Book Read Free

Faded Duet 2 - Faded - Wenn alles stillsteht

Page 7

by Julie Johnson


  Es gibt Geheimnisse, die sie noch niemandem anvertraut hat.

  Aber dieser Zeitpunkt wird kommen.

  Bevor diese Tournee vorbei ist, bevor sie wieder aus meinem Leben verschwindet … wird sie mir ihre Wahrheit erzählen und meine hören. Egal, wie sehr sie versucht, mich von sich zu stoßen und auf Distanz zu halten.

  Ich betrete die dunkle Wohnung und mache mir nicht die Mühe, das Licht anzuschalten. Das Verlangen nach ein paar stärkenden Schlucken Whiskey ist so stark, dass es mich beinahe überwältigt, aber ich unterdrücke den Drang und zünde mir stattdessen eine Zigarette an. Dann gehe ich auf die Dachterrasse hinaus und blicke auf die sieben Stockwerke unter mir liegende Straße hinunter. Musik driftet durch das offene Fenster der Wohnung neben meiner – dem Klang nach ist es Aiden, der seinen Bass stimmt. Ich höre ein vertrautes Lachen und frage mich, ob Lincoln bei ihm ist.

  Ich könnte an ihre Tür klopfen, aber wenn man bedenkt, wie wütend sie bei unserer letzten Begegnung auf mich waren, stehen die Chancen, ein kaltes Bier oder die kalte Schulter gezeigt zu bekommen, genau fifty fifty. Sie haben Felicity nie vergeben, dass ihretwegen die Tournee abgesagt werden musste. Und auch mir konnten sie nicht verzeihen, dass ich mich weigerte, das Ganze ohne sie durchzuziehen, obwohl uns die Plattenfirma vor sechs Monaten dazu drängte, als ich endlich aus der Entziehungskur kam. Ich war wieder kerngesund und hatte grünes Licht erhalten, auf die Bühne zurückzukehren, wenn ich es wollte.

  Aber ich wollte nicht – nicht ohne sie.

  Das konnten die Jungs nicht verstehen. Sie konnten nicht begreifen, warum ich bereit war, all unsere Träume wegzuwerfen, nur weil sie vor ihren davongelaufen war.

  Zum Teufel mit ihr, Mann. Sie ist weg. Vergiss sie.

  Linc handelte sich für diese Bemerkung einen Schlag ins Gesicht ein. Danach nahm ich einen Flug nach Hawaii und habe seitdem keinen der beiden wiedergesehen. Was die morgige Probe ziemlich interessant machen dürfte.

  Ich bin nicht sauer auf Linc. Nicht mehr. Aber ich habe ihn sehr lange – hauptsächlich während dieses verschwommenen Zeitraums nach Felicitys Verschwinden und vor meinem totalen Absturz, der mich endlich wachrüttelte – für das verantwortlich gemacht, was in jener schicksalhaften Nacht im Viper Room passierte, als wir beide verhaftet wurden. Ich habe ihm die Schuld dafür gegeben, dass er der Katalysator in einer Kette von Ereignissen war, die Felicity überhaupt erst dazu zwangen, mich zu verlassen.

  Es war leichter, ihm die Schuld zu geben, statt mir die Wahrheit einzugestehen.

  Aber sobald dieser Mist aus meinem Kreislauf verschwunden war und ich statt einer Pillendose ein Surfbrett in den Händen und statt eines benebelten Drogenrauschs eine Meeresbrise im Kopf hatte … wusste ich, dass die einzige Person, auf die ich sauer sein durfte, ich selbst war. Auch wenn Linc derjenige war, der den Abzug betätigt hatte, war ich es, der die Waffe mit meiner eigenen schlechten Munition geladen hatte.

  Und Felicity ist diejenige, die die Kugel abbekam.

  Was sagte sie vorhin?

  Es gibt nichts, worüber wir reden müssten. Wir haben eine Aufgabe zu erledigen. Dann können wir getrennter Wege gehen.

  Ich nehme einen tiefen Zug von meiner Zigarette und blase schnaubend zwei Rauchschwaden durch die Nase aus.

  Die Vergangenheit kann bleiben, wo sie ist, beharrte sie mit einer trotzigen Aufwärtsbewegung ihres zarten Kinns. In der Vergangenheit.

  Wenn ich ein besserer Mensch wäre, würde ich sie gehen lassen. Wenn ich ein stärkerer Mensch wäre, würde ich zulassen, dass sie mich weiterhin hasst. Ich würde sie denken lassen, dass ich das Arschloch bin, für das sie mich hält – der Kerl, der jedes Versprechen gebrochen hat, das er je gegeben hat. Der Kerl, dem seine Sucht wichtiger war als die Frau an seiner Seite.

  Aber das bin ich nicht.

  Ich kann das alles nicht.

  Sie mag denken, dass das Färben ihrer Haare das Gleiche ist wie das Überschreiben unserer Geschichte … Sie mag glauben, dass sie diese Tournee durchziehen kann, indem sie so tut, als wären wir einander vollkommen fremd. Sie mag sogar zufrieden damit sein, so zu tun, als würden zwei Jahre ohne Kontakt ausreichen, um die Tatsache auszuradieren, dass ich ihre Seele in meinen Händen gehalten habe, während sie ihren Namen mit unauslöschbarer Tinte in mein Herz eingraviert hat.

  Sie hat noch nie falscher gelegen.

  Wir werden nicht in der Vergangenheit verharren. Wir sind die Gegenwart, die Zukunft und jeder gottverdammte Augenblick dazwischen, ob ihr das nun klar ist oder nicht.

  Ich habe vier Monate, bevor sie wieder aus meinem Leben verschwindet. Vier Monate, um ihr zu beweisen, dass das mit uns kein Fehler war. Um ihr zu zeigen, dass ich der Mann sein kann, für den sie mich einst hielt.

  Felicity Wilde gehört mir.

  Und im Gegenzug gehöre ich ihr.

  Daran gibt es nichts zu rütteln, Süße.

  Mein Lächeln ist voller düsterer Entschlossenheit, als ich in die Nacht hinausschaue.

  8. KAPITEL

  Felicity

  »Stopp! Stopp.«

  Ich seufze, als Francescas knapper Befehl zum dritten Mal in der vergangenen halben Stunde aus den Deckenlautsprechern hallt. Aiden und Lincoln stöhnen hinter mir einstimmig – das ist die einzige Äußerung, die sie seit Beginn der Probe von sich gegeben haben, abgesehen von einer recht lauwarmen Begrüßung, die ich bei meiner Ankunft erhielt. Ich schaue nicht zu Ryder hinüber, aber ich spüre, wie er sich genau wie ich auf den Sturm vorbereitet, als Francesca mit der Wucht eines Hurrikans durch die Tür fegt. Ein verärgerter Ausdruck verunstaltet ihre porzellanartigen Gesichtszüge.

  »Was ist hier drinnen los?« Sie stemmt die Hände in die Hüften und starrt uns der Reihe nach an. »Muss ich Sie daran erinnern, dass dies ein Probenraum ist, dessen Nutzung einschließlich dieser Instrumente und der angeheuerten Tontechniker Route 66 mehrere Tausend Dollar pro Stunde kostet?«

  Wir schweigen alle und starren sie an wie Kinder, die einen Tadel von ihrer Lehrerin erhalten haben. Wir können nichts zu unserer Verteidigung vorbringen. Die letzten drei Versuche waren grottenschlecht. Lincolns Taktvorgaben sind so daneben, dass wir zweimal so schnell spielen wie normalerweise. Aiden hat drei verschiedene Akkordwechsel vermasselt. Ryder brummt den Text mit so viel Wut ins Mikro, dass »Faded« aus seinem Mund beinahe nicht wiederzuerkennen ist. Und so sehr ich mich schäme, es zuzugeben, auch ich habe mir nur halbherzig Mühe gegeben und das Lied heruntergeleiert, als wäre es eine ungeliebte Aufgabe auf einer Liste mit lästigen Pflichten.

  Niemand, der bei klarem Verstand ist, würde Geld bezahlen, um das hier zu hören.

  Von den musikalischen Unzulänglichkeiten einmal abgesehen, ist auch unsere Bühnenpräsenz dringend verbesserungswürdig. Keiner von uns stellt Augenkontakt zu den anderen her, und auch die Kommunikation untereinander beschränkt sich auf die notwendigsten Höflichkeiten, seit wir vor einer Stunde durch die Tür getreten sind – auch diese Tatsache ist Francesca nicht entgangen, sofern das kühle Missfallen, das sie ausstrahlt, ein Hinweis darauf ist.

  »Hören Sie«, sagt sie tonlos und verschränkt die Arme vor der Brust. »Mir ist klar, dass seit Ihrem letzten Versuch nicht alles so gelaufen ist wie geplant …«

  Lincoln schnaubt.

  Francesca spricht weiter, als hätte sie ihn nicht gehört. »Und ich weiß, dass Ihre letzte gemeinsame Probe eine Weile her ist. Allerdings erwarte ich mehr Einsatz als diese armselige Vorstellung. Die Tournee startet in drei Wochen. Zumindest ist das der Plan – doch so, wie das hier momentan klingt, würde ich sie lieber absagen und all denjenigen, die sich bereits eine Karte gekauft haben, das Geld dafür zurückerstatten, statt Sie zusammen auf eine Bühne zu schicken.«

  Die Luft erstarrt.

  Obwohl sie schmollen, wollen Linc und Aiden, dass diese Tournee stattfindet. Das ist ihnen sehr viel wichtiger, als mich für mein plötzliches Verschwinden vor zwei Jahren zu bestrafen, oder Ryder für … Tja, ich bin mir nicht ganz sicher, warum sie sauer auf Ryder sind, aber es ist offensic
htlich, dass die drei nicht miteinander zurechtkommen. Das Klima im Raum ist regelrecht arktisch, und nur die Hälfte dieser Kälte richtet sich gegen mich.

  »Wir werden für heute Schluss machen und es morgen noch mal versuchen. Ich erwarte eine vollkommen andere Performance, wenn ich Sie das nächste Mal spielen höre.« Sie schaut zu mir. »Ryder, Felicity – Sie werden Ende der Woche in der Eileen Show zu Gast sein. Muss ich Sie daran erinnern, wie wichtig es ist, dass Sie sich vor der Kamera wie ein überzeugendes Duo verhalten?«

  Ich funkele sie böse an. Die Gedanken an das Interview plagen mich schon, seit ich davon erfahren habe. Ich will auf keinen Fall in einem Talkshowstudio vor einem Livepublikum so tun müssen, als wäre zwischen mir und Ryder alles in Ordnung.

  »Sie wissen, wie wichtig dieses Interview ist, wenn wir alle Konzerte ausverkaufen wollen. Wir haben bereits eine Marketingkampagne gestartet, um die Dinge ins Rollen zu bringen, aber das allein reicht nicht aus. Ihre Fans wollen die Gewissheit, dass sie das Musikerpärchen sehen werden, in das sie sich einst verliebt haben, bevor sie ihre Eintrittskarten kaufen. Sie wollen die Magie von damals erleben, als das Video von Ihnen auf dem Konzert am vierten Juli in Nashville viral ging. Sie wollen die Chemie, die sie spürten, als Sie beide am Veröffentlichungstag Ihrer ersten Single zum ersten Mal in der Eileen Show zu Gast waren. Alles, was in diese Richtung geht …« Sie verstummt.

  »Sie müssen sich keine Sorgen machen, Francesca«, sage ich. Meine Kehle fühlt sich wie zugeschnürt an, als die Erinnerungen plötzlich meinen Kopf fluten. »Nach all den Interviews, die ich beim letzten Mal gegeben habe, bin ich ein Profi darin, nett zu lächeln und mich an die Vorgaben zu halten. Wir werden vor den Kameras so tun, als wären wir Freunde. Wir werden den Leuten erzählen, dass bei Wildwood alles in Butter ist. Klingt das gut?«

  Ryder stößt ein leises, humorloses Lachen aus. »Das klingt nach Schwachsinn.«

  Francesca zwickt sich in den Nasenrücken. »Wenn Sie sich so verhalten, wird das nicht zur Verbesserung Ihrer Imageprobleme beitragen. Ich garantiere Ihnen, dass Eileen es nicht besonders toll finden wird, wenn Sie dasitzen wie steife Wachsfiguren, während sie Sie mit Fragen bombardiert. Und Ihren Fans wird das auch nicht gefallen, wenn Sie auf der Bühne stehen. Die Spannung zwischen Ihnen ist greifbar – und zwar nicht auf gute Weise.« Sie schaut sich um. »Das gilt für Sie alle vier, nicht nur für Ryder und Felicity.«

  »Was genau erwarten Sie denn von uns?«, fragt Lincoln mürrisch. »Sollen wir uns alle mal in den Arm nehmen? Sollen wir zusammen Lagerfeuerlieder singen und so tun, als wären wir immer noch beste Freunde?«

  Francesca dreht sich herum, um ihm einen vernichtenden Blick zuzuwerfen. Ihre Miene erinnert an die einer Hausfrau, die eine Kakerlake entdeckt hat, die über ihre makellosen, importierten Duschfliesen krabbelt. »Ehrlich gesagt, Mr Travers, ist mir egal, wie Sie Ihre Gruppendynamik wiederherstellen – tun Sie es einfach. Ansonsten brauchen Sie sich gar nicht erst die Mühe zu machen, wieder herzukommen. Meine Zeit ist zu kostbar, um sie mit Musikern zu verschwenden, die ihr Handwerk nicht ernst nehmen. Habe ich mich klar ausgedrückt?«

  Die Jungs brummen bestätigend vor sich hin.

  »Ausgezeichnet. Dann sehe ich Sie alle morgen.«

  Sie wirbelt auf ihren schwarzen Stilettos herum und lässt uns vier allein, nachdem sie uns ordentlich die Leviten gelesen hat. Im Studio herrscht dicke Luft, während wir alle schweigen und den Blicken der anderen ausweichen. Niemand scheint zuerst das Wort ergreifen zu wollen. Es ist nicht überraschend, dass Aiden – das Rückgrat der Band und so beständig wie der Bass, den er spielt – schließlich derjenige ist, der sich der Aufgabe annimmt.

  »Hört zu. Ich denke, wir sind uns alle einig, dass unser Verhältnis gerade ziemlich angespannt ist …«

  Lincoln schnaubt erneut.

  »Aber Francesca hat recht. Diese Tournee wird niemals funktionieren, wenn wir uns gegenseitig ständig an die Gurgel gehen oder unsere Probleme unter den Teppich kehren und so tun, als gäbe es sie nicht. Also lasst uns das jetzt klären, okay?« Er richtet seine dunklen Augen zuerst auf mich und schaut mich sanft und flehend an. »Felicity. Es tut mir leid, wenn ich mich dir gegenüber abweisend verhalten habe, als du vorhin hier ankamst. Ich war wütend auf alles und habe es an dir ausgelassen. Das war weder richtig noch fair. Ich will keinen Ärger wieder heraufbeschwören, der sich vor zwei Jahren abgespielt hat. Ich will nach vorne schauen und weitermachen. Wir waren immer Freunde. Es würde mir gefallen, wenn wir das wieder sein könnten.«

  Mein Herz verkrampft sich, und ich nicke vorsichtig. »Das würde mir auch gefallen.«

  »Gut.« Er schaut nach links. »Linc. Möchtest du dem vielleicht noch etwas hinzufügen?«

  Lincoln sitzt an seinem Schlagzeug und hat sein attraktives Gesicht zu einer finsteren Miene verzogen. Seit ich ihn das letzte Mal gesehen habe, hat er sein Äußeres komplett an den kalifornischen Stil angepasst – sein blondes Haar ist länger, seine Klamotten sind angesagter, seine Haut ist gebräunter. Er wirbelt geistesabwesend einen Trommelstock zwischen den Fingern herum und blickt in meine Richtung.

  »Nur dass dieser ›Lasst uns Freunde sein‹-Schwachsinn genau das ist: Schwachsinn. Denkt Felicity, dass sie hier nach zwei Jahren einfach so auftauchen und so tun kann, als hätte sie uns damals nicht total verarscht? Dass wir lächeln und das Ganze auf sich beruhen lassen werden, als hätte sie uns mit ihrem Verschwinden nicht die Karriere versaut?«

  Ich versteife mich.

  »Pass auf, was du sagst, Linc«, schnauzt Ryder warnend.

  »Nein! Ihr alle wollt die Sache klären? Dann lasst sie uns klären.« Der Schlagzeuger lehnt sich vor und starrt mich immer noch unverwandt an. »Du bist abgehauen. Ich weiß, dass du deine Gründe hattest. Verdammt, es tut mir sogar leid, dass ich an dem Ärger, den wir in jener Nacht hatten, beteiligt war, schließlich war ich derjenige, der …«

  »Linc.« Ryders Stimme ist ein Knurren. »Halt deinen verdammten Mund.«

  Ich ziehe die Augenbrauen hoch. Ich habe hier eindeutig etwas nicht mitbekommen – etwas, das in der Nacht geschah, in der sie verhaftet wurden. Obwohl ich mir verzweifelt einzureden versuche, dass ich die Einzelheiten nicht kennen muss, will ein großer Teil von mir ihn unbedingt darum bitten, genauer darauf einzugehen.

  Lincoln hat seinen Blick auf Ryder gerichtet. Sie führen eine nonverbale Diskussion, von der ich nichts mitbekomme. Was auch immer zwischen den beiden vorgeht, welchen Kampf sie auch immer austragen, es scheint darauf hinauszulaufen, dass Linc aufgibt, denn in seinen Augen blitzt Frustration auf, und er seufzt kapitulierend.

  »Meinetwegen. Ich werde die Vergangenheit nicht wieder hervorzerren«, murmelt er. »Ich will damit nur Folgendes sagen: Während ihr zwei damit beschäftigt wart, zu euch selbst zu finden oder was auch immer ihr in der Zeit gemacht habt, waren Aiden und ich hier und haben versucht, uns als verdammte Musiker durchzuschlagen – etwas, das wir eigentlich alle zusammen hätten machen sollen. Stattdessen waren wir gezwungen, alles an Angeboten anzunehmen, was uns geboten wurde. Wollt ihr wissen, für wen wir in den letzten paar Monaten gespielt haben?« Er schaut vorwurfsvoll zu Ryder.

  Ryder zuckt mit den Schultern. »Nicht unbedingt, aber du wirst es uns zweifelsohne trotzdem auf die Nase binden.«

  »Für Lacey«, erwidert er wütend.

  »Lacey Briggs?« Ich kann mir die Frage nicht verkneifen. »Du meinst diese …« Geistesgestörte, wasserstoffblonde Tussi in Hot Pants. »… diese Frau, mit der ihr damals in Nashville aufgetreten seid?«

  »Genau die«, bestätigt Aiden. »Allerdings müsste man sich schon sehr anstrengen, um heute noch einen Hauch von Country an ihr zu entdecken. Sie tauschte ihre Cowgirlstiefel gegen Stilettos ein, sobald sie in dieser Stadt ankam.«

  »Ich dachte, sie hätte einen Plattenvertrag bei Red Machine bekommen.«

  »Oh, das hat sie. Die Musik, die sie jetzt macht, ist allerdings so ein widerlicher Schnulzenkram, dass sogar junge Mädchen den Sender wechseln, wenn sie sie im Radio hören. Aber sie hat bereits zwei
Popalben herausgebracht, die so stark nachbearbeitet wurden, dass einem davon die Ohren bluten.« Lincoln lacht barsch. »Das kann ich nur bestätigen, nachdem ich mir ihr Gejaule aus der Nähe angehört habe.«

  Ich verziehe bei der bloßen Vorstellung das Gesicht. Sogar Ryder, der noch vor einer Minute mit dem Gedanken gespielt hat, den Schlagzeuger zu erdrosseln, wirkt irgendwie mitleidig. Wieder legt sich Schweigen über den Raum, bis ich plötzlich ganz unerwartet kichere. Ich schlage mir eine Hand vor den Mund, um den Laut zu unterdrücken, da er mich ebenso überrascht hat wie die Jungs, die mich alle gleichzeitig anstarren.

  »Was in aller Welt soll daran lustig sein?«, schnauzt mich Lincoln an.

  Ich schüttle hastig den Kopf und halte mir immer noch die Hand vor den Mund. »Nichts.«

  »Und warum lachst du dann?«

  Ich presse die Lippen zu einer dünnen Linie zusammen und versuche, einen weiteren Ausbruch von Heiterkeit zu unterdrücken. »Ich lache nicht über euch! Ich schwöre. Ich habe mir nur gerade Laceys Reaktion vorgestellt, als Francesca euch aus dem Musikerteam für ihre Tournee geholt hat. Wenn ich es richtig in Erinnerung habe, reagiert Lacey nicht besonders nett, wenn man ihr eine Abfuhr erteilt …«

  »Du meinst, wie damals, als sie versuchte, Ryder im Tootsie’s die Augen auszukratzen?«, fragt Aiden mit einem breiten Grinsen.

  »Ach ja, richtig.« Nun grinst auch Lincoln. »Eine Erinnerung, an die ich bis zum heutigen Tag gerne zurückdenke.«

  »Ich werde niemals vergessen, wie diese mit Strasssteinen besetzten Cowgirlstiefel durch die Luft wirbelten, als du sie von der Tanzfläche getragen hast, Linc.« Aiden schüttelt den Kopf. »Sie hatte die ganze Zeit über Schaum vorm Mund. Ich dachte schon, dass wir mit Ryder in die Notaufnahme fahren müssten, um ihn gegen Tollwut impfen zu lassen.«

  Wieder kichere ich unkontrolliert, und nach einem kurzen Augenblick fallen sie beide mit ein. Unser Gelächter schwillt an und erfüllt den Probenraum.

  »Hört auf damit, ihr Spinner«, murmelt Ryder und tut so, als wäre er wütend, während er zusieht, wie wir drei uns auf seine Kosten kaputtlachen. Doch an seinen Mundwinkeln zupft ein Schmunzeln. »Beim nächsten Mal wird sie sich auf eure Augen stürzen, und dann werde ich nicht zur Stelle sein, um euch zu retten.«

 

‹ Prev