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Rabentod (Rabenblut Serie 2) (German Edition)

Page 12

by Nikola Hotel


  Dass Wassilij offenbar herausgefunden hatte, wie er meine Verwandlung verhindern konnte, stellte mich vor ein Rätsel. Es gab ihm Macht über mich. Einen Vorsprung. Und nun, da ich ein Rabe war, wollte er mich dazu zwingen, mein Gefieder von mir abzustoßen. Auf dem einzigen Tisch im Raum lagen Spritzen und Kanülen bereit. Dinge, die offenbar nur gebraucht werden konnten, wenn ich menschlich war.

  Ich krähte hilflos. Die endlose Folge des schlagenden und zischenden Beats brachte meine Gedanken zum Verdampfen. Mein Kehlgefieder spreizte sich wie elektrisiert ab, und ich schlug mit dem Kopf gegen die Wand, wieder und wieder. Weil der Rhythmus mich gefangen hielt, merkte ich erst, dass die Musik plötzlich verstummt war, als ein unerträglicher Kopfschmerz einsetzte.

  Diese Stille …

  Ich hob den Kopf und lauschte, aber meine Ohren waren eine einzige Wunde, die pochte, pochte, pochte.

  Dann dröhnte mit einem Mal die heisere Stimme eines Sängers aus den Lautsprechern. Eine Sekunde, zwei Sekunden köstlicher Stille, und die harten Riffs einer Gitarre setzten ein. Es war noch nicht vorbei. Die Männerstimme grölte unverständliche Sätze direkt aus der Hölle. Lautes Schlagzeug – ein Trommelfeuer untermalt vom Kreischen mehrerer E-Gitarren. Dagegen war der monotone Technobeat noch geradezu ein Streicheln gewesen. Ich war in einem Albtraum gefangen, einem endlosen Albtraum aus Musik, die aus Metall und Höllenfeuer geschmiedet zu sein schien. Mein Rabenherz pochte so wild, dass ich dachte, es würde platzen. Nicht eine Sekunde länger konnte ich dieses Getöse ertragen. Ich spürte kaum, wie ich mich verwandelte, fühlte nur plötzlich den kalten Boden unter meinen Knien, meine Stirn, die sich an den Boden presste, und meine Hände, die sich in einem Wahnsinn in mein Haar krallten und gegen meine Ohren drückten. Doch diesen Lärm konnte ich nicht allein mit den Händen aussperren, damit erreichte ich nur so viel, als hätte ich einen Eiswürfel in einen Lavastrom geworfen.

  »Aufhören!«, schrie es in mir. »Aufhören!«

  Ich kauerte wie ein Embryo auf dem kahlen Boden. Nackt, hilflos. Und als erneut eine plötzliche Stille eintrat, schossen mir vor Erleichterung Tränen in die Augen. Die fremden Hände, die an mir zerrten, schreckten mich nicht mehr. Alles war mir gleichgültig, solange ich diese Geräusche aus der Hölle nicht mehr hören musste, die mich glauben machten, dass in meinem Kopf, in meinem Geist ein Krieg ausgebrochen sei.

  »Warum nicht gleich so«, sagte jemand. Doch es war weder eine Frage, noch wäre ich fähig gewesen, eine Antwort darauf zu geben. Eine Hand streckte meinen Arm, und es war mir völlig egal. Sollte sie meinen Arm nehmen, mein Blut, mir alles wegnehmen, nur bitte nicht diese Stille, die sich über meine Seele legte wie eine Haut über gekochte Milch.

  Der Einstich kam trotzdem unerwartet. Durch die Schleier auf meinen Augen sah ich Blut in ein Röhrchen rinnen, dann in ein zweites, ein drittes, ein viertes. Irgendwann hörte der Mann auf, mich auszusaugen, und spritzte mir dafür eine kalte Flüssigkeit in die Vene, die mich innerhalb von Sekunden herunterdimmte. Mein Herzschlag verlangsamte sich, Schweißperlen traten mir auf die Stirn, und eine bleierne Müdigkeit überkam mich. Ich schien im Raum zu kreiseln, als wäre mein Körper bloß der Samen eines Ahorns, der zu Boden trudelte.

  Ich wusste nicht, wie viel Zeit inzwischen vergangen war. Wie lange ich dort gelegen hatte, bis man mich auf dieser Liege festgeschnallt hatte. Minuten? Stunden? Meine Kehle war ausgedörrt und meine Zunge geschwollen. Tief in mir horchte ich auf das Pochen meines Herzens, doch es war unerträglich langsam und mein Rabenherz kaum zu spüren. Ich dachte an Isabeau und den dummen Streit, den wir gehabt hatten, und wie falsch es gewesen war, ihr zu gestehen, dass ich mir eine Familie wünschte. Wie könnte ich so egoistisch sein und dieses Schicksal einem Kind zumuten wollen? Wenn auch nur die Möglichkeit bestand, dass ein Sohn von mir so werden würde wie ich und der Gefahr ausgesetzt wäre, deswegen gefangen gehalten zu werden, gefoltert oder sogar getötet – niemals würde ich mir das verzeihen. Zum ersten Mal verstand ich meine Mutter. Sie hatte ihre Töchter genommen und war geflohen. Weit weg von dem Sohn, der kein Mensch war, sondern eine Missgeburt auf zwei Beinen und mit Flügeln, die ihn nicht davor retten konnten, allein in einer Halle irgendwo in Südböhmen zu verrecken. Sie hatte nur sich und ihre Töchter beschützt, weil diese nur ohne mich eine Chance auf ein normales Leben hatten.

  Ich war nicht einmal fähig, den Kopf zu heben, als sich mir plötzlich Stimmen näherten. Ich hatte ein absolutes Gehör und doch schaffte ich es nicht mehr, diese Stimmen auseinanderzuhalten. Es hätten zwei Männer sein können oder auch zwanzig, deren Töne in bunten Farben durch mein Gehirn spritzten. Mit Mühe öffnete ich meine Augenlider wenige Millimeter, doch konnte ich keine Konturen wahrnehmen und in meiner Nase nur den Geruch von Schuhleder.

  »Mit der Dosierung bin ich noch nicht zufrieden«, hallte die Stimme in meinem Kopf wie ein Echo wider.

  »Dann probieren Sie aus, wie Sie es langsam steigern können«, kam die Antwort. »Ich will genaue Angaben darüber, wie weit wir gehen können, und ob ein Gewöhnungseffekt eintritt.« Diese Stimme war Nikolaus so ähnlich – dieselbe Klangfarbe, ein dunkles Violett vor meinem inneren Auge. Es musste sein Vater Wassilij sein. Doch er klang kurzatmig, als wäre er eine steile Treppe hochgelaufen.

  »Wir sind bereits zu weit gegangen. Wenn ich ihm jetzt noch einmal nachspritze, wird sein Herz stehen bleiben. Er ist extrem bradykard mit nur knapp über dreißig Schlägen pro Minute.«

  Ich versuchte, einen Sinn in diesen Worten zu erkennen. Hatte ich deshalb also die vielen Kabel und die Klebepads auf meiner Brust? Meine Finger berührten die gummiartigen Pflaster, aber meine Hand war zu schwer, um sie länger als ein paar Sekunden anzuheben.

  »Können Sie mir garantieren, dass er sich nicht verwandeln wird, wenn Herzschlag und Blutdruck im Normbereich sind?« Wieder schnaufte Wassilij, holte beinahe gierig Luft.

  Schweigen.

  »Sehen Sie, und genau deshalb führen wir die Testreihe fort. Halten Sie seine Herzfrequenz wenigstens konstant unter fünfzig. Systolisch darf der Druck nicht über hundert gehen, haben wir uns verstanden?« Er keuchte, raschelte mit einem Taschentuch, und ich vermutete, dass er sich damit die Stirn abwischte. »Und sehen Sie zu, dass er ein wenig Flüssigkeit bekommt. Tausend Milliliter pro Tag, mehr nicht. Erst ab morgen beginnen wir mit der Adrenalingabe. Dann werden Sie Ihr blaues Wunder erleben, Dr. Svejkovský, das kann ich Ihnen versprechen.«

  Wassilij sprach von einem Wunder, als wäre es beeindruckend, mir dabei zuzusehen, wie ich aufgab. Als wäre es ein Wunder, dass aus mir ein Rabe werden würde. Aber das war kein Wunder, dachte ich in einem Anfall von Aufbegehren. Es war nichts, wogegen ich völlig machtlos war oder was unnatürlich wäre; vielmehr etwas, das bloß seine menschliche Denkfähigkeit überstieg, so wie es vor Hunderten von Jahren als Wunder galt, wenn es donnerte und blitzte. Was für ein Dummkopf dieser Mann doch war, was für ein elender Dummkopf.

  LÜGENTANZ

  ISABEAU

  Bis zum Morgengrauen suchten wir die Umgebung des Parkplatzes auf Spuren ab. Am Tag waren unendlich viele Schuhe über das Pflaster gelaufen, es war unmöglich, darunter diejenigen Abdrücke zu finden, die uns verraten hätten, wohin man Alexej gebracht hatte.

  Der Ort lag mitten in einer Schlaufe der Moldau und wurde vom Fluss eingerahmt. Um in die Altstadt zu gelangen, musste man eine hölzerne Brücke überqueren und dann durch den Torbogen einer mittelalterlichen Mauer ins Innere treten. Sergius hielt die Idee, in der Stadt nach Hinweisen zu suchen, für schwachsinnig, aber ich hatte auch noch ganz egoistische Gründe dafür, mich hier umzusehen.

  Ich wollte schlafen. Ich musste schlafen. Das hier war definitiv ein Ort für Touristen. Hier würde es bestimmt mehr als eine Pension oder ein Hotel geben. Für die Raben war es vielleicht kein Problem, sich für ein paar Stunden auf einen Baum zu hocken und sich auszuruhen, aber ich brauchte ein bisschen mehr als das.

  Ich streifte durch die kleinen Gässchen der Altstadt, die seltsam pittoresk und puppenhaft auf mich wirkte. Bunt angemalte Häuser in Eiscreme-Farben wie Zitrone, Erdbeere oder Pistazie. Schaufenster waren über Nacht mit Klappläd
en verdeckt und abgeschlossen worden – jetzt wurden sie aufgestoßen und Regale und Körbe aus dem Inneren ins Morgenlicht gezogen. Nun stand ich mitten auf einem quadratischen Marktplatz und drehte mich um die eigene Achse, das Smartphone in der Hand. Und damit wirkte ich hier völlig normal, denn die wenigen Besucher, die bereits jetzt über das Pflaster spazierten, hielten sich allesamt ihre Handys vor die Nase und knipsten ein paar Selfies, das mittelalterliche Schloss im Rücken. Ich hätte dem Blick auf die schneebedeckten Dächer ganz sicher mehr abgewinnen können, wären mir nicht zum einen die Zehen bereits abgefroren und zum anderen meine körperliche Fitness auf geschätzte zehn Prozent des Möglichen abgesunken. Kaum hatte ich das gedacht, stolperte ich über einen hochstehenden Pflasterstein und knickte mit dem Fuß um. Mit schmerzverzerrtem Gesicht ließ ich meine Tasche fallen und rieb mir über den rechten Knöchel.

  Fünf Prozent, verbesserte ich meine persönliche Statistik. Maximal noch fünf Prozent. Alles, was ich wollte, war ein Bett! Ein paar Stunden Schlaf, anschließend eine heiße Dusche und – das war das Wichtigste – etwas Abstand zu den Raben und vor allem zu Sergius. Ich hatte ihn auf dem Parkplatz zurückgelassen, als der Rest des Schwarms eingetroffen war. Wenn man noch von einem Schwarm reden konnte.

  Noch im Herbst war mein Blick den imposanten Flugkünsten großer Rabenschwärme gefolgt. Wie sie als Einheit auf einer einzigen Baumkrone gelandet waren und sich dann, ohne dass ich einen Auslöser dafür hatte wahrnehmen können, plötzlich abstießen und gemeinsam in einer Welle über die Wipfel schwappten. Doch von Alexejs Schwarm waren nur noch sechs Raben übrig geblieben. Wie sollten sie sich da gegen einen Feind wie Wassilij wehren, der über die finanziellen Mittel verfügte, so was wie eine beschissene Armee aufzustellen?

  Schlaf, ich brauchte Schlaf, damit ich wieder einigermaßen klar denken konnte. Ich packte die beiden Gurte der Sporttasche und wuchtete sie mir über die Schulter, bevor ich den Platz verließ und in eine Gasse einbog, die etwas abseits lag. Doch auch hier öffneten bereits einige Souvenir-Shops und hängten ihre Stoffbeutel, T-Shirts, Postkarten und handbemalten Ostereier vor die Türen. Vor einer Ansammlung an Marionetten blieb ich stehen, aber nicht, weil mich die Puppen so sehr interessiert hätten, sondern weil direkt dahinter ein Museumsplakat hing, auf dem olivfarbene Kristalle zu sehen waren. Moldavite. Glassteine, die dieselbe Farbe hatten wie das Augenpaar eines Raben, von dem ich ganz dringend Urlaub brauchte.

  »Dobrý den! Möchten Sie sich die Ausstellung ansehen?«, fragte mich eine junge Frau mit blondem Pferdeschwanz, die eine der alten Holztüren aufschloss. Sie sprach Englisch mit einem leichten Akzent.

  Ich schüttelte den Kopf und unterdrückte ein Gähnen. »Ich suche nur ein Hotelzimmer oder eine Pension. Können Sie mir was empfehlen?« Eigentlich war das eine völlig idiotische Frage, wenn die einzige Voraussetzung, die es erfüllen musste, war, dass ein Bett im Zimmer stand. Mir wäre sogar ein Klo auf dem Flur recht gewesen.

  »Wir haben noch ein Studio frei«, sagte sie und zeigte mit dem Kinn nach oben. »Über dem Museum. Wenn Sie hier wohnen, dann können Sie sich auch kostenlos die Ausstellung ansehen. Es gibt allerdings keinen Aufzug«, erklärte sie. »Das Frühstück bringen wir Ihnen auf …«

  »Ich nehme es!«

  Der Pferdeschwanz der jungen Frau wippte, als sie mich anlachte.

  Etwa eine Viertelstunde später plumpste ich rücklings aufs Hotelbett und breitete meine Arme aus. Das Studio war viel zu groß für mich allein, ein Apartment mit Duschbad, voll ausgestatteter Küche, einer zusätzlichen Ausziehcouch und zwei Fernsehern. Das alles hätte ich gerne gegen Dunkelheit getauscht, war aber zu schwach, um mich noch einmal aufzuquälen und die Vorhänge zuzuziehen. Dummerweise hatte ich Marek in meinem Brief versprochen mich zu melden, sobald ich in Orlík angekommen wäre, und Orlík lag nun wirklich in einer ganz anderen Richtung. Wenn ich also verhindern wollte, dass er sich aus Sorge (oder weil er vielleicht dachte, ich würde mich nur vor der Arbeit drücken) dort anrief, musste ich ihn dringend zuerst anrufen. Auf meinem Handy waren bereits zwei Nachrichten von ihm eingetrudelt: Ist das etwa die viel gelobte deutsche Zuverlässigkeit?, war die erste. Seine zweite klang da schon versöhnlicher und war erst vor wenigen Minuten piepsend auf meinem Handy eingegangen: Mach dir keine Sorgen, wir haben auch ohne unsere Praktikantin alles im Griff. Gute Besserung an Alexejs Oma! Außerdem hatte er einen Smiley angehängt, der mir die Zunge rausstreckte.

  Ich wettete, dass zwischen beiden Nachrichten ein Gespräch mit seiner Frau stattgefunden hatte, und grinste müde. Lara würde ihm schon eingetrichtert haben, dass ich nicht wegfuhr, wenn es nicht wirklich wichtig war. Ich konnte nur hoffen, dass keiner von beiden auf die Idee kam, den Standort meines Handys zu orten. Noch während der Fahrt hatte ich zwar alle Ortungsdienste in den Einstellungen deaktiviert, aber man konnte ja nie wissen. Auch wenn Marek mit seinem schütteren Haupthaar und den dazu völlig unpassenden jungenhaften Grübchen etwas von einem alternden Teddybären hatte – unterschätzen sollte ich ihn nicht.

  Obwohl ich kaum noch die Augen aufhalten konnte, wischte ich über das Display und suchte nach Mareks Eintrag im Telefonbuch. Während ich auf das Tuten in der Leitung lauschte, zog ich die Decke über meine Jeans nach oben und schloss die Augen. Noch vor ein paar Stunden hatte ich mit Alexej gemeinsam im Bett gelegen. Wir hatten uns geliebt. Und dann hatte ich mit meinen blöden Fragen den Moment zerstört. Meine linke Hand tastete über das kühle Laken, und auch wenn es kein bisschen hilfreich war zu heulen, spürte ich doch, wie heiß sich meine Augäpfel auf einmal anfühlten und wie gerne ich diesem Bedürfnis jetzt nachgegeben hätte.

  »Javorček, ano?«

  Wie immer, wenn Marek sich auf Tschechisch meldete, regte sich mein schlechtes Gewissen, weil ich so wenig davon verstand. Im Gegensatz zur angeblichen Ordnungsliebe entsprach ich da vollkommen dem deutschen Klischee. »Hallo Marek. Ich bin’s.«

  »Schön, dass du dich meldest«, sagte er, und ich lauschte angestrengt darauf, ob ein Hauch Ironie in seinen Worten zu hören war. Dann zog ich die Nase hoch und wischte die Träne weg, die sich aus meinem Augenwinkel herausstehlen wollte.

  »Tut mir leid, dass ich euch so überrumpeln musste, aber ich habe erst gestern Nacht erfahren, dass es Alexejs Oma so schlecht geht. Sie … hat wohl etwas mit ihrem Herzen.« Innerlich kämpfte ich mit mir. Wie ich es hasste zu lügen! Okay, Isa, der General ist uralt. Es ist durchaus möglich, dass sie wirklich herzkrank ist, also entspann dich.

  »Ist sie im Krankenhaus?«

  »N…nein. Also … ja. Alexej hat sie gestern ins Krankenhaus gebracht. Wir wollen gleich heute Morgen zu ihr fahren und sie besuchen.« Ich biss mir auf die Lippe. Hoffentlich forderte ich das Schicksal mit dieser blöden Flunkerei nicht heraus. Sollte Alexejs Oma in nächster Zeit tatsächlich krank werden, dann war es mit Sicherheit meine Schuld.

  »Das scheint dich ganz schön mitzunehmen«, bemerkte Marek unerwartet einfühlsam. Er konnte nicht wissen, dass meine belegte Stimme von meiner Sorge um Alexej herrührte. Aber ganz egal, ob er nun den wahren Grund kannte oder nicht, seine mitfühlende Tonlage löste etwas in meiner Brust.

  »Ich hoffe nur, dass sie wieder in Ordnung kommt. Alexej hängt so sehr an ihr. Viel mehr, als er zugeben möchte. Wenn ihm etwas zustößt, dann weiß ich nicht, wie sie …«

  »Du meinst ihr«, verbesserte Marek mich. »Wenn ihr etwas zustößt.«

  »Ja.« Ich schluckte hart. »Natürlich. Ich bin gerade ein bisschen durcheinander.«

  »So tragisch wird es schon nicht werden. Außerdem«, er räusperte sich, »so alt, wie der General ist, muss Alexej irgendwann auch mal damit rechnen, dass sie … na ja … stirbt und er ohne sie klarkommen muss.«

  »Du hast recht.« Mich fröstelte, und ich zog die Bettdecke höher bis zu meinem Kinn. Wenn ich daran dachte, wie früh Alexejs Vater und sein Großvater gestorben waren, dann fragte ich mich ernsthaft, ob ich bei ihm auch damit rechnen musste. Selbst wenn Raben in Gefangenschaft sehr alt werden konnten, war die Prognose im Vergleich zum Menschen nicht wirklich ermutigend. Dafür brauchte es auch keinen Wassilij.

  »Wann kann ich
denn wieder mit dir rechnen?« Von einer Sekunde zur anderen hatte Marek einen geschäftsmäßigen Ton angeschlagen. Ich wusste, wie sehr er es hasste, wenn man gefühlsduselig wurde, und offenbar bekam er es jetzt schon mit der Angst, weil meine Stimme so jämmerlich klang.

  »So genau … kann ich das noch gar nicht sagen«, antwortete ich ausweichend.

  »Alles klar.« Er atmete hörbar aus. »Am besten nimmst du dir eine Woche Urlaub. So können wir am besten planen.«

  »So lange wollte ich eigentlich nicht wegbleiben.« Oh Gott, ich wollte auf gar keinen Fall wegbleiben! Nicht einen Tag länger. Allein die Vorstellung, dass wir eventuell so lange nach Alexej würden suchen müssen, verknotete mir den Magen. An die Möglichkeit, dass wir ihn gar nicht finden würden, nicht lebend, wagte ich nicht eine Millisekunde zu denken.

  »Isa, es hat überhaupt keinen Sinn, dich zu stressen. Du hast sowieso noch jede Menge Tage Resturlaub, den du ansonsten nie nehmen wirst. Und so kann ich mir guten Gewissens eine Hilfe holen und du dich um Alexejs Oma kümmern. Falls du die Zeit nicht brauchst, weil es ihr schon besser geht, umso besser. Dann macht halt mal Ferien. Fahrt irgendwohin, wo es keinen Wald gibt.« Er lachte glucksend. »Lass dir von Alexej vorspielen, bestimmt muss er mal wieder irgendwo ein Konzert geben.«

  Ich nickte, was Marek natürlich nicht sehen konnte. »Okay.«

 

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