by Kiefer, Lena
Ich nahm seine Vorlage dankbar an.
»Vielleicht, ja«, sagte ich, »deswegen war es eine gute Entscheidung herzukommen. Hier kann ich etwas für das Land tun, in dem ich lebe.« Das war nicht einmal gelogen.
»Schön gesagt, du Patriotin«, witzelte Robin. »Sicher, dass du nicht in die Diplomatie wechseln willst?«
»Eher nicht. Etwas schönzureden ist nicht so mein Ding.«
»Ja, meins auch nicht«, seufzte er, und wir lachten beide.
Dann fiel mir meine Uhr ins Auge.
»Oh, scheiße!« Ich sprang auf.
»Aber, aber, redet so eine Dame?«
»Das ist nicht witzig! Mein Unterricht fängt in zwanzig Minuten an!« Der Unterricht bei Majore. Ich kannte wirklich niemanden, der so wenig Spaß verstand wie Majore Vesely. Das hatte Ferro bei seiner kleinen Vorstellungsrunde vergessen zu erwähnen. Oder er hatte es schlicht nicht gewusst. Oder er hatte es gewusst, aber gar nicht so empfunden. Er war schließlich auch nicht gerade ein Entertainer.
Robin erhob sich ebenfalls und klopfte sich den Staub von der Hose. »Dann solltest du dich beeilen. Aber bitte, stürz nicht ab. Das würde meine heldenhafte Rettung von vorhin schrecklich sinnlos machen.«
»Das kann ich nicht versprechen.« Ich grinste.
»Wenn das so ist, komme ich lieber mit. Ich muss ohnehin wieder an die Arbeit.« Er folgte mir bis zu dem schmalen Sims und ließ mir den Vortritt.
Ich balancierte diesmal deutlich geschickter über den Vorsprung und landete ohne Zwischenfälle auf der breiten Kante gegenüber. Robin kam mir nach. Mit Leichtigkeit überwand er den Abgrund, als ginge er auf einer breiten Straße entlang. Er war fast da, machte den letzten Schritt – und rutschte plötzlich mit dem rechten Fuß ab. Ich griff nach seinem Arm und zog ihn mit einem Ruck zu mir. Dabei riss mich sein Gewicht fast um. Nur weil er mich umschlang und an die Mauer drückte, konnte er uns beide am Fallen hindern.
»Jetzt sind wir quitt«, sagte er leise. Ich sah auf.
Es war, als hätte ich kein HeadLock genommen – alles war in diesem Moment überdeutlich. Der unergründliche Blick in seinen rauchblauen Augen. Sein durchtrainierter Körper an meinem. Die Mauer hinter mir. Meine Hände auf seinen Armen. Die Welt wurde kleiner, bis es nur noch den Fleck gab, auf dem wir standen. Ich spürte seinen Atem auf meinem Gesicht, seine Hand an meinem Rücken …
Knack. Ein Geräusch im Geäst schreckte uns auf. Ich nahm die Hände herunter. Robin machte einen Schritt zur Seite.
»Das war doch Absicht«, sagte ich atemlos.
»Du glaubst, ich würde riskieren, dass wir uns beide das Genick brechen, nur um dir nahezukommen?« Er hatte wieder dieses Funkeln in den Augen. »So etwas würde ich nie tun. Ich bin ein vollkommener Gentleman.«
Ich hob eine Augenbraue. »Gentlemen gibt es nicht mehr.«
»Oh, du wärst überrascht.« Er reichte mir die Hand und half mir auf die nächsttiefere Stufe. Dann kletterten wir schweigend die Mauer hinunter. Als wir am Fuß des Felsens standen, hatte ich meinen Atem wiedergefunden.
»Also, Retter abstürzender Damen, es war mir eine Ehre.« Ich deutete einen Knicks an und lächelte. »Vielleicht sehen wir uns ja wieder.«
Er grinste. »Das hoffe ich, Stunt-Girl.«
Ein weiterer Blick auf die Uhr ließ mich lossprinten.
17
»Buenos días, Ophelia«, begrüßte mich Majore Vesely, als ich zehn Minuten zu spät in ihren Unterrichtsraum kam. »¿Hay alguna razón para tu demora?«
»Ninguna. Disculpe, Señora, no … volverá a pesar.« Ich versuchte, nicht zu auffällig zu keuchen. Es machte mein Spanisch nicht besser.
»Das will ich hoffen.« Der Blick aus Majores schwarzen Augen bohrte sich in meine. »Außerdem hast du gesagt ›Es wird nicht wieder wiegen‹. Richtig wäre ›Es kommt nicht wieder vor‹, also ›No volverá a pasar‹. Setz dich. Die Aufgaben findest du auf deinem Pad.«
Ich nickte und ging zu meinem Platz. Begleitet wurde ich von schadenfrohen Blicken. Das hatte aber nichts mit Majores Berichtigung zu tun. Wir waren nicht in der Schule, hier bekam man keine Strafarbeiten, sondern Minuspunkte. Gleich nach der Stunde würde ein Eintrag über die Verspätung in meiner Akte landen. Im Moment war das kein Problem, aber es konnte eins werden. Die Konkurrenz wusste das.
»Hey, wo warst du denn?«, fragte Gaia Prideaux. Ihr Blick war neugierig. Die kleine Iberopäerin mit der dunklen Haut war eine der wenigen netten Leute. Sie war nicht nur sehr klug, sie hatte auch eine lebhafte Fantasie. Wenn sie die nicht einsetzte, um im Unterricht zu glänzen, interessierte sie sich vor allem für Geheimnisse. So wie jetzt.
»Nirgendwo.« Ich grinste und zog das Pad mit den Aufgaben zu mir heran. »Ich habe nach dem Aufstehen einfach ein bisschen getrödelt, das ist alles.«
»Getrödelt. Du. Aber sicher.« Gaia verdrehte die Augen, um mir zu zeigen, was sie von dieser Antwort hielt. Dann begann sie damit, sich demonstrativ zu langweilen. Als Sprachengenie, das sie war, hatte sie ihre Aufgaben längst fertig.
»Denk dir doch einfach ein paar Theorien dazu aus, solange ich das hier mache«, schlug ich vor, nahm den SmartPen und begann, spanische Verbformen einzufügen.
»Eine fantastische Idee.« Gaias schwarze Augen leuchteten bei dem Vorschlag. Ich grinste.
Bald verging mir die gute Laune. Die Übungen waren schwierig und manchmal musste ich raten. In Maraisville hatte ich Demut gelernt. Zu Hause war ich mit vier gesprochenen Sprachen oberste Liga gewesen, hier nur noch Mittelfeld. Gaia konnte Unmengen von Sprachen und dazu diverse Dialekte, andere Anwärter waren ihr dicht auf den Fersen. Und so war es bei jeder Disziplin, ob Kondition, Nahkampf, Geschichte oder dämliche Benimmregeln: Niemand war wirklich schlecht. Das machte es schwierig, hervorzustechen.
Nach den schriftlichen Aufgaben ließ Majore uns Konversation üben. Seit Europa ein Land geworden war, hatte sich Englisch als Universalsprache durchgesetzt. Als Agent konnte man jedoch auch in abgelegenen Gebieten landen. Da kam man ohne Sprachkenntnisse nicht weiter.
»Du bist schon viel besser«, sagte Gaia. »Letzte Woche hast du noch von blauen Bananen geredet.«
»Immerhin ein Fortschritt.« Ich lernte sonst schnell, aber Spanisch machte mir Probleme.
»Keine Sorge«, meinte Gaia. »Ich bin sicher, das Training bei Dufort baut dich wieder auf.«
Ich hob die Schultern. »Warten wir es ab.«
»Am wichtigsten ist immer die Geschichte. Ihr dürft nicht einfach nur eine Rolle spielen, ihr müsst zu dieser Person werden.«
Caspar Dufort sah ernst in den Halbkreis, den wir vor ihm gebildet hatten. Er hatte jeden von uns im Blick, also war es totenstill.
»Ihr müsst alles über die Person wissen. Was sie zum Frühstück isst. Ob sie lieber warm oder kalt duscht. Das erste Virtual Game, das sie gespielt hat. Ob sie ihre Mutter mag. So macht ihr den Charakter plastisch. Nichts ist wichtiger als das. Wenn ihr unglaubwürdig seid, fliegt ihr auf.«
Ich wollte schlucken, aber da traf mich sein Blick. Ich ignorierte das Ziehen in meinem Hals und nickte.
»Gibt es Fragen?« Niemand meldete sich. »Gut.« Dufort schob die Hände in die Taschen seiner dunkelblauen Lilienjacke. Er trug grundsätzlich Königskleidung aus dem stinknormalen Sortiment. Es war, als wollte er unterstreichen, wie wenig die eigene Persönlichkeit zählte, wenn man jede andere annehmen konnte. »Widmen wir uns dem heutigen Fall. Wir nehmen an, dass ich einen Auftrag in Großasien habe. Es geht um Informationen über Notfallprotokolle bei einem Angriff von außen. Die Asiaten haben ein diktatorisches System und setzen die Abkehr äußerst strikt um.« Das wussten wir auch schon aus Majores Unterricht. »Trotzdem sind die politischen Bündnisse nicht sehr belastbar. Sollte ich also entdeckt werden, könnte das eine Krise auslösen. Ich brauche eine lückenlose Tarnung. Vorschläge?«
Auf der rechten Seite meldete sich ein Anwärter namens Francis.
»Ich würde den Weg als Diplomat vorschlagen.«
Der Ausdruck zündete einen Nerv in meinem Magen. Ich dachte an Robin Hood.
»Das ist eine Möglichkeit«, nickte Dufort. »Was ist das Problem daran? Mika?«
<
br /> Jetzt ging das Dauerfeuer los. So nannten wir hinter Duforts Rücken sein Frage-Antwort-Spiel. Der Ausdruck war keine Übertreibung. Die Vorstellung, tatsächlich mit etwas beschossen zu werden, war für viele angenehmer.
»Der eingeschränkte Bewegungsradius.«
»Auch, ja. Was noch? Stipe?« Er sah einen Jungen in der hinteren Reihe an.
»Du musst zu irgendwelchen Empfängen gehen.«
Duforts Augen verengten sich. »Und das ist ein Problem, weil …?«
Stipe verspannte sich, ich sah seine geballten Fäuste. »Keine Ahnung«, seufzte er dann.
»Du solltest dich konzentrieren. Jemand anders. Emile?«
»Man würde dich nicht aus den Augen lassen.«
»Richtig.« Dufort schnipste mit den Fingern und zeigte auf den Jungen, der neben mir stand. »Das ist das größte Problem. Andere Ideen? Gaia?«
»Vielleicht als Sportler? In Asien ist das sehr angesagt, seit es keine virtuellen Übertragungen mehr gibt.«
Dufort lächelte anerkennend, das erste Mal. »Eine gute Idee, allerdings ein hoher bürokratischer Aufwand. Wir behalten es im Kopf.«
Es ging weiter.
»Als Künstler?«
»Zu auffällig.«
»Vielleicht als Spezialist für Energiefragen.«
»Brauchen die Asiaten Spezialisten für Energiefragen?«
»Ähm … nein?«
»Nein. Noch jemand?«
Ich überlegte, mich zu melden, entschied mich aber dagegen. Ich war ohnehin schon als seine Favoritin verschrien.
»Was ist mit dir, Ophelia?«
So viel dazu. Bestimmt hatte er meine Hand zucken sehen.
»Ich würde es abseits der offiziellen Wege versuchen.«
»Gut. Weiter.« Er blieb vor mir stehen.
»Man müsste unter falschem Namen einreisen und in der Menge verschwinden. Einen belebten Ort wählen, einen großen Wohnblock vielleicht.«
Duforts helle Augen funkelten, aber es war weniger Freude als … ja, was? Das Erkennen eines Gleichgesinnten, wie Ferro es gesagt hatte? Oder das Warten auf einen Fehler? Ich hatte keine Ahnung. Caspar Dufort zu durchschauen war vollkommen unmöglich.
»Wie reise ich ein?« Er machte sich keine Mühe mehr, die anderen einzubeziehen.
»Über zwei andere Regionen in der Nähe des Zielortes, damit sie nicht denken, du kommst aus dem Ausland.«
»Wie vermeide ich es, aufzufallen?«
»Kannst du nicht.« Das Erbgut der Welt hatte sich in den letzten Jahrzehnten durchmischt, aber ein blonder Europäer fiel in Großasien trotzdem auf.
»Was soll ich dann tun?« Spätestens jetzt war es kein Training mehr. Es war ein Test.
»Tagsüber drinbleiben, nachts operieren«, sagte ich wie aus der Pistole geschossen. »Im Dunkeln werden Gesichter anders wahrgenommen und du wirst nicht so leicht erkannt. Außerdem vergisst man dich schneller wieder.«
»Streber«, murmelte Gaia neben mir. Aber Dufort war noch nicht fertig.
»Was, wenn sie doch aufmerksam werden?«
»Dann erfindest du eine Geschichte.«
»Welche?«
»Die eines Aussteigers, der die Nase voll von Europa hat und es woanders versuchen will. Ein Kleinkrimineller auf der Suche nach Einnahmequellen. Das ist sympathisch, aber keine Bedrohung für die dicken Fische im Teich.«
»Was für eine Art von Kriminalität schwebt dir vor?«
Okay, jetzt war es wirklich besser, ich hielt den Mund. Gut zu sein war das eine. Ihm zu zeigen, wie gut ich sein konnte, war gefährlich.
»Keine Ahnung«, log ich. »Ich bin sicher, dir fällt etwas ein.«
Es klang frech und nach fauler Ausrede. Als Dufort mich musterte, hielt ich die Luft an. Schließlich nickte er knapp.
»Ja, das denke ich auch. Sehr gut, Ophelia.« Er entließ mich aus seinem Blick. Ich atmete aus.
Hinter mir meldete sich jemand. Mein Gesicht verzog sich beinahe automatisch.
Schon seit London ging Troy Rankin mir auf den Geist. Aber nachdem ich ihm vor zwei Wochen klargemacht hatte, dass zwischen uns niemals etwas laufen würde, war unsere Feindschaft amtlich. Wann immer er konnte, versuchte er mich auszustechen.
»Ich würde ja eher als Händler von schwarz gehandelter Technologie auftreten, wie etwa von WrInks ohne feste ID«, sagte er jetzt und warf mir einen Blick zu. Seine Augen leuchteten vor Triumph.
»WrInks ohne ID?« Dufort hob eine Augenbraue. Er war zu meinem Glück kein Fan von Troy. »Damit ich direkt auf der schwarzen Liste lande, sobald ich ein Wort darüber sage? Die Japaner haben Aufspürtechnik für so etwas.«
Mein Grinsen bescherte mir einen Ellenbogen in den Rippen.
»Guck nicht so«, zischte Gaia.
»Warum nicht?«, flüsterte ich. »Er ist ein Idiot.«
»Ja, aber so kann jeder sehen, dass du das denkst.«
»Und? Wen kümmert es?«
Das Dauerfeuer ging weiter, bis die Tarnung brauchbar war, die ich vorgeschlagen hatte. Dann bat Dufort uns, ihn mit Fragen zu löchern. Es war das erste Mal, dass er so etwas tat.
Francis fing an. »Wie heißt du?«, fragte er.
»Steven Kieran Carr. Mit C.« Duforts akzentfreies Englisch ließ jetzt einen Hauch schottische Färbung durch.
»Wo kommst du her?«
»Aus der ehemals schottischen Provinz North Lanarkshire.«
»Ist es schön dort?« Das war Gaia.
Dufort hob die Schultern. »Na ja, das kommt darauf an. Es regnet oft, aber es wohnen viele irische Anglopäer dort. Die wissen, wie man schlechtes Wetter vergisst.«
»Womit verdienst du dein Geld?«, fragte jemand anders.
»Dies und das. Wenn ihr was braucht, das man woanders nicht bekommt, bin ich euer Mann.«
»Liest du gern?«
Er stockte einen Moment und verengte die Augen. »Was, Bücher und so?«
Die Fragestellerin, eine große Brünette mit der Statur einer Ballerina, nickte.
Dufort lachte, laut und ein bisschen dreckig.
»Nee, lass mal lieber. Die Realität ist doch schon scheiße genug.«
Er wurde weiter mit Fragen beschossen, jede beantwortete er ohne spürbares Zögern. Irgendwann beschloss ich, dass es Zeit für die interessanten Themen war.
»Hey, Steve«, sagte ich. »Wie stehst du zu unserem König?«
Dufort fixierte mich mit einem aggressiven, ungezähmten Blick – dem Blick von Steven Carr. »Wie ich zu Leopold de Marais stehe?«
»Genau.« Ich hob das Kinn.
»Was für ein Arschloch!«, rief er aus. Einige zuckten zusammen. »Der hockt in seinem Palast auf einem seidenen Kissen und verbietet uns alles, was Spaß macht. König, dass ich nicht lache! Ein elendiger mac na galla ist das.« Das war sicher kein netter Ausdruck auf Gälisch. »Den würde ich gerne mal treffen und ihm meine Meinung sagen. Mit einem Messer. Oder einer Axt. Hauptsache, es tut weh.« Er schnaubte voller Abscheu.
Es wurde still. Niemand rührte sich. Niemand stellte eine weitere Frage.
»Genau das ist es, worauf es ankommt«, sagte Dufort und klang wieder wie er selbst. Seine Körperhaltung wurde entspannt, das aggressive Glimmen verschwand. »Ihr müsst euch anpassen. Von den meisten Kriminellen wird der König gehasst. Je mehr ihr ihn beschimpft, je bildhafter ihr euch seinen Tod ausmalen könnt, umso besser.«
Er erklärte uns, worauf es unter Kriminellen ankam, aber ich hörte nicht richtig zu. Der Auftritt als Schotte hatte mich tief beeindruckt und mir gezeigt, was Ferro bereits behauptet hatte: Caspar Dufort war der Beste, den die Reihen der Schakale zu bieten hatten. Das bedeutete, ich durfte nicht auf seinem Radar landen. Niemals.
Zur Mittagszeit saßen wir in der Supply-Station – ich und die anderen drei Anwärter, die nicht egomanisch oder von Ehrgeiz zerfressen waren. Wir hatten einen Tisch am Rand ergattert und aßen im Sonnenschein, der durch die weit geöffneten Fenster hineinfiel.
»Krass, wie Dufort das gemacht hat, oder? Ich habe ihm jedes Wort geglaubt.« Emile Bayarri schaufelte mit so großem Appetit einen Teller Auflauf in sich hinein, dass seine dunklen Locken w
ippten. Dann imitierte er Duforts Stimme. »Ich kann euch alles vorspielen, Männer, Frauen, Kinder, Tiere. Erst letzte Woche war ich ein Känguru. Darum geht es: Seid diese Rolle! Seid das Känguru!« Er hüpfte auf seinem Stuhl auf und ab. Wir lachten.
Emile, der aus der Nähe von Lyon kam und eine Italopäerin als Mutter hatte, war einen halben Kopf größer als ich, und sein ganzer Körper bestand aus sehnigen Muskeln, Adrenalin und Blödsinn. Man hätte nicht gedacht, dass er aus einer bedeutenden Familie kam: Seine Eltern hatten die Aufspürtechnik für illegale Komponenten entwickelt, seine Großmutter war Teil der letzten europäischen Regierung gewesen. Emile fand das alles lahm. Deswegen waren ihm auch leider keine Informationen über die Aufspürgeräte zu entlocken.
»Am besten war es, als Justyna ihn gefragt hat, was er so liest.« Gaia grinste.
»Kommt schon, das war eine berechtigte Frage«, wehrte sich Justyna Cech. Sie war Mareapäerin aus dem ehemaligen Kroatien und eine echte Patriotin. Da ihre Phobe-Eltern Schauspieler an einem Theater in Rijeka waren, hatte der König ihnen mit der Abkehr die Existenz gerettet. Justyna glaubte nun, Leopold einen Gegendienst erweisen zu müssen. Davon abgesehen war sie jedoch sehr nett. »Außerdem meinte er, wir könnten ihn alles fragen.«
»Na, Ophelia hat ja die Frage des Tages gestellt«, sagte Gaia zwischen zwei Löffeln ihres Nachtischs. »Immer direkt auf den Punkt, nicht wahr?«
Ich hob die Schultern und schob die Reste meiner Gemüselasagne auf dem Teller herum. »Ich dachte, das ist eine Frage, die man ihm unter Kriminellen stellen würde. Im Gegensatz dazu, ob es schön ist, wo er herkommt.« Ich grinste.
»Das ist wichtig!«, wehrte sich Gaia.
»Ja, unbedingt. Das ist das Topthema beim Schwarzhandeln. Und danach tauscht man Kochrezepte aus.« Ich knuffte sie in die Seite und sie knuffte unter Protest zurück.
»Du hast uns noch gar nicht erzählt, wieso du heute Morgen zu spät warst. Ich hätte da ein paar Theorien parat.«
Ich grinste schief. »Na, da bin ich gespannt.« War ich nicht. Wir spielten dieses Spiel regelmäßig, aber heute war es mir unangenehm. Ich wollte nichts von Robin Hood erzählen. Das Gespräch mit ihm war der beste Moment der letzten drei Wochen gewesen. Es gehörte mir. Mir allein.