Love is Loud – Ich höre nur dich
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Wir müssen uns treffen, schreibt sie. Und dann erwarte ich, dass du mir alles erzählst. Alles.
Ich schlucke. Natürlich muss ich das. Wenn ich sie nicht verlieren will – und das will ich auf keinen Fall –, muss sie alles wissen. Auch wenn es mir schwerfällt.
Ich hole dich ab, antworte ich. Wann hast du Zeit?
Jetzt, schreibt sie.
Während ich neben meinem Fahrrad darauf warte, dass die Haustür auf der gegenüberliegenden Straßenseite geöffnet wird, bin ich seltsam angespannt. Auf dem Weg hierher bin ich in Gedanken immer wieder durchgegangen, was ich sagen möchte, um wiedergutzumachen, was ich verbockt habe. Auf der Ich habe es versaut -Skala schätze ich meine Flucht vorgestern im Moment auf eine Acht von Zehn. Ich habe keine Ahnung, wie ich mit meiner Entdeckung umgehen soll. Ob ich Jasper davon erzählen muss, mit Bonnie reden sollte. Ich frage mich, was meine Eltern dazu sagen würden, dass ich in seinem Haus war.
Endlich öffnet sich die Tür, und Frenzy tritt heraus. Sofort macht mein Herz einen Satz, doch ich versuche, meine Freude zu bremsen. Denn vielleicht ist es das gewesen. Vielleicht ist es unverzeihlich, abzuhauen.
»Hi«, sagt sie, als sie neben mir steht, die Hände in die Seiten gestemmt. Sie versucht angestrengt, wütend auszusehen, aber selbst das ist niedlich.
»Es tut mir leid.« Das sollte das Erste sein, was sie von mir zu hören kriegt. Danach: »Hi.«
»Du warst in Victors Büro?« Ihr Tonfall ist unterkühlt, und doch wird es mir beim Klang ihrer Stimme ganz warm. Dann erst merke ich, was sie gesagt hat.
»Ich … äh …«
»Du stotterst«, bemerkt sie. »Aber damit ist jetzt Schluss. Weißt du, was ich deinetwegen für einen Ärger am Hals habe?«
»O Gott, es tut mir so leid. Nicht nur das. Auch dass ich einfach gegangen bin.« Mir wird ein bisschen schlecht, weil mir erst in diesem Moment die gesamte Tragweite meiner Handlung bewusst wird. Was habe ich getan? »Wie schlimm ist es?«
»Ich will, dass du mir alles erzählst«, sagt sie. »Keine Ausreden, keine Ausflüchte. Ich will verstehen, warum du so ein Arsch bist. Und ich will wissen, wo du wohnst.«
»Wo ich …« Meine Eingeweide verknoten sich. Ich setze gerade an, ihr zu sagen, dass das nicht geht, als ich in ihr Gesicht blicke. Und der Ausdruck, den ich sehe, verrät mir, dass ich keine Wahl habe. Und vermutlich hat sie recht. Vermutlich muss sie einfach alles wissen. »Okay«, sage ich kleinlaut .
»Jetzt.«
»J…? Okay.«
»Auf dem Weg dorthin erzählst du mir, was du dir bei alldem gedacht hast.«
»Okay«, sage ich wieder, und wir setzen uns Richtung Fluss in Bewegung.
Unser Weg führt uns durch den reichen Teil des Garden District zu dessen Ausläufern im Süden. Während wir nebeneinander hergehen, suche ich nach den richtigen Worten.
»Also?«, fragt Frenzy.
»Also«, erwidere ich, »es tut mir leid.«
»So weit waren wir schon.«
»Ja, aber ich habe nicht den Eindruck, dass ich es oft genug sagen kann.« Dann nehme ich meinen Mut zusammen und beginne. Ich erzähle ihr, dass ich erst einfach nur neugierig war, was sich hinter der Tür verbirgt. Dass ich dann auf dem Schreibtisch Victors Nachnamen gesehen habe und irgendwas in mir Alarm geschlagen hat. Ich schildere ihr meinen Fund. Das anschließende Gefühlschaos. Dass ich wie auf Autopilot gehandelt habe. Von den Erinnerungen, die zurückkamen. Von Jasper und Blythe. Ich lasse alles raus. Frenzy unterbricht mich nicht. Sie hört mir einfach zu.
Als ich eine Pause mache, sagt sie: »Ach du Scheiße«, und ich finde, das trifft es ziemlich gut. »Ich habe in den letzten vierundzwanzig Stunden so viele schlimme Dinge über Victor gelernt, dass mich das Ganze nicht sonderlich überrascht.«
»Und es gibt noch etwas, das ich dir erzählen muss«, sage ich. »Es hat was mit meiner Wohnsituation zu tun.«
Mein Herz geht schnell.
Dieser Moment.
Alles oder nichts.
»Ich … ich habe keine Wohnung. «
Bubum. Bubum. Bubum.
Mein Herzschlag und das sanfte Rauschen der Blätter im warmen Wind sind für ein paar Sekunden, die mir vorkommen wie ein halbes Leben, die einzigen Geräusche.
»Was meinst du damit?«, fragt Frenzy langsam.
Das riesige Gebäude kommt allmählich in unser Blickfeld. Wir nähern uns der Wahrheit, und nun ist es definitiv zu spät, einen Rückzieher zu machen.
»Ich wohne illegal in einem leer stehenden Warehouse. Gleich da vorne.« Ich bleibe stehen und sehe sie an. Ich versuche in ihrem Gesicht zu lesen. Ablehnung, Verachtung. Doch da ist nichts außer Verwunderung.
»Warum?«, fragt sie.
»Es hängt alles zusammen«, erkläre ich. »Als Blythe krank wurde, brauchte sie teure Medikamente. Das Krankenhaus, das Hospiz. All das hat irrsinnig viel Geld gekostet. Mehr Geld, als irgendjemand hat, den ich kenne. Jasper hat einen Schuldenberg von Hunderttausenden von Dollar, den er abbezahlen muss. Ehrlich gesagt, zahlt er ohnehin nur Zinsen an die Bank ab, aber das ist teuer genug. Sein Haus ist mit Hypotheken belastet. Wenn er nicht zahlt, verlieren er und seine Kinder ihr Dach über dem Kopf.« Ich schlucke, und die Wut in meinem Bauch, die ich seit Blythes Tod auf dieses Land habe, in dem es den Reichen immer besser geht und die Armen auf der Strecke bleiben, droht die Kontrolle zu übernehmen. Manchmal kann ich Curtis verstehen. Er hat ein Ventil gefunden, um die Wut rauszulassen.
»Und du …?« Frenzy sieht mich an, und jedes Fünkchen Wut oder Enttäuschung über meine Unüberlegtheit ist wieder der Sanftheit gewichen, die ich so sehr liebe.
»Ich gebe ihm meinen Anteil von unseren Gigs und spare, so viel ich kann, von dem Geld, das ich tagsüber verdiene, um vorbereitet zu sein, wenn etwas Unvorhergesehenes passiert. Neulich ist der Rollstuhl meiner Mom gebrochen. Den habe ich bezahlt.«
»Du bist unglaublich«, sagt Frenzy, und, wenn mich nicht alles täuscht, höre ich Bewunderung aus ihrer Stimme heraus.
»Ich habe nicht wirklich eine Wahl«, sage ich und zucke mit den Schultern. »Ich wäre kein Mensch, würde ich anders handeln.«
»Und als du dann gesehen hast, in welchem Reichtum Jaspers Vater lebt …«
»So weit habe ich in dem Moment gar nicht gedacht. Ich habe einfach Panik bekommen. Aber ja, die Ungerechtigkeit unserer Welt schreit einen manchmal geradezu an. Hier ist es.« Ich zeige auf das schäbige Warehouse, ein großer, ehemals weißer Bau, der von hohem Maschendrahtzaun umgeben ist. Der Schriftzug, der verkündet, dass hier 1919 Baraquin and Sons eine große Schweißerei gegründet haben, ist verblichen, und Rostrückstände, die seit Jahrzehnten durch löchrige Regenrinnen sickern, haben hier und da das Gebäude umgefärbt. Ich versuche mir vorzustellen, was Frenzy sieht. Für mich ist das hier Normalität. Doch für ihre Augen muss es absolut erbärmlich wirken.
»Der Eingang ist mit einem Vorhängeschloss gesichert, aber da vorne, wo der Zaun an die Highwaybrücke grenzt, ist er so verbogen, dass man ohne Probleme hineinkann.«
Ich schiebe mein Fahrrad auf die Stelle zu und sehe mich um. Frenzy folgt mir etwas zögerlich. Aber sie kommt.
»Nach dir«, sage ich und halte ihr die Lücke im Zaun auf. Sie schlüpft hindurch, und ich folge ihr. Die Reifen meines Fahrrads knirschen im Kies, der von Grasbüscheln und Gestrüpp überwuchert wird. Das große Haupttor ist nicht passierbar, sodass ich eine rostige Metalltür ansteuere.
»Bereit?«, frage ich, und Frenzy nickt langsam. Dann ziehe ich die Tür auf.
37
Franzi
Während all der möglichen Szenarien, die ich in meinem Kopf gewälzt habe und die mir irgendwie erklären sollten, warum Link mich nicht mit nach Hause nehmen wollte, kam dieses hier kein einziges Mal vor. Link ist obdachlos. Wobei: Das stimmt auch nicht. Ein Dach über dem Kopf hat er wohl. Aber es ist fraglich, wie lange es noch hält.
Er sieht nicht aus wie jemand, der kein Zuhause hat. Er ist gepflegt, sauber gekleidet. Nichts an seiner Erscheinung hätte mich auf das hier vorbereiten können.
»Seit wann wohnst du so?«, frage ich vorsichtig, als wir beginnen, eine nackte B
etontreppe hinaufzusteigen. Der Klang unserer Schritte hallt in dem leeren Gebäude wider.
»Ungefähr seit Blythes Tod. Aber nicht immer hier. Vorher war ich in einem Warehouse auf der anderen Seite der Stadt. Und ganz am Anfang …«
»Ist das nicht illegal?«, unterbreche ich ihn.
Er lacht. »Schon. Ein paarmal wurde ich fast erwischt. Aber ich habe es immer rechtzeitig raus geschafft.«
»Und Bonnie weiß davon, oder?«
»Ja. Sie ist nicht gerade begeistert.«
Verständlich, denke ich. Wenn mein bester Freund illegal in leeren Warehouses lebte, würde ich versuchen, ihn da rauszuholen.
»Aber weißt du, solange es Jasper und den Kindern gut geht, ist das hier eine Entbehrung, die ich freiwillig in Kauf nehme.«
Während er spricht, dreht er sich zu mir um. In seinem Gesicht sehe ich Sorge. Sorge über meine Reaktion, wird mir klar. Aber … so überrascht ich bin, so sehr bewundere ich seine Entscheidung auch. Um ihm das zu zeigen, strecke ich meinen Arm nach ihm aus. Er nimmt meine Hand und drückt sie. Dann gehen wir weiter.
»Mein Lager habe ich ganz oben im zweiten Stock aufgeschlagen«, sagt Link. »Unten ist jeder noch so kleine Lichtschein zu gut sichtbar. Das wäre zu gefährlich. Nicht, dass meine Anwesenheit wirklich von Interesse für irgendjemanden ist, sonst wären schon längst Leute hier gewesen.«
»Wie meinst du das?«, frage ich.
»Wegen des Wassers, wegen des Stroms, den meine Lampe und mein Handykabel verbrauchen. Ich versuche, so wenig wie möglich davon Gebrauch zu machen, aber manchmal geht es nicht anders.«
»Deswegen nimmst du dein Ladekabel überallhin mit …«
»Du hast es erfasst.«
»Warum gibt es hier überhaupt Wasser und Strom?«, frage ich.
»Das ist gar nicht so ungewöhnlich bei Gebäuden, die nach Katrina an die Stadt gegangen sind«, erwidert Link. »Solange kaum etwas verbraucht wird, kümmert sich niemand darum.«
Wir erreichen den zweiten Stock. Die nackten Ziegelwände sind meterhoch, und der Raum ist abgesehen von einer Plastikplane vollkommen leer. Eines der Fenster ist mit einer Sperrholzplatte vernagelt.
»Das habe ich repariert«, sagt Link. »Im Sommer ist es egal, aber im Winter – besonders nachts oder nach einer kalten Dusche, die bewirkt, dass ungefähr alle Vitalfunktionen auf ein Minimum zurückgefahren werden – habe ich manchmal vor Kälte so gezittert, dass ich nicht einmal Gitarre spielen konnte. Es wird hier zwar nicht so kalt wie im Norden, aber ohne Heizung und dichte Fenster …«
Ich schlucke. Doch für Link scheint es ganz normal zu sein. Er sagt all diese Dinge so leichthin, als wäre es das Normalste überhaupt.
Er schiebt die Plastikplane beiseite. »Das ist es«, sagt er, und wir treten hindurch. »Mein Zuhause.«
Ich sehe mich um. In einer Ecke liegt eine Matratze, ihr gegenüber steht auf einer Werkbank ein Campingkocher und ein verbeulter Topf. Es ist spartanisch, aber sauber.
»Fühlst du dich hier zu Hause?«, frage ich immer noch ein wenig skeptisch.
»Ehrlich gesagt, fühle ich mich sonst nur bei Bonnie so wohl. Selbst bei meinen Eltern ist es fremder geworden, seit Blythe nicht mehr da ist. Du hast es ja erlebt. Es ist nicht ihre Schuld, es ist einfach so. Aber weißt du, ich bin ja ohnehin meistens unterwegs und komme vor allem zum Schlafen hierher.« Er lässt meine Hand, die er immer noch festgehalten hat, los und tritt an eines der Fenster, von denen aus man auf den Mississippi blickt. Dann atmet er einmal tief ein. »Also, was sagst du?«
Ich blicke ihn an. Seine wilden Haare, die er versucht, mit der Hand zu bändigen. Seine gerade, schmale Nase, diese perfekten Lippen. Ich denke an seine Stimme, an ihr feines Echo in dieser großen Halle, an seine Lebenslust, seine Leidenschaft für Musik. Ich denke an all die Momente mit ihm, die mein Leben jetzt schon so reich gemacht haben, wie nichts, was vor ihnen war. Es hat sich nichts verändert zwischen uns. Im Gegenteil: Wenn überhaupt, hat uns die Tatsache, dass ich nun alles weiß, noch enger zusammengebracht.
»Darf ich heute Nacht hier schlafen?«, frage ich .
Links Gesichtsausdruck wechselt von besorgt zu ungläubig. Seine Augen werden groß und größer, und er hat vergessen, seinen Mund wieder zu schließen.
»Du musst nicht …«, sagt er.
»Und wenn ich will?«
Er geht einen Schritt auf mich zu, dann noch einen, bis wir uns gegenüberstehen. Ich schlinge meine Arme um ihn, und er hält mich fest. So verharren wir eine Weile in dieser kahlen, unwirtlichen Halle, die er sein Zuhause nennt.
»Es tut mir so leid«, sagt er irgendwann.
»Ich weiß.«
»Wie kann ich es wiedergutmachen?«
»Das hast du schon.« Ich fahre mit meinen Fingern durch seine Haare und an seinem Nacken entlang. »Indem du mir alles erzählt hast. Indem du mich hierher gebracht hast.«
»O Gott«, flüstert er. »Ich liebe …, dass du bist, wie du bist.«
Ich verziehe die Lippen an seinem Hals zu einem glücklichen Lächeln. »Ich liebe, dass du bist, wie du bist«, gebe ich zurück.
»Ich liebe …, dass du hier bist«, sagt er und streicht über meinen Rücken.
»Ich liebe, dass du mich hergebracht hast.«
»Ich liebe … dein Gesicht«, sagt er und küsst mich auf die Stirn.
»Ich liebe dein Gesicht«, erwidere ich, stelle mich auf die Zehenspitzen und küsse ihn auf die Nasenspitze.
»Ich liebe deine Lippen«, sagt er und drückt seine darauf, sodass ich nicht sagen kann, was ich an ihm liebe. »Ich liebe deinen Körper.« Mit den Händen fährt er an meinen Armen, meiner Hüfte entlang. »Gott, ich liebe dich. « Er hält mich ein Stück von sich weg, wie um meine Reaktion zu überprüfen. »Ich liebe dich«, sagt er dann noch einmal und klingt beinahe überrascht. »Ich liebe dich. «
Mein Magen schlägt Purzelbäume, und meine Beine beginnen seltsam zu zittern. Es ist, als hätte ich keine Kontrolle mehr über sie. Ich bin so bewegt, so im Glück, dass meine Sinne tanzen und Hunderttausende von Glücksbläschen auf einmal platzen und ihre bunte Süße in meinem Körper verteilen.
»Ich liebe dich«, sage ich, aber es klingt ein bisschen erstickt. Deswegen flüstere ich noch einmal: »Ich liebe dich auch.«
Später kocht Link für uns. Aus seinem Rucksack zieht er Süßkartoffeln, Karotten und Zwiebeln, aus denen er mit ein paar Gewürzen einen fantastischen, exotisch schmeckenden Eintopf zaubert. Meine Hilfe lehnt er mehrmals ab, also lege ich mich auf seine Matratze und beobachte ihn. Lausche seinen Erzählungen über seine Kindheit und Jugend. Jede noch so kleine Information vervollständigt dieses ohnehin schon perfekte Bild, das ich von ihm habe. Ich würde nichts, rein gar nichts an ihm verändern wollen. Ich möchte ihn nur immer besser und tiefer kennenlernen. Alles über ihn wissen. Ich will das Gefühl haben, als sei ich in jedem Moment seines Lebens dabei gewesen. Will jeden Millimeter seines Körpers und jede einzelne Sekunde seines Lebens kennen und in mich aufsaugen. Ich will ihn so vollständig kennen, als sei er ich. Und ich will, dass er mich so vollständig kennt, als sei ich er. Mich erfüllt dieses dringende, drängende Bedürfnis, mit ihm zu verschmelzen, eins zu werden. Ich will ihn fühlen, riechen, schmecken, als wäre er die Luft um mich herum, als wäre er der Stoff auf meiner Haut, als wäre er die Sonne, die mich wärmt, und der Schatten, der mich kühlt.
Als wir wenig später miteinander schlafen, wird Link für mich zu alldem. Wir sind langsam diesmal, empfinden den anderen mit allem, was wir haben. Unser Stöhnen, erst leise, dann immer lauter, erfüllt die große Halle, wird potenziert durch das Echo von Wand zu Wand und zu uns zurück. Die ganze Zeit über sehen wir einander in die Augen. Wir klammern uns mit Armen, Beinen und Blicken aneinander. Jede Bewegung, jede Berührung, jeder Laut prägt sich mir ein. Das Gefühl von Links Kommen und Gehen in mir, von seinem sanften Rhythmus, der trotzdem so tief – so unendlich tief – ist, dass es mir den Atem raubt, trägt mich an einen Ort, an dem es nur uns beide gibt. Uns beide für immer.
»Ich … liebe … dich«, stöhnt Link, ohne seinen Blick von mir abzuwenden. »Ich … liebe … dich.«
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p; »Ich … liebe … dich «, bringe ich unter größter Anstrengung hervor. Die Versuchung, die Augen zu schließen, ist groß, während Link immer tiefer und tiefer in mich stößt. Doch ich halte sie geöffnet. Muss ihn mit all meinen Sinnen wahrnehmen.
Als erst ich und wenig später er mit einem letzten »Ich liebe dich« kommt, sind wir völlig ausgelaugt. Nicht nur körperlich, sondern vor allem emotional. Wir schlafen eng umschlungen ein. Halten uns fest. Nichts passt zwischen uns.
Am nächsten Morgen werde ich davon geweckt, dass Link neben mir auf seiner Gitarre spielt und leise summt. Einen Moment lang bleibe ich unbeweglich liegen, lausche dem zarten Klang seiner Finger auf den Saiten, genieße die Wärme, die mich äußerlich wie innerlich erfüllt. Sonnenstrahlen, die durch die Fenster in die Halle fallen, kitzeln meine Haut. Ich bin vollkommen eingehüllt in einen Kokon aus Links Duft, Links Stimme, Links Liebe. Ich spüre die Erinnerung an ihn zwischen meinen Beinen und möchte beinahe weinen vor Glückseligkeit. Nichts steht mehr zwischen uns. Alles ist geklärt. Ich habe mich ihm vollkommen hingegeben und möchte es wieder und wieder und mein Leben lang tun .
Und doch regt sich ein Gefühl in meiner Magengegend. Ein ungutes Gefühl. Eins, das macht, dass sich meine Eingeweide zu einem festen Klumpen verknoten. Einen Augenblick lang weiß ich nicht, woher es kommt. Doch dann fällt es mir wieder ein. Meine Zeit hier ist schon zur Hälfte rum. Dass ich zurück nach Hause gehe, ist unumstößlich. Dort ist meine Zukunft. Meine Familie. Meine Freunde. Mein gesamtes Leben spielt sich auf einem anderen Kontinent ab.
Für den Moment leben. Das ist Links Devise. Und es ist das Einzige, was uns bleibt. Ich darf nicht zulassen, dass meine Gedanken an die Zukunft überhandnehmen und alles mit einem Schleier der Traurigkeit überziehen. Wir haben noch fast sechs ganze Monate. Sechs Monate, die mich von meinem ergonomischen Schreibtischstuhl und dem höhenverstellbaren Tisch trennen. Kurz habe ich ein Bild von mir selbst vor Augen. Wie ich in einem Büro sitze, vor mir mehrere Bildschirme, eine Tastatur, eine Maus. Eine Grünpflanze, deren Namen Hugo wüsste. Ein Foto meiner Familie in einem schlichten Rahmen. Nur nicht auffallen. Und dann stelle ich mir vor, dass Link nur noch Teil meiner Vergangenheit ist. Dass nichts als eine Erinnerung bleibt, die immer mehr verblasst. Dass ich nicht mehr an ihn denke. Doch es geht nicht.