[Ophelia Scale Serie 01] • Die Welt wird brennen

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[Ophelia Scale Serie 01] • Die Welt wird brennen Page 19

by Kiefer, Lena

»Dann müsste ich mir einen neuen besorgen. Und gleich noch ein paar andere Sachen. Stell dir vor, dass man einfach losgehen und Technologie kaufen könnte. Himmlisch.« Ich seufzte.

  »Oh ja«, sagte er. »Und vergiss nicht all die Informationen, die dann nicht mehr verboten sind.«

  »Ich könnte studieren«, begeisterte ich mich. »Nicht so etwas Blödes wie Literatur oder Geschichte …«

  »Hey!«, empörte sich Knox.

  »… sondern Nano-Robotik, Bio-Mechatronik oder KI-Wissenschaften.« Ich tat so, als hätte ich ihn nicht gehört. »Selbst du musst zugeben, dass das viel cooler ist als alte, verstaubte Bücher.«

  Knox lächelte schief. »Ansichtssache«, sagte er und küsste mich auf die Stirn.

  »Aber wir sollten auch feiern«, spann ich die Vorstellung weiter. »Wäre es übertrieben, eine große Lilie aus Holz zu bauen und sie mit den WrInks zu verbrennen?«

  Knox lachte, aber nur schwach. Ich hob den Kopf.

  »Was ist los?«

  »Was soll los sein?«

  »Du bist heute so ernst.«

  Seine Mundwinkel zuckten. »Du hast mal gesagt, du magst das an mir.«

  »Knox …«

  Ich fühlte, wie er sich verkrampfte, also setzte ich mich auf, um ihn ansehen zu können.

  »Julius gibt mir meinen ersten großen Job.« Die Falte zwischen seinen Augenbrauen grub sich tief ein. »Nächsten Monat kommen königliche Vertreter in die Stadt, um eine Bedarfsanalyse zu machen. TransUnits, Pads und Terminals für die Uni und Schulen, Bestückung für die Supply-Stationen und so weiter. Ich soll mich in das Betreuungsteam schleusen, um sie zu einer möglichst großen Bestellung zu bewegen. So können wir vielleicht etwas abzweigen.«

  »Ist doch super.« Das war eine tolle Chance für jemanden von uns. »Machst du dir Sorgen deswegen?«

  Er presste die Lippen aufeinander. »Natürlich mache ich mir Sorgen. Was, wenn nicht alles nach Plan läuft?«

  »Wie sieht der Plan denn aus?«

  »Na, du weißt schon: Man muss nett sein, höflich, unauffällig. Sie sollen das tun, was ich will, sich aber trotzdem nicht an mich erinnern.« Er seufzte. »Ich bin aber eher der Typ, der irgendwo einbricht und etwas klaut. Ich bin nicht gut darin, Menschen von mir zu überzeugen.«

  »Das stimmt nicht. Mich hast du überzeugt.« Ich lächelte.

  »Ja, aber es hat lange genug gedauert«, sagte er.

  Eine Sache, die ich an Knox liebte, war seine Bescheidenheit. Er war nie laut, spielte sich nie in den Vordergrund und sprach nur, wenn er etwas zu sagen hatte. Genau deswegen mochte ich ihn. Knox war ein Fels für mich. Ich hatte mich niemals stärker gefühlt als an seiner Seite.

  »Du schaffst das«, sagte ich voller Überzeugung und drückte seine Hand. »Niemand könnte das besser als du – außer Ferro vielleicht. Aber da wir ihn nicht kennen, ist das nur Spekulation.« Ich lächelte.

  Knox sah mich einen langen Moment an, dann nahm er mein Gesicht in beide Hände und küsste mich.

  »Ich liebe dich, Phee«, sagte er leise. Fast ging es im Brausen der Wellen unter.

  »Ich liebe dich auch«, antwortete ich und lehnte mich zu ihm.

  Danach sagten wir beide eine Weile nichts mehr.

  Ein Blitz zuckte über den Himmel und katapultierte mich zurück auf das Dach von Wohneinheit X7. Ich holte tief Luft und setzte mich auf. Als ich mir die Haare aus dem Gesicht strich, waren meine Wangen nass.

  Ich hatte lange nicht an Knox gedacht – nicht auf diese Art, bei der man in der Vergangenheit versank und nicht in die Gegenwart zurückkehren wollte. Die Erinnerungen an ihn waren gut verschlossen und nur in kleinen Mengen zu ertragen. Gerade hatte ich mir eine Überdosis verpasst.

  Ich wischte meine Tränen am Innenfutter der Jacke ab. Das Schlimmste war nicht, dass Knox verschwunden war. Das Schlimmste war, dass ich nichts tun konnte. Ich konnte nicht nach ihm suchen, mit seiner Mutter reden oder etwas über sein Verschwinden herausfinden. Schlimmer: Mit meinem Ausflug nach Maraisville hatte ich mich so weit ins Abseits befördert, dass ich nicht einmal nach ihm fragen durfte. Meine einzige Quelle für Informationen war Ferro, aber der hatte sich noch nicht gemeldet. Damit waren meine Optionen bei null.

  Wenn man herausfand, dass ich etwas von Knox’ Aktivitäten gewusst hatte – Clearing. Wenn man mich erwischte, wie ich versuchte, eine der Datenbanken zu hacken – Clearing oder Schlimmeres. Wenn herauskam, dass ich ebenfalls mit dem Widerstand in Verbindung stand – definitiv Schlimmeres. Ich saß also hier, mitten im Zentrum der Macht, war aber von jedem Wissen über meinen Freund abgeschnitten. Selbst wenn man Knox fand, würde ich es nicht erfahren.

  Es gab mehrere Möglichkeiten, was passiert sein konnte, aber keine davon verhieß etwas Gutes. Vielleicht war er einfach weggelaufen – wenn man im Geiste zehn Jahre alt war, kam man auf blöde Ideen. Er könnte ein paar Sachen gepackt haben und verschwunden sein, ohne seiner Mutter etwas zu sagen. Aber als Clearthrough hatte man ihn jederzeit unter Beobachtung. Die Zentrale wusste, wo er hinging, wie lange er dort blieb und wann er zurückkam. Hätte er seinen WrInk noch gehabt, wäre man ihm längst auf die Spur gekommen. Er musste ihn also entfernt haben. Kein bockiges Kind kam auf eine solche Idee, wenn es weglief.

  Ich schlang die Arme um meine angewinkelten Beine. Kurz hatte ich nach Eneas’ Worten gehofft, dass Knox so klar im Kopf gewesen war, sein Verschwinden selbst zu planen. Schließlich hatte er mein Tattoo erkannt und sich erinnert. Das Problem war nur: Man wusste von keinem Fall, in dem ein Clearthrough seine Erinnerungen zurückbekommen hatte. Es gab Gerüchte, dass es im Untergrund Versuche dazu gab, aber sie waren alle gescheitert. Ein Clearing war endgültig.

  Es blieb also nur, dass man Knox mitgenommen hatte. Aber warum? Der König hatte keinen Grund, ihn aus dem Verkehr zu ziehen, denn er verkaufte die Clearings als humane Lösung. ReVerse hatte keine Verwendung für ihn, denn Knox war zwar wertvoll gewesen, aber jetzt auf dem Stand eines zehnjährigen Kindes. Was sollte Ferro mit jemandem anfangen, der revolutionäre Gedanken nur dann hatte, wenn er sein Mittagessen nicht mochte? Nicht einmal die Radicals hätten ihn gebrauchen können.

  Egal, wie ich es drehte und wendete: Das Ganze ergab keinen Sinn. Also konnte ich nur mit meiner Mission weitermachen und hoffen, dass es ihm gut ging. Wenn ich vor Sorge durchdrehte, löschte man mir drei Jahre und damit auch Knox aus meinem Gedächtnis. Das war, als hätte es uns nie gegeben.

  Erste Regentropfen fielen. Ich stand auf, steif vom Sitzen auf dem harten Boden. Die Stadt lag dunkel da, nachts gab es kaum Beleuchtung. Nur im Juwel brannte Licht. Es war eine Fensterfront im obersten Stock, jemand aus der königlichen Familie schien wach zu sein. Ob es Lucien war?

  Ich verfluchte mich für diesen Gedanken und schob ihn brutal beiseite. Die Wahrheit war jedoch … in Momenten wie diesen, wenn ich mir mutterseelenallein vorkam, dachte ich eben nicht nur an meinen Bruder, sondern neuerdings auch an Lucien. Es war idiotisch und absurd, aber in den zwei Sekunden zwischen Wunsch und bitterer Erkenntnis wollte ich mit ihm reden, mit ihm, nicht mit dem Bruder des Königs. Energisch schüttelte ich den Kopf, als ich die Leiter nach unten kletterte. Es war Verrat an ReVerse und an Knox, so etwas auch nur zu denken.

  

  »Wenn Echo uns heute wieder durch den Wald jagt, dann streike ich.«

  »Streiken? Ich werfe meine Schuhe nach ihr!«

  »Schuhe? Ich werfe dich nach ihr!«

  Emile lachte über Gaias Ausruf, und selbst ich musste schmunzeln, während ich mit den anderen die Treppe in der Wohneinheit hinunterlief. Ich hatte seit dem Gespräch mit meiner Familie zwar eine schlimme Woche gehabt, aber ich war nicht in Trübsal versunken. Na gut, nicht völlig.

  Der Vorsatz, mich von der Sorge um Knox nicht lähmen zu lassen, hatte nur bis zum nächsten Morgen gehalten. Seit ich wusste, dass er verschwunden war, hatte ich kaum geschlafen und brachte nur wenig Essen hinunter. Im Training war ich deswegen unkonzentriert und meine Leistungen entsprechend miserabel. Der einzige Lichtblick war das Treffen mit Ferro am heutigen Abend. Endlich hatte er sich gemeldet. Ich hoffte, dass ich von ihm ein paar Antworten bekommen würde.
r />   »Hey, was …?« Jemand wollte an uns vorbei und rempelte mich an. Ich sparte mir einen passenden Spruch. Wie immer waren wir auf den letzten Drücker mit dem Frühstück fertig geworden und nun spät dran.

  »Hast du deine EyeLinks schon drin?« Emile hielt mir die Tür auf. Seit einigen Tagen durften wir die EyeLinks beim Training tragen und mussten sie danach wieder entfernen.

  Ich blieb stehen und wühlte in meinen Sachen. »Nein, ich wollte sie unterwegs einsetz… Ach, verdammt.« Meine Hosentasche war leer. Wahrscheinlich hatte ich vergessen, die blaue Schatulle einzustecken. Es war nicht das erste Mal in dieser Woche, dass so etwas passierte.

  »Leute, ich muss noch mal zurück. Wenn es geht, haltet die TransUnit auf.«

  Ich schlüpfte durch die Tür wieder ins Gebäude und rannte die Treppe hoch.

  »Öffnen«, sagte ich laut und wartete ungeduldig, bis mein WrInk registriert wurde. Dann betrat ich mein leeres Zimmer.

  Nur, dass es nicht leer war.

  Am Fenster lehnte Lucien.

  »Hi, Ophelia.«

  Er sah gut aus – natürlich. Seine Haare waren erneut zusammengebunden, und er trug eine dunkle Hose zu einem grauen Langarmshirt, dessen Ärmel er hochgeschoben hatte. Es machte ihn älter als die farbigen Sachen bei unserer letzten Begegnung. Sein Blick war jedoch der gleiche. Ich sah weg.

  »Wie bist du hier reingekommen?«, fragte ich ohne Begrüßung. Ich wollte ihm meine Wut nicht zeigen, aber freundlich konnte ich auch nicht sein. Eisige Distanz war ein guter Kompromiss.

  »Ich habe einen Generalschlüssel.« Lucien deutete auf sein Handgelenk. »Keine Sorge, ich habe nicht rumgeschnüffelt. Ich konnte nur nicht draußen warten.«

  »Was willst du? Ich habe es eilig.« Mit zwei Schritten war ich an meinem Schreibtisch und fahndete nach dem Behälter mit den EyeLinks.

  »Suchst du das hier?« Lucien hielt das blaue Kästchen hoch. Natürlich war es keine Antwort auf meine Frage. Dagegen war er ja allergisch.

  »Woher weißt du das?« Ich nahm es ihm aus der Hand und achtete darauf, ihn nicht zu berühren.

  »Ich habe es dir vorhin auf der Treppe abgenommen«, antwortete er. »Der Trick ist, den Daumen nicht zu benutzen.«

  Ich sah ihn überrascht an. Er hatte mich angerempelt?

  »Also ein Einbrecher und ein Dieb«, stellte ich fest. Meine Wut fraß sich durch die Hülle der eisigen Distanz. »Vielversprechende Karriere für jemanden aus deiner Familie.«

  »Auf die Schnelle ist mir nichts Besseres eingefallen.« Er trat zwei Schritte auf mich zu. Ich wich einen zurück.

  »Was willst du, Lucien?«, wiederholte ich.

  »Ich möchte mich entschuldigen.«

  Prompt beging ich einen Fehler und sah ihm in die Augen. Sein Blick war bedauernd, sein Lächeln wirkte aufrichtig. Ich schnaubte leise. Noch einmal würde ich mich davon nicht einlullen lassen.

  »Warum solltest du das wollen?« Ich verschränkte die Arme.

  »Weil es so gewirkt haben könnte, als wollte ich dich aushorchen. Und weil ich gelogen habe.«

  »Du hast deine Verwandtschaft verschwiegen«, sagte ich. »Das ist kein Verbrechen. Viele Leute tun das.« Langsam kam ich zurück in die Spur. Wenn ich ihn nicht zu oft ansah, kam ich vielleicht heil aus der Sache raus.

  »Ich verstehe, dass du wütend bist –«

  »Ich bin nicht wütend«, log ich und sah auf das Kästchen in meiner Hand. »Ich habe gedacht, du wärst ein normaler Mensch, und das war falsch. Es ist keine große Sache.«

  »Nur, weil ich ein de Marais bin, kann ich trotzdem ein normaler Mensch sein.« Ich warf ihm einen Blick zu und er hob die Hände. »Okay, halbwegs normal.«

  »So normal, dass du mir meine EyeLinks klauen und in mein Zimmer einbrechen musst, um mit mir zu sprechen?«

  »Das hat nichts mit dir zu tun. Es provoziert Gerede, wenn man mich mit jemandem sieht.« Er verdrehte die Augen.

  »Das Risiko hättest du dir sparen können. Wir haben uns auf dem Castello zehn Minuten unterhalten, sonst nichts. Du hast mir keinen Antrag gemacht.«

  »Hätte ich das tun sollen?« Er grinste schief und seine Augen funkelten. Es verfehlte seine Wirkung nicht.

  »Hör auf damit!«, fauchte ich.

  »Dann gib mir eine Chance, mich zu entschuldigen!«

  »Das hast du doch längst«, gab ich zurück und sah auf die Uhr. »Ich muss los, ich bin spät dran. Momentan sollte ich mir keine Fehltritte erlauben.«

  Lucien kam einen Schritt näher. »Wenn du willst, könnte ich ein gutes Wo–«

  »Denk nicht mal daran«, zischte ich. »Bevor ich Almosen von dir annehme, lasse ich mir lieber drei Jahre löschen und fahre nach Hause.«

  Er hob abwehrend die Hände. »Ich wollte nur –«

  »Schon klar«, fuhr ich ihm über den Mund und öffnete die Tür. »Wenn das alles ist …?«

  Lucien schien zu zögern, aber dann nickte er. Als er an mir vorbeiging, streifte sein Arm meinen, und mir stockte der Atem. Lucien hielt einen winzigen Moment inne, aber dann ging er zur Tür.

  »Ach, eins noch.« Ich ging zum Schrank.

  »Ja?« Er trat hinter mich. Etwas in mir reagierte auf seine Nähe. Ich straffte die Schultern und drehte mich um.

  »Die Jacke. Das war sehr freundlich von dir, aber ich kann sie nicht annehmen.« Ich drückte ihm die Schachtel in die Arme und sah ihn fest an. »Wahrscheinlich ist es das Beste, wenn wir uns in Zukunft voneinander fernhalten.«

  Lucien nickte. »Ich verstehe.« Sein Blick war enttäuscht, sogar verletzt. Es tat mir weh, obwohl ich wusste, dass es nicht echt war. Er war einfach nur ein guter Schauspieler.

  »Also … mach’s gut.« Ich hatte nichts mehr zu sagen, also schob ich den EyeLink-Behälter in meine Hosentasche und ging eilig hinaus. Wenn Lucien ohne Probleme in mein Zimmer gekommen war, konnte er die Tür bestimmt auch wieder verschließen.

  Die TransUnit war längst weg, also orderte ich eine neue am Terminal. Während ich wartete, bemühte ich mich, nicht zum Ausgang des Hauses zu schauen. Als ich aus dem Augenwinkel eine grau-schwarze Silhouette erahnte, war der Vorsatz dahin. Aber kaum sah ich hoch, war niemand mehr da.

  21

  »Man hat deine Gebete erhört, Gaia«, sagte Emile düster.

  »Na, immerhin sind wir nicht im Wald«, antwortete sie.

  »Ja, stattdessen in der Hölle«, maulte Justyna.

  »Sei das nächste Mal vorsichtig mit dem, was du dir wünschst«, schob ich nach. Das heutige Programm war nicht Gaias Schuld. Aber es half, so zu tun, als ob.

  Echo musste an diesem Morgen aufgewacht sein und beschlossen haben, dass Sport im Schatten etwas für Verlierer war. Also waren wir im Freizeitareal am See, um zu lernen, wie man vom festen in den flüssigen Zustand überging. Die Nachmittagssonne knallte auf uns hinunter, es ging kein Lüftchen, und am Horizont türmten sich die ersten Gewitterwolken auf. Ich trug nur ein dünnes Shirt zu einer kurzen Sporthose und war trotzdem komplett durchgeschwitzt. Dabei hatten wir noch gar nicht angefangen.

  Unsere Lieblings-Sadistin hatte ein Zirkeltraining aufgebaut, das jeden Elitesoldaten in den Selbstmord getrieben hätte. Wo andere am Ufer liegen oder im seichten Wasser schwimmen gehen durften, gab es für uns einen extra Abschnitt mit Kletterwänden, Sprintstrecken und dem erbarmungslosen Blick unserer Ausbilderin.

  »Wer Agent sein will, muss leiden«, sagte Justyna scherzhaft und dehnte ihre Oberschenkel.

  »Wahrscheinlich steckt etwas vollkommen anderes dahinter«, sagte Gaia, die sich die Schuhe neu schnürte.

  »Was denn diesmal?« Ich zupfte an meinem Shirt, um etwas Luft an meine Haut zu bringen. »Eine Verschwörung der Androiden? Genetisch optimierte Monster?«

  »Ja, lacht ihr nur. Ihr werdet schon sehen, dass ich recht habe.« Gaia straffte die Schultern und ging zum Startpunkt.

  »Man sollte meinen, sie wäre mit dem ganzen Ausbildungs-kram ausgelastet«, murmelte Emile.

  »Vielleicht ist das ihre Art, Druck abzubauen. Andere Leute machen Sport oder lesen ein Buch – Gaia erfindet Verschwörungstheorien.«

  »Ja, aber müssen wir immer diejenigen sein, die sich das an
hören?«

  Ich lächelte. »Uns würde doch was fehlen, wenn nicht.«

  »Leute, wir fangen an.« Echo setzte der Galgenfrist ein Ende. Groß, blond und amazonenhaft stand sie vor dem Gebäude, in dem die Ruderboote und Strandliegen untergebracht waren. Ihr schien die Sonne nichts auszumachen. Während keiner von uns noch eine trockene Faser am Leib hatte, schwitzte sie kein bisschen. »Ihr startet an der Wand, geht dann mit den Gewichten über die lange Distanz am Seeufer, schwimmt bis zur Plattform und kommt über die Seile zurück. Fünf Runden. Ich nehme eure Zeiten und erstelle eine Rangliste. Denkt daran, dass wir die Gruppe am Ende der Woche deutlich dezimieren. Viel Erfolg.«

  »Aufmuntern kann sie«, sagte ich, als ich Emile zum Startpunkt folgte. Mein Timing war unschlagbar: Ausgerechnet in meiner schlechtesten Woche wollten sie ein Drittel der Leute aussieben. Vielleicht hätte ich Luciens Angebot, ein gutes Wort einzulegen, doch annehmen sollen. Aber dafür war es nun zu spät.

  Die ersten zwei Runden liefen okay, trotz der Hitze. Die Kletterwand war nicht mein Freund, ebenso wie die Gewichte, die wir während der Sprints tragen sollten. Das Schwimmen kühlte mich jedoch ab und brachte mich nach vorne, weil ich genug Übung aus Brighton hatte. Erst ab der dritten Runde wurde auch das zur Tortur.

  Ich watete gerade aus dem See, als mich eine merkwürdige Ahnung erfasste. Es war wie ein unguter Geschmack auf der Zunge. Während des Laufens sah ich mich um.

  »Scale, nicht trödeln!«, brüllte mir Echo zu.

  Sie stand immer noch vor dem Gebäude und beobachtete uns … meine Mitstreiter kämpften sich über den Parcours … und trotzdem war etwas anders. Es schien stiller zu sein und dunkler, obwohl die Sonne immer noch brannte. Drehte ich jetzt durch? Spielten mir Müdigkeit und Erschöpfung einen Streich?

  Dann ertönte ein Schrei, der mir durch Mark und Bein ging. Es war nicht das Rufen eines spielenden Kindes oder das harmlose Johlen eines Erwachsenen. Es klang nach Todesangst.

  Da begriff ich es.

  »Runter!«, rief ich, als das Projektil bereits einschlug. Holz splitterte, die Kletterwand vibrierte dumpf. Ich hechtete dahinter, kopflos, blind. Schreie ertönten überall, Echo brüllte darüber hinweg. Was zum Teufel ist hier los?!

 

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