Never Too Close

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Never Too Close Page 14

by Moncomble, Morgane


  Das ist kein Fremdgehen. Ich bin nicht wie meine Mutter. Ich werde nie so sein wie meine Mutter.

  »Ich bin so weit«, verkünde ich entschlossen, als ich das Wohnzimmer betrete.

  Loan telefoniert, eine Hand in der Tasche seiner dunklen Jeans. Als er mich hört, wendet er mir den Kopf zu, erstarrt und verstummt. Unter seinem Blick wird mir richtig heiß. Langsam mustert er mich von oben bis unten. Mission erfüllt, freut sich meine innere Violette.

  Im Auto bleiben wir stumm. Nur die Musik hilft uns aus der Peinlichkeit, und ich klopfe im Rhythmus der verschiedenen Songs auf meinen Oberschenkel. Loan hat seit der Episode in seinem Zimmer kein Wort gesagt.

  Im Restaurant hält Loan mir die Tür auf und lässt mir mit der Hand an meinem Rücken den Vortritt. Die Innenausstattung ist einfach schön. Das Erste, was ich sehe, ist die breite Treppe mit den vergoldeten Blättern sowie die bunte Wandbespannung mit großem Blütenmuster. Die Sitze sind violett und das Geschirr erscheint mir nicht extravagant. Schlicht, aber wirkungsvoll. Nach der Begrüßung lädt uns ein lächelnder Kellner ein, ihm ihn das Zwischengeschoss zu folgen. Schüchtern gehe ich hinter ihm her, als es plötzlich klirrt und scheppert.

  Besteck, ein Teller und ein Glas sind mir vor die Füße gefallen. Ich erstarre. Viel zu spät merke ich, dass ich mit der Jacke an einem Tisch hängen geblieben bin und alles mitgerissen habe.

  »Oh nein, das tut mir so leid!«

  Der Kellner kommt zurück und begutachtet den Schaden. Wie blöd kann man sein! Nicht mal in der Lage, einen Schritt zu tun, ohne irgendwas umzuwerfen. Alle sehen mich an. Ich bücke mich, um rot vor Scham das Besteck aufzuheben, aber Loan richtet mich auf und legt mir seine Hände auf die Schultern.

  »Natürlich ersetzen wir Ihnen den Schaden«, versichert er dem Kellner, der einem seiner Kollegen winkt.

  »Keine Sorge. So etwas kann passieren.«

  »Bei Violette passiert so etwas recht häufig«, scherzt Loan mit halbem Lächeln.

  Ein Mann nimmt mir die Scherben aus den Händen und sagt, dass er sich darum kümmert. Das fängt ja gut an … Nun folge ich dem Kellner mit erhöhter Vorsicht. Während wir die Treppe hinaufsteigen, bleibt Loan ganz dicht hinter mir. Ich will mich gerade umdrehen, um zu verstehen, warum, als ich fühle, wie er hinten an meinem Kleid zieht und dabei meinen nackten Oberschenkel streift.

  »Du solltest dich heute Abend keinesfalls bücken, okay?«, flüstert er mir zu.

  Ja, gib mir den Rest.

  Der Beginn des Abends verläuft reibungslos. Loan spricht wieder mit mir, und wir sitzen neben einem älteren, gut betuchten Paar, das mir ziemlich interessant vorkommt. Sanfte Musik klingt aus den Lautsprechern, die Atmosphäre ist ausgesprochen friedlich.

  Wir bestellen die Getränke und ich beginne das Gespräch. Ganz vorsichtig.

  »Wir sehen uns im Moment nicht gerade oft.«

  Ich trinke einen Schluck, während er sich mit einer Hand das Gesicht reibt. Erst jetzt stelle ich fest, wie müde er aussieht. Ich war so besessen von Clément, dass ich es nicht wahrgenommen habe. Ein leichter Stich im Herzen bringt mich zurück in die Realität.

  »Ja, tut mir leid, ich bin ganz schön fertig. Ich schiebe viele Stunden auf der Feuerwache, seit ich von Bali zurück bin.«

  Plötzlich habe ich starke Schuldgefühle. Ich habe nicht einmal bemerkt, dass er seine Stundenzahl verdoppelt hat.

  Ich beschließe, es wiedergutzumachen und frage ihn, ob gerade viel los ist. Er hebt eine Schulter und kreuzt die Finger auf dem Tisch.

  »So viel auch wieder nicht. Wir hatten ein paar Leute, die am Arbeitsplatz umgekippt sind, einige Keller unter Wasser und mehrere Autounfälle.«

  Ich interessiere mich normalerweise nicht besonders für seine Arbeit. Einfach weil sie mir Angst macht. Ich will nicht wissen, was er tut, wenn er nachts oder morgens zur Arbeit geht. Ich mag nicht unter der warmen Bettdecke liegen, wenn ich weiß, dass er zum Beispiel gerade einen Brand bekämpft. Und deshalb frage ich lieber nicht.

  »Und du und Clément?«, erkundigt er sich vorsichtig. »Scheint, als liefe es ganz gut.«

  Der Kellner kommt mit unserem Essen. Jetzt oder nie, Violette. Frag ihn. Er hat das Thema »Clément« angesprochen, jetzt bist du dran! Nur, dass es viel zu schwierig ist. Plötzlich verstumme ich und bringe kein Wort mehr heraus. Ich weiß nicht, ob ich Angst habe, dass er Nein sagt … oder dass er im Gegenteil akzeptiert.

  »Alles im grünen Bereich«, antworte ich und widme mich meinem Lachssteak.

  Als ich den Blick von meinem Teller losreiße, als ob ich neben mir stünde, stelle ich fest, dass Loan mich mit zusammengekniffenen Augen ansieht. Er stützt die Ellbogen auf den Tisch, hat die Hände vor dem Mund gekreuzt und kaut langsam. Ich kenne diesen Blick. Er will mich ergründen.

  »Woran denkst du?«, fragt er mich, nachdem er heruntergeschluckt hat.

  Ich schaue nach unten, um die Intensität seines Blicks nicht mehr ertragen zu müssen, aber es nützt nichts. Ich spüre sie, und das ist fast noch schlimmer. Obendrein sehe ich die Adern seiner Unterarme, weil er die Ärmel hochgekrempelt hat. Ein Schauder überläuft mich. Verdammt.

  »Mir scheint, du willst mich abservieren«, sagt er leise. Ein kaum merkliches Lächeln huscht über seine wundervollen Lippen.

  Ich sage ihm nicht, dass ich genau das Gegenteil will. Ich entscheide mich für eine andere Methode. Los jetzt, Violette! Augen zu und durch.

  »Du und ich, wir sind doch beste Freunde, richtig?«

  Automatisch runzelt er die Stirn und greift nach seiner Serviette, um sich den Mund abzuwischen.

  »Bis zum Beweis des Gegenteils – ja«, antwortet Loan misstrauisch. »Wenn du ein Problem hast, kannst du es mir ruhig erzählen.«

  Logisch, dass er sofort denkt, ich hätte ein Problem. Der rettende Superman.

  Mein Herz sagt mir, ich soll es tun, aber mein Verstand hält mich zurück. In Wahrheit habe ich eine Heidenangst. Angst, dass unsere Freundschaft leidet, wenn er akzeptiert, oder dass er mich für völlig verrückt hält und ablehnt. In jedem Fall gehe ich ein erhebliches Risiko ein. Aber mein Herz beruhigt mich und wiederholt, dass Loan nie schlecht von mir denken würde.

  »Es ist nicht wirklich ein Problem«, antworte ich und lege mein Besteck beiseite. »Sagen wir lieber … ein Ärgernis …«

  Das Paar neben uns hält auf dem Tisch Händchen. Ich verziehe das Gesicht. Ist es sinnvoll, hier mit ihm darüber zu reden? Als hätte er verstanden, beugt Loan sich zu mir, senkt die Stimme und nippt an seinem Mojito.

  »Und das wäre?«

  Wieder senke ich den Blick, schaue möglichst lässig, stütze die Ellbogen auf und mache eine wegwerfende Handbewegung.

  »Ach weißt du, meine Jungfräulichkeit.«

  Verblüfft prustet Loan in sein Glas. Ich beiße mir auf die Lippen, um nicht loszulachen. Das Paar neben uns schaut überrascht zu Loan, der sein Glas abstellt und sich das Hemd abwischt. Sein Blick ist wie eine Rasierklinge. Das fängt nicht gerade gut an.

  Ich nutze seine Überraschung, um mich den beiden Alten zuzuwenden.

  »Alles in Ordnung, er hat gerade erfahren, dass wir ein Baby bekommen. Auch wenn es nicht so aussieht – er ist superglücklich.«

  Obwohl er nach wie vor die Zähne zusammenbeißt, lehne ich mich zu ihm hinüber und flüstere:

  »Du musst jetzt lächeln und darfst mich nicht anschreien, sonst halten sie dich für ein Riesenarschloch.«

  Er wirft mir einen bitterbösen Blick zu, aber ich lächle unschuldig, nehme ihm die Serviette aus den Händen und richte mich ein wenig auf, um ihm den Kragen abzuwischen. Er lässt mich gewähren, ohne etwas zu sagen. Ich tätschle ihm weiter den Hals, bis er ruhiger wirkt. Kaum sitze ich wieder, fragt er auch schon:

  »Warum erzählst du mir von deiner Jungfräulichkeit? Wir sind im Restaurant, Violette. Mit einem solchen Wort kannst du mir doch nicht kommen, während ich Austern esse.«

  Ich muss laut auflachen. Mehrere neugierige Blicke richten sich auf mich und ich halte
mir die Hand vor den Mund, um nicht zu viel Lärm zu machen.

  »Na gut, was hast du denn für ein Problem mit deiner Jungfräulichkeit?«, fährt er fort. »Aber ich warne dich: Wenn du sie mit Clément verloren hast, will ich nichts davon wissen.«

  Plötzlich sieht er ziemlich unglücklich aus. Jetzt ist der Moment gekommen. Endlich. Ich werde wieder ernst und fummle an der Tischdecke herum, weil ich Loan nicht in die Augen sehen kann.

  »Nein, eben nicht … und genau das ist das Problem.«

  Ich blicke zu ihm auf. Er wirkt gleichgültig, doch er runzelt die Stirn. Er ist auf der Hut, wartet aber geduldig.

  »Ich möchte dich um einen Gefallen bitten.«

  Meine Stimme ist fester als zuvor. Ich begreife, dass ich meine Wahl getroffen habe.

  »Ich bin ganz Ohr«, sagt er und seine blauen Augen tauchen in meine ein.

  Mir bleibt fast das Herz stehen.

  »Ich möchte, dass du der Erste bist.«

  Zweiter Teil

  Der Kompromiss

  12

  Heute

  Loan

  Andere Leute überraschen mich nur selten. In aller Regel weiß ich nach der ersten Begegnung oder spätestens nach ein paar Tagen, wie sie ticken. Meine Mutter meinte immer, dass ich in diesem Spiel gut wäre. Ich habe das ebenfalls geglaubt. Bis ich Violette kennenlernte. Violette … Violette ist ein UFO. Vielleicht fasziniert sie mich deshalb so. Weil sie das Geheimnis in seiner reinsten Form darstellt.

  Auch jetzt noch. Zwar war ich der Meinung, alles über sie zu wissen, aber der heutige Abend beweist, dass sie nie aufhören wird, mich zu verwirren. Überstürzt verlasse ich das Restaurant und tue etwas, von dem ich nie gedacht hätte, dass ich es je tun würde: Ich lasse eine Frau die Rechnung bezahlen. Egal, ich zahle es ihr später zurück, wenn ich weniger sauer bin.

  Ich kann es immer noch nicht fassen. Ich fahre mir durch die Haare, während die Kälte des Abends unter mein Hemd kriecht. »Ich möchte, dass du der Erste bist.«

  Ernsthaft?!

  Die Offenbarung rief eine ganze Palette von Gefühlen hervor. Zunächst Unglaube. Meine erste Reaktion war: Ich habe mich verhört. Ich muss mich verhört haben. Also ließ ich es mir wiederholen.

  »Wie bitte?«

  »Ich möchte … dass du mit mir schläfst«, sagte sie erneut, deutlich weniger zuversichtlich. »Bitte.«

  Ich sah ihr in die Augen und suchte nach einem Anzeichen für einen Witz. Doch da war nichts. Sehr langsam legte ich mein Besteck auf den Tisch und spürte, wie eine seltsame Welle durch meine Brust rollte. In diesem Moment machte sich das zweite Gefühl bemerkbar: Schock.

  »Erklärst du mir das?«

  Mein abweisender Ton überraschte sie, aber sie legte die Hände auf die Knie und erklärte mir sehr leise, damit das alte Paar uns nicht hörte:

  »Wie du weißt, bin ich zwanzig Jahre alt und noch Jungfrau. Das soll sich jetzt ändern, ich habe es satt, zu warten. Und ich würde es gerne mit dir machen.«

  Ich fühlte mich wie mitten in einem Traum – einem angenehmen Traum, trotz der peinlichen Situation. Dann überkam mich das dritte Gefühl: Frustration. Welcher Typ würde nicht davon träumen, von einem schönen, klugen Mädchen um so etwas gebeten zu werden? Bei mir ist das nicht anders, auch ich habe nichts dagegen. Vor allem, wenn es sich um Violette handelt. Nur dass es keinen Sinn ergibt. Daher meine nächste Frage.

  »Und Clément?«, gab ich zurück. »Taugt er nicht dazu?«

  Unbehaglich zappelte sie auf ihrem Stuhl herum und hob eine Schulter.

  »Das ist es ja gerade – er ist das Problem.«

  Und schließlich kam die Wut. Wut, weil sie es mir nicht erklären musste; ich verstand es auch so.

  Als ich die Straße überquere, bin ich immer noch sauer. Gerade geht es mir gut damit. Ich will nicht über die Wut hinausgehen, weil ich Angst vor meiner nächsten Reaktion habe.

  Dass mir die Idee nämlich gefallen könnte.

  »LOAN!«, schreit Violette. Ich höre ihre schicken Stiefel auf dem Asphalt.

  Aber ich gehe einfach weiter. Dieses Mädchen verwirrt mich zu sehr, in ihrer Gegenwart kann ich nicht klar denken. Also entferne ich mich mit schnellen Schritten, während ich sage:

  »Ich wusste ja, dass du ziemlich komisch bist, aber das übertrifft wirklich alles! Ernsthaft: Wo kommst du her?«

  Plötzlich kann ich das Geräusch ihrer Absätze nicht mehr hören. Ich merke, dass sie stehen geblieben ist, und drehe ich mich um. Oh Scheiße. Violette steht zitternd in ihrem kurzen Schulmädchenkleid mitten auf der Straße, das Cape über dem Arm. Das Schlimmste sind ihre großen haselnussbraunen Augen, die mich mustern. Ich seufze, als mir klar wird, dass meine Worte sie verletzt haben. Das war nicht meine Absicht, und doch bin ich jetzt der Böse!

  »Nur bei dir habe ich mich nie ›komisch‹ gefühlt, wie du es ausdrückst.«

  Sie dreht sich um und geht hastig davon. Ich warte keine Sekunde länger und laufe ihr nach. Ich mag wütend sein, aber ich will ihr nicht wehtun.

  »Violette, es tut mir leid«, keuche ich und greife nach ihrem Handgelenk. »Ich habe es nicht so gemeint. Aber du musst mich auch verstehen …«

  Sie verschränkt die Arme vor der Brust und senkt den Kopf, starrt mich aber weiter durch ihre langen Wimpern an.

  »Ich bitte dich doch nicht, mir ein Kind zu machen, du Casanova, sondern nur, mir zu helfen.«

  Mit geschlossenen Augen kneife ich mir in die Nase. Gott, gib mir die Kraft, nicht laut zu werden. Nein, gib mir lieber die Kraft, diese Bitte abzulehnen! Ich glaube, ich brauche sie jetzt ganz dringend.

  »Wenn ich richtig verstanden habe«, sage ich langsam, »lädst du mich zum Abendessen in ein teures Restaurant ein, damit ich mit dir schlafe?«

  »Genau!«, ruft Violette erfreut.

  Ich öffne die Augen und schaue sie an. Sie lächelt heiter.

  »Hältst du mich für einen Gigolo?«

  Unwillkürlich beginnt sie zu lachen, versucht es aber zu unterdrücken, als sie meinen ernsten Gesichtsausdruck sieht. Ich bin hin und her gerissen: Ein Teil meines Egos weigert sich, benutzt zu werden und nur ein körperlicher »Handlanger« zu sein, während dieser Drecksack Clément sämtliche Vorteile genießt. Die andere Hälfte flippt total aus bei dem Gedanken, dass ich mir die Aufgabe vielleicht zu sehr zu Herzen nehmen könnte. Was ist, wenn ich es richtig toll finde, mit ihr zu schlafen?

  »Aber nein«, antwortet sie endlich. »Ich will nicht, dass du denkst, ich benutze dich. Ich habe nur … Angst. Dass es nicht läuft wie geplant, dass ich Mist baue oder mich blamiere, weil ich nicht weiß, wie es geht.«

  Am liebsten würde ich sie fragen, wie »was« gehen sollte, aber sie lässt mir dafür keine Zeit.

  »Ich habe mir überlegt, dass es vielleicht einfacher wäre, wenn ich es mit jemandem mache, dem ich voll vertraue.«

  Ich sage nichts dazu. Das ist wirklich Blödsinn. Eine absolut dämliche Idee. Kein Wunder, dass sie versucht hat, mich zu bestechen – nur, dass es nicht funktioniert. Ich würde so etwas nie tun.

  Auch wenn mein Körper um nichts anderes bettelt – ich bleibe hart. Ich bin schließlich kein Arsch.

  »Meine Antwort ist Nein, Violette«, erkläre ich leise. »Komm, wir gehen nach Hause.«

  Ich vermeide es, sie zu berühren – ich bin schon frustriert genug –, und gehe zum Auto. Ausnahmsweise mache ich mir keine Vorwürfe, dass ich ihre Gefühle verletzt habe. Ich weiß, dass es zu ihrem Besten ist und sie mir später dankbar sein wird, dass ich ihrer Spinnerei nicht nachgegeben habe. Natürlich mag ich mir nicht vorstellen, wie Clément sie entjungfert, aber ich wäre nicht mehr in der Lage, mir in die Augen zu schauen, wenn ich einen blöden Deal ausnutzen würde, um sie in mein Bett zu kriegen.

  Zu Hause angekommen, betritt sie den Aufzug vor mir. Ungerührt weigert sie sich immer noch, mich anzusehen. Ich betrachte ihr Kleid und schlucke. Leicht amüsiert schüttle ich den Kopf. Ich bin sicher, sie hat es absichtlich angezogen, um mich in Versuchung zu fü
hren.

  »Loan.« Vor der Wohnungstür kehrt ihre Stimme zurück.

  Ich blicke sie fragend an. Sie schaut mir direkt in die Augen.

  »Denk bitte noch einmal drüber nach.«

  Am nächsten Tag schleppe ich mich benommen in die Küche. Ich habe schlecht geschlafen, weil Violettes Vorschlag mir quälenderweise immer wieder durch den Kopf gegangen ist. Ich schenke mir ein großes Glas Milch ein und werfe meiner besten Freundin vernichtende Blicke zu. Der Fernseher scheint sie zu faszinieren. Ich weiß, dass sie mich gehört hat, aber sie wendet den Blick nicht vom Bildschirm ab und balanciert ihre Müslischale auf den Knien.

  Ich mache mir Frühstück und verzehre es mit wirren Gedanken am Küchentresen. Zoé kommt ebenfalls herein und schlurft wie ein Zombie durch das Zimmer. Dieses Mädchen war schon immer ein Morgenmuffel, zumindest seit ich sie kenne; genau genommen muffelt sie morgens, mittags und abends. Zoé nervt rund um die Uhr. Aber ich finde mich damit ab. Plötzlich bleibt sie mitten im Wohnzimmer stehen und wirft mir einen bösen Blick zu.

  »Sagt bloß, dass ich ab jetzt jeden Scheißmorgen eure miesen Visagen sehen muss.«

  Ich lächle sie arrogant an, obwohl ich verstehe, was sie meint.

  »Du hast es erfasst.«

  »Na toll«, murmelt sie und kippt Müsli in eine Schale.

  Dieser Sonntag verläuft eigentlich recht gut. Wir verbringen den Tag müde zu Hause. Es ist fast so, als hätte Violette mich um nichts gebeten. Nur dass das nicht stimmt und ich es schon bald ausbaden muss.

  Die ersten drei Tage scheint sie zu schmollen. Sie sagt nicht etwa, dass sie sauer auf mich ist, sondern sie macht es viel schlauer. Sie tut nur so wenig wie möglich in meiner Gegenwart, vermeidet es, mich anzuschauen, mich zu berühren, mit mir zu reden. Und das ist eine wahre Folter.

 

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