ALTERED STATES

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ALTERED STATES Page 9

by Paddy Chayefsky


  »Alles in Ordnung«, sagte Jessup, »ich wusste, dass es nur vorübergehend war.«

  »Eine vorübergehende ischämische Attacke, das war es«, erwiderte Parrish. Rosenberg kam zurück. »Er hat seine Stimme wieder«, sagte Parrish.

  »Das war keine ischämische Attacke; es hat überhaupt nichts mit dem Kreislauf zu tun; es gab ja keine Blockierungen«, sagte Jessup. »Und ein Anfall war es auch nicht. Ich will euch sagen, was es war. Ich habe mich ins späte Tertiär zurückprogrammiert und konnte mich körperlich in meine Halluzination hineinversetzen; nachher ist die Halluzination für ein paar Stunden in die äußere Wirklichkeit übergeschwappt. Die verschiedenen Zeiterfahrungen überlappten sich für kurze Zeit, und für diese Zeit habe ich eben körperliche Spuren der Halluzination behalten. Ich weiß ja nicht, aber vielleicht haben wir es hier mit irgendeiner Quantengeschichte zu tun oder mit einer ganz exotischen relativistischen Physik, in der mein Bewusstsein mich in einen anderen Zustand überführt hat. Aber in Physik hab' ich nicht gerade viel los. Kennt ihr draußen im MIT nicht irgendeinen Quantenheini, dem wir das Problem mal vorlegen könnten?«

  Die anderen starrten ihn nur an.

  »Meine Güte«, fuhr Jessup fort, »die komischen Töne, die ich gemacht habe, waren die ersten Ansätze zu einer menschlichen Sprache. Es ist doch klar, dass ich in ein vormenschliches Stadium regrediert bin. Du hast ja die Röntgenbilder gesehen, Mason. Die digastrischen Muskeln waren deutlich mit dem Zungenbein verwachsen, und der Kehlkopf war nach vorn verlagert. Ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube, dass die digastrischen Muskeln, die beim Menschen in einer Schleife liegen, beim Affen direkt mit dem Zungenbein verbunden sind. Wenn das so ist, dann muss ich mich in ein affenähnliches Wesen verwandelt haben.«

  Es war für Parrish eine böse Nacht gewesen, und jetzt platzte ihm allmählich der Kragen. Er blickte zu Rosenberg hinüber, der gerade die verschiedenen Geräte einpackte.

  »Arthur«, sagte er mit mühsamer Beherrschung, »gib mir die Röntgenaufnahmen. Ich will sie jemandem zeigen, der sie auch wirklich lesen kann. Wir interpretieren sie falsch, das ist alles. Niemand kann mir weismachen, dass du die Differenzierung deiner verdammten genetischen Struktur für vier Stunden aufgehoben und dann wiederhergestellt hast.«

  Er nahm Rosenberg den Umschlag mit den Bildern aus der Hand. »Ich bin Professor für Endokrinologie an der Harvard Medical School. Ich bin praktizierender Arzt am Peter Bent Brigham Hospital, Mitherausgeber des American Journal of Endocrinology, Mitglied und Vizepräsident der Eastern Association of Endocrinologists...» Seine Wut steigerte sich mit jedem Wort, und er wurde knallrot. »...und ich denke nicht daran, mir noch mehr von eurem kabbalistischen Scheiß-Hintertreppen-Quanten-Larifari anzuhören! Ich werde diese gottverdammten dämlichen Röntgenaufnahmen einem Radiologen zeigen! Und zwar jetzt gleich. Gib mir endlich meinen Scheißmantel, Arthur! Und hoffentlich muss ich keinen von euch beiden Knalltüten so bald wiedersehen.«

  Er nahm Rosenberg den Mantel aus der Hand, riss die Tür zum Gang auf und stürzte nach draußen, das Kleiderbündel unter dem einen Arm, seinen Schafsfellmantel unter dem anderen und in der Hand den braunen Umschlag mit den Bildern. Mit langen, eiligen Schritten ging er durch die menschenleeren, abfallgefüllten Gänge zum Untergeschoß der Klinik, stieg eine Treppe hoch, stieß die Schwingtür zur Osthalle auf und marschierte in die Radiologie-Abteilung, wo der diensthabende Arzt seufzend über einem Stapel von Röntgenbildern brütete.

  Parrish atmete tief ein, streckte dem Radiologen den Umschlag hin und brachte es fertig, in einigermaßen ruhigem Tonfall zu sagen: »Tun Sie mir einen Gefallen und schauen Sie sich die hier mal an.«

  Der Radiologe machte zu dieser ungewöhnlichen Störung eine säuerliche Miene, nahm dann aber doch die Bilder aus dem Umschlag. »Worum geht's denn da?«, fragte er.

  »Fünfunddreißigjähriger Mann, Weißer, akute Aphasie, keine traumatische Vorgeschichte.«

  Der Radiologe hängte die Bilder vor den Leuchtschirm. »Und nach was suchen Sie?«, fragte er.

  »Kommt mir vor, als ob die Architektur ein bisschen abnorm ist.«

  »Ein bisschen? Mann, dieser Kerl ist ein Gorilla.«

  Parrish stolperte ziellos durch die dunklen unterirdischen Gänge der Klinik. Er hatte seinen Mantel angezogen, trug aber immer noch das Kleiderbündel unter dem Arm und den Umschlag mit den Bildern in der Hand. Einen Augenblick blieb er vor einem der schwarzen Verbrennungsräume stehen. Es gab zwei Verbrennungsschächte, und aus einem der beiden schlugen Flammen. Sonst waren da nur leere Büchsen, Kästen und Kartons und allerlei Abfall, der auf seine Vernichtung wartete. Er schaute noch einmal auf den Gang; kein Mensch war zu sehen. Er ging auf den rauchenden Schacht zu. Gelbrote Flammen leckten kurz über den Rand hoch. Er ballte die blutigen Kleidungsstücke zusammen und warf sie mit vor sich selbst gespielter Gleichgültigkeit ins Feuer.

  Draußen hatte weicher Schneefall eingesetzt. Der Schnee rieselte sanft auf den Gebäudekomplex der Medical School, auf die alten Türme des Brigham Hospitals, das Baugerüst an der alten Vanderbilt Hall und auf die gelegentlich vorbeikommenden Autos mit ihren leise quietschenden Scheibenwischern. Parrish stapfte durch die dunklen, leeren, weißen Straßen zur Bushaltestelle Huntington Avenue - benommen vor Scham.

  Cambridge: Harvard Medical School,

  Van Buren Park Zoo,

  April 1976

  Emily und die Kinder kamen am Karfreitag, dem 16. April, einem frischen, strahlenden Sonnentag, aus Afrika zurück. Jessup holte sie am Flughafen ab, ängstlich gespannt und sogar etwas ärgerlich. Er hatte seinen Nachmittagskurs über Die Methodologie des Bewusstseins absagen müssen, und schon bei kleinen Änderungen in der täglichen Routine fühlte er sich immer aus der Bahn geworfen.

  Andererseits, wenn Frau und Kinder nach einem Jahr zurückkamen, Trennung hin, Arbeit her, dann konnten sie wohl erwarten, dass man sie abholte und in ihr neues Heim brachte. Zudem ließ sich auch nicht ableugnen, dass er sie arg vermisst hatte. Er war ein Einzelgänger, aber gerade wegen seiner Einsamkeit hatten sie ihm gefehlt. Auch das Alleinsein verlangt eine Struktur, jemanden im Zimmer nebenan, von dem man sich zurückziehen kann. Er war zu viel allein gewesen, manchmal seiner selbst überdrüssig. In seiner siebenjährigen Ehe hatte er mit einer unablässig siedenden Wut gegen die Unordentlichkeit seiner Frau gelebt: die Risse im Stoffüberzug der Sessel, aus denen die Polsterung quoll, immer Windeln oder Spielzeug unter den Füßen, nachmittags ihre Anrufe im Büro oder im Labor (»Hör mal, ich hab' heute keine Zeit, mich ums Essen zu kümmern, kannst du ein paar Sachen aus der Imbissstube holen?«), der ganze häusliche Kleinkram, Kinderkrankheiten, die idiotischen Gespräche mit dem Kinderarzt, das ganze absurde Gefängnis von Ehe und Vaterschaft. Aber als er dann allein und frei war und alles im Haus immer sauber und hübsch an seinem Platz blieb, merkte er, dass seine Wut immer noch brodelte, jetzt aber ohne Ziel, eine formlose, gärende Wut, die er manchmal nur schwer beherrschen konnte; in solchen Zeiten glaubte er sich am Rand des Wahnsinns, die Empfindung von etwas Grauenhaftem gleich hinter der Randzone seiner zivilisierten Vernünftigkeit, ein Grauen, das dort lauerte wie eine Rotte von Raubtieren im Dunkel des Urwalds. Seine Wut hatte ihren Grund also gar nicht in den zerrissenen Vorhängen und Polstermöbeln, den fixfertigen Mahlzeiten aus der Imbissstube, den Windeln, den Tampon-Schachteln im Bad. Die Wut lag ganz bei ihm, war schon immer nur seine Sache gewesen.

  Als Emily endlich durch den Zoll war und mit den beiden Mädchen den Gang herunterkam, entdeckte sie Jessup sofort jenseits der Barriere; er stand dort wie der typische Ehemann und Vater, ein Willkommenslächeln im Gesicht und in den Augen ein vielleicht etwas zu freudiges Strahlen. Er bahnte sich einen Weg durch das Gedränge und umarmte sie heftig, dann die Kinder, erst einzeln, dann zusammen, und dann schloss er Emily noch einmal fest in die Arme. Dabei hatte er eine riesenhafte Erektion, und Tränen traten ihm in die Augen. »Mann, o Mann, wie gut ihr alle ausseht«, sagte er immer wieder mit rauer Stimme.

  Und sie sahen wirklich gut aus nach einem Jahr afrikanischer Sonne. Emily trug einen frechen Safarirock; sie wusste, dass sie aufsehenerregend
e Beine hatte. Sie war betroffen vom Überschwang dieser Begrüßung, vor allem von Jessups Tränen. Er nahm die dreijährige Margaret auf den Arm, schob den Gepäckwagen vor sich her dem Ausgang zu und rief dabei seiner älteren Tochter zu: »Komm, Grace, wir machen jetzt, dass wir dieses Gepäck nach Hause kriegen! Ich weiß, dass du mir was mitgebracht hast, und das will ich sehen!« Er wirbelte plötzlich herum und starrte die sechsjährige Grace an, die hinter ihm hergerannt war und jetzt quietschend und glucksend stehenblieb. Er beugte sich vor und blickte ihr gespielt grimmig in die Augen. »Du hast doch wohl was mitgebracht, oder?«

  »Ja!«, quietschte die Kleine vergnügt.

  »Na, das will ich auch meinen«, sagte Jessup, machte auf dem Absatz kehrt und ging weiter in Richtung Ausgang.

  Die Leute in der Ankunftshalle drehten sich um und betrachteten lächelnd diese fröhliche Szene. Es war genau die Art von pathetischem Familienglück, die Jessup vor einem Jahr noch so sehr verabscheut hatte, dachte Emily. Sie ging hinter ihnen her und begann sich zu fragen, ob Jessup vielleicht wirklich am Rande des Wahnsinns war, wie Mason Parrish ihr geschrieben hatte. Diese ganze Szene war so auffällig und ungewohnt.

  Es gab eine Menge Gepäck. Jessup verteilte es auf Dach, Kofferraum und Sitze; Grace saß hinten neben ihrer Mutter auf einem Koffer, und Margaret war vorn zwischen Gepäckstücken und Vaters Ellenbogen eingeklemmt.

  Die Fahrt nach Cambridge über den glitzernden Charles River dauerte eine knappe halbe Stunde. Die beiden Mädchen reckten ihre Hälse, um nach vertrauten Gegenden Ausschau zu halten, stellten aber immer wieder jammernd fest, dass sie überhaupt nichts wiedererkannten. Emily hatte ihre braunen Beine übereinandergeschlagen und berichtete plaudernd von ihrer Arbeit in Afrika.

  Es war für sie ein gutes Jahr gewesen. Fast elf Monate lang hatte sie in der Serengeti zwei Herden von Pavianen beobachtet und sich vor allem auf ihre Rufe konzentriert. Sie war sicher, dass sie ein paar wirklich großartig neue Erkenntnisse über das Kommunikationssystem der Paviane mitgebracht hatte. Unter anderem hatte sie herausgefunden, dass Paviane gar nicht so reine Fruchtsammler und Insektenfresser waren, wie man angenommen hatte, und dass sie häufiger als vermutet nach Beutetieren jagten. Zweimal konnte sie beobachten, wie ein Pavianenpaar junge Thomson-Gazellen tötete und fraß. Dabei hatte zwischen den beiden eine Art rudimentäre Kommunikation stattgefunden, die sich merklich von den üblichen Grunz-, Schnalz- und Schmatzlauten unterschied. Wenn das Fleischfressen für das Überleben der Art notwendig geworden war, so vermutete Emily, dann waren die Paviane vielleicht inzwischen auch zum Gebrauch von Jagdwerkzeugen übergegangen und hatten möglicherweise noch andere menschenähnliche Verhaltensweisen entwickelt, vielleicht sogar eine Sprache. Solche wilden Spekulationen konnte sie natürlich nicht öffentlich aussprechen, aber sie war sicher, einer wichtigen Entdeckung auf der Spur zu sein. Jedenfalls interessierte sie sich gerade jetzt besonders für die neueren Untersuchungen auf dem Gebiet der außersprachlichen Kommunikation bei Schimpansen.

  Von den großen Affen sind die Schimpansen dem Menschen am nächsten verwandt, und in letzter Zeit wurden - vor allem von Alan und Trixie Gardner an der University of Nevada - immer mehr Beweise dafür gefunden, dass Schimpansen zu symbolischer Kommunikation fähig waren. Sie hatte schon mit den Gardners korrespondiert und wollte sie in ein paar Wochen einmal besuchen. Den ganzen Sommer über hatte sie nichts weiter zu tun als ihren Bericht zu schreiben.

  »Du hast nicht vielleicht Aufnahmen von diesen Pavianlauten gemacht?«, fragte Jessup, während er ihr half, das Gepäck die Eingangstreppe zu ihrer neuen Wohnung hinauf zu schleppen.

  »Doch, natürlich hab' ich das, warum?«

  »Das würde ich wirklich gern mal hören.«

  »Selbstverständlich kannst du das«, sagte Emily und öffnete die Tür.

  Ihre neue Wohnung - sie hatte sie kurz vor dem Abflug nach Afrika gemietet - lag im Erdgeschoß eines weißen Cape-Cod-Hauses in der Warren Street. Der Vermieter begrüßte sie von einem Fenster im zweiten Stock aus: »Ich habe die Fenster aufgemacht, damit es ein bisschen auslüftet«, rief er herunter, »und ich habe ein Telefon installieren lassen.«

  »Vielen Dank, Mr. Lindsay.« Emily strahlte nach oben und betrat dann den Eingangsflur.

  Jessup hielt die Tür auf, damit die Kinder ihre Sachen hereintragen konnten.

  Mr. Lindsay kam die Treppe herunter und berichtete, er habe ein paar Vorräte eingekauft und in den Kühlschrank gelegt. Es wurde viel gelächelt, und immer wieder hörte man: »Ach, ist das gut, wieder zu Hause zu sein.« Emily machte den Vorschlag, alle zusammen in die Stadt zu fahren, Hamburger zu essen und ein paar Lebensmittel einzukaufen; auspacken konnten sie ihre Koffer und Kisten ja später.

  Aus dem Wohnzimmerfenster sah sie ihrem Mann zu, wie er ein großes, bauschiges Stoffbündel und einen Karton mit Büchern über den schmalen Weg zur Eingangstür schleppte. Er sah nicht sehr verändert aus, vielleicht etwas dünner. Sie ging nach draußen und half ihm. Mit einem Schwung ließ er den Bücherkarton in den Hausflur plumpsen und blickte schwitzend und lächelnd zu ihr auf. Sie fühlte eine Welle von Zärtlichkeit in sich aufsteigen.

  »Wie ist es dir denn ergangen, Eddie?«, fragte sie.

  Er zögerte einen Augenblick mit der Antwort, runzelte die Stirn, lächelte dann wieder. »Ich weiß nicht recht«, sagte er, »es hat sich allerhand Merkwürdiges abgespielt.«

  Sie wollte schon sagen, dass sie Bescheid wusste, schwieg dann aber doch lieber.

  Gegen vier Uhr nachmittags gingen die beiden Mädchen auf die Straße, um sich nach anderen Kindern umzusehen. Jessup saß mit einer Tasse Kaffee am Küchentisch, und Emily sortierte die schmutzige Wäsche aus einem großen Leinenkoffer, der mitten in der Küche auf dem Boden lag. Es war Emily sehr bald gelungen, in der ganzen Wohnung jene bezaubernde Unordnung herzustellen, die sie so sehr zu lieben schien. Kartons, kleine Kisten, Koffer, Tragetaschen lagen halb ausgepackt überall herum; Kleidungsstücke häuften sich auf den Betten und Fußböden; Bücher und Notizblöcke, Filmdosen, Kassetten und Spulen bildeten auf Betten, Stühlen und Tischen kleine Stapel. In diesem Durcheinander bewegte sie sich nach einem undurchschaubaren privaten Schema mal hierhin, mal dorthin; mit den ersten Schatten der Dämmerung knipste sie das Licht an. Jessup schaute ihr zu, wie sie kam und ging, sich bückte und wieder aufstand, wie ihr freches kleines Hinterteil sich unter dem Rock bewegte, und immer, wenn ihre Blicke sich trafen, lächelten sie einander flüchtig zu. Dann setzte sie sich plötzlich Jessup gegenüber an den Tisch, schenkte sich eine Tasse Kaffee ein und sagte:

  »Vor ungefähr einer Woche habe ich von Mason einen Brief bekommen. Er sagt, dass du dein altes Forschungsvorhaben aufgegeben hast und jetzt mit Milton Mitgang am Massachusetts Mental In-Vivo-Untersuchungen an Schizophrenen machst.«

  Jessup nahm einen Schluck Kaffee, sagte aber nichts dazu.

  »Und zwar ohne Genehmigung«, fügte Emily hinzu.

  »Was hat er noch geschrieben?«

  »Er sagt, du hättest Mitgang vorgelogen, dein Vorhaben sei vom Forschungsrat genehmigt worden. In Wirklichkeit hast du aber von niemandem eine Genehmigung, auch nicht vom Chefarzt der Abteilung, oder? Mason sagt, du verwendest eine sehr komplexe Droge, die du aus Mexiko mitgebracht hast; sie ist noch kaum erforscht und mordsgefährlich.«

  »Tatsache ist, dass Mitgang mit unseren Untersuchungen äußerst zufrieden ist. Wir sind erst seit fünf Wochen dabei, aber wir haben jetzt schon verminderte Konzentrationen von dopaminergischen Stoffwechselprodukten im Urin gefunden. Wir haben auch N-methoxy-bufatonin in den Urin-Seren gefunden; das ist ein Melatonin-Analogon, ein für Schizophrenie spezifischer Stoff, der die Theorie von den toxischen Stoffwechselprodukten unterstützt. Mitgang hat sich schon immer für diese Theorie stark gemacht.«

  »Lieber Himmel, Eddie, du kannst ohne Genehmigung keine Lebenduntersuchungen an Menschen machen. Du wirst furchtbare Schwierigkeiten kriegen.«

  »Mitgang ist so vernarrt in diese Droge, dass er sie an eine Firma verkaufen will, bei der er klinischer Berater ist.«

  »Ist Evans immer noch Mitgangs Abteilungschef? Er wird bald wissen
wollen, weshalb euer Protokoll nicht bei seinen Akten ist. Ihr werdet beide vor den Disziplinar-Ausschuss kommen. Du wirst deinen Job verlieren und kannst froh sein, wenn du irgendwo einen anderen findest.«

  Jessup schlug plötzlich mit der Faust auf den Tisch, dass die Tassen hochsprangen. Mit einem Ausdruck von blinder Wut starrte er Emily an. »Was hat Mason noch geschrieben?«, brüllte er.

  Emily sah ihn direkt an. »Er sagt, dass du im letzten Jahr etwa zwei Gramm von dieser Droge genommen hast, dass du vor drei Monaten eine sehr merkwürdige genetische Regression durchgemacht hast, die er für eine beginnende Tumorbildung hielt, und dass du wahrscheinlich schon Leukämie oder Lymphome hast. Er hätte immer wieder versucht, dich zu einer gründlichen Untersuchung zu überreden, aber du hättest abgelehnt. Er macht sich die größten Sorgen, dass du überschnappst. Er findet auch dein Verhalten sehr merkwürdig und hat mich inständig gebeten, mit dir über diese Geschichte zu reden.«

  Jessup saß einen Augenblick mürrisch schweigend da. Dann knurrte er: »Mason ist eine pathologische Tratsch-Tante; er ist einfach nicht in der Lage, sein Maul zu halten.«

  »Er macht sich Sorgen um dich.«

  »Er ist ein dämlicher, vorlauter, engstirniger Idiot.«

  »Mason ist ein erstklassiger Arzt.«

  »Er ist ein erstklassiger einfältiger Maulheld!«, bellte Jessup. »Es ist keine Leukämie oder sonst irgendein Krebs! Er hat doch einen Leber-Milz-Test und ein CAT-Scan mit mir gemacht! Er hat mein Blut untersucht, mich ausgeleuchtet und abgetastet. Seit drei Monaten schiebt er mir nun schon alle halbe Stunde oben und unten einen Spiegel rein. Und er findet nicht die geringsten Anzeichen von Krebs!« Er war aufgesprungen, rot vor Zorn, seine Hände zitterten unter der Anstrengung, seine Wut zu beherrschen. »Wie kann er es wagen, dir darüber zu schreiben!«, schimpfte er. »Was hat er sonst noch geschrieben? Was hat er dir sonst noch erzählt? Seinen Mund sollte er halten, und sonst gar nichts! Jedem muss er immer alles auf die Nase binden!«

 

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