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Love is Loud – Ich höre nur dich

Page 24

by Engel, Kathinka


  Die Reichen sprechen eigentlich nur über Geld. Und über Immobilien. Und über Immobilienpreise. Als müssten sie sich immer wieder beweisen, dass sie all das wirklich besitzen. Wieder lache ich leise in mich hinein. Blythe hatte einfach immer mit allem recht .

  »Hier wohnt Hugo. Er hat sicher nichts dagegen, dass ich dir sein Zimmer zeige.« Frenzy schiebt die Tür auf, und es ist, als würden wir in eine andere Welt blicken. In einen Urwald, um genau zu sein. Das ganze Zimmer ist voller Pflanzen in unterschiedlich großen Töpfen. Es riecht nach Erde und Feuchtigkeit. Zwischen den Töpfen stapeln sich zerfledderte Bücher.

  »Wow«, entfährt es mir, »das ist …«

  »… unerwartet?«, bietet Frenzy an.

  »Ungefähr, ja.«

  »Victor hasst es. Die Tür muss immer geschlossen bleiben.«

  »Die beiden können sich echt nicht ausstehen, oder?«

  »Wirklich nicht.«

  »Warum wohnt Hugo dann hier?«, frage ich.

  »Er hat sich vor einem Jahr das Bein gebrochen und konnte nicht mehr allein wohnen.« Sie zuckt mit den Schultern. »Das hat Faye erzählt.«

  »Aber jetzt ist er doch wieder fit …«

  »Keine Ahnung, warum er nicht wieder auszieht. Es ist ein sensibles Thema.«

  Auf der gegenüberliegenden Flurseite befinden sich zwei weitere Türen.

  »Wohnst du hier?«, frage ich und lege meine Hand auf den Türknauf.

  Frenzy nickt. Dann schlägt sie die Augen nieder, als wäre es ihr ein bisschen unangenehm, dass ich gleich in ihr Reich eindringen werde.

  »Darf ich?«

  »Ja.«

  Ich öffne die Tür. Das Zimmer dahinter hat die perfekte Größe. Nicht zu groß, nicht zu klein. Geschmackvolle Möbel, abgestimmte Farben. Die Fenster blicken auf einen riesigen Baum im Vorgarten. Dahinter befindet sich die Straße.

  »Ist das Bett bequem?«, frage ich und lasse mich darauffallen. Es federt. Und ja, es ist bequem. Unwillkürlich seufze ich, als ich in die weiche, duftende Matratze sinke.

  Frenzy steht ein bisschen unschlüssig an der Tür. In ihrem Blick liegt diese schüchterne Aufgeregtheit, von der ich nicht genug bekommen kann. Ich stütze mich auf die Ellbogen und betrachte sie. Meine Mundwinkel zucken nach oben bei dem Gedanken daran, dass wir ein ganzes Wochenende für uns haben. Gerade als sie einen Schritt auf mich zugeht, beschließe ich, dass ich diesmal derjenige sein will, der auf die Bremse tritt. Nur kurz, aber die kribbelige Erregung, die beginnt, sich zwischen uns bemerkbar zu machen, ist zu reizvoll, um ihr gleich nachzugeben.

  »Was ist hinter der letzten Tür?«, frage ich und richte mich auf.

  Frenzy lacht. »Ein erstaunlicher Moment für diese Frage. Mein Badezimmer.«

  »Ich wollte schon immer mal sehen, wie Badezimmer von Reichen aussehen«, sage ich und schiebe mich an ihr vorbei in den Flur zurück – jedoch nicht, ohne mir der Nähe unserer Körper vollständig bewusst zu sein.

  Ich öffne die Tür und muss kurz blinzeln, weil ich von den blitzblanken Fliesen beinahe geblendet werde. Alles strahlt und funkelt.

  »Wer hält das alles sauber?«, frage ich.

  »Dreimal die Woche kommt eine Putzfrau«, erklärt Frenzy und wird ein bisschen rot.

  »Es gibt eine Badewanne!«, rufe ich aus, als ich meinen Blick erneut durch den Raum schweifen lasse.

  »Hast du keine?«, fragt Frenzy, und beim Gedanken an mein Badezimmer verziehe ich den Mund zu einer leicht spöttischen Grimasse. Aber ich fange mich gleich wieder und hoffe, dass Frenzy nichts davon gemerkt hat.

  »Nein«, sage ich so nonchalant wie möglich. Doch dann kann ich es nicht mehr zurückhalten. »Meinst du … ich könnte vielleicht ein Bad nehmen?« Ich denke an diese absolute Sauberkeit. An schrumpelige Haut, den Duft von Badezusätzen. Unendliche Entspannung.

  »Natürlich«, sagt Frenzy lächelnd. »Wenn du gern möchtest?«

  Sie geht zu einem weißen Schrank und holt ein riesengroßes flauschiges Handtuch heraus. Kurz bin ich versucht, sie zu fragen, ob sie gemeinsam mit mir in die Wanne steigen will, aber gleich darauf überkommt mich dieser ungeheure Wunsch, mich erst komplett auszustrecken, einen Moment für mich zu haben.

  Ich drehe den Hahn auf, und das Geräusch allein bewirkt schon, dass meine Gliedmaßen sich leichter anfühlen. Dieser seltene Luxus ist in diesem Moment der Inbegriff des Glücks für mich. Mit der Aussicht, danach schmutzige Dinge mit Frenzy anzustellen – aber mit einem sauberen Körper.

  Nach ein paar Minuten ist die Wanne voll, und ich beginne mich meiner Klamotten zu entledigen.

  »Ich lasse dich dann mal allein«, sagt Frenzy, nachdem sie einen teuer aussehenden Badezusatz ins Wasser gegeben hat, doch das ist mir auch nicht recht.

  »Willst du bleiben?«, frage ich.

  »Und dir beim Baden zusehen?«, erwidert sie mit gerunzelter Stirn.

  »Ja?«

  »Okay …« Sie setzt sich auf einen Holzhocker neben der Wanne, wendet aber dennoch den Blick ab, als ich beginne, meine Hose aufzuknöpfen.

  »Es ist nichts, was du nicht schon gesehen hättest«, sage ich schmunzelnd, und sie blickt auf. Schaut mir zu, wie ich mir erst meine Hose, dann meine Boxershorts ausziehe. Die Tatsache, dass sie mich beobachtet, ist beinahe noch heißer als das Badewasser, in das ich mich nun langsam sinken lasse. Ich lege mich in die Wanne, lehne mich mit dem Rücken an den Badewannenrand, winkle die Beine an, sodass meine Knie aus dem Schaum ragen. Ich schließe die Augen und stöhne vor Wonne auf. Es fühlt sich an, als würde mich das heiße Wasser tragen. Als wäre ich schwerelos in einer Welt aus Schaum und Wohlsein. Ich höre, wie mein Rücken knackt, als ich mich kurz strecke. Das ist die kolossalste Entspannung, das ultimative Glücksgefühl. Gäbe es keine Orgasmen, ein heißes Bad wäre Platz eins auf der Liste der großartigsten Dinge.

  »Ich weiß nicht, ob ich schon einmal gesehen habe, dass jemand ein Bad so genossen hat«, sagt Frenzy, und obwohl meine Augen geschlossen sind, höre ich, dass sie grinst.

  »Das ist … so … entspannend«, sage ich und tauche einmal komplett unter. Als ich wieder an die Luft komme, kichert sie immer noch.

  »Willst du mein Shampoo benutzen?«, fragt sie und geht zur gläsernen Duschkabine in der Ecke des Raums.

  »Da drin würde ich dich gerne mal beobachten«, sage ich. »Aber für den Moment nehme ich auch dein Shampoo.«

  Sie bringt mir zwei Plastikfläschchen. Eins verspricht seidig glänzendes Haar, das andere vierundzwanzig Stunden Feuchtigkeit für die Haut.

  »Jetzt muss ich nur noch meine Arme aus dem Wasser bewegen«, sage ich scherzhaft.

  »Soll ich dich einseifen?« Frenzy spricht leise, doch ich habe sie genau verstanden. Und statt eine Antwort abzuwarten, kippt sie sich ein bisschen Shampoo in die Hand und beginnt meine Kopfhaut zu massieren .

  »Ist das okay?«, fragt sie, während sie ihre Hände durch meine nassen, schaumigen Haare gleiten lässt.

  »Wir können eine Sache festhalten, Frenzy«, sage ich. »Solange es deine Hände auf mir sind, ist es immer okay.« Ich gebe einen Laut von mir, der eine Mischung aus Seufzen und Schnurren ist.

  Sie dreht den Duschkopf auf, der über dem Wasserhahn auf einer Gabel liegt, und testet mit der Hand die Temperatur des Wassers.

  »Augen zu«, sagt sie, doch meine Augen sind ohnehin die ganze Zeit geschlossen. Dann spült sie das Shampoo aus meinen Haaren. Ganz sanft streicht sie dabei immer wieder mit der Hand über meinen Kopf. Ich höre ihren Atem, obwohl es auch mein eigener sein könnte. »Gefällt es dir?«

  Ich knurre beinahe. Denn »Gefallen« ist kein Ausdruck für das, was ich empfinde. Ich kann mich nicht daran erinnern, jemals eine solche innere Ruhe gespürt zu haben. Und auf einmal will ich sie nah bei mir haben. Näher als auf dem Badewannenrand. Ich schlinge meine nassen schaumigen Arme um ihre Taille und lege meinen Kopf auf ihre Beine.

  »Vorsicht!«, sagt sie. »Du machst mich ganz nass.«

  »Kann nicht anders«, erwidere ich erstickt mit dem Mund an ihrem Bauch und presse sie noch fester an mich. Fester und fester, als hinge mein Leben davon ab. Ich will meinen Kopf heben, sie ansehen und mac
he eine unerwartete Bewegung. Sie kommt ins Straucheln, rudert kurz mit den Armen, spritzt mit dem Duschkopf um sich und findet doch keinen Halt. Und mit einem Plumps landet sie bei mir in der Wanne. Das Wasser fließt zu allen Seiten auf den Boden, und mit einem Prusten taucht sie auf. Sie liegt auf meinem Schoß, ihre Klamotten komplett durchnässt. Doch statt zu kreischen oder zu schimpfen, wie ich es im ersten Moment erwartet habe, beginnt sie zu lachen .

  »Du hast ein verdammtes Glück, dass ich mein Handy nicht in der Hosentasche hatte«, sagt sie und streicht sich mit tropfenden Fingern Schaum aus dem Gesicht.

  »Nein, lass ihn da«, sage ich und fahre mit meinen Fingern, die tatsächlich schon ein bisschen schrumpelig sind, über ihr Gesicht. Ich nehme mehr Schaum in die Hand und verteile ihn über ihren Wangen, ihrer Stirn, ihrer Nase. Dann ziehe ich sie zu mir und küsse sie. Der Badeschaum ist auf und zwischen unseren Lippen. Es schmeckt leicht seifig, aber nicht unangenehm, sondern wie das Zeugnis der Sehnsucht, die wir nacheinander haben.

  Während unsere Zungen sanft miteinander ringen, taste ich nach dem Saum ihres T-Shirts und ziehe es umständlich nach oben. Es klebt an ihr, hat sich regelrecht festgesogen. Kurz unterbrechen wir unseren Kuss, damit sie mir dabei helfen kann, das T-Shirt über ihren Kopf und auf den Boden zu befördern. Die Häkchen ihres BH s habe ich schnell gelöst, und im selben Augenblick presse ich sie an mich. Haut an Haut. Brust an Brust. Ihr Herz geht schnell. Ich spüre die kräftigen Schläge, die durch meinen gesamten Körper schallen.

  »Ich komme nicht aus der Hose raus«, haucht sie an meinen Lippen, während sie versucht, sich aus ihren Shorts zu schälen.

  »Und ich hab kein Kondom im Wasser«, sage ich.

  Wir lösen uns voneinander. »Gleich?«, fragt Frenzy, und ihr Blick ist leicht verschleiert.

  »Jeden Moment«, erwidere ich, greife mir das Duschgel und will mich schon einseifen, als Frenzy meine Hand nimmt.

  »Lass mich«, sagt sie.

  Ich richte mich leicht auf, als sie mit ihren Händen das Duschgel auf meinem Oberkörper und meinem Rücken verteilt. Sie fährt über meine Arme, meine Schultern. Wieder schließe ich die Augen, doch diesmal ist es nicht so sehr die Entspannung. Ich fürchte, nicht mehr Herr über meine Sinne zu sein, wenn ich sie weiter betrachte. Ich spüre, wie sie mit den Händen meine Beine entlangstreicht. Langsam, bedächtig. Als würde sie sich das Gefühl meiner Haut einprägen wollen. Ihre Finger wandern hinauf in meinen Schritt, meinen längst steifen Penis entlang. Mein gesamter Körper wird von einem intensiven Schauder erfasst, der sich von meinem Nacken über meinen Rücken überall hin ausbreitet. Ich höre Frenzys zitterndes Ausatmen und weiß, ich will sie jetzt. In diesem Moment.

  Als ich die Augen öffne, versteht sie sofort. Wir erheben uns, steigen aus der Wanne. Ich hülle uns beide in das Handtuch, das Frenzy vorhin bereitgelegt hat. Umfasse ihr Gesicht, küsse sie. Lecke Tropfen von ihrer nackten Haut, von ihren Brüsten. Sie legt den Kopf in den Nacken und stöhnt leise. Dann strampelt sie die völlig durchnässten Shorts von ihren Beinen und lässt sich von mir abtrocknen. Ehe wir Hand in Hand das Badezimmer verlassen, fische ich noch schnell ein Kondom aus meiner Hosentasche, während sie weitere Handtücher aus dem Schrank zieht und sie um die Badewanne herum legt, um die Überschwemmung, die wir angerichtet haben, fürs Erste aufzusaugen.

  Wir schaffen es nicht einmal in Frenzys Zimmer. Sobald wir aus der Tür gestolpert sind, presse ich sie zwischen zwei goldgerahmten Bildern gegen die Wand im Flur. Wir sind beide atemlos, drücken uns gegeneinander, halten uns aneinander. Ich reiße das Kondom auf, streife es mir über und hebe sie hoch. Sie schlingt ihre Beine um mich, klammert sich an mir fest. Und mit einer sowohl erleichternden als auch schmerzhaft sehnsuchtsvollen Bewegung dringe ich in sie ein. Ihre Augen verdrehen sich nach oben, und sie stöhnt. Zunächst leise, dann lauter. Als würde sie sich daran erinnern, dass es mir gefällt. Und dass es ihr gefällt. Mit tiefen Stößen gleite ich in sie und aus ihr hinaus. Meine Hände halte ich schützend an ihren Rücken, damit sie sich an der rauen Wand nicht wehtut. Als ihr Kopf dennoch einmal gegen die Wand prallt, halte ich kurz heftig schnaufend inne.

  »Sollen wir …«

  »Nein!«, keucht sie. »Mach weiter!«

  Es dauert nicht lang, und mein Körper wird von diesem inneren Kitzeln erfasst, das sich in meiner Mitte sammelt und von dort in jede Stelle meines Körpers und in Frenzy hinein explodiert, von dem Kondom aufgefangen.

  Ich merke, dass sie noch nicht gekommen ist, und trage sie in ihr Zimmer und auf ihr Bett. Meine Beine zittern etwas, und ich bin so erschöpft, dass ich mich am liebsten neben sie fallen lassen würde. Stattdessen reiße ich mich zusammen und stoße noch ein paarmal in sie, massiere währenddessen ihre empfindlichste Stelle, bis ich spüre, wie sie sich zuckend um mich zusammenzieht. Dann breche ich neben ihr zusammen.

  »Kurze Pause«, nuschle ich noch, dann schließe ich die Augen und strecke mich auf ihrem wunderbar weichen Bett aus.

  33

  Franzi

  Mitten in der Nacht wache ich auf. Ich liege in Links Arm, meinen Kopf an ihn geschmiegt. Seine bloße Anwesenheit bewirkt, dass ich mich lebendig und aufgekratzt fühle. Fast kommt es mir wie eine Zeitverschwendung vor, dass wir ein paar Stunden von unserem Wochenende verschlafen haben. Erst betrachte ich ihn einfach eine Weile im fahlen Mondlicht, das durch mein Fenster scheint. Es ist ganz still. Bis auf seinen regelmäßigen Atem ist kein Geräusch zu hören. Vorsichtig streiche ich über sein Haar. Er rührt sich, wacht langsam auf.

  »Hey«, murmelt er.

  »Hey …«

  »So möchte ich immer aufwachen.« Er streckt sich. »Mit deinem Gesicht vor meinen Augen.« Er zieht mich in eine feste Umarmung, und die Wärme seiner Nacktheit macht, dass sich mein ganzer Körper, innen wie außen, danach verzehrt, in diesem Moment zu verharren. Für immer. Wenn ich mit Link zusammen bin, ist es, als gäbe es keine Vergangenheit, keine Zukunft. Es gibt nur das Hier und das Jetzt und das Uns.

  Mein Magen macht sich lautstark bemerkbar. Seit gestern Mittag habe ich nichts mehr gegessen.

  »Soll ich uns Sandwiches machen?«, fragt Link. »Ich bin ziemlich gut darin, perverse Kombinationen aus Resten zusammenzustellen.« Er nimmt meine Hand und presst seine Lippen darauf.

  »Ich weiß zwar nicht, ob wir Reste haben, aber im Kühlschrank ist auf jeden Fall genug Essen, um eine Großfamilie durch den Winter zu bringen«, sage ich.

  Ein bisschen widerwillig schälen wir uns aus dem Bett. Link zieht sich seine Boxershorts an, und ich werfe mir sein Hemd über. Bevor ich ihm nach unten in die Küche folge, hänge ich die Handtücher und meine Kleider, die immer noch im Badezimmer auf dem Boden liegen, zum Trocknen auf.

  Link zu betrachten könnte eine meiner absoluten Lieblingsbeschäftigungen werden. Ich bleibe einen Moment lang in sein Hemd gewickelt im Türstock stehen, sehe seine halb nackte Silhouette vor dem Kühlschrank an.

  Er dreht sich um. »Wer soll denn das alles essen?«, fragt er ein wenig perplex.

  »Ich habe dich gewarnt.«

  »Bin mir nicht sicher, ob ich schon einmal so einen Kühlschrank gesehen habe«, murmelt er und wendet sich gleich darauf ab, als hätte er zu viel gesagt.

  »Ich finde es auch übertrieben«, gebe ich zu und denke an Links Eltern. An ihre Bescheidenheit, ihre Genügsamkeit. Das Einzige, was sie glücklich machen würde, wäre, ihre Tochter zurückzubekommen. Alles andere ist Nebensache. Victor auf der anderen Seite hat keinen Kontakt zu seinem Sohn, wie Faye erzählt hat. Und ich frage mich auf einmal, wer von beiden die Verbindung abgebrochen hat. Ob Victor wie mein Vater seine Familie im Stich gelassen hat? Vielleicht ist auch das etwas, das ich Hugo mal fragen könnte, wenn er gut drauf ist.

  Link holt Schinken, Käsescheiben, saure Gurken, Senf und Mayonnaise aus dem Kühlschrank. »Dann wird es eben ein Klassiker«, sagt er .

  Während er Toastscheiben auf Teller legt und sie mit Senf und Mayonnaise bestreicht, hole ich eine Flasche von Fayes Chenin blanc aus dem Kühlschrank und schenke uns zwei Gläser ein. Dann setze ich mich auf die kalte Kücheninsel, baumle mit den nackten Beinen und sehe L
ink zu.

  »Erzähl mir was«, fordere ich ihn auf und nippe an meinem Wein. Vor allem, weil ich seine Stimme hören will.

  »Was möchtest du denn wissen?«

  »Erzähl mir, was du dir vom Leben wünschst.« Das ist eine ziemlich große und bedeutsame Frage. Ich bin mir nicht sicher, warum ich sie stelle. Vermutlich, weil sie mich selbst beschäftigt. Weil ich mir irgendwie nicht mehr sicher bin.

  »Oh, wow«, sagt er. »Gleich richtig in die Tiefe, was?«

  »Entschuldige, du musst darauf nicht antworten.« Inzwischen habe ich gelernt, dass es Dinge in Links Leben gibt, die er nicht mit anderen teilt. Seltsamerweise spricht er gleichzeitig über sehr intime Details mit mir. Seine Grenzen sind schwer zu antizipieren. Bonnie ist vielleicht die Einzige, die sie wirklich kennt.

  »Nein, nein, alles in Ordnung. Du kannst mich alles fragen.« Außer, wo du wohnst, denke ich. »Ich will genau das hier.« Er hebt sein Glas und lässt es gegen meins klirren.

  »Was meinst du?«

  »Ich will alles, wie es ist. Vielleicht den ein oder anderen Wochenend-Gig, aber ansonsten ist es doch schon perfekt.«

  Er leckt sich ein bisschen Senf von seinen Fingern und klappt das erste Sandwich zu. Anschließend stellt er sich zwischen meine Beine und zieht sein Hemd einen Spalt weit auf. Er küsst meine Schlüsselbeine und dann die Stelle zwischen meinen Brüsten.

  »Ich würde nichts ändern.«

  »Das meinst du nicht ernst«, sage ich.

  Er legt den Kopf schief und überlegt einen Moment. »Ich würde mir wünschen, dass Jasper kein schlechtes Gewissen seinen Kindern gegenüber hat. Dass Geld keine Rolle spielt. Dass Curtis mal mit jemandem spricht und Bonnie sich auch um ihre eigenen Bedürfnisse kümmert. Aber das habe ich nicht in der Hand. Ich kann nur zusehen, dass ich meinen Teil dazu beitrage. Und solange ich das tue, bin ich glücklich.« Er hält kurz inne. Dann fragt er: »Und bei dir?«

  »Ich weiß es nicht mehr«, sage ich. »Bislang habe ich meine Zukunft immer ganz klar vor mir gesehen. Ein sicherer Job, ein Mann, Kinder. Einfamilienhaus. Ein Hund vielleicht. Aber …« Ich schlucke. Es ist so merkwürdig. Mein Jahr in New Orleans sollte genau das werden. Ein Abenteuer, bevor die Zukunft losgeht. Aber es ist, wie Hugo gesagt hat. Warum sollte nicht das Leben ein Abenteuer sein? Weil es unvernünftig und naiv ist, sagt sofort eine Stimme in meinem Kopf. Aber eine andere, die immer lauter wird, je länger ich mich in dieser bunten Welt befinde, sagt: »Na und?«

 

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