Love is Loud – Ich höre nur dich
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Erst als ich das French Quarter hinter mir lasse, habe ich das Gefühl, wieder atmen zu können.
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Franzi
Seit der Episode im Museum habe ich Link des Öfteren zufällig gesehen. Ich bin jedes Mal hin- und hergerissen zwischen dem starken Wunsch, mein altes Ich noch weiter hinter mir zu lassen, und dem Bedürfnis, Vernunft walten zu lassen. Denn in seiner Nähe stelle ich die verrücktesten Dinge an, spüre die verwegensten Gefühle in mir aufwallen. Sosehr ich es auch will, muss ich gleichzeitig aber aufpassen, dass ich mich nicht in eine momentane Gefühlsverirrung verrenne.
Glücklicherweise bleibt mir nicht sonderlich viel Zeit, über Link und mich und mich und Link und all das zwischen uns nachzudenken, denn ich habe inzwischen genug mit Hugo zu tun. Ab und zu bittet Faye mich außerdem, einige Erledigungen für sie zu tätigen – Besuche bei der Post, der Apotheke, der Reinigung. Anfang der Woche machen Hugo und ich einen Spaziergang zur Behörde für Grundstücksmanagement der Stadt, um einen Antrag fristgerecht vorbeizubringen, den Victor zu lange in seinem Büro hat liegen lassen. Doch noch ehe wir das Gebäude betreten, nimmt Hugo mir den Umschlag aus der Hand, reißt ihn entzwei und stopft ihn in den nächstgelegenen Mülleimer. Auf meinen darauffolgenden Wutausbruch reagiert er mit einem Schulterzucken. Erst als wir wieder zu Hause sind, erklärt er mir, dass es sich bei den Papieren um den Antrag auf das Fällen der Virginia-Eiche vor meinem Fenster gehandelt hat. Ich strafe ihn dennoch für den Rest des Tages mit Schweigen, was ihm vermutlich nur gelegen kommt. Obwohl ich ihm innerlich für seine unkonventionelle Methode applaudiere. Faye erzähle ich nichts davon, was mir einerseits ein schlechtes Gewissen bereitet, Hugo und mich aber andererseits näher zusammenbringt.
Eine weitere Herausforderung besteht darin, Hugo regelmäßig zur Krankengymnastik zu begleiten. Und da er so lange zetert, bis ich beinahe aufgegeben habe, lasse ich mir vor Ort die Übungen genau zeigen, sodass ich sie nun mit ihm zu Hause machen kann. Allerdings nur, indem ich ihn erpresse. Wenn er nicht macht, was ich sage, erzähle ich Faye von dem zerrissenen Antrag.
Dieses Geheimnis ist nicht das einzige, was ich hüte. Bis auf Lara habe ich niemandem von Link erzählt. Nicht, dass es viel zu erzählen gäbe, aber selbst die Möglichkeit, dass meine Mutter mir raten könnte, mich von ihm fernzuhalten, macht es mir unmöglich, über ihn zu sprechen. War das ihre Angst, als ich ans andere Ende der Welt ging? Dass wir uns voneinander entfernen würden?
An diesem Morgen gieße ich in der Küche Kaffee in zwei hübsche Keramikbecher, auf die winzig kleine Mohnblumen gemalt sind, und begebe mich auf die Suche nach Hugo. Ich finde ihn draußen, wo er seinen kleinen privaten Garten wässert.
»Guten Morgen«, begrüßt er mich. Er trägt wieder seinen Strohhut und sieht heute sehr vergnügt aus. Ich habe den leisen Verdacht, dass es etwas mit der Tatsache zu tun hat, dass Victors Maklerfirma diese Woche ein neues Büro in Lafayette eröffnet und er erst am Wochenende wieder zu Hause sein wird. Die Spannungen zwischen den beiden sind unübersehbar, und ich frage mich, wie es passieren kann, dass Vater und Sohn sich derart voneinander entfernen .
Ich reiche ihm seinen Kaffee. Dann fasse ich mir ein Herz. »Äh, Hugo?«
»Äh, Franziska?«
Mir entfährt ein genervtes Geräusch, doch es gelingt mir, es auf halbem Weg wieder hinunterzuschlucken. »Denkst du, jemandem Dinge zu verschweigen ist lügen?«
Er runzelt die Stirn. »Ich habe keine Ahnung, worauf du hinauswillst, aber was, wenn es so wäre?«
»Dann würde ich mich schlecht fühlen«, sage ich und umfasse meinen Becher ein wenig fester.
»Danke für den Kaffee. Der ist wirklich gut«, erwidert er, statt mir eine Antwort zu geben. Hugo und ich gewöhnen uns zwar immer besser aneinander, doch ab und zu gibt mir die Kommunikation mit ihm immer noch Rätsel auf.
»Freut mich«, sage ich.
»Obwohl es eine Lüge war?«, fragt Hugo.
»Okay, jetzt nicht mehr.«
»Aber hätte ich dir nicht gesagt, dass es eine Lüge war, hättest du dich weiterhin gefreut.« Er zuckt mit den Schultern, als wäre damit alles gesagt, und kippt den Kaffee auf den Rasen.
»Wow«, sage ich und wundere mich ein wenig über den sarkastischen Unterton, den ich so von mir eigentlich nicht kenne. Hugo bringt wirklich die schlechtesten Seiten in mir zum Vorschein.
»Entschuldigung, aber wie viel Zucker hast du da reingetan?«
»Gar keinen!«, sage ich, dann beschleicht mich allerdings ein Verdacht. Ich nehme einen Schluck aus meiner Tasse und verziehe den Mund, so bitter ist der Kaffee. »Hoppla, das hier war deiner.« Ich versuche es mit einem Lächeln – und Hugo erwidert es. Nicht nur das, er beginnt sogar vor sich hin zu lachen .
»So trinkst du deinen Kaffee?«, fragt er etwas ungläubig. »Das ist ja widerlich. Die Zahnärzte in Deutschland müssen stinkreich sein.«
Ich beschließe, darüber hinwegzugehen. »Ist die Botschaft dieser Lektion, dass es in Ordnung ist, zu lügen?« Ich schüttle den Kopf. »Das kann doch nicht dein Ernst sein.«
»Und warum nicht? Warum soll hundertprozentige Ehrlichkeit ein Selbstzweck sein? In vielen Fällen richtet sie nur Schaden an.«
Das ist vermutlich genau die Einstellung, die ihn und Victor auseinandergebracht hat. Zwischen ihnen sind so viele unausgesprochene Dinge. Es ist offensichtlich, dass Konflikte schwelen.
»Denkst du nicht, dass die Wahrheit früher oder später ans Licht kommt?«, frage ich. »Und dass der Ärger dann nur umso größer ist?«
»Glaub mir, manche Wahrheiten sollte man mit ins Grab nehmen. Und andere sollten wenigstens so lange verborgen bleiben, bis man es ins Grab geschafft hat.« Sein bitterer Tonfall überrascht mich.
»Was meinst du damit?«
»Ich kann dir nur so viel sagen: Die Wahrheit kommt vor allem dann zum Einsatz, wenn es darum geht, das eigene Gewissen zu beruhigen. Ich habe etwas falsch gemacht? Ich beichte. Problem gelöst. Versteh mich nicht falsch, ich bin kein Freund von Lügen. Aber dieses ewige Darauf-Herumreiten, dass man um jeden Preis die Wahrheit sagen muss, ist ebenso schwachsinnig. Es gibt die richtige Zeit für die Wahrheit, und es gibt die richtige Zeit für das Gegenteil.«
Ich kaue unschlüssig auf meiner Unterlippe herum.
»Schau, es ist doch ganz einfach. Solange du niemandem wehtust, ist alles in Ordnung.«
»Glaubst du das wirklich? «
»Ich glaube, das ist das Einzige, was wir in unserem Leben wirklich in der Hand haben. Alle reden immer vom ökologischen Fußabdruck. Aber weißt du, was viel zu oft in Vergessenheit gerät? Der soziale Fußabdruck. Am Ende läuft beides einfach nur darauf hinaus, zu leben und leben zu lassen. Und wenn du deiner Mutter oder wem auch immer etwas verschweigst, dann wirst du dafür gute Gründe haben.«
Ich starre ihn perplex an. Woher weiß er, worum es geht?
»Du wolltest ein Abenteuer. Lass es dir nicht kaputt machen.«
»Aber«, beginne ich, »meinst du nicht, dein Verhältnis zu beispielsweise Victor wäre besser, wenn ihr einfach mal offen miteinander sprechen würdet?«
Er schnaubt. »Glaub mir, unser Verhältnis war wunderbar, als wir überhaupt nicht miteinander geredet haben. Die Wahrheit ist das große Problem. Manchmal will man einfach nicht wissen, was für ein Mensch hinter einer Fassade steckt, die, seien wir ehrlich, schon scheußlich genug ist.«
Ich bin sprachlos, wie verächtlich er über seinen Sohn spricht.
»Was ist zw…«, beginne ich, aber Hugo hebt die Hand.
»Stopp«, sagt er. »Nur weil du seit Neuestem versuchst, mich mit Kaffee zu vergiften, heißt das nicht, dass du das Recht hast, Dinge über mich zu erfahren.«
Sein Tonfall ist während der letzten Worte wieder deutlich abweisender geworden, und ich beschließe, ihn in Ruhe zu lassen. Vielleicht wird er sich eines Tages öffnen. Oder ich frage Faye, was zwischen den beiden vorgefallen ist.
Auf einmal bin ich jedenfalls überzeugt, dass es mit mir und meiner Mutter nie so weit kommen könnte, ganz egal, was ich ihr erzähle und was nicht.
Dann habe ich eine Idee. »Darf ich dich noch etwas fra
gen? «
»So wissbegierig, wie du heute bist, werde ich dir das nicht abschlagen.«
»Diese Tradition, wenn einem jemand eine Perlenkette um den Hals hängt …«
»… habe ich dir nicht gesagt, du sollst niemandem deine Brüste zeigen?«
»Die meine ich nicht!«
»Was denn dann?«
»Wenn man jemandem eine Perlenkette umhängt und der andere sich mit einem Kuss bedankt.«
»Das ist keine Tradition«, sagt Hugo, schüttelt den Kopf und stellt den Rasensprenger an – seine schräge Art, Gespräche zu beenden.
16
Lincoln
»Ich weiß, wir haben viel zu lange nicht miteinander geredet. Tut mir leid, es war in letzter Zeit einfach wahnsinnig viel los. Sei mir nicht böse«, sage ich sanft.
Ich sitze an meinem Geheimplatz am Ufer des Mississippi, in der Hand die Gitarre. Es ist frühmorgens, und die Sonne geht gerade über dem Fluss auf und hüllt den jungfräulichen Tag in ein feines, mattes Licht. Eine Mischung aus blassen Orange- und Rosétönen spiegelt sich auf dem sonst graubraunen Wasser. Ich habe meine Gitarre auf dem Schoß, zupfe ein paar leise Akkorde und versuche angestrengt, mich nicht albern dabei zu fühlen, mit der schreienden Abwesenheit meiner Schwester zu sprechen. Es nicht zu tun ist jedoch keine Alternative, denn ich habe ihr versprochen, sie auf dem Laufenden zu halten.
»Mom und Dad geht es gut. Glaube ich. Ich bin zu wenig da … Ja, ich weiß, aber du hast leicht reden. Du musst ja auch keine Zeit in diesem Schrein verbringen. Denn das haben sie aus dem Haus gemacht, Schwesterherz. Einen Schrein zu deinem Andenken. Versteh mich nicht falsch, wenn es jemand verdient hat, dann du, aber du kannst nicht überall sein, verstehst du? Wo du warst, Blythe, war Leben. Aber dort, wo du jetzt bist, ist ein Leben nicht mehr möglich.«
Ich spiele ein paar weitere Akkorde und summe eine Melodie dazu, die mir schon seit Tagen im Kopf herumspukt. Eine ganz einfache Tonabfolge, jedoch lässt sie mich nicht los. Sie ist anders als alles, was wir sonst spielen, weswegen ich sie nicht aufgeschrieben habe. Normalerweise vergesse ich solche musikalischen Ideen dann wieder. Aber diese Melodie kommt immer wieder zurück. Sie hat sich festgesetzt, und das fasziniert mich.
»Was meinst du? Klingt nicht so schlecht, oder?« Ich versuche es mit einem anderen Akkord. »Es ist genau dein Ding, gib es zu. Dir war unsere Musik doch immer ein bisschen zu … wie hast du es genannt? Überdreht?« Ich lache leise. Blythe kam zu fast jedem unserer Auftritte. Immer, wenn sie es einrichten konnte. Und das, obwohl es gar nicht unbedingt ihre Lieblingsmusik war. Sie saß da in einem einfachen Leinenkleid mit offenen langen Haaren und betrachtete uns und vor allem Jasper. Aus ihren Augen sprach so viel Liebe, dass ich jetzt noch eine Gänsehaut bekomme, wenn ich daran denke.
»Jaspers Klavier ist total verstimmt. O Mann, du kannst dir nicht vorstellen, wie blechern das Teil klingt. Aber dein Foto lächelt einem zu, bis in alle Ewigkeit, egal, wie schlecht der Sound ist.«
Ich zupfe eine Weile schweigend an den Gitarrensaiten. Der Tag schält sich etwas mühselig aus seiner Verschlafenheit, aber unaufhörlich wird es heller. Und wärmer. Ein großer Dampfer schiebt sich langsam an mir vorbei, und von der Straße dringen vereinzelte Verkehrsgeräusche zu mir. Doch ich bin hier unten ganz für mich. Oder besser gesagt: fast. Denn ich klammere mich fest an den Gedanken, dass Blythe mir zuhört, egal, wie kindlich naiv das ist.
»Mit der Band läuft es gut. Wir arbeiten an neuen Songs, und ich merke, wie uns die kreative Arbeit immer weiter zusammenschweißt. Manchmal wünschte ich, Bonnie wäre weniger gehemmt in diesen Situationen. Sie hat viel mehr Ideen, als sie zugeben will. «
Ich weiß, weswegen Bonnie sich schwertut. Aber ich glaube, dieses Wissen ist ganz allein mir vorbehalten. Und obwohl Blythe und Bonnie beste Freundinnen waren, ist sie definitiv der letzte Mensch, mit dem ich über Bonnies Geheimnis sprechen kann.
Ich weiß, dass ich ein Thema absichtlich vermeide. Doch dann gebe ich mir einen Ruck.
»Ich hab lange nicht an sie gedacht«, beginne ich. Damit meine ich Eloise, meine Ex-Freundin. »Und, ehrlich gesagt, bezweifle ich, dass es Esmés Verdienst ist.«
Ich habe das starke Gefühl, dass Blythe genau wüsste, was ich mich nicht traue zu sagen.
»Wie machst du das? Ich konnte nie irgendwas vor dir geheim halten. Und daran wird sich wohl auch nichts ändern.« Ich raufe mir die Haare und räuspere mich. Dann fahre ich viel leiser fort: »Ich habe keine Ahnung, was los ist, Blythe. Ich wollte eine Touristin aufreißen. Wie sonst auch. Aber ich konnte es nicht. Ergibt das Sinn? Für dich bestimmt. Für dich hat immer alles einen Sinn ergeben. Du wüsstest sofort, was du damit anfangen solltest.«
Ich schließe einen Moment lang meine müden Augen. Die Nacht war zu kurz. Ich bin viel zu lange ziellos umhergefahren auf der Suche nach Antworten.
»Ich habe jemanden kennengelernt. Und ja, ich weiß, ich muss aufpassen, bin gerade erst wiederhergestellt und alles. Bla, bla. Genau das würde Bonnie auch sagen. Kein Wunder, dass ihr unzertrennlich wart. Mir passiert schon nichts, mach dir keine Sorgen. Schließlich muss ich sie nicht gleich heiraten. Es ist ja ohnehin nicht so, als könnte ich sie einfach mit nach Hause nehmen, sie Teil meines Lebens werden lassen. Aber sie ist so erfrischend anders, weißt du? Sie ist nicht wie Esmé oder Eloise oder all die anderen, mit denen ich schlafe. Eigentlich ist sie gar nicht mein Typ. Viel zu brav, viel zu schüchtern, viel zu vernünftig. Aber irgendetwas hat sie an sich, das bewirkt, dass ich mich in ihrer Nähe einfach entspanne. Sie ist nicht so verdammt sprunghaft, weißt du?«
Ich schaue in den Himmel hinauf und atme einmal tief ein.
»Sicherheit. Das ist es, was sie ausstrahlt. Und vielleicht macht mich Sicherheit gerade mehr an als alles andere. Das gefällt dir doch, oder?« Ich lache wieder leise. Blythe war nie ein Fan meines Frauengeschmacks. Zu hohl, zu oberflächlich, zu laut, zu unreif.
»Da hast du’s.« Ich begleite ein langes Gähnen mit weiteren leisen Akkorden. »Und ich sollte wohl langsam auch ins Bett gehen, wenn ich heute noch ein bisschen Geld verdienen will. Klavierstimmer bezahlen sich nicht von selbst. Und nein, ich komme nicht zu kurz. Das sagt genau die Richtige. Als hättest du dir je etwas für dich selbst gegönnt. Alte Heuchlerin. Du weißt außerdem ganz genau, dass ich keinen Luxus brauche. Dass ich mit meinem Leben zufrieden bin.«
In letzter Zeit läuft es mit der Straßenmusik wirklich gut. So gut, dass ich – zumindest an Abenden, an denen wir auftreten – tagsüber nicht länger als zwei Stunden spielen muss. Das French Quarter quillt wie jeden Mai über vor Touristenmassen. Sie besetzen jeden Quadratmeter und wandeln wie langsame Tentakel durch die Gassen. Es sind Touristenmassen, in denen ich immer häufiger einen dunkelblonden Haarknoten suche. Manchmal finde ich ihn.
»Pass auf dich auf, Schwesterherz. Ich hab dich lieb.«
Ich werfe eine Kusshand in den Himmel. Eine kitschige Geste, die ich mir angewöhnt habe, weil ich irgendeine Art Abschiedsritual brauchte. Dann stehe ich auf und klettere, die Gitarre auf dem Rücken, die Böschung hinauf. Ich überquere die stillgelegten Streetcar-Schienen, bis ich an der Mauer ankomme, die Eindringlinge davon abhalten soll, hierherzukommen. Doch alle hundert Meter sind Leitern auf beiden Seiten der Mauer montiert, die früher einmal den Schienenarbeitern dienten. Heute benutze lediglich ich sie noch. Meine Schuhe entlocken den Sprossen bei jedem Tritt ein metallisches Dröhnen. Auf der anderen Seite springe ich hinunter und überquere die Straße.
Drinnen lege ich mich auf meine Matratze und ziehe mir die dünne Wolldecke, die mir bei den Temperaturen, die draußen inzwischen herrschen, locker reicht, über die Beine. Die leisen Geräusche von draußen dringen an mein Ohr, die ersten Lieferungen des Tages werden angenommen. Doch die Schläfrigkeit, von der ich glaubte, sie würde mich sofort wegdämmern lassen, bleibt aus. Meine Augen wollen nicht so recht geschlossen bleiben, und in meinem Kopf sind zu viele Gedanken. Normalerweise bin ich nach Gesprächen mit Blythe ausgelaugt. Traurig zwar, aber wirklich müde.
Doch nun überkommt mich auf einmal eine ungeheure Einsamkeit. Sie vermischt sich mit dieser fatalen Sehn
sucht nach Vertrautheit und Geborgenheit. Vielleicht nach Zweisamkeit. Vor ein paar Wochen noch hätte ich in dieser Situation Esmé angerufen. Aber ihre Gesellschaft genügt mir nicht mehr. Ich habe keine Lust zu vögeln, bis ich so verausgabt bin, dass ich meinen Körper nicht mehr spüre, nur um dann Rücken an Rücken mit ihr in ihrem winzigen Zimmer zu pennen. Beinahe graust es mir vor dieser Art von Bedeutungslosigkeit. Obwohl der Sex gut war. Aber gleichzeitig so leer. Ich sehne mich nach etwas Tieferem. Nach einer Verbindung. Nach Freundschaft, die gleichzeitig Körperlichkeit beinhaltet. O Gott, Blythe würde es lieben. Ich habe es dir ja immer gesagt, kleiner Bruder. Und es stimmt, sie hat es mir immer gesagt. Das, was ich mit Eloise glaubte zu haben. Das, was wir hatten, bis sie sich verpisst hat. Eloise. Doch ihr Name löst nichts mehr in mir aus. Wenn ich jetzt an sie denke, tut es nicht weh. Ich sehne mich nicht nach ihr, sondern nach dem, was wir hatten, nur besser. Tiefer. Schöner. Ehrlicher. Ohne die Verletzungen hinterher. Obwohl ich mir geschworen hatte, mich dieser Gefahr nicht mehr auszusetzen. Ich drehe mich auf die Seite und starre an die rote Ziegelwand neben mir, in der Hoffnung, dass ihr Anblick meinen Kopf beruhigt. Aber es ist etwas anderes, das meine Augenlider auf Dauer schwer werden lässt. Es ist die Erinnerung an einen Haarknoten. An hervorstehende Ohren. An die leichte Unsicherheit, die sie an der Bar ausstrahlte, an die Unbeholfenheit beim Tanzen. An ihre Lippen auf meiner Wange, meine Lippen auf ihrer. An ihren Anblick, wenn sie auf einmal vor mir steht, an das Gefühl, das mich überkommt, wenn ich sie sehe. Der Wunsch, alles stehen und liegen zu lassen, um ihr meine Stadt zu zeigen. Ich kann mich irren, doch ihr Lächeln scheint breiter zu werden, und ihre Schultern wirken seit einiger Zeit weniger angespannt als bei unseren ersten Begegnungen. Aber es ist nicht nur ihre eigene Sicherheit, die mich fesselt. Die Sicherheit, die Frenzy mir gibt, kann natürlich Einbildung sein. Und doch sehe ich immer wieder – wie auch in diesem Moment – ihren wippenden Haarknoten vor mir und fühle mich geborgen.