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Der letzte erste Song (Firsts-Reihe 4) (German Edition)

Page 13

by Bianca Iosivoni


  Daniel lebte nicht in einem der vier Hochhäuser, in dem die meisten Studenten wohnten, sondern in einem anderen Gebäude, in dem hauptsächlich die älteren Semester und die Footballspieler untergebracht waren, da es sich in der Nähe des Stadions befand.

  Wenige Minuten später bereute ich die Entscheidung, zu Fuß losgegangen zu sein, denn jetzt merkte ich diesen Tag und vor allem diesen Morgen in jeder Bewegung. Meine Muskeln schmerzten und erinnerten mich daran, dass ich das Magnesium vergessen hatte, und in meiner Seite machte sich wieder ein Stechen bemerkbar, weil ich viel zu schnell lief, ohne auf meine Atmung zu achten. Widerwillig verlangsamte ich mein Tempo, bis das Stechen verschwand.

  Als ich das Backsteingebäude mit den dunklen Fensterrahmen endlich erreichte, konnte ich meine Vorfreude kaum noch zügeln. Daniel würde dafür sorgen, dass ich jedes bisschen Muskelkater vergaß, da war ich sicher. Und dieser Gedanke ließ mich sowohl lächeln als auch erröten. Obwohl er zum Footballteam gehörte und sich mit den ganzen lauten, manchmal prolligen Spielern und kreischenden Cheerleadern umgab, war er ein stiller Typ. Wie der Ruhepol im Team, der alle auf den Boden der Tatsachen zurückholte, und wie ein Anker für mich, bei dem es mir leichtfiel, alles andere zu vergessen.

  Im Wohnheim war es angenehm kühl und so ruhig wie lange nicht mehr. Kein Wunder, es war nicht nur Samstagabend, sondern auch noch das lange Wochenende. Die meisten waren schon längst weggefahren, genau wie Elle, Luke, Tate und Trevor.

  Der Fahrstuhl piepte, und die Türen glitten im richtigen Stockwerk auseinander. Hier oben herrschte ein bisschen mehr Trubel als unten im Eingangsbereich, denn in dieser Etage waren Daniel und seine Teamkollegen untergebracht. Und wenn ich eines gelernt hatte, dann, dass Footballspieler ziemlich laut sein konnten. Auf dem Gang wich ich einem riesigen Kerl aus, der nur mit einem Handtuch bekleidet einem anderen nachjagte und ihm dabei so wüste Beschimpfungen an den Kopf warf, dass sogar Emery und Tate beeindruckt wären.

  Kopfschüttelnd ging ich weiter, bis ich das richtige Zimmer erreicht hatte. Ich hob bereits die Hand, um anzuklopfen, als die Tür von innen aufgerissen wurde.

  Eine hübsche Blondine im Outfit der Blackhill-Cheerleader stapfte heraus und rauschte an mir vorbei, ohne irgendetwas um sich herum wahrzunehmen.

  »Ashley!«, ertönte Daniels Stimme von drinnen. Gleich darauf erschien er im Türrahmen. »Warte do… Grace?«, stieß er hervor und starrte mich mit riesigen Augen an. »Was … was machst du denn hier?«

  »Dich besuchen. Wie wir es ausgemacht hatten. Aber anscheinend warst du schon beschäftigt?« Ich wandte mich um und sah Ashley hinterher. Sie war nicht stehen geblieben, sondern schon fast am Fahrstuhl. Jetzt fielen mir auch einige Details auf, die mir vorher entgangen waren. Ihr verstrubbeltes Haar, die Falten in ihrem roten Kleid, das ein bisschen verrutscht war. Ich sah zu Daniel zurück. Auch er wirkte nicht mehr ganz frisch, sondern sogar ein wenig außer Atem. Sein weißes T-Shirt war zerknautscht, er war barfuß und die Jeans hing tief auf seinen Hüften.

  Mir wurde schlagartig übel. »Das ist ein Witz, oder?«

  »Grace …« Beruhigend hob er die Hände.

  »Sag mir, dass du das nicht getan hast.«

  Er schien etwas erwidern zu wollen, sein Mund bewegte sich, aber ihm kam kein einziges Wort über die Lippen. Und aus der Vermutung wurde Gewissheit.

  »Ernsthaft, Daniel? Mit ihr? Musstest du unbedingt dieses … dieses Klischee bedienen?«

  Der Footballspieler mit der Cheerleaderin. Ging es eigentlich noch schlimmer? Noch demütigender? Sie bestand nur aus Haut und Knochen, einem Hintern und Brüsten. Okay, das war nicht fair. Wahrscheinlich war sie charakterlich ein wundervoller Mensch, auch wenn ich sie nie zuvor gesehen, geschweige denn mit ihr gesprochen hatte. Aber zu wissen, dass mein Freund mit ihr geschlafen hatte, nachdem er mir gesagt hatte, dass er sich in mich verliebt hatte und mich seinen Eltern vorstellen wollte, tat nicht bloß weh. Es war erniedrigend.

  Mein Magen krampfte sich zusammen, mein Atem ging schneller, und ich musste mehrmals blinzeln, um die Tränen zurückzuhalten. Auf keinen Fall würde ich jetzt vor ihm zusammenbrechen. Nicht deswegen. Niemals. Nicht einmal dann, wenn diese ganze Situation wie ein verdammtes Déjà-vu anmutete.

  Wenn ich meiner Mom für eine Sache dankbar war, dann dafür, dass sie mir eingedrillt hatte, immer Haltung zu bewahren. Eine Lady verliert nie die Fassung und lässt sich nicht dazu herab, in aller Öffentlichkeit laut zu werden. Und ganz sicher würde sie niemals in einem Wohnheim voller Footballspieler und deren Freundinnen eine Szene machen.

  »So ist es nicht gewesen …« Daniel raufte sich die Haare. »Lass es mich erklären, Grace. Es ist nicht so, wie du denkst.«

  »Ach nein? Wie dann? Sie kam zufällig vorbei, als du dir einen runtergeholt hast, ist ausgerutscht und zielsicher auf deinem Schwanz gelandet?«

  So viel dazu, keine Szene zu machen …

  Daniel starrte mich an, als würde ich gerade eine politische Wahlrede halten. Auf Französisch. »Ähm … was?!«

  Ich schnaubte ungläubig. Das war der Kerl, mit dem ich die letzten Monate meines Lebens verbracht hatte? Wirklich? Ich weigerte mich, ihm die Genugtuung zu geben und zu zeigen, wie sehr er mich verletzt hatte. Ich hatte tatsächlich geglaubt, die schlechten Typen endlich hinter mir gelassen zu haben. Wir waren seit mehr als zwölf Wochen zusammen. An Thanksgiving hatte er mich seinen Eltern vorstellen wollen und ich … Nach dem Telefonat mit Gillian hatte ich mir fest vorgenommen, ihn für die nächsten Ferien nach Montana einzuladen, damit er auch meine Familie kennenlernen konnte. Aber wie es aussah, hatte ich mir die ganze Zeit über etwas vorgemacht.

  Wie hatte Daniel mal gesagt? Er erzählte viel, wenn der Tag lang war, darunter auch viel Mist. Offensichtlich war unsere gemeinsame Zukunft in diese Kategorie gefallen.

  Ich spürte, wie mir die Tränen kamen, wie sie mir die Kehle zuschnürten und meine Augen zu brennen begannen. Auf keinen Fall würde ich anfangen, vor ihm zu weinen. Nie im Leben. Stattdessen wirbelte ich auf dem Absatz herum und folgte demselben Weg, den Ashley bei ihrem Abgang genommen hatte. Glücklicherweise war von ihr nichts mehr zu sehen.

  »Grace!«

  Ich reagierte nicht, lief einfach weiter. Vorbei an den geschlossenen Fahrstuhltüren. Ich musste hier raus, und zwar so schnell wie möglich, also steuerte ich die Treppen an.

  »Warte! Grace!« An der Tür zum Treppenhaus lag Daniels Hand plötzlich auf meinem Arm und zwang mich dazu, stehenzubleiben. »Es tut mir …«

  »Was?«, unterbrach ich ihn schneidend. »Es tut dir leid? Was genau? Dass du mich betrogen hast? Dass du nicht mal einen Funken Anstand hast? Dass du deine Hose nicht anbehalten konntest? Dass du ein Arschloch mit dem Gehirn von der Größe einer Jelly Bean bist? Was genau tut dir leid, hm?«

  »Ich … es …« Er schnappte nach Luft und suchte nach Worten. »Lass es mich erklären.«

  Ich schüttelte den Kopf. Für Worte war es zu spät. Genauso wie für Entschuldigungen.

  »Ich wünsche dir ein schönes Leben, Daniel. Und einen Hodenbruch.«

  Damit ließ ich ihn endgültig stehen, riss die Tür auf und hastete die Stufen hinunter. Mein Sichtfeld verschwamm, und ich wusste, dass ich kurz davor war, in Tränen auszubrechen, ganz egal, wie sehr ich dagegen ankämpfte. Ich musste hier raus. Irgendwohin. Einfach nur weg.

  Als ich aus dem Wohnheim lief, griff ich als Erstes nach meinem Handy. Mein Daumen schwebte bereits über dem Anrufen-Button, doch das Foto meiner besten Freundin ließ mich innehalten. Denn es zeigte nicht nur sie, sondern auch Dylan. Ich hatte es irgendwann mal draußen beim Mittagessen geschossen, als sie sich aufgrund der begrenzten Plätze auf seinen Schoß gesetzt hatte. Er hatte ihr etwas zugeflüstert, was sie zum Lachen gebracht hatte. Das Bild hatte mir so gut gefallen, dass ich es für ihren Kontakt in mein Smartphone eingespeichert hatte. Aber jetzt hielt es mich davon ab, Emery anzurufen. Sie hatte schon genug eigene Probleme, da wollte ich nicht auch noch mein eigenes gebrochenes Herz oben draufpacken. Nicht, nachdem ich sie den Tag über erfol
greich abgelenkt hatte. Und erst recht nicht, falls sie sich heute Abend tatsächlich mit Dylan aussprach.

  Und Myung-hee? Sie würde mir zuhören, wüsste womöglich sogar den einen oder anderen Ratschlag, aber sie war bei ihrer Familie, und ich wollte sie nicht von dort wegholen. Nicht, nachdem sie uns heute Vormittag noch erzählt hatte, wie sehr sie ihre Eltern und ihren kleinen Bruder vermisste, seit sie ein eigenes Zimmer im Wohnheim hatte.

  Gillian konnte ich auch nicht anrufen, weil sie das lange Wochenende über mit Jared und ihren gemeinsamen Freunden in die Berge gefahren war, abseits von jeglicher Zivilisation und Telefonmasten, wie sie mir in einer Nachricht vor zwei Tagen geschrieben hatte. Und Mom? Bei der bloßen Vorstellung davon, wie ich zu Hause anrief, um mich ausgerechnet bei meiner Mutter auszuweinen, kitzelte ein irrwitziges Lachen in meiner Kehle. Denn ich wusste genau, was Mom sagen würde: Ach, Grace. Das passiert nun mal. Männer machen Fehler. Aber das ist kein Grund, eine gute Verbindung einfach aufzugeben.

  Na klar. Danke für dieses großartige Vorbild, was Liebe und Beziehungen anging, Mom.

  Ich atmete tief durch, dann steckte ich das Handy weg, wischte mir über die Augenwinkel und setzte mich in Bewegung. Ohne Ziel. Ich wollte einfach nur so schnell wie möglich weg von hier.

  Mason

  Samstagabend. Die meisten Leute waren unterwegs oder verreist, machten Party, besuchten ihre Eltern und genossen die lernfreie Zeit. Und obwohl ich den Trubel für gewöhnlich mochte, mochte ich es ab und an auch, völlig von der Welt abgeschnitten zu sein. Der Proberaum war schalldicht, und wenn die Tür zu und die Vorhänge zugezogen waren, fühlte man sich, als wäre man ganz allein. Allein mit sich und der Musik.

  Nachdem ich den Tag mit Jenny verbracht hatte, wir mit meiner Familie im Garten gegrillt und zum ersten Mal wieder darüber gesprochen hatten, wie es nach dem Abschluss für uns weitergehen würde, hatte ich sie zurück ins Wohnheim gebracht und mich mit einem langen Kuss von ihr verabschiedet. Ich wäre bei ihr geblieben, aber sie war noch mit ihren Freundinnen verabredet. Also hatte ich mich in den Proberaum im PAC zurückgezogen. Nicht, weil ich irgendjemandem aus dem Weg gehen wollte, sondern um die Zeit zu nutzen und an meinen eigenen Songs zu schreiben.

  Ich war eindeutig besser im Komponieren als im Songwriting und wünschte mir immer, dass es an unserem College mehr Kurse zu dem Thema gäbe. Wieder und wieder spielte ich dieselbe Stelle auf meiner Gitarre, die Melodie eine langsame, fast schon herzzerreißende, bevor Schlagzeug, Bass und der Refrain einsetzen und dem Song eine kraftvolle Richtung geben würden. Ich hatte es am Laptop schon ausprobiert und die einzelnen Elemente miteinander kombiniert und konnte es kaum erwarten, wie es sich anhören würde, wenn wir es mit der Band spielten. Aber dafür musste erst mal der Text fertig werden.

  Ich hatte keine Ahnung, wie spät es war, da ich die Lampen von Anfang an eingeschaltet hatte, mein Handy neben meinen Sachen bei den Sitzen lag, und ich völlig auf die Klänge der Gitarre und die vollgekritzelten Zettel vor mir konzentriert war. Die Stunden, in denen ich überhaupt zum Songwriting kam, waren selten und begrenzt. Ich hatte Tate bereits letztes Jahr gefragt, ob sie auch Lieder von uns im Campusradio spielen würde, die keine Cover waren, sondern Originale. Inzwischen hatte sie schon zweimal nachgefragt, wann sie endlich ein Tape mit meinen Songs bekäme. Bisher hatte ich sie immer hingehalten. Und das, obwohl ich mittlerweile schon drei aufgenommen hatte. Aber wirklich zufrieden war ich damit noch nicht. Irgendetwas schien zu fehlen, und mir wollte einfach nicht einfallen, was es war. Aber vielleicht war das auch nur eine Ausrede. Denn solange ich Tate nichts gab, konnte sie nichts in ihrer Sendung spielen und ich musste mir keine Gedanken darüber machen, wie meine Songs bei den Leuten ankommen würden.

  Seufzend ließ ich die Gitarre sinken und stand auf, um eine Pause einzulegen und den Kopf freizukriegen, als die Tür aufgerissen wurde.

  Wir erstarrten beide. Ich mitten in der Bewegung, Grace im Türrahmen.

  »Oh. Hi«, begrüßte ich sie und stellte die Gitarre vorsichtig in den Ständer.

  Erst als ich sie genauer ansah, bemerkte ich, wie blass sie war. Ihre Augen waren glasig und gerötet, ihr Brustkorb hob und senkte sich so schnell, als wäre sie hierher gejoggt. In wenigen Schritten war ich bei ihr.

  »Was ist passiert?«

  »Nichts. Ich …« Sie wich zur Seite aus und mied meinen Blick. »Ich wusste nicht, dass du hier bist und probst. Tut mir leid. Ich gehe woanders hin.«

  »Warte.« Behutsam griff ich nach ihrem Ellbogen, aber Grace wollte mich noch immer nicht ansehen. Sie zitterte nicht, brach auch nicht in Tränen aus, obwohl alles in ihrer Miene gerade eben noch darauf hingedeutet hatte. Stattdessen straffte sie die Schultern und nahm eine kerzengerade, fast schon militärische Haltung ein. »Was ist passiert?«, wiederholte ich, diesmal etwas leiser, um sie nicht noch mehr zu verschrecken.

  »Nichts.« Grace hob den Kopf und funkelte mich wütend an, aber ihre Augen schwammen in Tränen. »Überhaupt nichts ist passiert. Okay? Absolut gar nichts!«

  »Scheiße …«, murmelte ich, denn dieser Anblick war wie ein Schlag in die Magengrube. Ohne darüber nachzudenken, streckte ich die Hände nach ihr aus. »Komm her …«

  Sie verkrampfte sich, als hätte sie nicht damit gerechnet, ließ dann jedoch zu, dass ich sie an mich zog, und schlang nach einer weiteren Sekunde des Zögerns die Arme um mich. Ich hielt sie fest, als sie zu zittern begann, strich ihr über den Rücken und legte vorsichtig eine Hand an ihren Hinterkopf. Und ich lernte etwas Neues über sie: Wenn Grace weinte, dann weinte sie lautlos. Da war kein Ton, kein Schluchzen, kein Fluchen. Nur unsere beiden Atemzüge, meine ruhig und langsam, ihre unregelmäßig und stockend.

  Ohne sie loszulassen, streckte ich die Hand nach der Tür aus, schob sie zu und drehte den Schlüssel von innen herum, damit niemand, der zufällig vorbeispazierte, mitbekam, was hier los war. Irgendetwas sagte mir, dass Grace es hassen würde, wenn andere sie so sahen. Nicht mal ich sah sie wirklich, weil sie das Gesicht an meinem Hals versteckte und die Finger in mein T-Shirt grub.

  Ich wusste nicht, wie lange wir so dastanden, völlig bewegungslos, vom Rest der Welt abgeschnitten, bis sie sich langsam wieder beruhigte. Sie zitterte nicht mehr so sehr, ihre Atmung wurde gleichmäßiger, und ihre Muskeln begannen sich nach und nach zu entspannen. Dennoch wagte ich es nicht, mich zu bewegen, aus Angst, dass sie sich vielleicht daran erinnern würde, in wessen Armen sie hier gerade lag. Ich glaubte zwar nicht mehr, dass Grace mich nicht ausstehen konnte, aber bisher deutete auch nichts darauf hin, dass uns eine Zukunft als allerbeste Freunde bevorstand.

  Langsam löste ich mich von ihr, ließ sie aber nicht sofort wieder los, sondern suchte ihren Blick. »Willst du darüber reden?«

  Sie schüttelte den Kopf und fixierte einen Punkt an der gegenüberliegenden Wand. »Da gibt es nichts zu reden.«

  »Manchmal hilft es. Hab ich zumindest mal gehört«, fügte ich augenzwinkernd hinzu und machte einen Schritt zurück. Ich wollte noch etwas hinzufügen, aber Grace kam mir zuvor.

  »Daniel hat mich betrogen.« Sie schnaubte. »Mit einer Cheerleaderin.«

  »Autsch.« Ich zog das Wort ungewollt in die Länge. »Was für ein Wichser.«

  Das war wirklich das Letzte. Ich kannte diesen Daniel zwar nicht persönlich, weil ich mich auch nicht sonderlich für Football interessierte, aber er schien Grace glücklich zu machen. Zumindest hatte er das, bevor er seinen Schwanz nicht länger in der Hose hatte behalten können. Idiot.

  Sie ließ ihren Blick durch den Raum wandern, und ich fragte mich, ob sie überhaupt etwas wahrnahm, oder mir nur ausweichen wollte. Ob sie die vielen Blätter und zusammengeknüllten Papiere auf dem Boden sah, den leeren Kaffeebecher, das Aufnahmegerät, den Laptop und meine Gitarre, die neben Paxtons Schlagzeug das einzige Instrument auf der Bühne war.

  »Ich weiß nicht mal, warum ich hier bin«, murmelte sie.

  »Ich schon.« Langsam führte ich sie Richtung Bühne. »Wenn alles andere versagt, bleibt einem immer noch die Musik. Musik stellt keine Fragen, ma
cht keine dummen Kommentare, gibt keine unerwünschten Ratschläge, sondern ist einfach für dich da. So lange wie nötig.«

  Bildete ich mir das ein oder trat da tatsächlich die Andeutung eines Lächelns auf ihr Gesicht?

  Dennoch schüttelte sie den Kopf. »Das gilt auch für Schokolade. Oder Ben & Jerry’s.«

  »Aber die sind auf Dauer deutlich teurer und ungesünder.«

  Ich ließ mich am Rand der Bühne nieder und klopfte auf den Platz neben mir. Erst als Grace sich dazusetzte und ihr Handy neben sich legte, nahm ich die Gitarre wieder zur Hand, wandte mich ihr zu und spielte ein paar Akkorde.

  »Ich bin meistens hier, wenn ich nachdenken will«, gab ich nach einem Moment zu und ließ meinen Blick ebenfalls durch den Raum gleiten. Mit den fünf Sitzreihen auf der kleinen Tribüne, den Vorhängen in einer Farbe, die irgendwo zwischen Gelb und Braun lag, der hohen Decke und der Bühne, deren Dielen immer an denselben Stellen knarzten, war dies der Ort, an den ich mich am liebsten zurückzog.

  »Ich kann verstehen, wieso.« Grace schloss seufzend die Augen.

  Zwei, drei Sekunden lang betrachtete ich sie einfach nur. Ihr blasses Gesicht mit dem verschmierten Make-up und den Tränenspuren auf den Wangen. Meine Finger zuckten, aber ich hielt mich davon ab, die Hand zu heben und die Spuren wegzuwischen. Stattdessen spielte ich leise weiter.

  Blinzelnd öffnete Grace die Augen. »Warte mal, ich kenne das Lied …« Sie starrte mich mit offenem Mund an. »Das ist nicht dein Ernst, oder?«

  Ich zuckte nur die Schultern und spielte weiter, wiederholte die Anfangssequenz und begann dann mit dem Text. Ein Text, der ihr nur zu vertraut sein sollte, schließlich hatte sie sich den Disneyfilm oft genug mit Emery in deren Zimmer angeschaut.

  »Na los«, forderte ich sie auf.

  Sie presste die Lippen aufeinander, als müsste sie gegen ihr Lächeln ankämpfen, und schüttelte vehement den Kopf.

 

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