[Ophelia Scale Serie 01] • Die Welt wird brennen

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[Ophelia Scale Serie 01] • Die Welt wird brennen Page 18

by Kiefer, Lena


  »In Ordnung. Die Gespräche unterliegen gewissen Sicherheitsvorkehrungen, aber das erfährst du, wenn du hier bist.« Dufort nickte.

  »Ich werde nicht von hier aus mit ihnen sprechen?«

  »Nein. Wir haben spezielle Räumlichkeiten für so etwas.« Deverose lächelte. »15 Uhr am Sicherheitspunkt Alpha D. Wir werden dich dort abholen lassen.«

  »Ich werde da sein. Danke.«

  Beide nickten, dann schaltete das Terminal ab.

  Ich überlegte eine Weile, was ich anziehen sollte. Die letzten Wochen war die Trainingskleidung mein tägliches Outfit gewesen, aber die wollte ich bei einem Gespräch mit meiner Familie nicht tragen. Ich sah die Sachen durch, die ich von zu Hause mitgenommen hatte, und entschied mich für mein graues Lieblingsshirt und Jeans. Meine Haare ließ ich zum ersten Mal seit meiner Ankunft offen. Als ich aus der Tür trat, fühlte ich mich fast wie ich selbst.

  Der Regen hatte aufgehört, in den Pfützen spiegelte sich der bewölkte Himmel. Bis zum Sicherheitspunkt Alpha D waren es nur zehn Minuten, also ging ich zu Fuß. Es war schwül und mein Kopf schmerzte wie so oft. Aber eine höhere Dosis HeadLock wäre vor diesem Gespräch keine Option gewesen.

  In Zone C war es ruhig, wie immer am Sonntag. In Zone B war dafür eine Menge los. Trotz der Schauer saßen die Leute draußen vor den Cafés, spielten im Park mit ihren Kindern oder gingen spazieren. Ein paar Jungs warfen sich auf der Straße ihren Ball zu. Einer von ihnen sah so ähnlich aus wie Lion. Ob er da sein würde? Ob sie alle da sein würden?

  Ich hatte diesem Termin zugestimmt, ohne darüber nachzudenken, worüber ich reden sollte. Meine Familie lebte seit vier Wochen ohne mich und irgendwelche Informationen darüber, was ich genau machte. Was sagte man in einem solchen Fall? Hey, Leute, ich bin in einem ultrageheimen Programm, das Agenten für den Geheimdienst des Königs ausbildet. Das Essen ist gut, das Wetter auch. Ich vermisse euch. So in etwa?

  Der Sicherheitspunkt Alpha D lag am Fuß der Festung und kam viel zu schnell in Sicht. Als man meinen WrInk kontrollierte, wusste ich immer noch nicht, was ich sagen wollte.

  Deverose kam auf mich zu. Er trug einen dreiteiligen Anzug, die Weste in einem dunklen Grün, Jacke und Hose in Blau. Seine Krawatte passte zur Weste und hatte kleine Punkte. An jedem anderen hätte das Outfit lächerlich ausgesehen, aber bei ihm wirkte es schick. Er streckte mir die Hand hin.

  »Herzlich willkommen in der Festung, Miss Scale.« Deverose war offenbar alte Schule. Miss, Mister oder Mrs sagte man heute kaum noch, meist nur im Scherz. »Sind Sie aufgeregt, dass Sie mit Ihrer Familie sprechen können? Ich wäre es.«

  »Ein bisschen, ja.« Ich lächelte, weil ich das Gefühl hatte, er erwarte es von mir.

  »Das kann ich verstehen. All die neuen Eindrücke, die auf Sie eingeprasselt sind, während Ihre Eltern keine Ahnung haben … es ist eine faszinierende Welt, in der wir leben, nicht wahr?«

  »Meinen Sie die ganze Welt oder das hier?«

  Er lachte. »Sie sind witzig. Das gefällt mir. Sie werden sich gut machen, davon bin ich überzeugt.«

  Ich sparte mir die Frage, wobei ich mich gut machen würde. Sicher hätte er das wieder für einen Scherz gehalten.

  »Wir müssen Ihnen nur eine kurze Einweisung geben, dann geht es auch schon los«, sagte Deverose, als er in einen kleinen Wagen stieg. Er sah aus wie die Miniversion einer TransUnit, nur ohne Dach. »Setzen Sie sich, wir fahren ein Stück.«

  Ich nahm neben ihm Platz und das Gefährt setzte sich in Bewegung. Wir glitten durch hell erleuchtete Gänge ohne Fenster. Der Felsen, auf dem die alte Festung stand, beherbergte ein Labyrinth aus Fluren und Aufzügen, mit Sicherheitsleuten an jeder Ecke und WrInk-Scannern an jeder zweiten. Es war die Schaltzentrale der Stadt, der riesige Eisberg unter der königlichen Festung, die vom Juwel gekrönt wurde. Um alles zu sehen, hätte man stundenlang laufen müssen.

  »Wir sind da.« Deverose stieg neben einer offenen Tür von seinem Sitz und hielt mir die Hand hin. Ich wollte nicht unhöflich sein und ließ mir aus dem Wagen helfen.

  »Caspar, ich bringe unsere Anwärterin.«

  »Danke, Adrian. Kommt rein.«

  Dufort wartete hinter der offenen Tür, den Blick auf etwas gerichtet, das ich nicht sehen konnte. Ich wusste, was das bedeutete: Er trug EyeLinks. Mein Magen zog sich zusammen. Dufort war auch mit InterLinks keine OmnI, aber er kam nah ran.

  »Nervös, Ophelia?« Es war keine Frage.

  »Ein bisschen«, nahm ich die Vorlage auf. Er bemerkte zwar meine Nervosität, aber den Grund dafür konnte er mir nicht aus dem Gesicht ablesen.

  »Warum? Hatten deine Eltern etwas dagegen, dass du dich für die Garde bewirbst?«

  Ich hob die Schultern. »Das kann man so nicht sagen. Ich glaube nur, dass mein Vater nicht damit gerechnet hat … na ja. Dass ich es schaffen würde.«

  »Ihr habt kein gutes Verhältnis?«

  »Es könnte besser sein.«

  Dufort lächelte leicht. »Das könnte es immer.« Er klopfte auf den Tisch, der gegenüber von einem großen Screen stand. »Bitte, setz dich. Wir müssen über die Regeln sprechen.« Er nahm auf einer Seite Platz, Deverose neben ihm. Ich setzte mich auf die andere Seite und verschränkte die Hände auf dem Tisch. Mein Bein wollte wippen. Ich presste den Fuß fest auf den Boden.

  »Zuerst zum Offensichtlichen.« Dufort sah mich an. »Du darfst nichts über Maraisville oder die Inhalte der Ausbildung sagen. Außerdem kein Wort über die Sicherheitsstandards oder die anderen Anwärter.«

  »Das wird ein ziemlich kurzes Gespräch«, merkte ich an. Deverose lachte erneut.

  »Das Mädchen ist großartig.« Er sah mich begeistert an. Offenbar hatte ich einen Fan.

  Dufort lachte nicht. »Du kannst darüber reden, wie es dir geht, auch über London – abgesehen vom Abschlusstest. Außerdem kannst du deine Familie alles fragen, was du von zu Hause wissen möchtest.«

  »Alles?«

  Sein Blick wurde wachsam. »Alles«, sagte er trotzdem.

  »Wir müssen das Gespräch überwachen und werden es aufzeichnen.« Deverose lächelte bedauernd. Er konnte schlechte Nachrichten wirklich gut verkaufen. »Das ist Vorschrift.«

  Ich nickte. »Okay.«

  »Deine Familie ist an einem neutralen Ort«, sagte Dufort. »Sie werden von einem Team überwacht, das die erforderliche Technik nach Brighton gebracht hat. Auch sie wissen, worüber du nicht sprechen darfst. Sollten sie dennoch ein solches Thema anschneiden, darfst du nicht antworten, sonst brechen wir die Verbindung ab.«

  Mir kam es vor, als würde das ein Gespräch wie bei einem Besuch im Gefängnis werden, mit mir als Häftling. »In Ordnung.«

  »Gut. Dann legen wir los.« Beide Männer erhoben sich.

  Ich blieb allein in dem fensterlosen Raum und starrte auf den Screen, auf dem sich die Lilie mit den beiden Pfeilen um die eigene Achse drehte. Linksherum? Rechtsherum? Es war schwer zu sagen.

  »Sind wir schon … oh, hallo Schatz!«

  Ich musste lächeln, als ich meinen Vater und Eneas sah. Sie saßen nebeneinander auf einem plüschigen Sofa, im Hintergrund konnte ich die Tapete des Royal Albion Hotels erkennen.

  »Hallo, ihr beiden«, sagte ich, »es ist schön, euch zu sehen.« Nach all den Lügen der letzten Zeit war es ungewohnt, die Wahrheit zu sagen.

  »Hey, Phee, alles klar?« Eneas grinste und deutete ein Salut an.

  »Klar ist alles klar«, sagte ich und merkte erst in diesem Moment, wie sehr ich meinen Zwillingsbruder vermisst hatte. »Wo sind die anderen?«

  »Der Termin war sehr kurzfristig, deswegen sind sie nicht dabei. Lexie hat einen Workshop und Fleur und Lion sind mit der Schule in London. Aber sie lassen dich lieb grüßen.«

  »Schade.« Ich hätte mich gefreut, meine Geschwister zu sehen. Sogar mit Lexie hätte ich gerne gesprochen. »Geht es allen gut?«

  Mein Vater nickte. »Fleur wohnt jetzt in deinem Zimmer, wie du es ihr erlaubt hast. Sie gerät ständig mit deinen Brüdern aneinander, aber sie kann sich durchsetzen.« Er lächelte stolz.

  »Ich habe sie ja auch gut erzogen«, grinste ich.

  »Es ist allerdings unwahrscheinlich, d
ass sie je wieder auszieht.« Eneas hob die Schultern. »Du musst wohl ihr Zimmer nehmen, wenn du zurückkommst. Wann immer das sein wird.« Eine Frage schwang in seinen Worten mit.

  »Ja, das …« Darüber durfte ich vermutlich auch nichts sagen. »Es wird wohl noch eine Weile dauern.«

  »Aber du besuchst uns doch?« Mein Vater sah mich traurig an. »Wir vermissen dich, Phee. Du bist so plötzlich weg gewesen. Es fehlt etwas.«

  »Du meinst, weil niemand aufräumt?« Ich grinste, weil ich seinen Blick nicht ertragen konnte. »Ich sehe, was ich machen kann, okay? Immerhin können wir jetzt miteinander sprechen.«

  »Ja, das stimmt.« Er nickte tapfer, und ich hatte das Gefühl, ich wäre sein Vater, der ihm sagte, dass ein aufgeschlagenes Knie wieder heilen würde.

  »Wie geht es dir, Neas?« Ich sah meinen Bruder an. »Was macht die Aufnahmeprüfung für die Kunsthochschule?«

  »Die Ergebnisse sind noch nicht da, aber meine Mappe ist ziemlich gut. Ich habe ein Bild von dir reingetan. Du weißt schon, dieses Porträt, das du so hasst.« Er grinste breit.

  »Na, vielen Dank auch.« Ich verzog das Gesicht. »Ich hoffe, sie lehnen dich deswegen ab.«

  »Wenn ja, bist du schuld«, sagte er immer noch grinsend.

  »Geht es dir denn gut, Schatz?«, fiel mein Vater ein. »Triezen sie euch nicht zu sehr?«

  »Es ist anspruchsvoll, aber ich komme zurecht. Mir geht es gut.« Diese Antwort hätte auch von Deverose stammen können.

  »Du siehst schmaler aus. Und blass.« Mein Vater sah mich besorgt an.

  »Das ist nur das Licht. Ich habe nicht abgenommen, nur mehr Sport gemacht. Es ist alles in Ordnung, Dad.«

  »Hast du denn Freunde gefunden? Du weißt, Freunde machen alles leichter.«

  »Ja, ich weiß.« Ich lächelte. Das hatte er mir schon gesagt, als ich noch ein kleines Mädchen gewesen war. »Keine Sorge, es gibt ein paar nette Leute hier.«

  »Das ist schön. Ich treffe manchmal deine Freunde und sie fragen nach dir. Reginald und Liora habe ich erst gestern gesehen. Oh, und den großen blonden Kerl, wie heißt er noch?«

  »Julius«, half Eneas aus und schoss einen aufmerksamen Blick auf mich ab.

  Ich antwortete mit einem Schulterzucken.

  »Genau, Julius.« Mein Vater merkte nichts von unserer wortlosen Kommunikation. »Ein sehr netter Mann, wirklich. Aber ich konnte ihm ja nichts sagen. Nur, dass du angenommen wurdest und erst nach ein paar Wochen mit uns sprechen darfst.«

  »Grüß sie bitte von mir«, bat ich, »und sag ihnen, dass alles gut läuft.« Julius würde verstehen, wie das gemeint war.

  Das war der Moment, wo ich eine Frage stellen konnte, die mir vielleicht das Genick brechen würde. Aber ich musste es wissen. Es quälte mich schon seit Wochen.

  »Habt ihr etwas von Jye gehört?« Ich hatte überlegt, ob man nicht gleich wissen würde, wen ich meinte. Aber wem machte ich etwas vor? Dufort hatte mich in London beobachtet. Und Jye war wirklich schwer zu übersehen.

  »Jye Eadon?« Mein Vater legte die Stirn in Falten. »Den habe ihn schon länger nicht gesehen.«

  »Ich auch nicht«, sagte Eneas und sah dann auf den Boden. Vielen Dank, Familie. Da stelle ich eine wichtige Frage und muss euch alles aus der Nase ziehen.

  »Aber ihr habt ihn gesehen, seit ich weg bin?« Dünnes Eis. Sehr dünnes Eis.

  »Nicht richtig.« Eneas spielte mit der Kordel seines Pullovers. »Man erzählt sich, er wäre weggezogen, aber ich glaube, es hat etwas mit –«

  »Neas, nicht«, zischte mein Vater so leise, dass ich es von seinen Lippen ablesen musste. »Wir dürfen nichts darüber sagen.«

  Jetzt war ich alarmiert. »Worüber dürft ihr nichts sagen?«

  »Über Knox.« Eneas schien die Warnung egal zu sein.

  »Was ist mit Knox?« Er saß doch hoffentlich in dem Reihenhaus in Horsham und malte Pferde, die wie Dinosaurier aussahen. Oder nicht? Ich ließ alle Vorsicht fallen. »Eneas, was ist mit Knox?!«

  »Er ist verschwunden.« Mein Bruder sagte diese drei Worte, als wäre damit alles erklärt.

  »Was soll das heißen, verschwunden? Wie –«

  Ich stockte mitten im Satz. Der Screen war schwarz.

  Sie hatten die Übertragung beendet.

  20

  Ich sprang auf und lief zur Tür. Dufort öffnete sie in dem Moment von außen, als ich die Klinke herunterdrückte.

  »Was soll das?«, herrschte ich ihn an. »Das war keine sicherheitsrelevante Frage!« Ich war krank vor Sorge um Knox. Verschwunden, was sollte das bedeuten? War er weggelaufen, entführt worden, irgendwo eingesperrt?

  »Wir haben technische Probleme«, sagte Dufort mit reglosem Gesicht. »Es tut mir leid.«

  »Technische Probleme?« Ich verlor die Geduld. »Willst du mich verarschen?!«

  Dufort reagierte prompt. Er fasste mich am Arm, zwang mich zurück auf meinen Stuhl und deaktivierte den Screen an der Wand. Dann stützte er die Hände auf den Tisch und sah mich finster an.

  »Hör mir gut zu, denn ich werde es nur ein einziges Mal sagen.« Seine Stimme klang gefährlich dunkel. »Alleine wegen dieses Gesprächs könnte ich dich auf der Stelle rauswerfen. Dein Freund war ein Radical, ein Feind des Königs, persona non grata in diesem Land. Wenn du nicht große Lust hast, sein Schicksal zu teilen, dann erwähnst du nie wieder seinen Namen oder zeigst, dass du um ihn besorgt bist. Nie. Wieder. Denn wenn ich das noch einmal mitbekomme, sind drei Jahre Clearing dein kleinstes Problem.« Ich schluckte, aber er war noch nicht fertig. »Du willst ein Schakal werden? Schakale sorgen sich ausschließlich um die Sicherheit des Landes und des Königs. Wir sind kompromisslos und konsequent, das macht uns aus. Wenn du dazu nicht in der Lage bist, hast du hier nichts verloren. Ist das klar?« Der Blick seiner blauen Augen bohrte sich in meine.

  Ich nickte. Meine Wut war vor Dufort in Deckung gegangen. Zurück blieb nur lähmende Sorge. Und Angst.

  »Ich halte dich für außerordentlich talentiert, Ophelia.« Sein Blick blieb hart. »Aber deine früheren Kontakte sind ein Schandfleck auf deiner Weste. Bau also keinen Mist.«

  Ich nickte wieder.

  »Gut.« Er richtete sich auf. »Du kannst gehen.«

  Dunkelheit und Stille um mich herum, kalte Luft und Sterne über mir. Weit nach Mitternacht waren die Lichter der Stadt längst ausgegangen. Ich saß auf dem Dach meines Zimmers und starrte ins Nichts.

  Der Rest des Tages war an mir vorbeigezogen. Nachdem Dufort gegangen war, hatte mich Deverose vor der Festung abgesetzt. Eine Weile war ich ziellos durch die Straßen gelaufen, ohne einen vernünftigen Gedanken fassen zu können. Schließlich hatte ich Justyna getroffen, die mich zum Abendessen mitgeschleift hatte.

  Am Tisch hatte ich auf die Fragen nach dem Gespräch mit meiner Familie gelogen und etwas Gemüse heruntergewürgt. So früh wie möglich war ich in mein Zimmer geflüchtet. Aber die Stille half nicht. Lernen war unmöglich, Schlafen ebenfalls. Alles war zu eng, zu viel, nicht auszuhalten. Ich wünschte mir, noch einmal mit meinem Bruder reden zu können. Nicht nur wegen Knox, sondern einfach, weil ich in seiner Nähe immer das Gefühl hatte, alles würde schon irgendwie gut werden. Aber er war nicht da. Niemand war da.

  In einem Anfall packte ich meine Sachen, um abzuhauen – nur um anschließend alles wieder zurück in den Schrank zu räumen. Egal, was ich mir überlegte, es war sinnlos. Ich konnte nichts tun.

  Schließlich war ich in Knox’ Jacke geschlüpft und über die Feuerleiter aufs Dach geklettert. Dort holte ich Luft und atmete sie wieder aus, zehn-, zwanzig-, hundertmal. Dann ließ ich mich zurücksinken, bis mein Kopf den harten Boden berührte. Über mir war ein Muster am Nachthimmel, ein großes W aus fünf Sternen. Es erinnerte mich an etwas, das beinahe zwei Jahre zurücklag.

  »Das da drüben ist Perseus und direkt darüber ist Kassiopeia. Das große W, siehst du?« Knox zeigte in den Himmel, aber ich sah ihn an. Nicht verliebt, obwohl ich das war. Eher ungläubig.

  »Versuchst du gerade, mich mit Sternbildern rumzukriegen?«

  »Kommt darauf an.« Er sah mich fragend an. »Klappt es?«

  »Nicht direkt«, enttäuschte ich ihn. »Die gute a
lte Romantik und ich sind nicht die besten Freunde. Vielleicht versuchst du es das nächste Mal mit etwas anderem. Layer-Architektur zum Beispiel.«

  Als ich Knox’ Gesichtsausdruck sah, musste ich lachen. Er schaute wie ein Kind, dem man gerade gesagt hat, dass es den Weihnachtsmann nicht gibt. Ich beugte mich vor und küsste ihn. Er lächelte zufrieden.

  »Dann ist es ja gut, dass ich dich gar nicht mehr rumkriegen muss«, meinte er und nahm mich enger in seine Arme. »Von Layer-Architektur habe ich nämlich keine Ahnung. Wenn du mir erzählst, was dein Dad und du früher gemacht haben, ist es, als würdest du chinesisch sprechen.«

  »Ach, keine Sorge, ich mag dich trotzdem.« Grinsend kuschelte ich mich an ihn. Es war kühl, obwohl wir Spätsommer hatten. Ich zeigte aufs Meer. »Und, habe ich dir zu viel versprochen?«

  »Absolut nicht. Die Aussicht ist unglaublich.« Er sah mich aus seinen unergründlich dunklen Augen an. In meinem Magen flirrte es so stark, dass ich sicher war, er müsste es spüren.

  Wir befanden uns dreißig Meter über dem Wasser, an der äußersten Kante des Piers. Der 3V-Coaster war früher das Aushängeschild von Victor Vale gewesen, eine Kombination aus Achterbahn und virtueller Multimediashow. Jetzt war es eine verwaiste Metallkonstruktion, die wie das Skelett eines Dinosauriers in den Abendhimmel ragte. Die kleinen Wagen, die früher darauf durch die Luft geglitten waren, steckten nun auf der obersten Ebene fest, als hätte die Abkehr ihre letzte Fahrt mitten im Betrieb beendet. Die Sitze waren zerfleddert, und alles roch nach Salzwasser, aber mit ein paar Decken und der richtigen Gesellschaft war es der perfekte Ort.

  »Was machst du als Erstes, wenn die Abkehr vorbei ist?«, fragte Knox, während er nach der zweiten Decke angelte. Ich lag in seinen Armen, deshalb musste er sich verrenken, um an die Tasche zu kommen. Ihn deswegen loszulassen, kam jedoch nicht infrage.

  »Ich glaube, ich würde erst ein paar … Nein, Moment. Als Allererstes würde ich den WrInk rausholen und ihn rituell verbrennen.«

  Knox breitete die Decke aus, nahm meine Hand und schob seine Finger zwischen meine. »Und dann?«

 

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