002 - Free like the Wind

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002 - Free like the Wind Page 30

by Kira Mohn


  Lange nachdenken muss ich darüber nicht. Der Gedanke an einen Typen namens Zane reicht. «Okay. Wir ziehen es durch.»

  Meine Stimme klingt weitaus kämpferischer als der fast schon unbeteiligte Anblick, den Cayden gerade bietet.

  «Rae, es tut mir leid.»

  «Du kannst nichts für das, was dein Vater sagt oder tut.» Ich setze mich neben ihn aufs Bett.

  «Weiß ich. Aber ich hätte das zwischen uns trotzdem gern … anders begonnen. Weniger abgefuckt.»

  «Es hat eine ganz eigene Art von Romantik.»

  Etwas von der Anspannung, die Cayden im Griff hat, seit er an unserer Haustür klingelte, fällt von ihm ab, und zum ersten Mal lächelt er ein wenig, wenn auch nur kurz. «Es kommt trotzdem ganz schön was auf uns zu. Du solltest mit deinen Eltern darüber reden.»

  «Das mache ich.»

  «Und vielleicht sollten wir uns in den nächsten Monaten nicht sehen.»

  «Auf keinen Fall.»

  «Rae …»

  «Nein. Nein, wieso denn? Dein Vater weiß von mir. Ob wir uns weiterhin treffen oder nicht, spielt gar keine Rolle.»

  «Das Ganze wird Pressewirbel mit sich bringen …»

  «Ist mir egal.»

  «… es wird Leute geben, die versuchen werden, alles an Dreck über mich herauszufinden, den es herauszufinden gibt.»

  «Du hattest mit mehr Frauen Sex, als es Ameisen auf der Welt gibt. Muss ich sonst noch etwas wissen?»

  «Fuck, Rae!» Cayden bemüht sich vergebens, das Lachen zu unterdrücken, das meine Worte in ihm auslösen. «Das ist einfach eine ernste Sache.»

  «Ich weiß. Denk nicht, dass ich das nicht weiß. Ich war schon mal bei einer Gerichtsverhandlung dabei, erinnerst du dich?»

  Schlagartig wird Cayden wieder ernst. «Ich erinnere mich. Und du willst dir jetzt wirklich noch einmal so einen Scheiß zumuten?»

  «Absolut.»

  «Du könntest einfach etwas am Rand bleiben.»

  «Ich will direkt neben dir bleiben.»

  «Aber warum?»

  «Cayden.» Ich klettere über seine Beine und setze mich auf seinen Schoß, nehme sein Gesicht in beide Hände und küsse ihn. Vielleicht ist er im ersten Moment überrascht – und irgendwie bin ich es auch –, doch spätestens als ich seine Hände auf meinem Hintern fühle, ist er es nicht mehr. Die Hände verschwinden, weil ich ihm das Shirt über den Kopf ziehe, und sie tauchen weder auf, während ich mein eigenes Top abstreife, nur fühle ich sie jetzt in meinem Rücken, wo Cayden den Verschluss meines BHs öffnet.

  Der Drang, ein Gegengewicht zu den letzten Tagen zu schaffen, überfällt mich mit einer Intensität, der ich nichts entgegenzusetzen habe und auch nichts entgegensetzen will. All das, was wir uns anvertraut haben, all die schmerzhaften Erinnerungen und Bilder und auch das, was noch auf uns zukommen wird – ich will Cayden zeigen und auch selbst fühlen, dass wir es schaffen können. Weil wir uns gefunden haben. Trotz all der Scherben, die das Schicksal vor uns ausgestreut hat.

  Als ich meine Hände gegen seine Schultern stemme und ihn auf die Matratze drücke, wobei seine Haare, die ihm ohne Gel grundsätzlich vor den Augen hängen, nach hinten fallen, sehe ich den arroganten Typen, den spöttischen, den herablassenden Typen; ich sehe den Mann, der mir auf einem Zeltplatz mit einer Wasserflasche hinterherjagt und der mit bloßen Händen ein Grab für ein Kaninchen aushebt. Ich sehe ihn gebeugt und mit hartem Blick und schwach und hoffnungsvoll, und ich denke daran, wie er fragte: Sind wir trotzdem zusammen?

  Ja, das sind wir. Wir sind nicht nur zusammen, wir sind miteinander verbunden.

  Er schließt die Augen, atmet tief ein, während ich seinen Hals küsse und seine Wangen, die geschwungenen Brauen und seine Stirn, mit der Zunge leicht über seine Lippen fahre, die sich öffnen, und als ich jetzt zurückweiche, um ihn noch mal anzusehen, hebt er den Kopf, die Augen noch immer geschlossen, und lässt einfach nicht zu, dass der Kuss zwischen uns unterbrochen wird.

  Vielleicht habe ich im ersten Moment mit meinem Kuss nur all das ausdrücken wollen, wozu Worte manchmal nicht in der Lage sind, doch jetzt überschreiten wir eine Schwelle, hinter der es um mehr geht, und so soll es auch sein.

  Im Gegensatz zu Cayden, der jeder Berührung hinterherzuspüren scheint, möchte ich so viel auf einmal, dass ich fast ein wenig hektisch werde. Ihn küssen, ansehen, zart über seinen Bauch streichen und meine blöden Jeans loswerden, ohne rumhampeln zu müssen. Cayden grinst plötzlich in meinen Kuss hinein, und ich richte mich abrupt auf.

  «Was?»

  «Du zerrst jetzt bestimmt schon seit fünf Minuten an deiner Hose rum.»

  «Tu ich nicht!»

  «Doch.»

  Ich sehe an mir hinunter. Bis zu den Knien habe ich es immerhin geschafft, und jetzt werfe ich mich neben Cayden auf den Rücken und strampele das dämliche Ding ganz weg.

  Cayden steht auf, und natürlich lässt Mr. Perfect seine Jeans formvollendet wie ein professioneller Stripper von den Hüften rutschen. Argh, ich hasse ihn!

  Bis er sich über mich beugt, dann hasse ich ihn nicht mehr. Das Gefühl seiner Lippen, seine Hände, seiner weichen Haare auf meiner Haut …

  «Du kannst froh sein, dass ich kein Mann bin», murmele ich.

  «Bin ich», entgegnet Cayden, dann blickt er auf. «Wieso?»

  «Sonst wäre jetzt schon alles vorbei, und ich müsste mich erst mal neu sammeln.»

  Er lacht leise, und ich liebe sein Lachen. Und ich liebe den Blick, mit dem er mich jetzt ansieht, und ich liebe … vielleicht …

  Noch immer liegt das Lächeln auf seinem Mund, als er mich jetzt wieder küsst, wieder küsst und wieder küsst, und weil es eben Cayden ist, der sich darum kümmert, gleitet mein Slip ganz leicht herunter, während ich die Hüften anhebe.

  Einen anderen Menschen so zu wollen, so sehr auf etwas hinzufiebern … doch noch während meine Hände den Bund von Caydens Boxershorts ein paar Zentimeter nach unten schieben, fällt mir etwas ein.

  «Cayden … ich muss einkaufen.»

  «Bitte was?»

  Mühsam unterdrücke ich das Kichern, das in mir aufsteigen will, und erwidere ernst seinen entgeisterten Blick.

  «Mir sind die Kondome ausgegangen.»

  Diesmal lacht Cayden laut auf. Ganz kurz vergräbt er sein Gesicht neben mir im Kopfkissen, dann blickt er grinsend wieder auf. «Sekunde.»

  Ein weiteres Mal steht er auf, diesmal zieht er seinen Rucksack heran.

  «Das ist jetzt nicht wahr, oder?», frage ich, während er seine Sachen auf dem Teppich vor meinem Bett verteilt.

  «Ich nehme doch nicht nur drei Gummis mit, wenn ich wochenlang mit einer Frau wie dir in der Wildnis wandern gehe.»

  «Ich glaub’s nicht.»

  «Tadaa!» Noch immer grinsend, hält Cayden das Kondompäckchen in die Höhe. «Was machen wir jetzt? Soll ich es mit Wasser füllen, oder …?»

  «Wie viele hast du dabei?»

  «Keine Ahnung. Noch drei oder vier?»

  «Dann definitiv Wasserbomben. Jeder kriegt zwei.»

  «Vergiss es», erwidert Cayden, und der Unterton, mit dem er das sagt, führt dazu, dass ich es beinahe sofort vergesse.

  Hitze geht von seinem Körper aus, während er sich jetzt über mich beugt. In seinem Blick lese ich unsere ganze Geschichte, lese ich alles, was Cayden gerade empfindet. Die Außenwelt verliert an Bedeutung. Wir küssen uns wieder, und als er die Arme links und rechts neben meinem Kopf aufstützt und ich sein Gewicht auf mir spüre, führt der Ausdruck in seinen Augen dazu, dass mein Herzschlag sich verdoppelt, während sich in meine Sehnsucht nach ihm gleichzeitig ein tiefes Vertrauen mischt.

  Cayden.

  Wie hast du das gemacht?

  Noch ein Kuss.

  Ist es wichtig?

  Nein, ist es nicht.

  Als er jetzt die Hüften senkt und ich ihm entgegenkomme, ist nur noch wichtig, seinen Blick festzuhalten, diesen Blick aus dunklen Augen, in denen Erregung steht und eine Wärme, die mich die Arme um seinen Hals schlingen lässt, um ihn noch näher zu ziehen. Wir sehen uns an, bis ich ihn so tief in mir spüre, wie es nur möglich ist, und dann steht di
e Zeit für einen Moment still.

  Cayden

  Rae küssen. Unsere Finger verschränken sich über ihrem Kopf miteinander, und ihr Körper unter meinem lässt Gefühle in mir aufsteigen, die ich noch nie in meinem Leben mit Sex verbunden habe.

  Vertrauen. Dankbarkeit. Zuneigung.

  Mehr als nur Zuneigung.

  In dieser Sekunde will ich mich gar nicht bewegen, will den Augenblick nur voll auskosten und Rae ansehen, und letztlich ist sie es, die sich mir entgegenstemmt, eine Bewegung, die ein Glühen in mir entfacht, das sich verstärkt, als ich ihren Rhythmus aufnehme.

  Doch die eigentliche Verbindung besteht in dem Blickkontakt zwischen uns, in den Küssen, die wir uns gegenseitig schenken, und in dem zarten «Cayden», das Rae irgendwann gegen meine Lippen seufzt.

  Meinen Namen, ausgesprochen von Rae, in diesem Moment.

  Ich verspreche ihr und mir, wir werden alles schaffen.

  Alles.

  Zusammen.

  Epilog

  Es wurde größer, als wir alle dachten, sehr viel größer. Und die Dominosteine, die tatsächlich fielen, erschütterten Cayden so sehr, dass wir nachts oft nur aneinandergeklammert einschliefen, uns gegenseitig versichernd, dass wir es durchstehen würden. Es gab einen Moment, in dem ich dachte, Cayden würde das alles nicht schaffen, als nämlich seine Mutter im Gerichtssaal zusammenbrach und mit einem Weinkrampf herausgeführt werden musste.

  Das alles liegt jetzt fast zehn Monate zurück. Zehn Monate, in denen meine Eltern plötzlich zu kämpfen begannen, für mich, um mich, in denen sie aus ihrer Trance erwachten und ein Stück weit wieder zu den Menschen wurden, die ich früher mal kannte.

  Nicht nur Mum mag Cayden, Dad mag ihn auch. Natürlich tut er das, aber nicht weil Cayden es will – einfach weil Dad mich liebt und es keinen Grund gibt, Cayden nicht zu mögen. Fast die ganzen zehn Monate über hat Cayden bei uns gewohnt – wenn wir demnächst tatsächlich mit Haven und Jackson zusammen in eine WG ziehen, wissen wir zumindest, dass wir es miteinander aushalten werden.

  Doch bevor wir das tun, haben wir einen Urlaub eingeschoben, und den haben wir uns wirklich verdient.

  «Tomatencreme, Erbsencreme oder …», ich gucke noch einmal auf die Packungen, die ich aus dem Rucksack gezogen habe. «Du hast echt eine Hummerschwanztütensuppe gekauft? Die esse ich nicht!»

  Cayden steht am Ufer des Athabasca River und spielt mit Poppy. Poppy ist eine entzückende verrückte Promenadenmischung mit wuscheligem Fell, kurzen Beinen und dem unstillbaren Drang, überall dabei zu sein. Ich habe sie Cayden am letzten Verhandlungstag geschenkt.

  «Hunde spiegeln ja immer den Charakter ihrer Besitzer wider», habe ich dazugesagt, als ich Cayden den jungen, hechelnden und sabbernden Hund in die Arme drückte.

  Cayden meinte nur, da sei er völlig sicher und ich hätte sie ja ausgesucht. Dann sagte er eine ganze Weile nichts mehr, weil er mit Poppy so lange kuscheln musste, bis sie ihm aufs Shirt pinkelte, woraufhin er im Badezimmer verschwand. Danach ging er mit ihr in den Garten, um ihr zu zeigen, wie das bei ordentlichen Hunden so läuft.

  Während ich den beiden zusehe, Poppy, die Cayden so eng an den Fersen klebt, dass ich mich kaum mehr daran erinnern kann, wie Cayden ohne Hund aussah, denke ich daran, dass die Dominosteine, von denen Cayden gesprochen hat, seinem Vater eine so lange Zeit im Gefängnis eingebracht haben, dass wir uns zumindest die nächsten Jahre keine Gedanken um ihn machen müssen. Wie es danach wird – wir werden sehen.

  Cayden wird seinen Vater nicht besuchen.

  Aber seine Mutter werde ich demnächst kennenlernen.

  Sowohl Cayden als auch ich waren uns zunächst nicht sicher, ob wir ihre Einladung annehmen sollten – wir tun es, weil wir herausfinden wollen, wie sehr sie selbst Opfer ist und nicht nur die Frau, die zuließ, dass ihr Mann ihren Sohn fast zerstört hat.

  «Es wird Erbsencreme!», rufe ich zu Cayden hinüber. «Mit Reis!»

  «Klingt episch!», kommt es zurück, und ich lächle vor mich hin, während ich den Kocher entzünde.

  Wir essen am Fluss, das dahinfließende Wasser direkt vor unseren Füßen, und wir reden über Richard Spence, in dessen Kanzlei Cayden mittlerweile neben seinem Studium arbeitet, über unsere zukünftige WG und über mein erstes Semester an der Uni nach diesem Sommer. Dass ich, so wie Havens Tante, irgendwann gern als Kinder- und Jugendtherapeutin arbeiten möchte, hatte Cayden zunächst mit einem etwas schiefen Grinsen zur Kenntnis genommen. Mittlerweile jedoch hat er sein Misstrauen darüber abgelegt, ich könne das Studium nutzen wollen, um irgendwas von dem aufzuarbeiten, was wir beide erlebt haben.

  Ich will einfach anderen Kindern helfen können, das ist alles.

  Die Dämmerung senkt sich langsam über den Fluss. Die Tannenwipfel am gegenüberliegenden Ufer verdunkeln sich zu einer schwarzen Silhouette.

  «Ich mach uns ein Feuer», sagt Cayden und steht auf.

  Nach ein paar Metern kommt er zurück, küsst mich und richtet sich wieder auf, kommt ins Stolpern, weil ich sein Bein festhalte, küsst mich wieder und geht schließlich tatsächlich das Lagerfeuer entzünden.

  Am Himmel leuchten die ersten Sterne auf, und sollte jetzt irgendwo eine Sternschnuppe erscheinen, ist es ein Zeichen von Leah.

  Darauf warte ich noch immer und werde das wohl auch für immer tun.

  Mehr Sterne. Noch mehr Sterne. Keine Sternschnuppe.

  Cayden kehrt zurück und legt eine Hand auf meine Schulter. Auch er blickt zum Himmel, er weiß, worauf ich hoffe. Ich fühle den Druck seiner Hand und lehne meine Wange dagegen.

  Die Bewegung nehme ich nur aus den Augenwinkeln wahr, und als ich den Kopf drehe, hockt in den Schatten der Dämmerung ein Kaninchen, sitzt auf seinen Hinterläufen und sieht mich an. Als es ein Stückchen näher hoppelt, schießen mir plötzlich Tränen in die Augen.

  Das ist nicht Leah, natürlich ist es nicht Leah, aber …

  «Guck, wen deine Schwester uns geschickt hat», sagt Cayden leise.

  ENDE

  Impressum

  Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg, Februar 2021

  Copyright © 2021 by Rowohlt Verlag GmbH, Hamburg

  Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt, jede Verwertung bedarf der Genehmigung des Verlages.

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  ISBN 978-3-644-00748-2

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