»Los, verschwindet«, knirscht Loans Vater. »Ich habe dir doch gesagt, dass heute kein guter Tag ist.«
Loan bleibt ein paar Sekunden reglos mit ungläubigem Gesicht stehen. Er starrt seine Mutter noch einige Augenblicke an und flüstert ein »Entschuldigung«, das ich wahrscheinlich als Einzige höre. Schließlich dreht er sich zu mir um und zieht mich hinter sich her zur Tür:
»Wir gehen dann jetzt.«
Wir eilen hinaus. Hinter uns hören wir seine Mutter weinen. Loan geht so schnell, dass ich ihm nur im Laufschritt folgen kann. Immer noch bin ich zutiefst erschrocken über das, was sich gerade vor meinen Augen abgespielt hat. Mein Arm tut weh, aber ich verbiete mir, nachzuschauen. Am Auto wirbelt Loan herum und tritt gegen die Karosserie. Ich stehe kaum einen Meter entfernt und zucke zusammen. Schließlich rutscht er an der Fahrertür hinunter in die Hocke und verbirgt sein Gesicht in den Händen.
Dieses Bild macht mir schwer zu schaffen. Mein Herz krampft sich zusammen. Nach der Sache mit Ethan hat er das nun wirklich nicht gebraucht. Er zittert am ganzen Körper. Ich würde ihm gern beistehen, aber ich weiß nicht wie. Schließlich gehe ich vor ihm auf dem Asphalt in die Knie und schließe ihn in die Arme. Ich halte ihn ganz fest und lege den Kopf auf seine Schulter, obwohl er meine Umarmung nicht erwidert. Meine Finger graben sich in seine Haare und versuchen, die Anspannung seines Körpers zu lindern.
»Alles wird gut …«
Ich küsse seinen Hals, sein Ohr, sein Kinn und warte darauf, dass er die Hände vom Gesicht nimmt. Er darf sich nicht für das schämen, was ich gerade gesehen habe. Niemals. Plötzlich fühle ich mich ganz elend. Ich stelle mir vor, wie oft er seine Mutter ohne unser Wissen besucht hat und danach darüber hinwegkommen musste. Allein. Ohne mich.
»Schau mich an … Bitte.«
Nach einigem Zögern öffnet er die Augen und versenkt seinen Blick in meinem. In diesem Moment ist es, als teilten wir den gesamten Schmerz des Universums. In perfekter Symbiose. Es ist eine traurige, fast düstere Perfektion, die uns einander aber zweifellos näher bringt.
Er verharrt in seiner verwundbaren Position, während ich sein Gesicht in beiden Händen halte.
»Du brauchst das nicht tun«, hauche ich.
»Ich weiß«, antwortet er leise.
Er zittert noch immer leicht, aber er weint nicht, als ob er schon letzte Woche alle Tränen verbraucht hätte.
»Sie war fünfundzwanzig, als bei ihr paranoide Schizophrenie diagnostiziert wurde. Ich war fünf.«
Oh, Loan … Ich hatte also recht. Die nicht existenten Stimmen, die Halluzinationen, die Überzeugung, dass alle einem nur Böses antun wollen, das unberechenbare Verhalten und so weiter.
»Meine Eltern haben mich sehr jung bekommen«, fährt Loan fort. »Ich war ein Unfall. Meine Mutter liebte mich abgöttisch, bis sie krank wurde, aber mein Vater war viel zu sehr damit beschäftigt, seine Frau anzubeten, um mir ebenfalls Liebe zu geben. Je älter ich wurde, desto mehr verschlimmerte sich die Krankheit. Die schweren Psychosen begannen, als ich fünf war. Sie glaubte, man hätte ihren Sohn gegen mich ausgetauscht. Aber dann … irgendwann war sie plötzlich wieder ganz sie selbst. Während ihrer Stabilisierungsphasen fand ich die liebevolle Mutter wieder, die mich in den ersten fünf Jahren meines Lebens umsorgt hatte«, murmelt er mit schmerzverzerrtem Gesicht. »Sie liebt mich, das weiß ich. Nur erinnert sie sich manchmal nicht mehr daran.«
Dieser Satz gibt mir den Rest.
»Nach einiger Zeit kam sie zur Behandlung in eine Klinik und alles wurde wieder gut. Bis mein Vater seinen Job verlor. Sie hörte auf, ihre Medikamente zu nehmen, und jetzt ist sie so.«
Plötzlich scheint es ihm schwerzufallen, weiterzusprechen. Er schließt einige Sekunden die Augen und atmet schwer, während ich warte. Wir kauern immer noch hinter dem Auto. Er greift nach meiner Hand. Ich hebe sie an meine Lippen und küsse sanft seine Handfläche.
»Du kannst mir alles erzählen, was du willst, Loan.«
Er öffnet die Augen wieder. Er sieht jetzt ruhiger aus, obwohl ihm die Furcht ins Gesicht geschrieben steht. Zum ersten Mal gesteht er mir seine dunkelsten Geheimnisse.
»Ich war elf«, beginnt er. »Meistens warf sie mir nur finstere Blicke zu, hat sich aber von mir ferngehalten. Es war schwer genug, aber ich habe es hingenommen.«
Ich nicke, damit er weiterspricht.
»Eines Abends kam ich aus der Dusche. Ich ging in die Küche, um sie zu fragen, was wir essen würden, als sie einen Topf mit heißem Öl nach mir warf.«
Dieses Mal kann ich nicht anders, als mein Entsetzen zu zeigen. Natürlich ist mir klar, dass sie krank und daher nicht in ihrem normalen Zustand war … aber sie hätte ihren Sohn beinahe getötet! Schlimmer noch: Genau das war das Ziel.
»Mein Gott, Loan …«
»Ich spürte, dass meine Haut wie Luftpolsterfolie aufplatzte, und schrie wie am Spieß. Mein Vater war sofort zur Stelle und schloss meine Mutter im Bad ein, während er mich ins Krankenhaus brachte. Er stellte es so dar, als wäre mir der Unfall aus Leichtsinn passiert. Es ist Vergangenheit.«
»War deinem Vater danach nicht klar, wie gefährlich es war, so weiterzumachen, ohne etwas zu unternehmen?«, frage ich betroffen.
Loan zuckt die Schultern und lacht unfreundlich. Ich kann nicht glauben, dass seine Mutter versucht hat, ihm so etwas anzutun. Ich stelle ihn mir mit elf Jahren vor, wie er kaum einschlafen kann, weil er Angst haben muss, im Schlaf erstickt zu werden. Es ist grauenhaft.
»Oh doch, das war ihm klar. Er zwang mich, ständig auf der Hut zu sein, schloss mich in meinem Zimmer ein und versteckte den Schlüssel und solche Dinge. Es war schrecklich. In der Schule habe ich mich ständig geprügelt, weil es für mich die einzige Möglichkeit war, aus mir herauszugehen. Nachts konnte ich nicht mehr schlafen, weil ich wusste, dass es meine eigene Mutter jede Minute ohne Vorwarnung überkommen und sie beschließen konnte, mich zu erwürgen, ohne dass es jemand bemerkte. Ich weinte unter der Dusche, weil ich mich dafür hasste, dass ich ihr böse war. Wenn sie mich anschrie, versteckte ich mich in meinem Kleiderschrank, damit sie nicht an mich herankommen konnte. Und am nächsten Tag, wenn sie wieder einigermaßen bei sich war, musste ich so tun, als ob ich mich in ihren Armen sicher fühlte … Auch meine Freunde log ich an. Ich erfand eine andere Familie, und anschließend schlug ich mich selbst, weil ich es gewagt hatte, so etwas zu tun. Noch heute schäme ich mich. Ich schäme mich so sehr, dass ich mir in der Öffentlichkeit nicht das T-Shirt ausziehen kann. Nicht mal vor meiner Freundin, verdammt.«
Mir blutet das Herz, aber ich will keinesfalls vor ihm weinen.
»Warum lässt dein Vater sie nicht einweisen?«
»Er war – und ist – kategorisch dagegen. Er will nicht, dass sie in die Psychiatrie kommt, nicht fort von ihm, nicht noch einmal. Natürlich ist das Quatsch, aber er hört nicht auf mich. Ich glaube … Ich glaube, er will nicht zugeben, dass sie ein Problem hat, obwohl er es genau weiß. Er empfindet es so, als würde man sie verurteilen und im Stich lassen.«
Mit unendlicher Traurigkeit nehme ich diese neuen Informationen zur Kenntnis. Und irgendwie auch mit Scham. Die ganze Zeit habe ich mich über meine Mutter beschwert, während er Tag für Tag gegen ein viel härteres Los kämpft! Zwar haben wir beide eine schlechte Mutter, nur hat seine sich nicht aus freien Stücken entschieden, so zu werden.
»Es tut mir so leid, Loan … Aber du darfst dir nicht die Schuld am Zustand deiner Mutter geben. Und vor allem musst du dich immer daran erinnern, dass sie dich liebt. Sie ist krank und muss jeden Tag gegen ihre Dämonen kämpfen, aber tief in ihrem Inneren liebt sie dich so wie früher. Weißt du, woran man das merkt? Obwohl sie denkt, dass du nicht ihr Sohn bist, erinnert sie sich an dich als kleines Kind.«
Er nickt mit gesenktem Blick. Ich fühle mich so hilflos! Ich schäme mich, dass ich nicht weiß, was ich zu ihm sagen soll, obwohl er es immer schafft, mich zu trösten, wenn es mir nicht gut geht.
»Ich weiß«, seufzt er. »Böse bin ich eigentlich nur auf meinen Vater, weil er nichts unternimmt.«r />
Ich kuschle mich an ihn. Er lässt sich zu Boden sinken und nimmt mich in die Arme. Ich lege meine Wange auf sein T-Shirt und schlinge meine nackten Beine um seine. Mein Kleid ist über den Hüften ein wenig hochgerutscht und enthüllt den Bund meines Slips, aber Loan streicht es glatt, um mich wieder zu bedecken. Wir schweigen ein paar Minuten, bis er sich an etwas zu erinnern scheint.
»Entschuldige, dass ich dich vorhin weggestoßen habe. Sie musste dich loslassen … Habe ich dir wehgetan?«
»Nein, keine Sorge.«
Natürlich greift er sofort nach meinem Arm, um ihn zu untersuchen. Ich schaue ebenfalls hin und verziehe das Gesicht. Er ist ganz rot und Nagelspuren ziehen sich über meine Haut. Loans Augen werden dunkel, aber ich zwinge ihn, mich loszulassen. Ich will nicht, dass er sich schuldig fühlt – bloß das nicht.
Minutenlag liegen wir schweigend auf dem Boden.
Erst jetzt kann ich verstehen, warum er keine Kinder haben möchte. Und warum er den Blicken anderer Leute immer ausweicht. Warum er immer mit ruhiger und gemessener Stimme spricht, als ob er Angst hätte, eine unangenehme Reaktion auszulösen.
Und obwohl ich es kaum für möglich gehalten hätte, bricht es mir erneut das Herz.
35
Heute
Violette
Morgen früh findet mein Vorstellungsgespräch bei Millesia statt. Das Datum ist bereits seit zwei Monaten mit rotem Filzstift auf dem Kalender am Kühlschrank umkringelt. Ich bin so nervös, dass ich schon alles gerichtet habe: meine Tasche, meine Kreationen, mein Outfit … Ich will nichts dem Zufall überlassen. Für heute Abend haben Zoé und Jason japanisches Essen bei uns zu Hause vorgeschlagen und ich bin mit meinen Taschen in der Hand auf dem Heimweg.
Ich gehe den Bürgersteig entlang, als ich Loan von der Arbeit zurückkommen sehe. Gerade schlägt er seine Autotür zu. Als er mich erblickt, lächle ich ihn an und zittere dümmlich. Er ist so schön, dass es mich fast blendet.
In den letzten Tagen habe ich viel nachgedacht. Über uns. Nach der Sache mit Lucie, Ethans Tod und der Begegnung mit seinen Eltern hatten wir weder die Zeit noch die Kraft, darüber zu sprechen. Aber jetzt halte ich es nicht länger aus. Ich habe beschlossen, dass es wirklich reicht, dass ich lange genug gewartet habe und dass ich ihm alles erzählen will.
Wir kommen gleichzeitig vor der Haustür an. Er öffnet sie weit und macht mir ein Zeichen, einzutreten. Seine Hand liegt auf meinem Rücken.
»Damen haben Vortritt.«
»Ich sehe hier nur eine«, antworte ich und trete mit hoch erhobenem Kinn ein.
»Und was für eine.«
Ich schüttle den Kopf und verdrehe die Augen, während mein Herz sich in einer Pfütze aus geschmolzener Schokolade rekelt. Wie findet er immer die Worte, die mich tief in meinem Innern berühren? Ich wünschte, ich hätte diese Gabe. Ihm sagen zu können »Ich mag Käse« und PAFF!, verknallt er sich wahnsinnig in mich.
Loan drückt den Knopf des Aufzugs, der eine Weile braucht, um nach unten zu kommen. Wir sprechen nicht. Die Luft ist mit einer vertrauten und etwas peinlichen Spannung aufgeladen. Ich riskiere einen Blick in seine Richtung. Er starrt mich bereits an.
»Erdgeschoss«, verkündet der Aufzug. Mit halb geöffneten Lippen atme ich tief ein. Wir zucken nicht mit der Wimper, als sich die Türen vor uns öffnen. Die Luft hat sich verändert, aber meine Hormone versuchen es zu ignorieren. Ich weiß, dass er es weiß. Er weiß, dass ich im Begriff bin, das Gefährlichste überhaupt zu tun.
Mich ganz hinzugeben.
Ihm meinen Körper zu geben war eigentlich noch leicht. Aber alles zu geben, meinen Körper, mein Herz, meinen Geist und meine Seele, ist etwas ganz anderes. Es kann mich zerstören. Im wahrsten Sinne des Wortes.
Angespannt betrete ich die Kabine als Erste. Er stellt sich neben mich und drückt die Nummer unseres Stockwerks.
Die Türen schließen sich und wir warten. Wir warten. Und wir warten immer noch. Nach einer guten Minute wage ich es, Loan anzusehen. Er sieht verwirrt aus, was kein gutes Zeichen ist. Er drückt den Knopf zum Öffnen der Tür … er funktioniert nicht. Langsam lasse ich die Arme sinken.
Sagt mir bitte, dass das ein Witz ist.
»Versuch mal, die Türen aufzustemmen.«
Loan bemüht sich mit aller Kraft. Zwar bewegen sie sich ein wenig, halten ihm aber stand. Er flucht leise vor sich hin und wischt sich die Hände an seiner Jeans ab. Bestürzt schaue ich ihn an. Hoffentlich bestätigt er nicht, was ich sowieso schon weiß. Leider seufzt er und verzieht das Gesicht.
»Alles gut, Violette-Veilchenduft. Wir haben es einmal geschafft, wir werden es auch ein zweites Mal überleben.«
Fast ungeduldig warte ich auf die Panikattacke, die mich jede Sekunde überfallen dürfte. Aber so überraschend es auch klingen mag, ich bekomme keine. Im Gegenteil, ich bin sogar ziemlich gelassen. Und wenn das nun ein Zeichen ist?
»Zumindest gibt es uns die Möglichkeit, ungestört miteinander zu reden …«
»Ah …« Loans Stimme klingt etwas skeptisch. »Ich wusste nicht, dass wir reden müssen.«
Oh doch. Und in seinen Augen erkenne ich, dass er genau weiß, worum es mir geht. Wir haben diesen Moment hinausgeschoben, aber ich muss es ein für alle Mal hinter mich bringen.
Ich will für ihn da sein, wenn er einen Freund verliert, ich will ihn unterstützen können, wenn er sich endlich seinem Vater entgegenstellt. Deshalb sage ich hastig, ehe ich einen Rückzieher machen kann:
»Ich bin blöd.«
Okay, so hat der Text, den ich entworfen habe, eigentlich nicht angefangen.
Loan hebt die Augenbrauen. Ich verziehe das Gesicht und er verschränkt misstrauisch die Arme. In meinem Stress habe ich meinen perfekt ausgefeilten Monolog vergessen und muss improvisieren. Das Problem dabei ist: Es gibt Leute, die improvisieren können, und es gibt mich.
»Ich bin blöd, aber das weißt du ja schon – schließlich bin ich blond; das Wichtigste ist, dass ich mir darüber im Klaren bin und mich dafür entschuldige, obwohl ich es hasse, mich zu entschuldigen, besonders dafür, dass ich blond bin, wofür ich wirklich nichts kann. Ich esse auch zu viel, besonders Schokolade, und ich weiß, dass ich mich bremsen sollte, wenn ich nicht irgendwann zu einem riesigen Nutella-Ball mutieren will, den du die Treppe hinunterrollen könntest und den du zwingen müsstest, sich fortzubewegen, indem du ihn mit Schokokekskrümeln köderst«, füge ich hinzu und verdrehe die Augen, ehe ich weiterspreche: »Aber es macht mich glücklich, weißt du? Essen macht mich glücklich, Schokolade macht mich glücklich und mit dir zusammen zu sein macht mich glücklich.«
Ich sehe ihn an, ich sehe ihn tatsächlich an, während er dasteht und mir mit gerunzelter Stirn zuhört. Die dunkle Farbe seiner Iris bringt mich durcheinander, aber ich mache weiter, koste es, was es wolle.
»Ich rede zu viel, ich nehme nicht viele Dinge ernst, manchmal bin ich egoistisch und häufig ziemlich ungeschickt … Ich bin all das und noch viel mehr, ich habe so viele Fehler, dass ich nicht genügend Finger habe, um sie zu zählen, aber ich liebe dich!«, fahre ich hastig fort. Bei meinem Geständnis läuft mir ein Schauer über den Rücken. »Ich liebe dich wie die erste Schneeflocke im Winter, wie einen Löffel Nutella während einer Diät, wie die zarte Berührung einer Feder auf der Haut oder wie die Sonnenstrahlen, die jeden Morgen die Nacht beenden … Ich liebe dich, Loan.«
Ich weiß, ich sollte aufhören, ich habe es ausgesprochen und das reicht, aber ich kann nicht.
»Der Plan war, miteinander zu schlafen und damit Schluss, nur habe ich mich mittendrin in den Menschen verliebt, der du bist, und das ist meine bisher beste Eigenschaft, denn was ich an mir am meisten liebe, ist meine Liebe zu dir. Ich hoffe, das genügt, denn selbst wenn ich riskiere, dich mit Pralinen zu ruinieren, kann ich dir versprechen, dass ich dich liebe. Ich habe dich geliebt, seit du mich das erste Mal in diesem Aufzug hier angelächelt hast. Ich habe dich geliebt, als du mir die Mehlpäckchen gereicht hast, als ob du mir den Himmel und die Sterne schenken wolltest, ich habe dich geliebt, als du dich so komi
sch vor mir zurückgezogen hast, und ich habe dich geliebt, als deine Lippen zum ersten Mal meinen Vornamen ausgesprochen haben. Und ich bin blöd, weil ich es dir nicht schon früher gesagt habe, aber heute tue ich es. Du bist der einzige Mensch in meinem Leben, bei dem ich mich so menschlich, schön, lebendig und unglaublich fühle.«
Ich schnappe nach Luft, wende aber keine Sekunde den Blick ab. Ich will, dass er die grenzenlose Liebe in meinen Augen sieht. Ich habe ihm so viel zu gestehen und zu sagen, aber ich fürchte, dass keine Sprache genügend Worte hat, um alles auszudrücken.
Ich habe gesehen, dass er in dem Moment die Augen schloss, als mir die Worte »Ich liebe dich« über die Lippen kamen, und ich frage mich, ob er das getan hat, um sie zu vergessen oder um sie zu genießen, sie im Flug zu erwischen und nie mehr loszulassen. Ich wünsche mir, dass er jetzt schnell näher kommt und das Echo dieser Worte auf meinen Lippen schmeckt, ich möchte mein »Ich liebe dich« direkt in seinen Mund flüstern, er soll es mir stehlen und in sich aufnehmen.
Aber er steht nur da, mit geschlossen Augen und unergründlicher Miene. Jetzt, wo ich losgelegt habe und das befreiende Gefühl in der Brust spüre, kann ich nicht mehr aufhören.
»Ich weiß, dass ich mir für mein Geständnis wahrscheinlich den schlechtesten Zeitpunkt ausgesucht habe, weil Ethan tot ist, weil du immer noch sauer auf mich bist wegen dem, was ich vor sieben Monaten getan habe, weil ich einen kleinen Text auswendig gelernt habe, um dir das alles zu beichten, aber nichts von dem gesagt habe, was ich geplant hatte, aber ich kann es nicht mehr für mich behalten, denn es wird zu viel und mein Herz läuft über. Also bitteschön … Ich habe es gesagt. Die schönsten Momente meines Lebens habe ich mit dir verbracht. Und ich will nicht, dass es aufhört«, schließe ich flüsternd, weil mir bewusst wird, dass ich viel zu viel geredet habe.
Ich spüre Tränen in den Augen, doch es sind keine Tränen der Trauer, sondern im Gegenteil Freudentränen. Pures Gefühl. Mir ist klar geworden, dass ich die ganze Zeit den Kopf in den Sand gesteckt habe. Das Einzige, was mir in meinem Leben fehlte, war, zu meinen Gefühlen zu stehen und zu akzeptieren, dass meine Liebe erwidert wird. Und genau das hat Loan mich gelehrt.
Never Too Close Page 34