21
Heute
Loan
Der intensive Blick, den Violette mir zuwarf, ehe sie begann, ihre Frage zu formulieren, brachte mich ziemlich durcheinander. Aber als mein Handy klingelt und ich über Lucies Namen stolpere, wird mein Herz von einem Adrenalinschub erfasst. Ich zögere einen Moment, als hätte ich zu lange darauf gewartet, als dass es noch wahr werden könnte. Dann aber siegt meine Neugier.
»Tut mir leid, Vio, ich muss rangehen. Wir reden später weiter, okay?«
Ich nehme das Gespräch an und kann immer noch nicht glauben, was da gerade passiert. Lucie ruft mich an. Lucie, die Frau, von der ich vor einem Jahr noch dachte, dass ich mit ihr mein Leben verbringen würde – Lucie, die mich verlassen und sich seitdem nie wieder bei mir gemeldet hat.
»Hallo?«
Ich schließe die Wohnungstür hinter mir und gehe die Treppe hinunter. Lucies Stimme erreicht mich sanft und zögernd genau in dem Moment, als ich auf einen Mann treffe, der vor dem Aufzug wartet.
»Loan? Ich bin es … Lucie.«
Als ob ich das nicht wüsste! Als ob ich nicht auf ihren Anruf gewartet hätte, seit sie mich wie einen Versager sitzen lassen hat!
»Ja, ich habe deinen Namen gesehen«, erkläre ich lakonisch.
Aufhorchend runzle ich die Stirn, als der Unbekannte über den langsamen Aufzug flucht. Erst jetzt scheint er sich meiner Anwesenheit bewusst zu werden, schaut mich vorwurfsvoll an und flucht noch einmal, ehe er sich für die Treppe entscheidet.
»Bist du noch da?«, fragt Lucie am anderen Ende der Leitung.
Ich bestätige mit einem »Ja«, konzentriere mich aber auf den Mann, der schnell verschwindet. Ich bin mir hundertprozentig sicher, dass er keiner unserer Nachbarn ist. Er sieht jung aus, ungefähr so alt wie ich, und scheint nicht ganz auf der Höhe zu sein. Wieder mal so ein Typ, der nur rumgammelt …
»Tut mir leid, ich habe gerade nicht zugehört.«
»Störe ich dich?«, fragt Lucie und klingt dabei nicht gerade selbstsicher. »Ich habe ferngesehen und musste an dich denken, also habe ich mir erlaubt, dich anzurufen.«
Eigentlich ja. Violette wollte mir etwas sagen, und ich war sehr neugierig, worum es ging. Trotzdem lüge ich.
»Nein. Ich war beim Abendessen.«
»Oh.«
Ich würde sie gern fragen, warum sie sich entschieden hat, die Anruftaste zu drücken, aber ich halte mich zurück. Ich will sie nicht vor den Kopf stoßen. Sie hat es getan, und ich schätze, das ist die Hauptsache. Als sie mich jedoch fragt, wie es mir geht, stottere ich jämmerliche Banalitäten.
Genau genommen bin ich mit den Gedanken woanders. Es ist wie … wie etwas Merkwürdiges, das mich ablenkt … aber ich kann den Finger nicht darauflegen. Ich beschäftige mich nicht zu sehr mit dieser Idee, sondern lasse sie langsam und sicher ankommen, und sie sickert sanft in mich ein.
Und zwar ganz selbstverständlich.
Plötzlich weiß ich, worum es geht. Es war ihr Blick. Violettes Blick, traurig und bernsteinfarben, Zeuge meiner Flucht. Ich habe sie allein gelassen, obwohl wir mitten in einem Gespräch waren, und das nur, um mich einer Frau zu widmen, die ich zwar einmal geliebt habe, die mich jedoch monatelang vergessen hat. Ich bin echt blöd!
»Wie kommt es, dass du um diese Zeit isst?«
Ich zucke mit den Schultern, ehe mir einfällt, dass sie mich nicht sieht.
»Ich esse mit Violette.«
Ich weiß nicht, warum ich das gesagt habe. Es ist keine Antwort auf ihre Frage … Ich musste nur bei meiner besten Freundin etwas wiedergutmachen, auch wenn sie mich nicht hören kann. Sie wegen Lucie im Stich zu lassen war unverzeihlich und geschmacklos.
Ich steige die Treppe wieder hinauf und wappne mich bereits gegen die Enttäuschung in ihren Schokoladenaugen, als Lucie trocken weiterspricht:
»Verstehe. Eigentlich habe ich dich angerufen, um …«
Ein Geräusch von zerbrechendem Glas unterbricht sie. Hellwach blicke ich mich um. Eine böse Vorahnung gepaart mit den Reflexen eines Feuerwehrmanns treibt mich an, die Treppe mit Höchstgeschwindigkeit zu erklimmen und Lucie kommentarlos wegzudrücken. Ich weiß nicht wieso, aber ich habe sofort erraten, was los ist. Trotzdem bleibe ich cool, obwohl mir das Herz bis zum Hals schlägt. Ein einziger Gedanke lenkt meine Schritte: nicht bei uns, nicht bei uns …
Als ich im zweiten Stock ankomme, steht unsere Wohnungstür weit offen. Ich zögere nur den Bruchteil einer Sekunde, dann stürme ich los.
Das Erste, was ich sehe, war der Grund für meine Eile: Die Vase mit Cléments Blumen liegt in tausend Stücke zersplittert zu Füßen meiner besten Freundin. Violette steht vor Angst wie versteinert mit verstörtem Gesicht da. Ein Blick in die Runde zeigt mir, dass Clément und André reglos neben ihren Stühlen verharren. Ich habe kaum Zeit zu verstehen, was los ist. Der Fremde aus dem Treppenhaus bewegt sich bedrohlich auf Violette zu.
»Sag mir, wo sie ist, verdammt! Sie ist meine Schwester!«
Ich mache mich bereit, ihn wutentbrannt anzuspringen, als Violettes Vater mir zuvorkommt und den Mann am Kragen packt. Überrascht lässt dieser sich gegen die Wand drängen. Noch nie habe ich André so erlebt. Sein Gesicht ist hochrot und sehr wütend.
»Hör mir gut zu, Junge! Ich weiß weder, wer du bist noch was du hier willst, aber wenn du nicht sofort verschwindest, rufe ich die Polizei. Und ich bin sicher, die würde dich in deinem zugedröhnten Zustand ziemlich interessant finden.«
Eine bleierne Stille senkt sich über den Raum. Ich stehe völlig neben mir und weiß nicht, was ich tun soll. Mir schwant, dass dieser Mann Zoés Bruder ist … und dass er das Geld einfordert, das Zoé ihm nicht geben wollte.
»Sie haben ja keine Ahnung, mit wem Sie reden«, faucht Bryan mit zitternden Händen.
Er ist eindeutig auf Entzug. André, der es erkannt hat, packt fester zu und schaut ihm direkt in die Augen, um auf jeden Fall richtig verstanden zu werden.
»Komisch, ich wollte gerade dasselbe sagen. Los Junge, verschwinde.«
Er schubst ihn unsanft zur Wohnungstür, nur ein paar Zentimeter von mir entfernt. Bryan sieht sich hektisch um und scheint die Möglichkeiten abzuwägen, die ihm noch bleiben. Zwar hat André ihn heute Abend zu Tode erschreckt, aber ich weiß genau, dass er zurückkommt, wenn er wieder auf Turkey ist. Die Drohung mit der Polizei interessiert ihn nicht. Er kommt, weil er Geld braucht. Und obwohl Zoé mir unendlich leid tut, darf sie Violette um keinen Preis in ihre Schwierigkeiten hineinziehen. Der Kerl kennt unsere Adresse, verdammte Scheiße! Was, wenn heute Abend weder André noch ich da gewesen wären?
Ich habe den Gedanken nicht einmal zu Ende gedacht, als ich auch schon in mein Zimmer laufe. Ganz ruhig hocke ich mich hin, ziehe eine Schachtel aus ihrem Versteck und nehme mehrere Hundert-Euro-Scheine heraus. Ich stecke sie in meine Hosentasche und kehre mit zusammengebissenen Zähnen ins Wohnzimmer zurück. Ich kann nicht glauben, dass ich das wirklich tue, verdammt.
»Los, verschwinde.«
»Sagen Sie Zoé, ich warte auf mein Geld«, knurrt Bryan und zieht sich mit stetigem Blick auf Violette langsam zurück.
Mir stockt das Blut in den Adern.
»Schau woanders hin.«
Ich schiebe ihn vorwärts und schließe die Tür hinter uns. Draußen, in der Intimität des Treppenhauses, packe ich ihn brutal am T-Shirt und ziehe ihn an mich heran, bis seine Nase meine berührt.
»Ich weiß, wer du bist. Und ich weiß auch, dass du nicht aufgibst, bis du dein Geld hast. Also hier«, füge ich hinzu und ziehe die Scheine aus meiner Tasche. »Nimm das und verschwinde möglichst weit weg. Vergiss diese Adresse.«
Bryan zuckt nicht mit der Wimper und nimmt das Geld. Er bedankt sich nicht einmal, aber das war mir klar. Ihm dieses Geld tatsächlich zu geben macht mich krank. Nach unzähligen Vorfällen mit Junkies, die ich in meinem Beruf erlebt habe, weiß ich, dass ich ihn damit umbringe. Aber mir geht es um Violette.
Ich packe sein schäbiges T-Shirt mit der Faust. Ich überrage ihn um einige Zentimeter.<
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»Wenn du je wieder einen Fuß in diese Wohnung setzt – meine Wohnung – oder dich Violette auch nur auf zehn Meter näherst … dann finde ich dich und poliere dir die Fresse.«
Ohne auf eine Antwort zu warten, lasse ich ihn los und kehre in die Wohnung zurück. Erst drinnen stelle ich fest, dass mein Herz wie wild pocht. Ich ignoriere es und suche Violettes Blick. Immer noch fassungslos hat sie sich nicht vom Fleck gerührt. André fegt Glasscherben weg, während Clément den Tisch abräumt.
Ohne zu zögern, gehe ich mit großen Schritten auf meine beste Freundin zu. Sie reagiert nicht auf meine Annäherung. Ich nehme ihr Gesicht zwischen die Hände und blicke ihr direkt in die Augen.
»Hey … Kleines, bist du okay?«
Wie betäubt starrt sie mich an. Ich weiß, dass die anderen mich gehört haben, aber das ist mir egal. Jetzt und hier will ich nichts vortäuschen. Meine Daumen streicheln ihre Wangen. Endlich bewegt sie sich und stößt meine Hände von sich.
»Lass mich.«
Schnell kommt sie wieder zu sich, doch in ihren Augen zeigt sich neuer Ärger. Ich lasse sie gewähren, denn jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt, um mich bei ihr zu entschuldigen.
Letztlich war dieses Abendessen ein wahres Fiasko. André wischt den Boden auf, während Clément nach Hause geht und Violette vor der Tür küsst. Sie kümmert sich nicht um uns, sondern ist damit beschäftigt, Zoé anzurufen und ihr die Situation zu erklären. Nach einer Weile bitte ich sie, mir Zoé zu geben. Violette kneift die Augen zusammen, stellt aber keine Fragen.
Ich entferne mich ein paar Schritte und erkläre Zoé, dass ich ihrem Bruder Geld gegeben habe.
»Du hast … Warum hast du das getan?«, keucht sie verwirrt.
»Weil er sonst zurückgekommen wäre.«
Zoé antwortet nicht, aber ich spüre, wie bewegt sie ist. Sofort fühle ich mich schuldig, weil ich sie damit belastet habe. Sie kann schließlich nichts dafür. Man sucht sich seine Familie nicht aus, das weiß ich selbst nur allzu gut.
»Inzwischen hat er sich sicher wieder eingedeckt.«
»Bestimmt. Ich weiß sogar, woher er das Zeug bekommt«, sagt sie beschämt.
Mir ist klar, dass sie es nicht hören will, aber Zoé muss verstehen, dass ihr Bruder gefährlich ist. Im Moment ist er zwar noch nicht so weit, aber Drogen können ihre Opfer zu den schlimmsten Verbrechen treiben. Irgendwann wird auch bei ihm die Sicherung durchbrennen. Und wenn dieser Tag kommt, will ich auf gar keinen Fall, dass er sich daran erinnert, wo wir wohnen.
»Zoé, er darf nicht zurückkommen.«
»Ich weiß«, antwortet sie verbittert. »Ich habe versucht, ihm zu helfen, weißt du … ich liebe ihn … aber vielleicht ist es wirklich Zeit, ihn zu einer Reaktion zu zwingen … Sobald ich aufgelegt habe, rufe ich bei der Polizei an und gebe ihnen seine Adresse.«
Zu wissen, dass sie ihren Bruder melden will, schmerzt mich. Nicht seinetwegen, sondern wegen Zoé, denn ich weiß, dass es schwer sein wird, damit zu leben. Aber sie und ich wissen, dass es die beste Lösung ist.
»Okay, umso besser. Gute Nacht, Zoé.«
»Loan?«
Sie zögert.
»Danke.«
Ich sage ihr, dass es dafür nichts zu danken gibt, dann lege ich auf. Es mag banal klingen, so etwas zu sagen, aber ich fühle mich Zoé heute Abend näher. Manchmal ist sie wirklich eine Nervensäge, aber sie hat nicht nur Schönes erlebt. Letzten Endes ist tatsächlich Jason der Normalste in unserem Freundeskreis – welche Ironie.
Ich schreibe Lucie, dass es mir leid tut, aber es hätte einen Notfall gegeben. Sie antwortet nicht. Egal.
Eine halbe Stunde später liege ich in meinen Boxershorts auf der Couch und starre an die Decke. Schon bald nach dem Vorfall hat Violette sich in ihr Zimmer geflüchtet. Meines habe ich André überlassen. Ich frage mich, ob sie schon schläft … Ich mache mir wirklich Vorwürfe, weil ich so abscheulich zu ihr war. Erst schlafe ich mit ihr, sage ihr dann, sie soll sich nicht schuldig fühlen, schlafe wieder mit ihr und werfe ihr auch noch Untreue vor.
»Loan, Loan, Loan …«, seufze ich. »Du bist ein hoffnungsloser Fall. Und obendrein redest du mit dir selbst.«
Ich greife nach meinem Handy auf dem Couchtisch und schreibe Violette. Es ist mir wichtig, dass wir uns wieder versöhnen, und zwar schnell.
Ich: Schläfst du …?
Violette: Nein.
Ich: Ich muss mit dir reden. Bitte … Komm zu mir …
Es dauert einige Minuten, bis sie mir antwortet. Ich hoffe, sie denkt nicht, dass ich Sex haben will, denn das ist nicht der Fall. Ich will nur mit ihr zusammen sein.
Violette: Ich bleibe in meinem Bett, Loan.
Ich: Darf ich zu dir kommen?
Violette: Nein.
Beunruhigt beiße ich mir auf die Lippen. Warum sind wir Männer nur so dumm?
Ich: Warum?
Violette: Du hast es selbst gesagt. Vielleicht sollte ich lieber aufhören, mit dir zu schlafen.
Autsch. Das hast du super hingekriegt, Loan. Du bist wirklich ein Riesenidiot.
So weit ist es also gekommen? Ich lege mein Handy weg und starre wieder an die Decke. Unsere Freundschaft wird immer erdrückender. Ich weiß nicht, in welche Richtung wir unterwegs sind, ich weiß nur, dass ich, ohne es zu merken, von einem Tag auf den anderen aufgewacht bin … und in meine beste Freundin verliebt war.
Die Wahrheit ist: Ich scheue mich, Violette zu lieben, und zwar aus dem einfachen Grund, dass ich eine Heidenangst davor habe, Lucie endgültig loszulassen. Manche würden das vielleicht lächerlich finden, aber für mich ist es ganz natürlich. Lucie bedeutet für mich meine Jugend, meine Vergangenheit und vier schwierige Jahre meines Lebens. Es fällt mir schwer, das alles aufzugeben. Umso mehr, als es eigentlich nie eine richtige Trennung gab. Ich frage mich immer wieder, was passiert wäre, wenn ich um sie gekämpft hätte. Vielleicht wären wir wieder zusammen. Oder auch nicht.
Ich knurre frustriert und stehe auf, um Jogginghose und Turnschuhe anzuziehen. Ich nehme meine Schlüssel und meinen iPod mit und verlasse die Wohnung. Draußen in der dunklen Nacht ziehe ich mir die Kapuze über den Kopf. Es regnet in Strömen. Ich erinnere mich an einen Abend, an dem Violette und ich auf einem Schiff auf der Seine aßen. Auf dem Heimweg regnete es heftig. Ich fing an, meinen Regenschirm herauszuholen, als ich sah, wie sie sich im Regen drehte. Es sah so natürlich aus, als würde sie die Elemente kontrollieren. Überwältigt von so viel Leidenschaft verstaute ich den Regenschirm wieder, ohne sie aus den Augen zu lassen, ließ mir das Haar nass regnen und sah zu, wie sie tanzte und dabei lachte. Nie zuvor hatte es mir so gut gefallen, in einer solchen Sintflut draußen zu sein.
Ich nehme den iPod aus der Tasche und laufe mit wirren Gedanken los.
Playlist Vio (weil Loan einen beschissenen Geschmack hat).
Ich muss grinsen, als ich mir vorstelle, wie sie der Liste den Namen gegeben hat, dann beschließe ich, sie anzuklicken. Und mich gehenzulassen … zumindest beim Joggen.
22
Heute
Violette
Am Sonntagmorgen wache ich mit miserabler Laune auf, was mich nicht im Geringsten wundert. Alle scheinen noch zu schlafen, deshalb verlasse ich mein Zimmer so leise wie möglich. Auf dem Sofa liegt Loan auf dem Rücken, einen Arm im Nacken. Nur seine Oberschenkel sind zugedeckt. Er schläft nicht.
Ich ignoriere seinen Blick und gehe in die Küche, als ob nichts wäre. Ich bin immer noch enttäuscht von seinem Verhalten. Mir ist klar, dass ich selbst nicht schuldlos bin, trotzdem habe ich das Recht, auf ihn wütend zu sein. Immerhin wollte ich ihm gerade reinen Wein einschenken, Scheiße! Noch nie habe ich mich so gedemütigt gefühlt.
Ich nehme Butter und Marmelade aus dem Kühlschrank und spüre seinen Blick, der jede meiner Bewegungen beobachtet. Ich bin noch im Schlafanzug und setze meine Tätigkeit auch dann fort, als ich ihn aufstehen höre. Loan nähert sich mit der Decke über dem Rücken, umarmt mich von hinten und wickelt uns beide ein. Sein Körper, der sich an mich schmieg
t, strahlt Wärme aus, während er sein Gesicht an meinem Hals verbirgt.
Ich versuche mich zu befreien, aber er hält mich fest und flüstert:
»Es tut mir leid.«
Ich kann ihn beim besten Willen nicht wegstoßen, aber ich antworte nicht. Bis morgen will ich noch schmollen. Loan scheint damit zufrieden zu sein und bewegt sich nicht, sondern atmet nur den Geruch meines Halses ein. Unwillkürlich zittere ich. Unbeweglich lasse ich ihn gewähren, aber ich erwidere weder seine Umarmungen noch seine Küsse. Loan macht unbeirrt weiter und küsst meinen Nacken, meinen Hals und mein Kinn. Meine Augen bleiben geschlossen. Ich bin ihm hoffnungslos verfallen, und dieses Wissen bringt mich um.
»Ich hoffe, der Anruf war es wenigstens wert.«
»Wir haben kaum miteinander geredet. Sie hat mich gefragt, wie es mir geht und ich habe zurückgefragt. Das war’s.«
Irgendwie bin ich erleichtert, dass sie nicht lange geredet haben. Loan erwartet keine Antwort von mir – er weiß, dass er keine bekommen wird.
Plötzlich drehe ich mich zu ihm um. Wir sind einander so nah, dass unsere Nasen sich fast berühren. Er scheint überrascht, sagt aber nichts. Dann fällt mein Blick auf seine Brustmuskeln, auf denen das Licht spielt. Sein Tattoo »Warrior« zwinkert mir zu.
Mein tapferer Krieger.
»Wie ist es passiert?«, frage ich geradeheraus. Seine Augen verschleiern sich und er beißt die Zähne so fest zusammen, dass seine Wangen schmal werden. Er weiß, wovon ich rede, auch wenn seine Verbrennung für mich in diesem Moment nicht sichtbar ist.
»Das ist keine Geschichte für heute«, sagt er.
»Wenn du sie mir erzählen würdest, würde es mir vielleicht helfen, mit dem Schmollen aufzuhören«, bohre ich skrupellos weiter.
Er scheint das nicht lustig zu finden. Und alles, was ich wahrnehme, ist sein Mund – schön und verführerisch und nur zwei Zentimeter von meinem entfernt. Nach dem, was er mir gestern Abend angetan hat, würde ich ihn zwar gern küssen, aber ich würde ihm auch liebend gern den Mund zunähen. Leider taucht mein Vater auf und durchkreuzt meine Pläne.
Never Too Close Page 25