ihn mir bitte?«

  Sie drückte ihm den Beutel in die geöffnete Hand. Ein Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus, als er das vertraute Gewicht spürte. Mit seiner freien Hand legte er ihn auf den Boden und zog an der Schnur. Zunächst tat sich nichts, aber dann erwischte er die richtige Stelle. Er griff hinein und wühlte sich durch die Gegenstände, bis er das Richtige fand.

  »Da ist er ja.«

  Der 20-Seiter würde noch häufig mit der 20 nach oben liegen bleiben. Das hatte Curtis so oft zu ihm gesagt, dass es sich fest in sein Hirn eingebrannt hatte. Im Dunkeln betrachtete er die Konturen und die Farbe des Würfels. Seine ungewöhnliche, beinahe runde Form. Rotes Plastik mit weißen Zahlen. Er musste zugeben, es war eines der hübschesten Exemplare, die er je zu Gesicht bekommen hatte, und er verstand, warum es Curtis’ Lieblingswürfel gewesen war.

  Greg warf Shannon einen Blick zu. Sie war mit der Wand beschäftigt und stocherte und zerrte an den Fragmenten herum, um sich ein Bild von der Lage zu verschaffen. Als er sicher war, dass sie es nicht bemerken würde, drückte er sich den Würfel an die Lippen und küsste ihn, dann ließ er ihn in die Tasche gleiten. Das war das Beste, was er tun konnte, falls sie Curtis nicht wiederfanden, um ihn zu beerdigen.

  Sobald sich Potter von den anderen abgesetzt hatte, schielte er erneut auf die Uhr. Gott, ihm blieben nur noch 40 Stunden. Das schien eine Menge Zeit zu sein, aber nur, wenn man außer Acht ließ, wo sie festsaßen, und die Tatsache unberücksichtigt ließ, dass noch niemand Hilfe angefordert hatte. Falls Rettung eintraf, würde man sie in ein Krankenhaus bringen und gründlich untersuchen. Anschließend mussten sie wer weiß wie viele Interviews über sich ergehen lassen, bei denen sowohl Behörden als auch Journalisten sie mit Fragen löcherten, und in der Zwischenzeit sprach ein Arzt mit Marie – und nur mit Marie –, um zu fragen, was mit dem alten Mann geschehen sollte. Sie würde nicht auf ihn warten – nicht, wenn er sie nicht erreichte. Einmal mehr würde sie sich darin bestätigt sehen, dass er sie im Stich ließ, und sie würde die künstliche Beatmung abschalten lassen, während er irgendeinem Arschloch von MTV beibrachte, dass wirklich und wahrhaftig ein Bigfoot aus der Hölle sie angegriffen hatte.

  Als er quer über die Absturzstelle zu den Überresten des Cockpits stapfte, versuchte er, sich an das letzte Gespräch mit seinem Vater zu erinnern. Jahrelang hatte sich ihr Verhältnis auf eine Viertelstunde im Jahr beschränkt – fünfminütige Telefonate an Weihnachten und gegenseitige Geburtstagsanrufe. Am Vatertag wäre es ihm wie ein ironischer Seitenhieb vorgekommen, also hatte er es sich stets verkniffen, den Alten an diesem Tag anzurufen.

  Einmal, vor drei Jahren, hatte er während einer beschissenen Metal-Tournee für ein konzertfreies Wochenende ein Ticket nach Pittsburg ergattert und sich entschlossen, ein paar Tage mit seinem Erzeuger zu verbringen, um das Verhältnis zu kitten. Stattdessen hatte er sich an der Flughafenbar ein Bier bestellt und gemerkt, dass er sich gar nicht mehr erinnern konnte, was ursprünglich für die Zerstörung ihrer Beziehung verantwortlich gewesen war. Aus einem Bier wurden zwei und dann gesellten sich noch ein paar Scotch dazu.

  Statt seinen Dad zu besuchen, hatte er sich über das Wochenende mit zwei Mädchen in einem Zimmer im Hilton eingeschlossen, die ihm als Gegenleistung für Anekdoten über Ratt und Guns N’ Roses Koks und Blowjobs spendierten. Er kannte die Mitglieder der beiden Combos gar nicht, also tischte er ihnen stattdessen Geschichten über Warrant und Docken mit geänderten Namen auf. Wenn er daran zurückdachte, war er mehr als dankbar, dass Hair Metal das Zeitliche gesegnet hatte. Bands, in
denen es nur einen einzigen Junkie gab, waren ungleich leichter zu managen als Bands, in denen jeder kiffte, kokste und jede freie Minute zwischen den Auftritten mit Saufen verbrachte.

  Als er das Cockpit erreichte, musste er ein paar Minuten mit der Tür kämpfen, bevor er sie überhaupt aufbekam. Die Angeln quietschten und dann wäre die Luke beinahe herausgefallen, als die obere Halterung abbrach. Zorn brodelte in ihm. Er trat gegen das verdammte Ding und war wild entschlossen, ihm den Rest zu geben. Stattdessen knickte sein Knie weg und er stürzte zu Boden. Er trommelte mit den Fäusten gegen das Bedürfnis an, frustriert aufzuschreien, während Schmerz und Wut in ihm tobten.

  Vorsichtig rappelte er sich auf und schlurfte ins Cockpit. Der bestialische Gestank war unerträglich. Einer der Piloten lag aufgeschlitzt auf dem Boden. Eine Schande, dass die beiden Männer nicht mehr lebten, aber hätten sie sich auf ihre Aufgabe konzentriert, das Flugzeug in der Luft zu halten, wäre ihnen dieses Schicksal erspart geblieben.

  Er zog sich den Kragen seines Shirts über die Nase und konzentrierte sich darauf, das Funkgerät zu suchen. Er war von technischer Ausrüstung umgeben. Leider befanden sich weder ein Mischpult noch eine Lichtanlage darunter. Mit beidem hätte er sich zumindest in Ansätzen ausgekannt. Keine der Apparaturen schien mit Strom versorgt zu werden. Potter fragte sich, ob es den überhaupt noch gab.

  »Blödes Mistflugzeug«, fluchte er, als er schließlich das Mikro fand und das Kabel bis zum Schaltpult verfolgte. Es war zu dunkel, um Einzelheiten zu erkennen, also kramte er die Taschenlampe hervor und knipste sie an.

  Das Gebrüll, das ertönte, schien aus allen Richtungen gleichzeitig zu kommen.

  »20 Fragen? Hat jemand Lust auf ein Spielchen? Ich sehe was, was du nicht siehst? Irgendwas?« Dani sah ihre Familie an, deren Gesichter sich zu Masken aus Furcht und Schmerz verzerrten. Statt den Blick zu erwidern, starrten sie stumm an die Kabinendecke. Sie musste es dringend schaffen, sie von ihrem Zustand abzulenken, aber so langsam verzweifelte sie an der Aufgabe.

 

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