002 - Free like the Wind
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Und vermutlich ähneln wir uns auch darüber hinaus nicht allzu sehr. Ich würde jetzt zwar nicht von mir behaupten, die Herzlichkeit in Person zu sein, aber im Gegensatz zu ihm nehme ich Dinge ernst – und jetzt habe ich endgültig genug über einen Typen wie Cayden nachgedacht.
Ich biege in die Straße ein, in der Haven zusammen mit ihrer Tante – sie heißt Caroline – und deren Kindern Lucy und Sam lebt, und parke den Wagen direkt vor dem Haus. Es ist ein freundliches Anwesen, dunkelrot, mit weißen Fensterrahmen und zwei spitzen Giebeldächern. Ein riesiger Ahorn streckt seine Zweige bis fast über das Dach, zwischen den leuchtend hellgrünen Blättern blühen noch immer gelbgrüne Blütentrauben.
Caroline öffnet mir die Tür. Sie ist nicht viel größer als ich, ihr kastanienbraunes Haar fällt ihr bis knapp über die Schultern. Bei einem meiner letzten Besuche hat sie erzählt, dass sie es wachsen lassen will, doch die aktuelle Länge mache sie wahnsinnig.
«Hallo, Rae. Haven hat sich schon gefragt, wo du bleibst.» Sie strahlt mich an. Caroline kenne ich nur lachend – mit Sicherheit ist sie einer der herzlichsten Menschen in ganz Edmonton.
Haven, die mein Klingeln ebenfalls gehört hat, kommt gerade über die weiße Holztreppe aus dem ersten Stock zu uns hinunter.
«Hi», grüße ich gleich beide. «Sorry, dass ich so spät bin. Ich hatte völlig vergessen, dass du heute hier und nicht bei Jackson bist.»
«Du warst gerade bei Jackson?»
«Ja, also … genau genommen habe ich nur Cayden getroffen. Jackson war nicht da.» Ich verdrehe die Augen. «Es war ein bisschen peinlich», füge ich mit einem halbherzigen Lachen hinzu.
«Ach, das ist doch nicht peinlich», mischt Caroline sich ein. «So etwas kann jedem passieren.» Sie tätschelt kurz Havens Schulter. «Bis nachher – habt einen schönen Tag, ihr beiden. Ich muss leider gleich wieder zurück an den Rechner. Ich habe in ein paar Minuten einen Telefontermin.» Ein kurzes Winken in meine Richtung, dann läuft sie durch die Diele, die von dem halbrunden Vorraum abgeht, und verschwindet hinter einer der Türen.
«Also los.» Haven hakt sich bei mir unter. «Oder? Du hast doch Lust, frühstücken zu gehen?»
«Klar.»
Wir haben seit Freitagnachmittag nicht miteinander gesprochen. Nach meinem überstürzten Aufbruch mitten in der Yogastunde hat Haven mir abends noch eine Nachricht geschrieben, in der sie gefragt hat, wie ich mich fühle und ob wir uns am Samstag mal wieder zu einem Filmabend bei Jackson treffen wollen. Ich saß im Phoenix, als ich das gelesen habe, und ich habe ihr zurückgeschrieben, dass ich es am Samstag nicht schaffe, wir uns aber ja am Montag zum Frühstück sehen.
Was für eine Antwort.
Genau so habe ich meine früheren Freundinnen nach und nach allesamt vertrieben. Ich weiß, Haven tickt da anders, aber ich habe gerade trotzdem das Bedürfnis, mich irgendwie zu erklären.
Auf dem Weg zum Herbs & Beans, einem veganen Café, in dem es neben Tee und Kaffee auch eine kleine, aber überaus leckere Auswahl an Kuchen und sogar Burger gibt, schweigen wir, und ich muss mich ab und zu durch einen schnellen Blick in Havens Gesicht vergewissern, dass es kein unangenehmes Schweigen ist. Erst als wir das Café erreicht und uns an einem runden Holztisch in einer der sonnenüberstrahlten Schaufensternischen niedergelassen haben, räuspere ich mich.
«Wegen Freitag», beginne ich und starre dabei aus dem Fenster. Ein paar Leute stehen auf der Straße, mit ziemlicher Sicherheit Studenten. Von hier aus sind es nur wenige Minuten bis zum Rutherford. Jeder, der uns gerade sehen würde, würde auch mich für eine Studentin halten. Dabei bin ich nur ein zielloser Mensch, der Kinokarten und Popcorn verkauft. «Also, wegen Freitag», wiederhole ich. «Das sah vermutlich etwas seltsam aus.»
«Was war denn los?»
«Ich musste an jemanden denken», sage ich, ohne zu wissen, wohin mich die nächsten Sätze führen werden. «Und das hat mich ein bisschen durcheinandergebracht.»
«Hi, ihr zwei. Wisst ihr schon, was ich euch bringen kann?»
Stacey, eine der Kellnerinnen hier, ist neben uns aufgetaucht.
«Ich nehme die Croissants mit Marmelade und dazu einen Zimt-Caramel-Macchiato», sage ich und lächle ihr flüchtig zu.
«Für dich dasselbe, aber mit Kräutertee, richtig?», wendet sie sich an Haven. Wir nehmen immer das Gleiche.
«Du hast ausgesehen, als hättest du Angst vor irgendetwas», nimmt Haven den Faden wieder auf, nachdem Stacey davongeeilt ist.
«Angst?» Ich schüttele irritiert den Kopf. «Nein, ich hatte keine …» Oder vielleicht doch. Angst vor den Bildern, die manchmal ungewollt in mir aufsteigen. Die Therapie, die ich zwei Jahre lang durchgezogen habe, zweimal in der Woche, hat sie nicht zum Verschwinden gebracht. Normalerweise kann ich mich nur besser kontrollieren, so wie jetzt. «Es geht um eine Sache, die schon ziemlich lange her ist, und …»
So lange auch wieder nicht. Drei Jahre. Was sind schon drei Jahre im Vergleich zu der Zeit, die ich ohne Leah sein werde? Nichts.
Haven greift über den Tisch hinweg nach meinen Fingern. Ihre Hand ist so warm, wie meine kalt ist. «Wenn du nicht darüber reden kannst, hier oder jetzt oder mit mir, dann warte lieber, bis es sich richtig anfühlt.»
«Einmal Zimt-Caramel-Macchiato und einmal Kräutertee.» Stacey tritt an unseren Tisch und stellt schwungvoll erst die Tassen, dann ein Bastkörbchen mit Croissants und abschließend einen Teller mit Marmelade und Margarine vor uns. «Lasst es euch schmecken. Kann ich euch gleich abrechnen? Ich muss heute früher weg, Zahnarzttermin.»
Haven hat sich zurückgelehnt, damit Stacey das Frühstück abladen kann, und kurz schließe ich die Augen, bevor ich einmal tief durchatme und nach meinem Portemonnaie greife. Wenig später wickele ich eines der Messer aus einer Serviette.
«Es ist nicht so, dass ich mit dir nicht darüber sprechen will, aber …», beginne ich, nur um direkt nicht weiterzuwissen.
«Aber du willst einfach mit niemandem darüber sprechen», vervollständigt Haven meinen Satz, und auf mein knappes Nicken hin greift auch sie nach einem Messer.
«Ich wusste gar nicht, dass Jackson und Cayden ein eigenes Fitnessstudio haben», murmele ich, ein schwacher Versuch, unser Gespräch auf irgendetwas Alltägliches, irgendetwas Normales zu lenken.
«Ja, verrückt, oder?» Haven nippt vorsichtig an ihrer Tasse. «Aber das benutzen sie zumindest. Im Gegensatz zu dieser riesigen Küche. Als ich zum ersten Mal da gekocht habe, musste ich noch die Schutzfolien von der Dunstabzugshaube abziehen.»
Fast verschlucke ich mich an meinem Kaffee. «Ernsthaft?»
«Ernsthaft. Eigentlich brauchen sie nur den Kühlschrank. Und die Espressomaschine.»
«Zumindest von Jackson hätte ich ja mehr erwartet.»
«Ich glaube, wenn man mit Cayden zusammenwohnt, färbt das ein bisschen ab.»
«Scheint so.» Kurz mustere ich die beiden Glasschälchen mit Marmelade und entscheide mich für die hellere Sorte. «Kein Wunder, dass Cayden durchs Leben spaziert, als gehöre ihm die Welt. Wenn man es von klein auf gewohnt ist, dass man alles hinterhergetragen bekommt.»
«Ach, so oberflächlich ist er nicht. Am Anfang habe ich das auch gedacht, aber mittlerweile glaube ich, er ist nur ziemlich … zurückhaltend.»
«Zurückhaltend?» Havens Einschätzung überrascht mich. Reden wir von dem gleichen Typen? Der Cayden, von dem ich spreche, war jedenfalls nicht zurückhaltend genug, um mich heute Morgen wenig galant auf die Tür hinzuweisen. «Der macht sich doch jedes Mal, wenn er den Mund aufmacht, über irgendetwas lustig.»
«Findest du?»
«Natürlich!» Man muss wohl Haven sein, um das in Frage zu stellen.
«Jackson ist mit ihm befreundet», sagt sie jetzt.
«Na ja, er wohnt bei ihm. Ist vermutlich Stockholm-Syndrom.»
«Nein, er betrachtet Cayden wirklich als seinen Freund. Er hat sich ja von den meisten Leuten aus seiner alten Clique distanziert, als er Jura aufgegeben hat, und ich war sicher, er würde auch ausziehen, aber …» Haven zuckt mit den Schultern.
«Aber was?»
«Jackson hat mal gesagt, Cay sei anstrengend, aber er
sei kein Arsch. Und Jackson hätte bestimmt einen Platz in einem Studentenwohnheim gekriegt, wenn er es versucht hätte.»
Darauf erwidere ich nichts. Ich mag Jackson, aber vor die Wahl gestellt, ein winziges Zimmer in einem überfüllten Wohnheim zu beziehen oder weiterhin in einer Luxusvilla mit eigenem Fitnessraum zu wohnen … da nimmt man vielleicht auch jemanden wie Cayden in Kauf.
«Weißt du, was ich mir vorhin noch überlegt habe?», unterbricht Haven meine Gedanken, und ich höre auf, im Macchiato herumzurühren. «Es ist nur ein Vorschlag», erklärt sie zögernd, «… vielleicht nicht mal das, eher so etwas wie ein Gedanke. Und du musst dazu jetzt auch überhaupt nichts sagen, ich dachte mir nur, vielleicht wäre es ja eine Idee.»
«Was denn?» Es ist eher ungewöhnlich, dass Haven so um etwas herumschleicht. Normalerweise sagt sie ziemlich geradeheraus, was sie denkt.
«Wenn ich unsicher bin oder mit irgendetwas nicht klarkomme, muss ich raus. Richtig raus. Also, nicht nur ein bisschen frische Luft schnappen im Park oder so, sondern einfach mal eine Weile nichts anderes um mich haben als … na ja – den Wald.» Fast schon entschuldigend lächelt sie mich an. «Aber ich bin da natürlich auch ein wenig schräg.»
«Bist du nicht», erwidere ich automatisch.
«Ich könnte meinen Vater fragen, ob du nicht für ein Wochenende in mein altes Zimmer ziehen könntest. Oder auch länger, so lang, wie du eben magst. Wenn du nicht sofort loswillst, käme ich auch mit.»
Ich starre Haven an. Ein Wochenende bei ihrem Vater, den ich gar nicht kenne? In einer Blockhütte mitten im Wald?
«Zu verrückt, der Vorschlag?», fragt Haven nach einigen Sekunden.
«Na ja, ich weiß nicht …»
«Denk drüber nach. Und falls du das Gefühl hast, du würdest es gern ausprobieren, sag Bescheid. Manchmal hilft es, sich einfach mal für eine gewisse Zeit aus allem herauszuziehen, glaube ich. Und einfach nur … na ja, auf sich zu hören. Ich kann das im Wald ganz gut, aber vielleicht musst du auch ans Meer.» Sie lacht und steckt sich das letzte Stück ihres Croissants in den Mund.
Haven hat den Großteil ihres Lebens mitten im Jasper National Park verbracht, und ich kann mir gut vorstellen, dass es sie dorthin zurückzieht. Als sie letztes Jahr die Wahrheit über ihre Eltern erfuhr, war sie dort, und jetzt stelle ich mir vor, wie sie damals durch den Wald lief, ganz allein. Vor meinem inneren Auge sehe ich Haven auf einem verschlungenen Pfad zwischen mächtigen Baumstämmen, ihr rotes Haar leuchtet inmitten Dutzender Schattierungen von Grün. Wäre ich dort … aber ich bin ein Stadtmensch. Immer schon gewesen. Das Wildeste, was ich an Natur je zu sehen bekommen habe, ist der Saskatchewan River, nachdem es besonders stark und lang anhaltend geregnet hat. Und ich kann mir auch nicht vorstellen, bei Havens Vater zu wohnen, selbst wenn Haven mitkommen würde. Auf so engem Raum mit einem Menschen, den ich nie zuvor gesehen habe? Auf keinen Fall.
«Rae?»
«Mh?» Die Tasse mit dem Macchiato auf halber Höhe, sitze ich da, und erst jetzt wird mir bewusst, dass ich die Zeit mal wieder eingefroren habe. Keine Ahnung, wie lange Haven mich bereits mustert.
«Ich muss los, sonst komme ich zu spät zu meinem Kurs.» Sie schiebt den Stuhl zurück und steht auf. «Es wäre mit Sicherheit überhaupt kein Problem. Wir beide zusammen oder du allein, wie du magst. Wenn ich meinen Vater jetzt anrufe, könntest du zehn Minuten später losfahren, ganz einfach.»
Ganz einfach. Raus aus Edmonton. Rein in einen Wald. Ich. In einem Wald. Nur Bäume und sonst nix. Moos. Blätter. Himmel. Solche Dinge. Haven hat von Wasserfällen und Wapitis erzählt und von einem Puma namens Snoops. Dem möchte ich allerdings nicht begegnen.
«Ich lass dich mal nachdenken, ja?» Haven beugt sich vor und umarmt mich kurz. «Ruf mich an.»
In meinem Kopf fallen die Gedanken noch immer übereinander, während sie sich zwischen den Tischen des Herbs & Beans in Richtung Ausgang schlängelt. Fast alle sind besetzt, die Hintergrundkulisse aus Satzfetzen und Gelächter habe ich bisher ausgeblendet, doch jetzt fällt mir plötzlich auf, wie laut es hier drin ist.
In einem Wald wäre es still. Völlig still, und es würde … na ja, nach Wald riechen, nicht nach Kaffee. Ob es dort, wo Haven groß geworden ist, anders riecht als in den Wäldchen im Flusstal des North Saskatchewan Rivers? Direkt nach unserem Umzug war ich mit meinen Eltern ein paar Mal dort unterwegs, weil sie auf erholsame Spaziergänge in der Natur bestanden haben. Mittlerweile besteht niemand mehr darauf.
Ich müsste ja gar nicht bei Havens Vater wohnen. Es gibt dort Campingplätze, ich könnte einfach ein bisschen wandern …
Meine Mutter würde allerdings schon bei dem Gedanken daran ausflippen. Ganz allein in einem Wald, was da alles passieren kann. Bestimmt wäre sie in der Lage, tausend Möglichkeiten aufzuzählen, wie ich mich dort verirren, verletzen oder mir den Hals brechen könnte. Giftschlangen. Grizzlybären. Fremde, denen man nicht trauen darf …
Abrupt stehe ich auf. Was sollte es auch bringen. Ich bin nicht Haven. Man muss vermutlich wirklich in einem Wald aufgewachsen sein, um dort so etwas wie Frieden zu finden.
Wie gerade Haven laufe ich zwischen den Tischen hindurch in Richtung Ausgang.
Garantiert würde ich mir einfach nur Blasen laufen, und in meiner ersten Nacht würde das Zelt über mir zusammenbrechen, vorausgesetzt, ich bekäme ein Zelt überhaupt aufgebaut. Außerdem besitze ich nicht einmal ein Zelt.
Draußen empfängt mich das allgegenwärtige Geräusch fahrender Autos und eine Mischung aus Blumenduft und Abgasen. Die Straße ist gesäumt von hohen Bäumen mit braungrauer Rinde, zwischen den Blättern sind Blüten zu sehen. Unwillkürlich lege ich meine Hand auf die rissige Borke des Baums, der direkt vor dem Herbs & Beans steht. Es fühlt sich rau an und warm von der Sonne.
Einen kurzen Moment lang sehe ich mich selbst, und ich lasse die Hand wieder sinken. Hier stehe ich, wie so eine Art Baumflüsterin. Lächerlich.
Die Hände in den Taschen meiner Jeans versenkt, mache ich mich auf den Weg zu meinem Wagen. Mum hat mir eine meterlange Liste an Dingen mitgegeben, die ich besorgen soll, und ich werde jetzt sofort aufhören, darüber nachzudenken, was ich alles für eine Wandertour durch einen verflixten Wald benötigen würde.
Cayden
«Party geht immer, oder, Cay?»
Die Ironie in Jacksons Stimme ist nicht zu überhören, aber ja, Party geht immer. Und wenn man sich vor kurzem von seiner letzten Bettbeziehung getrennt hat, ist sie sogar mit so etwas wie einem Ziel verknüpft.
Als Jackson an meine Zimmertür geklopft hat, bin ich gerade dabei gewesen, die Knöpfe meines Hemds zu schließen. Keins der Dinger, die ich in der Kanzlei anhabe, sondern ein locker fallender Leinenstoff, der besser aussieht, wenn er über dem Bund der Hose hängt.
Jax hat sich in den einzigen Sessel im Raum fallen lassen und mustert mich, seit er hereingekommen ist. Ich ahne schon, dass eine weitere Folge von Cay, sieh dich doch mal an auf mich wartet. Wenn er so weitermacht, weiß ich bald wirklich nicht mehr, warum ich mich überhaupt gefreut habe, dass er vor einigen Monaten nicht ausgezogen ist.
«Willst du mit?» Ich schiebe mir meine Schlüssel in die Hosentasche. «Oder wartest du nur darauf, dich besonders herzlich von mir zu verabschieden?»
«Ich muss noch lernen.»
«Quatsch, du bist doch mit allem längst fertig.»
«Hast du überhaupt etwas für die Abschlussarbeiten in diesem Semester getan?»
«Selbstverständlich.»
«Ach.» Ganz kurz wirkt Jackson überrascht, dann ziehen sich seine Augenbrauen leicht zusammen. «Wenn du mir jetzt erzählst, dass du mit einer deiner Professorinnen im Bett warst …»
«Ich war mit einer meiner Professorinnen im Bett.»
Jacksons Kiefer klappt nach unten, und er holt Luft.
«Jax. Krieg dich wieder ein. Das war ein Scherz», bremse ich ihn direkt wieder aus.
Wenn es doch oft schon ausreicht, nach dem Kurs ein paar besonders freundliche Worte mit der einen oder anderen Dozentin zu wechseln. Davon abgesehen bin ich nicht blöd. Ich weiß ziemlich genau, was ich an Arbeit irgendwo reinstecken muss, um mit dem Erge
bnis zufrieden zu sein – dieses Wissen zieht sich durch mein Leben. Früh verinnerlicht. «Ich geh dann mal. Du kannst hier gern noch ein bisschen rumsitzen, wenn du willst. Sieh nur zu, dass du vor Mitternacht draußen bist, ich habe nicht vor, allein nach Hause zu kommen. Und ich steh nicht drauf, wenn mir dabei einer zuguckt.»
«Versteh schon.» Jackson seufzt doch tatsächlich, während er sich aus dem Sessel stemmt. «Dann viel Spaß.»
Ich bin noch immer ein wenig irritiert, während ich meinen Wagen aus der Garage fahre. Wenn Jax dieses moralische Augenrollen nicht bald wieder lässt, kommen wir um eine Diskussion nicht herum. Er hat schon immer alles ein wenig ernster genommen als die Leute, mit denen ich sonst so abhänge, abgesehen von Dylan vielleicht. Nur hat er früher nie den Moralapostel bei mir gespielt, und ich kann darauf auch verzichten. Immerhin bin ich um Eltern herumgekommen, die mir ständig Vorhaltungen machen – wenn sie auch sonst ziemlich scheiße waren –, da muss ich mir das jetzt nicht durch Jackson geben.
Die Party läuft bei Chase. Hardy Party, nennt er es. Bisschen albern, aber nicht ganz ungerechtfertigt, wenn man bedenkt, dass einige eigentlich für die letzten Prüfungen lernen müssten und Chase’ Partys gern mal im alkoholbedingten Chaos enden. Letzteres bedeutet, dass ich erste Kontakte geknüpft haben muss, bevor zu viele Drinks zu Fehlentscheidungen führen. Bei Allison ist mir deswegen nicht nur entgangen, dass sie mit Haven befreundet ist, ich habe auch nicht bemerkt, dass sie sich schon länger Hoffnungen macht, mich mal näher kennenzulernen, wie Haven mir das Tage später mitgeteilt hat. Man sollte meinen, Ally hätte mitgekriegt, dass ich nicht der Typ bin, der auf feste Beziehungen aus ist. Jackson würde das vermutlich kaum glauben, aber ich nehme nicht alles mit, was ich kriegen kann. Von Frauen, die denken, man sei nach einer gemeinsamen Nacht irgendwie zusammen, halte ich mich lieber fern, ganz egal, wie heiß ich sie finde.