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Charisma

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by Michael G. Coney


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  Michael G. Coney – Charisma

  kleine Tatsachen.« Seine Stimme wurde plötzlich hart. »Also bleiben Sie bei der Wahrheit, ja?«

  »Ich bin zur Starfish Bay gefahren, allein, um über einiges nachzudenken. Ich habe sie bis etwa fünf Uhr dreißig nicht verlassen.« Das Auge der Spoolette registrierte meinen Ausdruck, zeichnete meine Stimme auf. Das Resultat würde später ohne Eile ausgewertet werden.

  »Immer noch allein? Niemand hat Sie während all dieser Stunden gesehen?«

  Es hatte keinen Sinn, die Station zu erwähnen; Stratton würde meine Behauptung niemals bestätigen; nicht jetzt. Dann fiel mir das Hotel an der Straße ein. Aber ich hatte nur kurz in die Bar geblickt und war sofort wieder gegangen; der Barmann hatte mich nicht einmal bemerkt. Man erwartet schließlich an einem normalen Tag nicht, ein Alibi beibringen zu müssen.

  »Ich war allein«, sagte ich.

  Er seufzte. »Was für ein Jammer«, sagte er.

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  KEIN MANN GIBT GERNE ZU, daß ein anderer Mann ihm Angst einflößt; statt dessen gebrauchen wir Euphemismen, ohne sie als solche zu erkennen. Wir sagen, zum Beispiel, daß wir einen Menschen respektieren. Oder daß so ein Mensch dynamisch ist.

  Oder daß er eine magnetische Persönlichkeit besitzt. Vielleicht sagen wir, daß er aggressiv ist oder unberechenbar oder paranoid oder gerissen oder daß er ein großes Maul hat. Was wir meinen ist, daß er uns auf die eine oder andere Art Angst einflößt. Bascus machte mir Angst. Ich war gezwungen, mir das einzugestehen, weil ich zitterte, als ich das Zimmer verließ.

  Bascus war groß und gerissen und klug, und ich spürte, daß er mich nicht sehr mochte, er würde glücklich sein, mich hinter Gitter bringen zu können, es sei denn, er fände einen besseren Verdächtigen. Als er vor mir stand, kam ich mir vor wie ein schuldiges Schulkind, und ich kämpfte mit einer impotenten, kindischen Wut dagegen an, weil ich wußte, daß der Fehler bei mir lag. Wenn ich ihm nicht standhalten konnte, gab ich damit zu, daß er ein besserer Mann war als ich.

  Natürlich waren alle Vorteile auf seiner Seite. Ich stand durch den Anblick der Leiche unter Schockwirkung und war noch immer von den Ereignissen der letzten Tage beeinflußt –

  während für ihn eine Leiche eine alltägliche Angelegenheit war, wie ich vermutete. Außerdem konnte ich mich nicht von einem Schuldgefühl befreien, weil ich in letzter Zeit einige Male überlegt hatte, wie viel leichter alles sein würde, wenn Mellors aus dem Weg war…

  Pablo begrüßte mich in der Bar. »Wie ist es gelaufen?« Alle waren da: Alan Copwright, Dorinda Mellors, Dick Orchard, Pablo… ich. Und jeder von uns konnte der Mörder sein.

  »Nicht allzu schlecht«, sagte ich grinsend und bestellte einen Scotch. »Er will jetzt mit Ihnen sprechen, Dorinda.«

  Mellors Frau verließ uns, eine graue, unbedeutende Frau, und wir merkten kaum, daß sie nicht mehr da war.

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  Am nächsten Tag fuhr ich zur Station, um mit Stratton zu sprechen; meine Zunge fühlte sich an wie ein Stück rohe Leber, und ich hatte einen fauligen Geschmack im Mund. Der Tag war hell und wunderschön, und das Sonnenlicht brannte in meinen Augen. Ich beschloß, das Trinken zu reduzieren, und faßte gleichzeitig den Vorsatz, das Rauchen ganz aufzugeben. Die Steuerdüsen des Hover-Car funktionierten schlecht, und die Schlingerbewegung bei der Fahrt auf den vor der Stadt liegenden Hügel war schlimmer als an Bord einer Hover-Yacht bei Windstärke neun. Als ich die Station erreichte, hatte ich ein sehr flaues Gefühl im Magen.

  Stratton deutete auf einen Stuhl. »Ich dachte, Sie hätten gesagt, daß Sie mit der Sache fertig seien.«

  »Wissen Sie, daß Mellors tot ist?«

  Ein seltsamer Ausdruck trat auf sein Gesicht; er nickte leicht, als ob er diese Nachricht erwartet hätte. »Nein«, sagte er.

  »Wann ist das geschehen?«

  »Gestern nachmittag. Was haben Sie die ganze Zeit über getan?«

  Er fuhr mit den Fingern durch sein dunkles Haar. »Ich habe hier gearbeitet. Seit ich mit Ihnen gesprochen habe. Wie ist er gestorben?«

  »Er ist ermordet worden.«

  »Verstehe… Haben sie den Mörder erwischt?«

  »Soviel ich erfuhr, ist zuletzt Alan Copwright vernommen worden«, sagte ich boshaft, ohne zu erwähnen, daß das zwölf Stunden zurücklag.

  »Copwright? Was für ein Blödsinn. Copwright würde niemals jemanden töten; dazu fehlt ihm der Mut. Er bringt nicht einmal den Mut auf, die Longhurst ins Bett zu bringen, und sie hat es weiß Gott nötig. Nein. Da hat die Polizei den falschen Mann erwischt. Ich habe mich schon gewundert, warum er heute nicht hier ist.«

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  Ich gab nach. »Als ich abfuhr, saß er noch beim Frühstück. Er wird bald hier sein.«

  »Sie haben ihn im Hotel untergebracht? Danke… Hören Sie, falls Sie hergekommen sind, um über Mellors zu sprechen, ich bin daran nicht interessiert. Der Mann war ein Widerling.«

  »Jetzt, wo er aus dem Weg ist, dürfte einiges für Sie leichter werden.«

  Er runzelte die Stirn. »Meinen Sie? Ja, wahrscheinlich schon. Er hatte den lächerlichen Einfall, uns erpressen zu wollen. Aber damit wäre er niemals durchgekommen.«

  »Er ist ja damit auch nicht durchgekommen. Stimmt’s?«

  »Was wollen Sie damit sagen?«

  »Nicht so wichtig, Stratton. Vergessen Sie es. Ich meine nur, daß eine ganze Reihe von Menschen ihn erledigt haben könnte, das ist alles. Ich kann überall Motive sehen, und die Polizei bestimmt auch. Privat sah Mellors ganz anders aus als sein öffentliches Image. Deshalb hängt alles von Alibis ab.«

  »Alibis?«

  »Ich werde ein Alibi brauchen, Stratton. Ich habe der Polizei gesagt, daß ich den ganzen Nachmittag über allein an der Starfish Bay gewesen sei, und man war davon nicht sehr beeindruckt. Also müssen Sie mir helfen.«

  Sein Gesicht verdüsterte sich. »Wie?«

  »Indem Sie das Experiment erklären.«

  »Ich habe Ihnen doch gestern gesagt, warum ich das nicht tun kann. Das müssen Sie schon allein hinkriegen, Maine.«

  »Mein Gott, Mann! Sie könnten mich wegen Mordes verhaften!«

  Sein Gesicht verdüsterte sich noch mehr, während er mich nachdenklich anblickte, und wieder hatte ich das Gefühl, daß er mich haßte.

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  »Verstehe«, sagte er langsam. »Das wäre sehr bedauerlich. Ich werde Ihnen sagen, was wir tun können. Falls es jemals dazu kommen sollte – daß Sie verhaftet werden, meine ich –, werde ich Ihnen ein Alibi verschaffen. Aber nur als letzte Möglichkeit.

  Ansonsten ist es an Ihnen, sich da herauszuhauen.«

  »Vielen Dank.«

  »Das ist doch selbstverständlich«, fuhr er fort, ohne auf meinen Sarkasmus einzugehen. »Aber natürlich erwarte ich dafür eine kleine Gegenleistung. Zum Beispiel Ihre Einwilligung, auch in Zukunft an unseren Experimenten mitzuarbeiten.«

  Zum Glück für ihn öffnete sich in diesem Augenblick die Tür, und Alan Copwright trat herein. »Hallo, John«, sagte er und blickte mich kurz an. »Guten Morgen, Sir. Ich vermute, Mr.

  Maine hat Ihnen bereits gesagt, daß ich aufgehalten worden bin.«

  »Das war gestern nacht, aber lassen Sie nur. Ich habe schon immer gefunden, daß der Service im Falcombe Hotel verdammt langsam ist.«

  Copwright wurde rot. »Ich bin erst spät zu Bett gekommen. Die Polizei hat mich als letzten vernommen. Es war fast Mitternacht, als das Verhör begann, und es hat eine ganze Weile gedauert.

  Und danach habe ich auch nicht besonders gut geschlafen.«

  »Schlechtes Gewissen?« fragte Stratton.

  »Hören Sie, ich könnte in Schwierigkeiten geraten. Bascus –

  das ist der Polizist – weiß alles über unseren Disput mit Mellors.

  Und anscheinend hat auch jemand eine dumme Bemerkung von mir mitgehört, daß ich ihn erwürgen könnte oder so was.«

  »Ist er denn erw�
�rgt worden?« fragte Stratton mit dem Interesse eines Menschen, der nicht betroffen ist.

  »Nein. Der Laborbericht traf ein, während ich vernommen wurde. Er ist anscheinend durch das Auge erschossen oder erstochen worden, während er auf dem Bett lag und schlief.«

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  Ich erschauerte ein wenig, als die Erinnerung wieder wachgerufen wurde. Die tödliche Wunde war durch das Augenlid zugefügt worden…

  Stratton sagte: »Man muß doch den Unterschied zwischen einem Schuß und einem Stich feststellen können. Hat man eine Kugel gefunden?«

  »Anscheinend nicht. Die Leute im Labor haben sich bestimmt auch darüber gewundert. Die Wunde entsprach in mehrerer Hinsicht einer Schußverletzung, und es waren auch Pulverspuren im Gesicht. Aber als sie, agh…« – er schluckte – »als sie suchten, konnten sie keine Kugel finden. Sie hat den Kopf auch nicht durchschlagen. Sie war einfach nicht da.«

  »Das begreife ich nicht«, sagte ich.

  »Es war ein kleines Kaliber, das ist alles, was sie sagen können. Bascus war da ganz offen; er hat mir den Bericht sogar vorgelesen. Er ist ein komischer Detektiv. Ich hatte immer geglaubt, daß sie kein Wort reden, Spuren suchen, und am Ende den Mörder plötzlich entlarven.«

  »Am Ende von was?« fragte Stratton mit grimmigem Humor.

  »Dies ist kein Roman, sollten Sie wissen.«

  Copwright wirkte ein wenig überrascht. »Das stimmt, Sir.

  Komisch, daß Sie das sagen. Wissen Sie, ich habe immer wieder das Gefühl, daß nichts von allem wirklich geschieht. Es scheint alles so völlig außerhalb der Realität zu liegen. Ich denke, das kommt von meiner Müdigkeit.«

  »Wie gut ist Ihr Alibi?« fragte ich ihn sachlich.

  »Alibi? Ich habe Bascus gesagt, daß ich Mellors am Nachmittag gesprochen habe. Ich mußte es ihm sagen; die Rezeptionistin hat mich zu seinem Zimmer hinaufgehen sehen. Das war kurz nach drei, glaube ich. Aber es ist bestimmt nicht tragisch. Ich bin sicher, daß ihn irgend jemand danach noch lebend gesehen hat.«

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  Er war wirklich sehr naiv. »Jemand wie der Mörder, meinen Sie?« fragte ich ihn. »Es besteht sehr wenig Aussicht, daß der freiwillig Informationen beisteuert. Um welche Zeit ist der Mord nach dem Befund passiert?«

  »Das konnten sie nicht genau sagen, aber sie meinen, daß es lange nach drei geschehen sein muß. Es war sehr heiß in dem Raum, und dadurch ist es anscheinend schwierig, den Zeitpunkt des Todes genau festzulegen.«

  »Oder Bascus will nicht, daß er bekannt wird«, sagte ich. »Nur weil er Sie einmal in die Karten hat blicken lassen bedeutet das nicht, daß er Ihnen alles sagt. Wo waren Sie, nachdem Sie Mellors verlassen haben?«

  »Er ist sofort zur Station zurückgekehrt«, sagte Stratton bestimmt. »Ich kann die Zeit seiner Ankunft hier jederzeit bestätigen, Maine. Und damit ist ein Verdächtiger aus dem Spiel.

  Was das Feld ein wenig begrenzt, wenn Sie mir folgen können.«

  Wir starrten einander ein paar Sekunden lang an, und ich dachte: Damit sind nur noch Pablo, Dick und Dorinda im Rennen.

  Und jemand, an den noch niemand gedacht hat. Und ich.

  Stratton beobachtete mich, versuchte in meinem Gesicht zu lesen. »Machen Sie wieder mit, Maine«, sagte er. »Ein kurzer Trip in die Vergangenheit dürfte keinerlei Schwierigkeiten bringen. Welt minus 8, einverstanden? Eine Gelegenheit herauszufinden, was wirklich geschehen ist; die ganze Geschichte könnte dupliziert werden. Vielleicht sehen Sie…« Er zögerte.

  »Ich meine, es wäre möglich, daß auch andere Menschen noch am Leben sind…«

  Er meinte Susanna. Ich sah ein Flackern hinter seinen Augen, als er sprach. Es war entweder Haß oder Eifersucht – ich weiß nicht, was von beiden. Und es war mir auch egal.

  »Sie bekommen Ihr Alibi«, setzte er hinzu. »Und es gibt immer… den anderen Faktor. Ich will sagen, daß Sie nichts zu verlieren haben.«

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  Das Netz zog sich wieder enger zusammen, der Tod nagte an der Grenze meiner Existenz. Alan verließ auf einen Wink von Stratton den Raum, und wir beide hingen eine Weile unseren eigenen Gedanken nach. Stratton rauchte eine Zigarette nach der anderen, sein gebräuntes Gesicht verschlossen, den Blick auf den sich kräuselnden Rauch gerichtet. Ich fragte mich, was mir bevorstehen würde. Strattons Gedanken hatten sich ebenfalls den persönlichen Aspekten zugewandt.

  »Im Krankenhaus…« murmelte er. »Welt 2. Sie haben gesagt, daß auf Ihrem Boot ein Feuer ausgebrochen sei und Sie davon getötet wurden, aber ich sei mit Verletzungen davongekommen.

  Wie schwer waren sie?«

  »Schlimm, würde ich sagen.«

  Er blickte mich nachdenklich an. »Es gibt keinen Grund zu der Annahme, daß eine ernsthafte Verletzung in einer Welt in einer anderen wiederholt werden muß«, sagte er. »Die Parallelisierung scheint sich eher auf den Tod zu beziehen.«

  »Das ist ein tröstlicher Gedanke, für Sie.«

  »Nein. Hören Sie mir zu, Maine. Der Tod zieht Konsequenzen nach sich, weil er ein Bewußtsein auslöscht, das anderenfalls in der Lage gewesen wäre, zukünftige Ereignisse zu beobachten oder zu formen. Die ganze Existenz dieser Welten hängt von den Intelligenzen ab, die sie bewohnen. Wenn auf Welt 2 dieselben Menschen leben wie auf Welt 1, müssen die Geschichtsverläufe beider Welten auf ähnlichen Wegen vor sich gehen, weil es dieselben Menschen sind, die diese Geschichtsverläufe bestim-men. Natürlich wird es einige Abweichungen geben, aber die werden ausgeglichen, wie wir gesehen haben.«

  »Und Sie fragen sich, wann ich ausgeglichen werde«, sagte ich kalt.

  »Vielleicht haben Sie Glück.« Er versuchte, mir Mut zu machen.

  »Vielleicht werden Sie sehr alt. Schließlich muß es einige Widersprüchlichkeiten geben, wie sonst sollten wir wissen, daß

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  es parallele Welten gibt? Wenn sie alle mit dieser Welt identisch wären, würden sie diese Welt.«

  Wir diskutierten diese Frage eine Weile, und schließlich erklärte ich mich bereit, an diesem Nachmittag mit einer Reise zu Welt minus 8 weiterzumachen. Ich gab nicht gleich nach. Gegen meine eigene Überzeugung ließ ich Stratton hart darum kämpfen.

  Natürlich verbrachte ich den Rest dieses Vormittages in mageneinschnürender Erwartung. Natürlich hatte sich das Bild Susannas in mein Gehirn gebrannt, als ich nach einer anscheinend widerwilligen Zustimmung zu Strattons Plänen von der Station fortfuhr. Ich war wieder verliebt, verliebt in das Leben, verliebt in die Liebe, ein Junge, der vor seiner ersten Verabre-dung die Zeiger der Uhr vorschieben möchte. Als ich den Wagen den schmalen Weg hinab nach Falcombe lenkte, waren Bascus und seine Untersuchungen aus meinem Bewußtsein verdrängt.

  Ich hatte aber trotzdem einen Rest Vernunft bewahrt; also parkte ich den Wagen auf dem Pier und ging ins Waterman’s Arms zum Lunch. Ich sah den Jungen wieder vom Vorderdeck meiner Hausyacht fischen und machte mir nicht einmal die Mühe, ihn anzuschreien. Ich wollte unauffällig bleiben, bis es Zeit wurde, zur Starfish Bay zu fahren.

  Das Restaurant des Waterman’s Arms ist ein kleiner Raum in imitiertem Tudor-Stil, mit viel Messing und Eichenbalken und, in einer Ecke, einem bemerkenswerten 3-V Mobile.

  Letzterer Einrichtungsgegenstand, den überzeugensten seiner Art, den ich jemals gesehen habe, muß den Eigentümer ein Vermögen gekostet haben. Es besteht aus einem imitierten (oder auch echten, wer kann das wissen?) Eichentisch und vier Stühlen im antiken Stil, und die Wand im Hintergrund geht ohne sichtbaren Bruch in die wirkliche Wand über. Auf dem Tisch ist ein gewaltiges Mahl aufgefahren, in Befolgung der Vorstellung, daß im sechzehnten Jahrhundert oder so der Appetit der Menschen grenzenlos war. Oder es gab eine zahlreiche

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  Dienerschaft, die alles, was übrigblieb, vertilgte. Da ist ein Eberkopf mit einem Apfel in der Schnauze, schön glasiert. Da sind gebratene Fasane, Schinken, Schweine- und Rinderbraten und Berge von Gemüse in allen Farben, die ich nicht einmal
beim Namen kenne. Die Bestecke sind aus Silber und die mit rubinrotem Wein gefüllten Gläser aus geschliffenem Kristall.

  Auf den vier Stühlen sitzen vier handfeste Elisabethanische Typen, trinkend und essend und lachend und rülpsend, doch alles gedämpft, um die wirklichen Esser nicht zu stören. Tag für Tag machen sie ihre Vorführung und verleihen dem Raum Atmosphäre. Irgendwann tritt auch ein Minnesänger auf, zupft die Saiten seines Instruments und singt ein traditionelles Lied jener Tage.

  Ich finde das Ganze ein wenig übertrieben. Es mag recht gut für Touristen sein, die es nur einmal auf der Durchreise sehen, doch ich esse häufig im Waterman’s, wenn ich von dem Menü des Falcombe Hotels die Nase voll habe, und kenne das Programm inzwischen auswendig, bis auf den letzten Rülpser.

  Einmal habe ich Wilfred, den Barmann, gefragt, wie lange die Show dauere, und er sagte, vier Stunden, das heißt, genau so lange wie die abendliche Dinnerzeit. Das heißt, vier Schauspieler mußten sich hingesetzt und vier Stunden lang getafelt haben, während die 3-V Kameras liefen…

  Ich saß mit dem Rücken zu dem Stereomobile, und die Kellnerin brachte mir die Karte. Sie war ein hübsches Mädchen mit dunklen Augen, die lächelten, aber ich brauchte keine hübschen Mädchen. Ich war nicht einmal sicher, ob ich Essen brauchte. Alles, was ich brauchte, war ein ruhiger Ort, wo ich sitzen und mich auf den Nachmittag freuen konnte – und hoffen, nicht enttäuscht zu werden. Weil die Susanna, die ich in Welt minus 8 treffen mochte, mich nie kennengelernt hatte. Und wenn doch, würde sie mich nicht wiedererkennen, weil ich wieder getarnt war. Aber ich konnte ihr schließlich sagen, wer ich sei, und sie würde das verstehen, weil sie bei der Forschungsstation von Welt minus 8 arbeitete. Und dann, viel-

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  leicht… Ich wußte es nicht. Ich konnte mir nicht vorstellen, was dann geschehen würde. Vielleicht mochte sie mich nicht.

  Pablo und Dick saßen mir gegenüber und blickten mich seltsam an.

  »Oh, hallo ihr beiden.«

  »Das ist doch nett von ihm, findest du nicht auch, Dick? Der Bastard spricht mit uns. Jesus, eine Weile dachte ich, er sei ein anderes Mobile, das diese Kneipe gekauft hat. Obwohl keines-wegs ein so malerisches wie das in der Ecke.«

 

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