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Was auch immer geschieht 01 - Finding back to us

Page 18

by Iosivoni, Bianca


  Die Tür öffnete und schloss sich wieder. Obwohl ich nicht aufsah, wusste ich instinktiv, dass ich nicht mehr allein war. Ich atmete tief durch und räusperte mich, um meinen Worten einen festen Klang zu geben. »Ich bin gleich zurück. Es ist alles okay.«

  »Lügnerin.«

  Keiths Stimme war wie Balsam und Säure zugleich. Ich zuckte zusammen, vermied es aber, in seine Richtung zu schauen. Ich wusste nicht, ob ich es aushalten würde, ihn jetzt anzusehen. Oder ob ich mich selbst noch immer zusammenreißen konnte, wenn ich die Sorge in seinem Gesicht erkannte.

  Er kam einige Schritte auf mich zu und blieb breitbeinig vor mir stehen. Ich musste nicht einmal den Blick heben, um zu wissen, dass er die Arme vor der muskulösen Brust verschränkt hatte. Wie immer war er dunkel gekleidet und ich erwischte mich bei dem völlig unpassenden Gedanken, dass ihm ein bisschen Farbe ab und an guttun würde. Vielleicht war Stellas Besorgnis doch nicht ganz ohne Grund gewesen, denn anscheinend stand ich unter Schock.

  »Hey …« Warme Finger legten sich unter mein Kinn und hoben es an, bis mir nichts anderes übrigblieb, als Keith in die Augen zu sehen.

  Die Sorge darin schnürte mir die Kehle zu. Hatten meine Augen schon zuvor gebrannt, musste ich jetzt blinzeln, um gegen die Tränen anzukommen, die sich darin sammelten. Ich wollte nicht weinen. Nicht vor ihm. Nicht vor sonst irgendjemandem. Aber wie so oft durchkreuzte Keith meine Pläne. Wortlos streckte er den Arm aus und zog mich an sich.

  Ich hatte so viele Umarmungen an diesem Tag und ganz besonders an diesem Abend über mich ergehen lassen, aber nun hatte ich zum ersten Mal das Gefühl, angekommen zu sein. Ich gab den Kampf auf. Meine Augen fielen zu und meine Arme hoben sich wie von selbst, um sich zögerlich um seine Hüfte zu legen. Keiths Wärme und sein Geruch hüllten mich ein, und obwohl mein Herz zu rasen begann, als würde ich mich noch immer auf der Flucht befinden, fühlte ich mich seltsam ruhig. Der Schmerz in meiner Brust verebbte zu einem stummen Pochen und ich hatte das Gefühl, wieder atmen zu können. Nicht völlig frei, aber ein kleines bisschen besser.

  »Es ist okay«, flüsterte er und strich mir beruhigend über den Rücken. »Mom hat mir erzählt, was sie dir gegeben hat. Du darfst es zulassen …«

  Heiße Tränen rollten mir über die Wangen und versickerten in seinem T-Shirt. Selbst wenn ich es gewollt, selbst wenn ich mich noch dagegen hätte wehren können, hätte ich es nicht mehr verhindern können. Meine Mauern stürzten ein. Alle Teile von mir, die ich so lange mühsam zusammengehalten hatte, brachen auseinander, bis nur noch ein Scherbenhaufen übrig blieb.

  Keith murmelte mir keine beruhigenden Worte oder andere Sinnlosigkeiten ins Ohr. Das Einzige, was er tat, war, mich festzuhalten und da zu sein. Genau in dem Moment, in dem ich geglaubt hatte, niemanden zu brauchen, war er da und bewies mir das Gegenteil. Dass ausgerechnet er es war, der mich in den Armen hielt und mich weinen ließ, setzte der Ironie an dieser Sache nur noch die Krone auf.

  Irgendwann versiegten meine Tränen und meine Atmung begann sich zu beruhigen. Wer auch immer behauptete, man würde sich besser fühlen, wenn man sich ordentlich ausgeweint hatte, war ein verdammter Lügner. Denn ich fühlte mich nicht besser. Ich fühlte mich beschissen. Meine Augen brannten, meine Wimpern waren verklebt und mein Gesicht fühlte sich total aufgedunsen an. Meine Nase war so verquollen, dass ich kaum atmen konnte, und mit ziemlicher Sicherheit zierten schwarze Mascaraspuren meine Wangen.

  »Besser?« Seine Stimme war ein dunkles Murmeln an meiner Schläfe.

  Besser? Nicht wirklich. Aber auch wenn ich mich elend fühlte, schien der Druck auf meiner Brust ein wenig nachgelassen zu haben und auch der Schmerz in meinem Körper war nur noch ein dumpfes Pochen, definitiv anwesend, aber nicht mehr alles beherrschend.

  Ich wusste nicht, ob ich es war, die sich aus der Umarmung befreite, oder Keith sich von mir löste. Das Nächste, was passierte, war, dass ich wieder an der Tischkante lehnte und etwas Weißes vor mir auftauchte. Es dauerte ein paar Sekunden, bis ich begriff, dass er mir ein Taschentuch hinhielt.

  »Du bist wohl auf alles vorbereitet«, murmelte ich, doch meine Stimme klang schrecklich schief. Ich verzog das Gesicht und griff nach dem Taschentuch, um mir das verschmierte Make-up wegzuwischen und mir die Nase zu putzen.

  »Allzeit bereit«, zitierte er den bekannten Pfadfindergruß.

  Ich schnaubte teils ungläubig, teils belustigt. »Das ist mein Spruch.«

  Er verzog keine Miene, aber ich meinte, ein verschmitztes Funkeln in seinem Blick erkennen zu können, als ich den Kopf hob. Es fiel mir schwer, es auszusprechen, aber ich wusste, dass ich es tun musste. Nicht nur, weil er es verdient hatte, sondern auch, weil er mir geholfen hatte. Vermutlich mehr, als er sich selbst bewusst war.

  »Danke«, flüsterte ich.

  »Kein Problem.« Keith ließ mich nicht aus den Augen, doch mit jeder Sekunde, die er mich so ansah, verschwand die Sorge aus seinem Gesicht, bis sie sich ganz auflöste. Mit einem Mal war die Stimmung eine andere zwischen uns und ich musste mich erneut räuspern, um überhaupt ein Wort hervorbringen zu können.

  »Wie schlimm sehe ich aus?« Wenn ich gleich dort rausging, wollte ich nicht wie ein verheulter Schlosshund wirken, auf den sich alle mit sorgenvollen Mienen stürzten. Allein beim Gedanken daran zog sich alles in mir zusammen.

  »Wunderschön.«

  Ich könnte schwören, dass mein Herz einen Schlag lang aussetzte – als wüsste es nicht, ob es weiterpochen oder für immer damit aufhören sollte. Doch dann schlug es weiter, schnell und kräftig, obwohl es doch nur ein Wort gewesen war. Wunderschön. Nur ein Wort, mehr nicht.

  »Diesmal bist du der Lügner«, murmelte ich, kam aber nicht gegen das winzige Lächeln an, das an meinen Mundwinkeln zog. Denn obwohl ich mit ziemlicher Sicherheit selten schlechter ausgesehen hatte, freute ich mich über das Kompliment. Andererseits war es dunkel hier drin. Wahrscheinlich hätte ich auch wie der Joker aussehen können und Keith hätte dasselbe gesagt.

  Ein Schatten legte sich über sein Gesicht. Es war so deutlich, dass ich es selbst in der Dunkelheit um uns herum erkennen konnte, beinahe so, als würde er sich keine Mühe geben, es zu verbergen. Irgendetwas an meinen Worten oder meiner Reaktion musste einen Nerv bei ihm getroffen haben.

  Langsam schüttelte Keith den Kopf und kam mir so nah, dass er sich links und rechts von mir auf dem Schreibtisch aufstützen konnte. Ich lehnte mich instinktiv zurück, dennoch trennte uns plötzlich nur noch ein Atemzug. Diesmal polterte mein Herz aus einem ganz anderen Grund los, auch wenn ich nicht einmal selbst wusste, ob dieser Grund Furcht oder – weit schlimmer – Hoffnung war. Hoffnung worauf, verdammt noch mal?

  Jeder Gedanke in meinem Kopf zerfiel zu Staub, als Keith sich noch weiter vorlehnte, den Kopf zur Seite neigte und seinen Mund an mein Ohr brachte. »Das war mein Ernst. Genau wie das, was ich neulich Nacht gesagt habe«, raunte er so leise, dass ich nicht sicher sein konnte, ihn tatsächlich gehört zu haben. Aber ich spürte seinen warmen Atem an meinem Hals. Es kostete mich all meine Selbstbeherrschung, die Augen offen zu halten und den heißen Schauer zu unterdrücken, der meine Wirbelsäule hinabwandern wollte.

  Keith zog sich ein wenig zurück, richtete sich aber nicht wieder auf. Er war mir noch immer viel zu nahe. Mit jedem Einatmen drang etwas von seinem Geruch in meine Nase, breitete sich in meinem Körper aus und krallte sich darin fest, bis ich an nichts anderes mehr denken konnte als daran, wie gut er roch. Die Mischung aus seinem frischen, zitrusartigen Aftershave und dem warmen Duft von Holz drohte mir die Sinne zu vernebeln. Doch dann sah ich in seine Augen, und mir stockte der Atem. Für gewöhnlich fiel es mir nicht schwer, das Braun in seiner Iris zu erkennen, doch jetzt waren seine Pupillen so groß, dass seine Augen fast ganz schwarz wirkten. Schwarz und hungrig.

  Ich schluckte hart und öffnete unwillkürlich die Lippen. Sofort senkte sich Keiths Blick auf meinen Mund, und obwohl er mich nirgendwo berührte, schoss erneut eine flammende Hitze durch mich hindurch. Was machte dieser Kerl nur mit mir?

  Irgendwie gelang es mir, zittrig aus
zuatmen. »Ich will nicht, dass du mich küsst …«, wisperte ich atemlos.

  Keith hob den Blick und sah mir mit einer Entschlossenheit in die Augen, die mir Sorgen bereiten sollte. Stattdessen fachte sie die Hitze in meinem Bauch nur noch weiter an. Eine unwillkommene Hitze, wohlgemerkt.

  »Ich werde dich nicht küssen«, raunte er zurück. Wenn mir das Zucken seiner Mundwinkel eine Warnung sein sollte, kam sie zu spät.

  Bevor ich protestieren oder auch nur einen klaren Gedanken fassen konnte, neigte Keith seinen Kopf ein weiteres Mal. Ich rechnete mit einem erneuten Flüstern an meinem Ohr, doch wieder mal überraschte er mich. Zuerst spürte ich nur seinen warmen Atem auf meiner Haut, dann strichen seine Lippen hauchzart über meinen Hals. Ich reagierte mit einer Gänsehaut auf die Berührung. Instinktiv hob ich die Hand, aber statt ihn wegzustoßen, vergruben sich meine Finger im Stoff seines T-Shirts. Keith schien das als Einladung zu sehen, vielleicht auch als Ansporn. Was auch immer es war, ich wollte meine Reaktion nicht rückgängig machen.

  Ohne mich zu küssen strichen seine Lippen weiter, folgten der Spur meines Schlüsselbeins bis dorthin, wo der Ärmel meines Kleids begann. Doch statt genau dort aufzuhören, schob er den Stoff beiseite und setzte seinen Mund auf das freigewordene Stück Haut. Mein Puls schoss in die Höhe und ich schnappte nach Luft.

  Ich sollte ihn wegschieben, ihm eine Ohrfeige geben und ihn anschreien, was zum Teufel er sich dabei dachte. Aber ich war zu nichts davon in der Lage. Mein Körper hörte nicht mehr auf die Befehle meines Kopfes. Das Einzige, was noch schlimmer war als die Tatsache, dass ich es zuließ, war die Tatsache, dass ich es wollte. Ich wollte ihn auf diese Weise spüren, seit er mir am Flughafen mit meinem Koffer geholfen und ich ihn noch für einen Fremden gehalten hatte. Ich wollte seinen Mund auf meiner Haut fühlen, seit er mich an jenem Abend auf der Veranda fast geküsst hätte. Und ich wollte ihn berühren, seit ich ihn während unserer Wanderung ohne Shirt gesehen hatte. Spätestens jedoch seit dem Moment, in dem ich ins Bad geplatzt war, als er geduscht hatte. Ich wollte all das und das war es, was mir am meisten Angst machte.

  Nicht nur weil er mein Stiefbruder war, sondern vor allem, weil er Schuld war an dem Unfall, der Dad das Leben gekostet hatte.

  Ich versuchte mich an diesen Gedanken zu klammern, versuchte den Hass und die Wut in mir dazu zu bringen, alle anderen Emotionen auszulöschen. Aber ich kam nicht dagegen an. Nicht gegen das drängende Ziehen in meinem Unterleib, nicht gegen die Gänsehaut in meinem Nacken und dem Drang danach, Keith zu spüren. Mehr. Länger. Überall. Aus der Spielerei der letzten Wochen, dem Necken und Reizen, war plötzlich Ernst geworden.

  Als er den Kopf hob, konnte ich es in seinen Augen lesen. Dieselbe Erkenntnis, die mich durchströmte und in ein einziges Gefühlschaos warf. Ein Teil von mir wollte nichts lieber, als Keith an mich zu ziehen und alles um mich herum zu vergessen, während der Rest von mir mich genau dafür verachtete.

  Ohne es zu merken war ich ihm nähergekommen. So nahe, dass ich jeden einzelnen seiner Atemzüge auf meinen Lippen spüren konnte. Meine Finger gruben sich noch etwas tiefer in sein Shirt, obwohl ich selbst nicht wusste, ob ich ihn wegstoßen oder noch dichter heranziehen sollte. Zu meiner Überraschung war es Keith, der mir diese Entscheidung abnahm.

  »Ich habe dir versprochen, dich nicht zu küssen …«, wisperte er dicht vor meinem Mund. In seinem Blick lag die gleiche Zerrissenheit, die auch in mir tobte. Dann zog er einen Mundwinkel in die Höhe. Es war nur eine winzige Bewegung, dennoch löschte sie mein komplettes Denken aus. »Noch nicht«, fügte er leise hinzu.

  Als er sich wieder aufrichtete, protestierte ich nicht. Auch dann nicht, als er seine raue Hand an meine Wange legte und mir einen bittersüßen Kuss auf die Stirn drückte. Ich wusste nicht, ob ich weinen, lachen oder ihn schlagen sollte. Jede seiner Berührungen stürzte mich in einen Gewissenskonflikt und ein Gefühlschaos, wie ich es nie zuvor erlebt hatte.

  Noch bevor ich irgendein Wort hervorbringen konnte, nahm Keith meine Hand, legte etwas hinein und schloss meine Finger darum. Es war klein, schmal und fühlte sich kühl an. »Happy Birthday, Callie.«

  Und dann war er verschwunden. Während ich noch auf den Punkt starrte, an dem Keith bis eben gestanden hatte, hörte ich, wie die Tür geöffnet und wieder geschlossen wurde. Zurück blieben nur diese Mischung aus Aftershave und Holz in der Luft – und mein hämmernder Herzschlag.

  Langsam, beinahe so, als könnte es mich anspringen und angreifen, öffnete ich die Hand, um nachzusehen, was Keith mir geschenkt hatte. Als ich erkannte, was es war, lachte ich erstickt auf. Ich hielt es ins fahle Licht, das von draußen hereinschien und betrachtete den Schlüsselanhänger. Er war aus Holz und hatte die Form eines Baseballschlägers im Miniformat. Das kleine Wörtchen Autsch war darin eingeritzt.

  Es war ein völlig überflüssiges Geschenk, das nicht die geringste Emotion in mir auslösen sollte. Genau genommen sollte ich es in den nächsten Mülleimer werfen und nie wieder daran denken. Stattdessen schloss ich meine Finger darum und versuchte nicht einmal, das warme Gefühl in meiner Brust zu verdrängen. Keith hatte es geschafft, mich erfolgreich von meinen Erinnerungen und meiner Panik abzulenken.

  Als ich diesmal auf die Halskette und den Anhänger hinuntersah, die ich noch immer in meiner anderen Hand hielt, hatte ich nicht mehr das Gefühl, innerlich zu zerspringen. Vielleicht lag es daran, dass ich längst nur noch ein Scherbenhaufen war. Oder aber daran, dass sich die ersten Stücke wieder zusammenzusetzen begannen.

  Ich öffnete den Verschluss und legte mir die Kette um. Im ersten Augenblick fühlte sich das Metall kühl und fremd auf meiner Haut an, erwärmte sich jedoch sofort und schmiegte sich um meinen Hals, als hätte es schon immer dorthin gehört. Mit den Fingerspitzen wischte ich mir die Mascaraspuren fort, dann richtete ich mich auf und steuerte die Tür an. Ich fühlte mich noch nicht bereit dazu, wieder da rauszugehen und mich unter die Feiernden zu mischen, aber ich konnte mich auch nicht länger hier verstecken. Nach einem kurzen Abstecher zu den Damentoiletten, um sicherzustellen, dass ich nicht so aussah, als hätte ich gerade einen emotionalen Zusammenbruch hinter mir, kehrte ich zu meinen Freunden und meiner Familie zurück.

  »Alles in Ordnung?« Faye war sofort an meiner Seite. Wie ein Radarsystem schlug ihre Intuition an und sie betrachtete mich prüfend von der Seite.

  »Ja«, erwiderte ich schnell. »Alles bestens.«

  »Sicher? Du warst so lange weg und vorhin ist Keith auch dort rausgekommen und …« Ihre Stimme erstarb.

  Ich drehte mich um, damit ich sah, was ihre Aufmerksamkeit so fesselte und musste mich in Gedanken sofort korrigieren. Kein Was, sondern ein Wer, denn auch wenn mehr als ein Dutzend Menschen zwischen uns waren, fand Keith meinen Blick und hielt ihn fest. Hastig wandte ich mich ab und wieder meiner besten Freundin zu.

  Ihre Stirn war besorgt gerunzelt, gleichzeitig meinte ich, Neugier in ihren Augen lesen zu können. »Will ich überhaupt wissen, was da drinnen passiert ist?«

  »Nein.« Ich räusperte mich und nahm ihr die Bierflasche aus der Hand, um einen großen Schluck daraus zu trinken. »Glaub mir, das willst du nicht.«

  11

  Rauch drang in meine Kehle und fand einen Weg in meine Lunge. Ich riss den Mund auf, um zu schreien, brachte aber nur ein Husten zustande. Jeder Atemzug kratzte in meinem Hals, als hätte ich eine Handvoll Stecknadeln verschluckt. Doch der körperliche Schmerz war nichts gegen das Gefühl der blanken Panik in meiner Brust.

  »Dad!«

  Unser Kombi wirkte auf einmal so klein, gegen den Baumstamm gedrückt, wie man eine leere Dose zerquetschen würde. Dunkler Rauch stieg aus der Motorhaube hervor und Flammen züngelten am Lack entlang. Bei dem Anblick verkrampfte sich mein Magen vor Übelkeit.

  Bitte nicht! Dad konnte nicht noch immer da drinnen sein. Er musste hier sein. Bei uns. Bei mir. Er konnte nicht mehr in diesem Wrack von Auto sein.

  »Callie!«

  Zwei Hände packten mich grob und rissen mich zurück, als ich zu unserem Wagen rennen wollte.

  »Lass mich l
os!«

  Tränen verschleierten meinen Blick, dennoch schien ich jedes Detail überdeutlich wahrzunehmen. Die beiden Airbags, die aufgegangen waren. Die Flammen, die immer größer wurden und eine Faust bildeten, die sich um das ganze Auto schloss. Den leblosen Körper, der über Fahrer- und Beifahrersitz lag, als hätte er es nicht rechtzeitig herausgeschafft.

  »Lass mich los!«, schrie ich erneut, aber Keith hörte nicht auf mich. Sein Arm war wie ein Stahlband, das mich zurückhielt und fest an seine Brust presste. »Lass mich los! Ich muss zu ihm! Lass mich los!«

  Im Motorraum explodierte etwas. Ich sank auf die Knie und zog Keith mit mir. Tränen strömten mir über das Gesicht, brannten noch stärker auf meiner Haut als der Rauch in meinen Augen, während ich brüllte und um mich schlug.

  Aber Keith ließ mich nicht los. Und während die ganze Welt um mich herum zusammenbrach, drückte er mich an sich und redete auf mich ein. Leere Worte, die mich beruhigen sollten, aber wir wussten beide, dass er log.

  Nichts würde je wieder in Ordnung kommen.

  Ich erwachte mit einem Schrei. Hände packten und schüttelten mich. Ruckartig setzte ich mich auf, blind für meine Umgebung, da ich noch immer in meinem Traum gefangen war.

  »Lass mich los!« Ich schlug um mich, traf warme harte Muskeln und wich zurück, bis ich mit dem Rücken gegen das Kopfende des Bettes stieß.

  Abwehrend hob Parker die Hände. Selbst in der Dunkelheit meines Zimmers konnte ich die Sorge in seinem Gesicht lesen. »Hey, hey … Es ist alles okay …«

  Ich schüttelte den Kopf, bevor ich darüber nachdenken konnte. Nichts war okay. Überhaupt nichts. Mein Magen war noch immer vor Panik verkrampft und das Gewicht auf meiner Brust machte es mir schier unmöglich, richtig Luft zu holen. Was war das eben gewesen? Nur ein Albtraum, gespeist von meiner Angst, mich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Mehr nicht. Es konnte keine Erinnerung sein. Es durfte keine Erinnerung sein.

 

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