Book Read Free

Love is Loud – Ich höre nur dich

Page 14

by Engel, Kathinka


  »Wie bitte?«

  »Mit diesem Mauerblümchen.« Sie wickelt sich eine Haarsträhne um den Finger und kommt näher.

  »Sicher nicht«, sage ich und versuche sie auf Abstand zu halten. »Und ich mag es nicht, wie du über Leute redest, die du nicht kennst.«

  »Hast du Lust auf ’ne schnelle Nummer?«, fragt sie und beginnt, ihre Bluse aufzuknöpfen.

  »Ich habe zu tun«, sage ich und schiebe sie erneut einen halben Meter von mir. Bis vor einigen Wochen hätte ich jede Chance auf wilden Sex an welchem Ort auch immer genutzt, um mich einen Moment lang lebendig zu fühlen. Aber seit Neuestem erinnere ich mich nur an die Leere, die danach kommt. »Zieh dich bitte wieder an, Esmé.«

  Sie macht einen weiteren forschen Schritt auf mich zu und krallt ihre Finger in meine Haare. So fest, dass es wehtut. Das hier ist weit entfernt von milde und süß.

  »Au«, sage ich, »lass mich los. Verstehst du nicht, was Nein bedeutet? «

  »Du bist so ein Arsch, Link. Ich dachte, das mit uns könnte was werden. Aber nein, du bist immer nur auf den nächsten Fick aus.«

  Genau das Gegenteil ist der Fall. Doch das sage ich nicht. Es geht sie nichts an. »Und was ist so falsch daran?«, frage ich stattdessen.

  »Du verschließt dich. Gibst niemandem eine Chance, an dich heranzukommen.«

  O nein. Ich habe einen Verdacht, worauf das hinausläuft. Will Esmé mich etwa retten? »Ich dachte, wir hätten einen Deal«, sage ich.

  »Ich dachte, es wäre nur eine Frage der Zeit, bis du zulässt, dass ich an dich rankomme.«

  »Aber, Esmé«, sage ich zögerlich, »das war doch nie etwas Ernstes. Wir hatten beide Lust auf ein bisschen Spaß, oder nicht?« Hätte ich geahnt, dass auch sie mich retten wollte, hätte ich mich niemals auf die Sache eingelassen. »Es ist nicht so, dass ich Leute von mir fernhalte, weil ich keine Nähe zulassen kann«, sage ich und denke an Frenzy. Ihre Nähe ist das, was ich will.

  »Ja, rede dir das nur ein. Aber weißt du, was? Du bleibst unter deinen Möglichkeiten zurück, Link. Du könntest alles haben. Eine Karriere, eine Freundin. Stattdessen spielst du auf der Straße für Touristen und abends Songs aus einer Zeit, die dich nur zurückhält.« Sie spuckt die Worte beinahe aus.

  Während sie mir all das an den Kopf knallt, bleibe ich ganz ruhig. Denn ich habe alles, was ich will. »Du irrst dich«, sage ich einfach nur. »Aber selbst wenn ich mehr wollte, wärst du nicht diejenige, mit der ich es hätte. Dafür hast du meine Freunde ein paarmal zu oft vor den Kopf gestoßen.«

  Ihre Gesichtszüge entgleisen. »Und dennoch hast du mit mir geschlafen. «

  »Und du mit mir. Und wir haben von Anfang an gesagt, dass es mehr als das nicht ist.«

  Dann wende ich mich ab und widme mich dem Hut. Ich höre, wie sie auf ihren Schuhen davonklackert und die Tür hinter ihr zufällt. Ich atme tief ein und beginne, fünf gleiche Geldstapel abzuzählen.

  19

  Franzi

  Curtis scheint mir heute noch schweigsamer zu sein als sonst. Mir fallen die Blicke auf, die er Amory zuwirft, doch die lässt sich davon nicht beeindrucken. Amory selbst ist beeindruckend, und ich verstehe, warum Curtis sie verstohlen ansieht. Sie ist eine Erscheinung. Eine absolute Schönheit mit ihren langen, blonden Haaren, ihrem weiblichen Körper. Während sie spricht, gestikuliert sie, und ein paar goldene Armreifen klirren gegeneinander. Ich kann mir nicht helfen, aber bei ihrem Anblick muss ich unwillkürlich an Abbildungen von Fruchtbarkeitsgöttinnen denken.

  Während ich noch damit beschäftigt bin, mich zu fragen, wie man zu einer so einnehmenden Person wird, erzählt Bonnie von ihrer Zwillingsschwester, die nicht von ihrem Chef loskommt.

  »Sie waren nie richtig zusammen. Aber jetzt, wo Lula beschlossen hat, nicht mehr mit ihm ins Bett zu gehen, bekommt sie die beschissensten Schichten«, sagt Bonnie. An mich gewandt, fügt sie hinzu: »Lula arbeitet in einer Tanzbar in der Bourbon Street.«

  Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie sich eine Gestalt den Weg durch die Menge bahnt. Kurz macht mein Herz einen Satz, weil ich für einen Moment denke, Link könnte schon zurück sein. Seit er meine Hand genommen hat, ist die Erinnerung unserer Berührung wie in meine Haut eingraviert. Doch auf den zweiten Blick erkenne ich, dass es sich um Esmé handelt, die Leute zur Seite drängt und schnurstracks auf uns zugelaufen kommt.

  »Du!«, sagt sie, als sie direkt vor mir steht.

  »Hi, Esmé«, sagt Amory gedehnt. »Das ist Franzi. Franzi, Esmé. So viel Zeit muss sein.«

  »Halt’s Maul, Amory«, sagt Esmé. »Ich bin nicht deinetwegen hier.«

  »Was? Keine große Aussprache heute? Ich bin entsetzt!« Sie schlägt sich in gespielter Überraschung die Hände vor den Mund. Offenbar können Amory und Esmé sich auch nicht leiden.

  »Ich will dir etwas sagen.« Esmé hat sich wieder zu mir gedreht.

  »Äh, okay?« Ich bin ziemlich verdutzt, denn bislang hatte ich nichts mit ihr zu tun. Bis auf die Tatsache, dass Bonnie und Curtis sie nicht leiden können, Link offenbar mit ihr schläft und Amory und sie anscheinend auch nicht gerade gut auf einander zu sprechen sind, weiß ich nichts über sie.

  »Du wirst ihn nicht bekommen, du Flittchen.«

  »Wie bitte?« Spricht sie über Link?

  »Das mit Link und mir ist noch lange nicht vorbei. Also lass gefälligst die Finger von ihm!«

  Ich bin wie vom Donner gerührt. Mir bleibt der Mund offen stehen, und ich weiß nichts zu erwidern. In meinem ganzen Leben bin ich noch nie von einer eigentlich fremden Person aus dem Nichts so angegangen worden. Blödes Gehirn, das sich immer dann ausschaltet, wenn es wichtig wäre, etwas Schlaues zu sagen.

  »Ach, Esmé«, sagt Amory in diesem Moment, und ich bin dankbar, dass sie den Fokus von mir ablenkt, »heute plusterst du dich ja mächtig auf.« Sie macht Anstalten, ihr in gespieltem Verständnis den Kopf zu tätscheln, doch Esmé wirft ihr einen so vernichtenden Blick zu, dass sie in der Bewegung innehält.

  Curtis muss sich grinsend wegdrehen, um sich einigermaßen im Griff zu haben. Nur ich bin nach wie vor erschrocken und fühle mich richtig mies. Diese gesamte Situation scheint irgendwie meine Schuld zu sein. Ich blicke von Amory zu Esmé und von Esmé zu Bonnie und würde am liebsten im Boden versinken.

  »Ich sag’s dir nur einmal. Leg dich nicht mit mir an«, keift Esmé noch in meine Richtung, dann stolziert sie zwischen uns hindurch und nach draußen.

  »Ist das zu fassen?«, fragt Amory. »Die hat Nerven, hier aufzutauchen. Habe mich schon den ganzen Abend gefragt, warum sie sich hier blicken lässt.«

  »Ein gewisser Gitarrist hat ins Wespennest gestochen«, sagt Bonnie seltsam abweisend und zuckt mit den Schultern.

  »Geht’s dir gut?«, fragt Amory und blickt mich besorgt an. »Du musst dir nichts dabei denken. Sie kackt uns alle regelmäßig an. Große Klappe, nichts dahinter.«

  Das Lächeln, zu dem ich mich zwinge, gelingt mir nur so halb.

  »Na komm, nimm einen Schluck von meinem Gin Tonic.« Amory hält mir ihren Plastikbecher hin, und ich nippe tatsächlich daran. Und dann noch einmal, weil sie mir auffordernd zunickt.

  »Und hier kommt auch schon der Mann, auf den wir alle gewartet haben«, sagt Curtis, als Link neben mich tritt.

  Ich traue mich kaum, ihn anzusehen. Wie zufällig streift sein kleiner Finger meine Hand, und mein Herz macht einen Satz, jedoch einen sehr gehemmten in diesem Moment.

  »Was ist los?«, fragt Link, und seine Stimme, die nach dem Auftritt heiser ist, berührt trotz der unangenehmen Situation irgendetwas tief in mir .

  »Alter«, sagt Amory, »du musst echt deine Betthäschen ein bisschen in den Griff kriegen.«

  »Was meinst du?«, fragt Link und klingt alarmiert. Er blickt von Amory zu mir und wieder zu Amory.

  »Rate, wer hier war.« Bonnie hat die Arme in die Seiten gestemmt.

  Link fährt sich mit der Hand durch die Haare und stöhnt leise. »Esmé?«, fragt er.

  »Jep.« Amory hält auch ihm ihren Drink hin, aber er lehnt ab.

  »Was hat sie gesagt?«, fragt er. Er nimmt mich sanft am Arm und dreht mich so, dass er mir direkt in die Augen sehen kann.
»Ist alles okay?«

  Ich bringe immer noch kein Wort raus und bin dankbar, dass Amory das Sprechen übernimmt. »Ach, kaum etwas. Sie ist nur leicht ausgerastet, weil du offenbar ihr gehörst. Keine Ahnung, warum wir bei eurer Hochzeit nicht eingeladen waren. Aber hey, Link, ich finde, sie hat recht. Als verheirateter Mann kannst du nicht weiterhin herumflirten.«

  Ich weiß, dass das ein Witz sein soll, und doch zieht sich etwas in mir zusammen.

  »Was hat sie zu dir gesagt?«, fragt er erneut.

  »Äh«, mache ich. »Also … sie … sie scheint zu glauben, dass wir um dich konkurrieren.«

  Links rechter Mundwinkel zuckt kaum merklich. »Okay, und weiter?«

  Die Tatsache, dass niemand etwas sagt, niemand sich rührt, befremdet mich. Aber gleichzeitig spüre ich, dass mein Herz wieder anfängt, fest gegen meinen Brustkorb zu wummern.

  »Sie hat gesagt, das mit euch sei noch lange nicht vorbei.«

  »Und Frenzy solle gefälligst die Finger von dir lassen. Ich hab ihr aber gleich darauf klargemacht, dass sie sich nicht so aufplustern soll«, sagt Amory mit einem triumphalen Grinsen im Gesicht.

  »Willst du von hier verschwinden?«, fragt Link an mich gewandt.

  »Ich … also …«

  »Ich kümmere mich um die Sache mit Esmé«, sagt er. Bonnie räuspert sich. »Nein, Bonnie, nicht auf diese Weise.« Seine Stimme ist lauter geworden. »Wenn ihr es genau wissen wollt, ich habe ihr bereits gesagt, dass das zwischen uns vorbei ist.« Wieder fährt er mit seinem kleinen Finger über meine Hand.

  Seine Worte lösen etwas in mir aus. Ich weiß nicht, ob es Hoffnung ist oder Aufregung. Es fühlt sich an wie Sonnenstrahlen auf der Haut, nur dass sie von innen aus mir herauszukommen scheinen und die Erinnerung an die letzten Minuten vollkommen verdrängen.

  »Und deswegen ist sie wohl ein bisschen …« Er macht eine Pause.

  »… ausgerastet«, ergänzt Amory.

  »Das zwischen euch ist vorbei?«, fragt Bonnie entgeistert.

  Link nickt. Dann legt er mir seine warme Hand auf den Rücken, sodass sich die Wärme in mir und auf mir überallhin ausbreitet.

  »Lass mich dich nach Hause bringen. Ich erklär’s dir«, sagt er leise an meinem Ohr.

  In meinem Kopf überschlagen sich die Gedanken. Doch keiner von ihnen kann zu Ende gedacht werden, weil ständig irgendwelche wahnwitzigen Gefühlsblitze alles wieder durcheinanderbringen. Hat Link meinetwegen seine Affäre beendet? Was passiert hier?

  »Unverbesserlicher Playboy«, sagt Bonnie, aber ihre Worte dringen kaum bis in mein Bewusstsein vor .

  »Das reicht jetzt«, höre ich Links Stimme.

  Wieder spüre ich seine Hand auf mir. Er tritt neben mich und raunt dicht an meinem Gesicht: »Lass mich dich nach Hause bringen. Bitte.« Dann hebt er seine Hand und streicht mir die Haare hinter mein Ohr.

  Ich fühle mich, als würde ich komplett neben mir stehen. Als würde ich mir selbst dabei zusehen, wie all das hier um mich herum passiert. Ich nehme jede Bewegung wie in Zeitlupe wahr, habe das Gefühl, als könnte ich selbst nur in Slow Motion handeln.

  »Okay«, sage ich und bin dabei ebenso heiser wie Link. Ich versuche zu zählen, aber mir fallen die Zahlen nicht mehr ein. Unverbesserlicher Playboy, halte dich von ihm fern, lass gefälligst die Finger von ihm.

  Nichts davon ergibt für mich in diesem Moment Sinn.

  Ich höre noch, wie Bonnie zu Link sagt: »Pass auf dich auf. Rede mit mir.« Sie klingt merkwürdig drängend, und ich habe den Eindruck, als wäre dies nicht für meine Ohren bestimmt.

  Dann sind wir draußen und bei Links Fahrrad. Wie mechanisch steige ich auf den Lenker. Die Frenchmen Street ist voller Menschen. Die Musik, die aus den Bars und Clubs auf die Straße schallt, durchdringt alles, und in dem Augenblick, als ich mich zurücklehne und Links Körper an meinem Rücken spüre, wird mir ganz deutlich bewusst, dass New Orleans für mich mehr als nur ein Ort ist. Es ist ein Bewusstseinszustand, der alle Sinne miteinander verknüpft.

  Link navigiert uns geschickt an den Nachtschwärmern vorbei, antizipiert ihre Bewegungen, weicht den Ausfallschritten Betrunkener aus. Die Frenchmen Street mit ihren Lichtern und Klängen gleicht einer großen, blinkenden, lärmenden Party, auf der Zeit keine Rolle spielt.

  Ich fasse mir ein Herz und unterbreche das seltsame Schweigen zwischen uns. »Link, kann ich dich etwas fragen?« Mir gefällt nicht, dass ich zögerlich klinge.

  »Alles«, sagt er und ist dabei noch näher an meinem Ohr, als ich es erwartet hatte. »Aber ich glaube, ich weiß, worum es geht. Esmé?«

  »Ja.«

  »Sie ist nicht unbedingt beliebt, wie du vielleicht gemerkt hast. Und das hat sie sich selbst zuzuschreiben. Sie war Amorys Mitbewohnerin und hat es geschafft, mit deren damaligem Freund zu schlafen. Glück für Curtis.« Er lacht leise.

  Das erklärt Amorys Verhalten.

  »Bonnies Zwillingsschwester Lula …«

  »Die Tänzerin?«, frage ich.

  »Genau. Sie ist mit ihr ziemlich übel aneinandergeraten. Hat sie als Schlampe beschimpft und so. Sie standen kurz auf den gleichen Kerl.«

  »Klingt nach einer netten Person«, sage ich und frage mich, was Link an ihr findet.

  Als hätte er meine Gedanken gelesen, fährt er fort: »Ich wollte nie wirklich etwas von ihr und dachte, das würde auf Gegenseitigkeit beruhen.«

  »Und warum hast du dann …« Die Worte bleiben mir im Hals stecken.

  Wieder lacht er leise an meinem Nacken. »Es war leicht. Es war da. Ich brauchte Ablenkung und unkomplizierte Nähe, falls das Sinn ergibt.«

  Kurz zögere ich, weil ich nicht weiß, ob meine Frage zu intim ist, doch nach den Erlebnissen vorhin brauche ich ein wenig Klarheit. »Wovon brauchtest du Ablenkung?«

  Link räuspert sich leise, als wolle er Zeit gewinnen. »Es gibt manche Verluste, die kann man nicht alleine durchstehen«, sagt er dann, und ich habe das Gefühl, ich sollte in diesem Moment nicht tiefer bohren .

  Nach kurzer Zeit haben wir die Menschen hinter uns gelassen und biegen nach links in eine weniger belebte Seitenstraße. Es riecht nach Gras und warmer Feuchtigkeit. Link atmet kaum hörbar in meinen Nacken, und wir nehmen Fahrt auf, sodass der Wind nun durch meine Haare weht. Meine kurzen Haare, die machen, dass mein Kopf ganz leicht ist – innerlich wie äußerlich.

  Es fühlt sich merkwürdig an, dass keiner von uns mehr spricht. Ich bin unsicher, was ich von den Ereignissen der letzten Viertelstunde halten soll, und Link ist die Geschichte vermutlich einfach unangenehm. Wahrscheinlich denkt er gerade darüber nach, ob es nicht besser ist, ein bisschen Abstand zwischen uns zu bringen. Niemand will diese Art von Drama. Schon gar nicht ein Playboy wie Link.

  Die Musik des French Quarter verklingt leise in unserem Rücken.

  »Wie still es auf einmal ist«, sage ich, um zu beweisen, dass ich cooler bin als die Situation.

  Link lacht leise vor sich hin, und der Lufthauch kitzelt mich hinter dem Ohr. Er ist so nah.

  »Die Musik, weißt du, hält alles zusammen«, sagt er. »Sie ist die Stadt.« Er macht eine kurze Pause, als wir erneut abbiegen. Doch gleich darauf fährt er fort. Wahrscheinlich findet auch er die Stille zwischen uns merkwürdig. »Das Dröhnen und Keuchen der Schiffe auf dem Fluss, der Klang der verschiedenen Sprachen, das Läuten der Kirchenglocken – die Stadt hat all das in sich aufgesogen und macht daraus Musik. Wir nehmen die Einflüsse nur auf.«

  Trotz alldem, was heute Abend passiert ist, genieße ich es, Link zuzuhören. Ich entspanne mich etwas. Und dann spanne ich meinen Körper wieder an, denn ihn über Musik sprechen zu hören ist beinahe so erregend, wie ihn Musik machen zu hören .

  »Organisiertes Chaos. Wie die Straßen der Stadt.«

  Er ist ganz cool, und es ärgert mich, dass ich es nicht sein kann. Dass es mir so schwerfällt, meine Gedanken in eine Richtung zu lenken. Wir folgen den Streetcar-Schienen, und mit jedem Meter, den wir hinter uns bringen, wird mir bewusster, dass diese Fahrt enden muss. Ich suche nach Worten, mit denen ich Link deutlich machen kann, dass ich keinen Anspruch auf ihn erhebe. Dass er von mir kein Drama zu erwarten hat.

 
»Ein perfektes Ineinandergreifen von Form und Freiheit, Kontrolle und Zügellosigkeit, Vernunft und Impulsivität«, sagt er leise, und beinahe habe ich vergessen, dass er über Musik spricht.

  Wir biegen in die First Street ab. Abgesehen von den Straßenlaternen und dem ein oder anderen Verandalicht, liegen die prächtigen Villen des Garden District in völliger Dunkelheit. Die einzigen Geräusche, die zu hören sind, sind Links Atem und das Zirpen der Grillen am Straßenrand.

  Noch einmal müssen wir abbiegen, dann bremst Link vor Victors und Fayes Haus. Mit einem stummen Seufzer hüpfe ich von der Lenkstange.

  »Ich wollte noch sagen …« Ich möchte nicht, dass unsere Zeit schon um ist, und etwas Besseres fällt mir nicht ein, obwohl es im Gegensatz zu den Dingen, die Link über Musik sagt, echt banal ist. »Ihr wart heute Abend wirklich gut.«

  Link lächelt. »Ich war ein bisschen unkonzentriert«, erwidert er, lehnt das Fahrrad an einen Baum und geht einen Schritt auf mich zu.

  »Das hat man nicht gemerkt«, beruhige ich ihn, während seine Nähe mir einen Schauer über den Rücken jagt.

  »Ich schon.« Er kommt einen weiteren Schritt näher. »Ich war abgelenkt. «

  »Du musst dir wirklich keine Sorgen machen. Du wirktest, als wärst du komplett in deinem Element.«

  »Ich habe nicht gesagt, dass ich nicht in meinem Element war.« Er steht nun direkt vor mir. Zeit, sich zu verabschieden. »Also dann«, sagt er. Wir sind so nah beieinander, dass ich ihn riechen kann. Ich spüre, wie sich seine Wärme mit der Wärme der Luft zu etwas ganz und gar Betörendem, Fiebrigem vermischt.

  Ich will gerade meine Arme heben, um ihn zum Abschied zu umarmen. Doch er kommt mir zuvor, legt mir einen Arm um die Taille und zieht mich an sich. So dicht, dass meine Nase seine Wange streift. Hatte ich vorher Herzklopfen, so steht mein Herz nun auf einmal komplett still. Die ganze Welt hat aufgehört, sich zu rühren. Hier in diesem Moment gibt es nur Link und mich. Kein Blätterrauschen über uns, kein flackerndes Licht vom Haus gegenüber, kein Grillenzirpen. Kein Auto fährt an uns vorüber, und nirgendwo bellt ein Hund. Die Sekunden verstreichen nicht, und dann – bubum, bubum – ist der einzige Laut, der an mein Ohr dringt, sein Herz. Oder ist es meins, das wiedererwacht ist?

 

‹ Prev