by Kira Mohn
Meine Mutter hat sich gefreut, ihn noch zu sehen, kurz bevor er ging, und er hat so locker über die letzte Woche im Jasper National Park geplaudert, all ihre Fragen beantwortet … kein Mensch wäre auf die Idee gekommen, dass er sich in ein paar Stunden seinem Monster von Vater stellen wird.
Eine glatte, perfekte Fassade. Wie immer.
Aber nicht mehr für mich.
Eines nach dem anderen male ich winzige Herzen an den Rand des Papiers, das vor mir liegt.
Für Cayden. Für Leah. Wie früher in der Schule.
Leah hat die Schule nie beendet. War auf keinem Abschlussball. Hat nie ihr Zeugnis in Empfang genommen, nie eine Universität betreten. Sie wollte Kinderärztin werden, sie hatte einen Freund in Winnipeg. Sie hat ihn geküsst, aber nie mit ihm geschlafen.
Liebe Leah, schreibe ich.
Nein, das passt nicht.
Ich habe mir geschworen, nichts durchzustreichen oder neu zu beginnen, denn ich ahne, dass der Brief sonst niemals fertig werden würde.
Leah, setze ich darunter. Bitte, lies mit, wenn du kannst.
Ich schließe die Augen und lausche, versuche, auf Schwingungen um mich herum zu achten. Ist sie da? Irgendwie?
Ich vermisse dich. Ich dachte lange, ich würde sterben ohne dich. Ich bin gestorben ohne dich.
Der Füllfederhalter kratzt leicht über das Papier, von unten höre ich meine Mutter telefonieren. Ihre Stimme hat einen traurigen Klang, wie immer, dabei telefoniert sie mit einer Arbeitskollegin, um Pläne für ein Kinderfest in der Bibliothek zu besprechen, sie hat es mir beim Abendessen erzählt.
Unser Haus ist ein trauriges Haus. Das hättest du nie gewollt, du warst immer die Fröhlichste von uns allen.
Angestrengt kaue ich jetzt auf dem Stift herum, stehe schließlich auf, öffne das Fenster und setze mich wieder an den Schreibtisch.
Vogelgezwitscher.
Wir haben uns nie voneinander verabschiedet, du und ich. Ich habe das bereut, noch bevor ich erfahren habe, dass wir nie wieder die Möglichkeit dazu bekommen würden. Wir haben uns immer voneinander verabschiedet, warum ausgerechnet dieses Mal nicht?
Ich atme einmal tief durch. Eigentlich sollte das kein trauriger Brief werden und auch keiner, in dem nur Vorwürfe stehen. Vorwürfe an Leah und Vorwürfe an mich und Vorwürfe an die ganze Welt. Aber ich streiche nichts durch. Stattdessen schreibe ich weiter.
Normalerweise hätte ich zu dir gesagt: Tschüss, viel Spaß! Bis nachher!
Aber hätte ich gewusst, dass es unser letzter Abschied sein würde …
Ich schreibe, schreibe, schreibe immer weiter. Fülle Zeile um Zeile, schreibe mich leer. Dann lege ich den Stift beiseite, falte den Brief ordentlich zusammen und stecke ihn in einen Umschlag.
Ich winke Mum zu, die noch immer am Telefon ist. Sie hält den Lautsprecher zu. «Gehst du noch mal weg?»
«Nur kurz. Einen Brief abgeben.»
«Hast du dein Telefon dabei?»
«Ja.»
«Dann bis gleich. Ich hab dich lieb.»
«Ich dich auch», flüstere ich.
Es ist warm draußen, auch ohne Jacke. Kurz werfe ich einen Blick auf die Uhr. Viertel vor acht. Cayden hat sich bisher nicht gemeldet. Ob sein Vater schon da ist? Während ich den Gehsteig entlanglaufe, an schimmernd grünen Rasenflächen vorbei, die im Schein der Abendsonne leuchten, sende ich ihm so viel Kraft, wie ich kann. Du schaffst das, Cayden.
Und ich auch.
Es gibt einen Platz im Kinnaird Park in der Nähe des Saskatchewan River auf einer abschüssigen Wiese, wo ich in den ersten Monaten nach unserem Umzug oft gesessen habe. Hier habe ich tausend Mal versucht, mit Leah Kontakt aufzunehmen, und als ich heute dort ankomme, suche ich mir einen Platz, wo keine Pärchen in der Nähe sitzen, keine Freundinnen auf Decken, wo ich einsam genug bin, um Leah ihren Brief vorlesen zu können.
Behäbig treibt der Fluss an mir vorbei, nicht zu vergleichen mit dem Athabasca River, aber auf seine Art trotzdem schön. Grashalme kitzeln die nackte Haut meiner Beine, als ich mich im Schneidersitz niederlasse, Leahs Brief in der Hand.
Ich will niemanden auf mich aufmerksam machen, deshalb räuspere ich mich nur leise und beginne mit halblauter Stimme.
«Liebe Leah. Leah. Bitte, lies mit, wenn du kannst.»
Ich lese den Brief, ohne ein einziges Mal zu stocken, lese ihn Leah vor, und wenn ich gerade nur einen einzigen Wunsch hätte, dann würde ich mir wünschen, dass sie mich hört.
«Hätte ich gewusst, dass es unser letzter Abschied sein würde, dann hätte ich dich in den Arm genommen und so lange gedrückt, bis du gelacht und gesagt hättest, jetzt sei auch mal gut. Und hättest du es auch gewusst, hätten wir uns nie wieder losgelassen.»
Ich lese weiter, wahllose Erinnerungen, die ich aufgeschrieben habe, an unsere Geburtstage, an Ausflüge im Schnee, an Geschenke, die wir Mum und Dad gemeinsam zu Weihnachten gemacht haben.
«Ich werde immer eine Schwester sein. Deine. Ich werde immer an dich denken, ich werde dich immer liebhaben, und ich glaube fest, dass wir uns wiedersehen werden.»
An dieser Stelle wird meine Stimme dünn. Ich lausche. Warte.
«Tschüss. Viel Spaß. Bis nachher.»
Eine Weile sitze ich noch da, dann schiebe ich den Brief in seinen Umschlag zurück und falte beides zusammen. Falte den Umschlag, so oft es eben geht. Es wird ein harter Papierball, mit schiefen Kanten. Ich halte ihn in der hohlen Hand, während ich aufstehe und hinunter zum Ufer gehe, wo ich aushole und den Brief so weit werfe wie möglich. Er treibt auf dem Wasser davon.
Und wieder warte ich.
Lange.
Leah, bist du da? Hast du mir zugehört?
Cayden
Ich habe mal einen Film gesehen, in dem ein Typ sich verkauft. Er nimmt das Geld, um seiner Familie ein paar schöne Tage zu machen, dann geht er los und weiß, der Mensch, der ihn gekauft hatte, wird ihn foltern und töten.
Der Film endet so.
Es ist ein fucking hoffnungsloser Film, finde ich, und er bildet meine aktuelle Stimmung ziemlich genau ab.
Ich war einkaufen und bin danach kurz ins Hotel zurück, bevor ich ein zweites Mal losgezogen bin, um mich mit der einzigen Person zu treffen, von der ich mir Unterstützung in Bezug auf meinen Vater verspreche.
Während ich zwei Stunden später zum Hotel zurücklaufe, frage ich mich zunächst noch, was Rae gerade macht, doch je näher ich dem Hotel komme, desto mehr Energie benötige ich, um einfach weiterzugehen. Als ich das Holiday Inn erreiche, muss ich meine Schritte förmlich in die Lobby hineinzwingen. Mich vor diesem Treffen zu drücken, ist keine Option. Ich muss dieses Gespräch hinter mich bringen, sonst werde ich immer befürchten, dass er irgendwann einfach hinter mir auftaucht. Als hätte ich für mich selbst einen Profikiller angeheuert.
Ihn bereits in der Empfangshalle sitzen zu sehen, lässt mich kurz durch Eisnebel gehen. Er erhebt sich aus einem der hellgrauen Sessel, faltet eine Zeitung zusammen, die er nachlässig vor sich auf den Tisch wirft, und kommt auf mich zu.
Mein Vater ist ein großer Mann mit ebenso hellem Haar wie ich. Auch seine Augen sind hell, raubvogelartig. Als Kind habe ich oft heimlich versucht, ihn beim Blinzeln zu erwischen, doch es ist mir selten gelungen.
Er trägt einen Anzug, wie immer, Maßanfertigung, und jeder der Hotelangestellten hier hat ihn bereits im Visier, um seine Wünsche zu erfüllen, noch bevor er sie äußert, darauf könnte ich wetten.
«Cayden.» Er streckt mir eine Hand hin, wie unter Geschäftskollegen, und ich ergreife sie. Dann macht er eine Bewegung zu den Fahrstühlen hin.
Fuck, es ist, als würde ich einen Mafiaboss treffen.
Und garantiert hat mein Vater ähnlich viel Einfluss.
Im Fahrstuhl sieht er mich an, bohrt seinen Blick in meinen Schädel, während ich stur in den Spiegel vor uns starre. Mir ist kotzübel. Jetzt schon. Großartige Voraussetzungen.
Er läuft hinter mir, während ich uns zu meinem Zimmer führe, doch ganz selbstverständlich tritt er als Erster durch die Tür, die ich ihm offen halte. Sein Blick fällt beinahe sofort auf den Rucksack, der noch immer am Nachttisch lehnt, dann lä
sst er sich auf dem Zweisitzersofa am Fenster nieder. Nach einigen Sekunden ziehe ich mir einen der beiden Stühle heran, die vor einem runden Holztisch stehen, und setze mich ebenfalls.
Jetzt wird er erst einmal eine Weile schweigen und ich auch.
Er, damit ich darüber nachdenken kann, was für eine Scheiße ich mal wieder gebaut habe, und ich, weil ich es einfach nicht fertigbringe, den Mund aufzumachen, bevor er mir eine Frage gestellt hat.
Diesmal dehnt es sich endlos. Die Bilder, die mit ihm verknüpft sind, wirken sich so zersetzend auf mein Hirn aus, dass er eigentlich gar nichts mehr sagen müsste – ich löse mich ja bereits unter seinem Blick auf.
Natürlich tut er es trotzdem.
«Du willst also ausziehen.»
«Ja.»
Er beugt sich vor, stützt die Unterarme auf die Oberschenkel und sieht mich interessiert an.
«Wohin?»
«Weiß ich noch nicht.»
«Das hört sich nicht sehr durchdacht an.»
«Mag sein.»
Scheiße. Bescheuerte Antwort. Er sitzt hier keine fünf Minuten, und ich erkläre ihm schon, dass ich keinen Plan habe. Ein Lächeln ist auf seinem Gesicht aufgetaucht. Er liebt es, wenn er leichtes Spiel hat.
«Warum also dieser überstürzte Auszug? Bist du mit deinem Studium überfordert?»
«Nein.»
«Edward Thompson meinte, du seiest ein brillanter Kopf, aber leider nicht sehr zuverlässig.» Mein Vater blickt kurz zum Fenster auf den lichtweißen Vorhang, dann nimmt er mich wieder ins Visier. «Was hindert dich daran, zuverlässig zu sein?»
«Ich bin zuverlässig.»
«Du tauchst nicht in der Kanzlei auf, ohne dich abzumelden. Das ist mehrfach vorgekommen. Deine Professoren berichten mir, du würdest Vorlesungen versäumen. Du treibst dich abends in Bars rum. Trinkst zu viel. Vögelst durch die Gegend. Klingt das für dich zuverlässig?»
Das ist schweres Geschütz, das er da auffährt, und ich denke nur kurz darüber nach, woher er das alles weiß. Er hat schon immer alles gewusst. Über Nannys. Untergebene. Meine Mutter.
Kurz schließe ich die Augen, dann erwidere ich wieder seinen Blick. Keine Schwäche zeigen, er zerfleischt mich sonst. Jetzt ein Bärenspray und langsam rückwärtsgehen, aber so einfach ist das leider nicht.
«Meine Bewertungen sind in Ordnung.» Defensiv. Viel zu defensiv.
Mein Vater lehnt sich wieder zurück und schlägt die Beine übereinander. Das Lächeln in seinem Gesicht ist zu einem hässlichen, spöttischen Grinsen geworden. «So? Und du denkst, das würde reichen? Du denkst, es sei in Ordnung, wenn ein angehender Anwalt betrunken durch die Gegend läuft? Es mit Frauen in einer Tiefgarage treibt? Es gibt absolut nichts, das nicht irgendwo festgehalten wird, Cayden, und wie sähe es aus, würde dein Lebenslauf darauf hindeuten, dass du ein unzuverlässiger, zu Alkoholexzessen neigender Playboy bist? Denn das bist du, oder, Cayden?»
Ich fühle mich wie eine Statue. Ich bin eine Statue. Sogar mein Blut scheint nicht mehr zu fließen. Tessa. Hat er sie also auf mich angesetzt? Hat er sein Spionagenetz ausgeweitet? Wer gehört noch dazu? Emma? Victoria?
«Ich …» Meine Stimme erstirbt, und der Raubvogelblick meines Vaters verengt sich.
Am liebsten würde ich jetzt aufstehen und gehen. Davonlaufen. Das wollte ich immer, sobald ich mich länger mit meinem Vater in einem Raum aufhalten musste und seine Aufmerksamkeit allein mir galt.
«Cayden. Sieh mich an.»
Zweite offensichtliche Schwäche. Ich habe gar nicht bemerkt, dass ich den Kopf gesenkt habe. In dem Gesicht meines Vaters liegt Verachtung.
«Du packst jetzt deine Sachen und gehst nach Hause. Du erscheinst pünktlich zu deinen Vorlesungen. Du wirst eine Chance, wie Thompson & White sie für dich ist, besser nutzen. Keine Bars mehr. Keine Frauen mehr. Das ist ein väterlicher Rat», setzt er sanft hinzu, während es in seinen Augen glitzert. «Es tut dir nicht gut.»
Ich gehöre ihm. So ist es, so war es, so wird es immer sein. Ihm gehört alles. In diesem Raum scheint sogar die Luft nur ihm zu gehören, denn ich habe zu wenig davon.
«Hast du mich verstanden, Cayden?»
Möchte Daddy’s little boy lieber weglaufen?
Das möchte er. Aber wohin? Er ist doch überall.
«Cayden?»
Ich nicke, und das Grinsen auf dem Gesicht meines Vaters wird breiter.
«Dann los. Worauf wartest du?»
Aufstehen. Ich muss jetzt aufstehen und mein Zeug aus dem Badezimmer holen. Zurück nach Hause gehen. In diese Villa, wo er mich dann weiter kontrollieren kann.
«Cayden? Ist dir irgendetwas vielleicht nicht ganz klargeworden?»
Ich will nicht dorthin zurück.
«Müssen wir vielleicht erst über die Frau mit den blauen Haaren reden?»
Ruckartig geht mein Kopf nach oben. Mein Blick ist schon wieder von seinem Gesicht abgeglitten, doch darum geht es gerade nicht.
Meine unmittelbare Reaktion hat dazu geführt, dass ein grimmiger Ausdruck in den Augen meines Vaters erschienen ist. Er seufzt theatralisch auf. «Das auch noch.» Wieder sieht er ein paar Sekunden lang auf den geschlossenen Vorhang. Dann kehrt sein Blick zu mir zurück. «Was meinst du, gibt es Dinge, die deiner blauhaarigen Freundin wichtig sind?»
«Du lässt Rae in Ruhe.» Leise. Zu leise, aber immerhin noch hörbar.
Die Augenbrauen meines Vaters wandern leicht in die Höhe, dann beugt er sich wieder vor. «Du denkst, du könntest mir Anweisungen erteilen?» Die ganze Zeit schwang in seiner Stimme Spott oder Herablassung mit, jetzt klingt sie völlig neutral. «Du stehst jetzt auf und packst dein Zeug. Wir fahren gemeinsam zurück.»
Für eine Antwort ist meine Kehle zu eng, doch immerhin setze ich mich nicht gehorsam in Bewegung.
«Nein? Dann mal sehen.» Unverwandt starrt er mich an. «Die Mutter deiner Freundin arbeitet in einer Bibliothek. Mag sie ihren Job? Ihr Vater kümmert sich um belanglose Projekte in einer belanglosen Firma, aber ohne sein Geld steht die Familie vor dem Nichts. Das Haus ist noch nicht abbezahlt. Und Rae …», er betont ihren Name auf eine gehässige Weise. «Rae hat nichts, das man ihr direkt nehmen könnte, nur eine bereits tote Schwester, aber sie arbeitet spät und läuft nachts durch einen menschenleeren Park.»
Das ist eine neue Dimension. Oder vielleicht auch nicht. Vielleicht ist es die Fortführung dessen, was man einem Kind antun kann.
Und ich habe es geahnt. Ich habe geahnt, dass er weiter gehen würde als jemals zuvor, doch es fällt mir schwer, es wirklich zu glauben.
«Du würdest Rae …»
«Das würde ich, Cayden», erklärt er, und jetzt kehrt das Glitzern in seine kalten Augen zurück. «Ich würde drei Typen über sie jagen, und ich würde es filmen lassen, damit du es dir ansehen kannst. Steh jetzt auf.» Er erhebt sich. «Pack deine Sachen. Wir gehen.»
Gleich kotze ich ihm vor die Füße. Als ich tatsächlich aufstehe, spüre ich meine Beine kaum noch.
Mein Vater erhebt sich ebenfalls, ohne mich aus den Augen zu lassen. Mich, seinen Sohn. Seinen Besitz.
«Es gibt wirklich absolut nichts, das nicht irgendwo festgehalten wird», sage ich, und jetzt hört man meiner Stimme nicht an, was in mir vorgeht. Jahrzehntelanges Training zahlt sich doch aus.
Der Gesichtsausdruck meines Vaters ändert sich nicht, doch ich spüre seine aufflammende Wachsamkeit.
«Du lässt Rae in Ruhe. Du lässt ihre Familie in Ruhe. Du lässt mich in Ruhe.»
Als ich zum Vorhang trete und die geradezu unfassbar winzige Kamera aus den Falten der schweren, grauen Stoffbahn neben dem Fenster löse, sagt mein Vater kein Wort. Ich halte das Gerät zwischen Daumen und Zeigefinger in die Höhe.
«Direkte Liveschaltung in das Büro meines Anwalts. Es gibt viele Anwälte, die mir noch Geld dafür geboten hätten, mich zu vertreten.»
Richard Spence dürfte alles mitverfolgt haben, doch seinen Namen werde ich jetzt und hier mit Sicherheit nicht laut aussprechen.
«Hau ab. Tu ab jetzt einfach so, als gäbe es mich nicht. Sollte irgendetwas passieren, betrachtet mein Anwalt das Material als freigegeben. Ich bin sicher, daraus kan
n er etwas machen. Und deine ganze Kohle interessiert ihn übrigens einen Scheiß.»
Der Mann, der mein Vater ist, mustert mich noch einige Sekunden lang, dann wendet er seinen Blick endlich von mir ab. Erst an der Tür dreht er sich noch einmal um. «Cayden …»
«Fick dich», sage ich leise.
22.
Rae
Cayden klappt den Laptop zu, und eine ganze Weile lang kann ich nur in dumpfer Ungläubigkeit auf den Rechner schauen, der so harmlos vor mir auf meinem Schreibtisch liegt. Fast möchte ich Cayden bitten, das Video noch einmal abzuspielen.
«Wow.» Ich schüttele den Kopf, als könne das etwas an dem ändern, was ich gerade gesehen habe. «Wow, das ist … ich weiß nicht, was es ist. Ich glaube, ich habe deinen Vater schon in Zeitungen gesehen», füge ich hinzu, einzig und allein aus dem Grund, weil ich einfach nicht weiß, was ich sonst sagen soll.
«Wenn ich geahnt hätte, wie weit er gehen würde …», beginnt Cayden, doch ich falle ihm ins Wort.
«Wie soll man so etwas denn vorausahnen?»
«Ich kenne ihn ja», erwidert Cayden bitter.
«Was hast du jetzt vor?»
«Das hängt auch von dir ab.»
«Wie meinst du das?»
Cayden, der bisher mit der Hüfte an meinem Schreibtisch lehnte, stößt sich ab und setzt sich ans Fußende meines Bettes. Mit einem Fuß schiebt er seinen Rucksack beiseite. Er hat ausgecheckt. Nach dem Gespräch mit seinem Vater wollte er nicht mehr im Holiday Inn bleiben.
«Ich will das öffentlich machen. Alles. Ich will ihn vor Gericht bringen.»
«Cayden … wenn dein Vater so viel Macht hat, dann heuert er eine Handvoll Anwälte an, die ihn da rausreden. Was er da sagt, ist schrecklich, aber es ist nur ein Video. Es ist ja nichts passiert.»
«Mein Vater ist in so viele Geschäfte verwickelt … Ich glaube, dieses Video könnte vielleicht der erste Dominostein sein, der umfällt.»
«Und wenn nicht?»
Cayden zuckt mit den Schultern. «Keine Ahnung. Ich will es versuchen. Es sei denn, du bist dagegen.»