Wir sind der Sturm

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Wir sind der Sturm Page 15

by Bichon, Sophie


  »Fuck«, stieß Aiden neben mir plötzlich aus. »Da steht Logan.«

  »Logan?«

  »Mayas Bruder«, erklärte er und deutete mit dem Kinn auf einen Kerl mit haselnussbraunen Haaren, die im Nacken zusammengebunden waren. Er musste ein paar Jahre älter als wir beide sein. Lachend klopfte er dem Kerl neben ihm auf die Schulter. »Ich hab dir doch erzählt, dass ich ihn bei einem unserer Gigs im Heaven gesehen habe.«

  Ich erinnerte mich. Völlig aus dem Nichts hatte Aiden mir letztes Jahr gesagt, dass er immer noch an das eine Mädchen dachte, das ihm vor drei Jahren das Herz gebrochen hatte. Dass er all die Affären leid war, weil er einfach nichts fühlen konnte, obwohl er gern wieder etwas für eine Frau empfinden würde. Und ich hatte mich schon gewundert, wieso er kaum noch über seine Frauengeschichten gesprochen hatte. Ich hatte ihm geraten, sie entweder zu vergessen oder zu versuchen, sie zu finden. Denn egal, was dabei herauskommen würde, ich war mir sicher, dass Aiden die ganze Sache dann leichter hinter sich lassen konnte.

  Auch Aiden schien unser Gespräch in Gedanken noch einmal durchgegangen zu sein, kurz bevor ein entschlossener Ausdruck in seinen blauen Augen aufblitzte. »Verdammt, ich gehe da jetzt hin«, murmelte er. »Ich lasse mir diese Chance nicht noch einmal entgehen.«

  Und noch bevor ich etwas erwidern konnte, lief Aiden zielsicher und mit festen Schritten auf Mayas Bruder zu. Der blickte überrascht auf, als Aiden vor ihm stand. Er sagte etwas, und Logan lachte, seine Begleitung ebenfalls. Aiden grinste, und die drei stießen ihre Becher gegeneinander. Kurz unterhielten sie sich, dann wurde Aidens Gesichtsausdruck ernst, als er erneut zu sprechen begann. Logan schüttelte mehrmals den Kopf, doch ich sah ihn nur von der Seite, konnte seinen Gesichtsausdruck also nicht erkennen oder sogar deuten. Aiden sagte noch etwas, nickte dann und wandte sich ab.

  Einen Augenblick später ließ Aiden sich wieder neben mir auf die Stufen sinken. Ich wollte ihn nicht drängen, wollte ihm einen Moment geben, denn besonders glücklich sah er nicht aus. Ich steckte mir eine Zigarette an, das Klicken des Feuerzeuges in der Nacht. »Und?«, fragte ich schließlich und blies den Rauch Richtung Himmel. »Was hat er gesagt?«

  Aiden seufzte. Für einen Moment schien er ganz woanders zu sein. Dann rieb er sich gedankenverloren über das Kinn, ehe er sich mir zuwandte. »Er meinte, dass Maya nicht in Redstone ist und er mir nicht weiterhelfen kann. Dass es einen Grund geben wird, wenn ich keine Möglichkeit habe, sie zu erreichen, und das wahrscheinlich bedeutet, dass sie nicht mit mir sprechen will. Ich bin also genauso schlau wie vorher …« Er stockte. »Logan hat zwar angeboten, dass er Maya sagen kann, dass ich nach ihr gefragt habe, wenn sie das nächste Mal miteinander sprechen, aber …« Frustriert stöhnte er auf und trank einen großzügigen Schluck aus seinem Becher. »Mann, das ist doch bescheuert! Sie wollte mich vor drei Jahren nicht sehen, sie will mich jetzt nicht sehen. Ende.«

  Ich klopfte meinem besten Freund auf die Schulter. »Hey, immerhin hast du es versucht und kannst die ganze Sache so vielleicht eher hinter dir lassen.«

  Es schien, als wolle Aiden noch etwas sagen, doch dann wandte er sich wieder ab und sah in die Ferne: das bunte Treiben, die Lichter und irgendwo dahinter die Berge, die jetzt durch die Dunkelheit des Himmels nur schemenhaft zu erkennen waren.

  Ich nahm einen tiefen Zug von meiner Zigarette, er noch einen weiteren Schluck von seinem Punsch.

  »An Angeboten mangelt es dir auf jeden Fall nicht«, versuchte ich, einen Scherz zu machen. Ich verstand, wie frustrierend es für Aiden sein musste, dass es da diese Frau gab, mit der er alle anderen verglich. Dass er sich wegen dieser einen nicht verlieben konnte. Und doch: Wer war ich schon, zu behaupten, dass das irgendwann besser werden würde? Wer war ich schon, ihm jetzt mit irgendeiner bedeutungslosen Floskel zu kommen, die nur für Momente wie diese geschaffen worden war, in denen die Worte fehlten? Ich hatte selbst keine Ahnung davon, versuchte selbst herauszufinden, wie man einen Menschen vergessen konnte und ihn nicht in jeder anderen Person zu finden versuchte – doch im Gegensatz zu Aiden wusste ich wenigstens, wieso das mit Louisa und mir nicht sein konnte, wieso das Ende im Nachhinein so unausweichlich gewesen war.

  Louisa

  Etwas war heute anders. Vielleicht lag es an den Frauen, die permanent Pauls Nähe zu suchen schienen, vielleicht daran, dass es schwer war, diesen Abend in unserer üblichen Gruppe gemeinsam zu verbringen und ihn mit seiner starken Präsenz ständig um mich zu haben. Die Tatsache, dass er und Aiden sich wegen mir geschlagen hatten, die Tatsache, dass Trish etwas, das ich ihr im Vertrauen erzählt hatte, noch am selben Tag weitererzählt hatte. Vielleicht war es einfach so, dass mir gerade alles zu viel war und ich mich ablenken wollte. Gedanken und Eindrücke, die in mir Feuer fingen, begannen, zu brennen. Und dieses Mal ließ ich mich auf Landons offenkundige Flirtversuche ein, versuchte, über jeden Witz zu lachen, den er machte, und folgte ihm schließlich auf die provisorische Tanzfläche vor dem Pavillon. Musik, die sich verlangsamte, und Landon, der hinter mir stand, seine Hände auf meine Hüften legte. Ich schloss die Augen, wiegte mich weiter im Rhythmus der Musik. Wir tanzten eng, sein Körper an meinem, Bartstoppeln, die für einen Moment über meine Haut kratzten, als er mir etwas ins Ohr raunte, das klarmachte, worauf das hier hinauslaufen würde.

  Auch wenn Landon und ich uns nicht wirklich viel zu sagen hatten und ich nicht diese Art von Verbindung spürte, war er immer nett gewesen und sah gut aus mit der breiten Statur und der dunkel schimmernden Haut. Das mit ihm wäre nur eine rein körperliche Sache, Sex ohne Bedeutung und nichts, das Gefahr lief, mir am Ende das Herz zu brechen. Ich hatte es so satt, Paul hinterherzutrauern.

  Landon presste sich von hinten an mich, ließ seine Hände langsam höher wandern bis an meine Taille. Und ich wollte mich mit und in ihm fallen lassen, weil er niemals mein wahres Ich würde sehen können. Auch wenn er meinen Körper hätte, er hätte niemals mein Herz, kein einziges kaputtes Teil davon. Doch egal, wie sehr ich mir all das einzureden versuchte, Landons Hände auf mir fühlten sich falsch an. Und je länger wir miteinander tanzten, desto mehr verstärkte sich dieses Gefühl.

  Langsam öffnete ich wieder die Augen, sah zuerst nur die bunten Lichter in den Bäumen – und dann traf mich der Blick aus den dunklen Augen völlig aus dem Nichts. Paul stand auf der anderen Seite neben Aiden, Isaac und Luke gegen die Außenseite des Pavillons gelehnt, eine Hand in der Jeans vergraben, in der anderen etwas zu trinken. Doch statt mit seinen Freunden anzustoßen, deren lautes Lachen bis zu mir rüber drang, ruhte sein Blick auf Landon und mir. Seine Lippen waren zu einem geraden Strich zusammengepresst, die ganze Haltung angespannt und kurz vor einer Explosion, die ich in diesem Moment deutlich kommen sah. Und auch als ich den Blick nicht abwandte, ihn sogar trotzig erwiderte, schaute er unaufhaltsam in unsere Richtung. Mein Mund war trocken, denn in seinen Augen stand etwas Dunkles, beinahe schon Bedrohliches, das mir unter die Haut kroch und mich …

  Pau l

  … in den verdammten Wahnsinn trieb. Am liebsten würde ich hingehen und Landon auf der Stelle von Louisa wegzerren. Und ganz ehrlich, ich hätte ihm zusätzlich auch gern noch eine verpasst, weil er seine scheiß Hände nicht bei sich lassen konnte und sie beim Tanzen über ihre Taille gleiten ließ, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt. Doch zur Hölle, das war es eben nicht! Er tanzte zu nah hinter ihr, viel zu eng.

  Louisa mit ihren Feuerhaaren zwischen all den Lichtern – Gott, es tat so weh, zu sehen, wie jemand anderes das haben konnte, was ich tief in mir unter all dem Verdrängen und Vergessen wollte. Und das war sie . Hätte ich weniger getrunken, würde ich das nicht mal in Gedanken so offen zugeben, aber so sanken meine Hemmungen. Und von Sekunde zu Sekunde, die ich Landon und Louisa zusammen sah, verschob die verfluchte Grenze sich weiter nach unten.

  Scheiße! Ich stieß mich von dem Pavillon ab, machte einen Schritt nach vorn. Ich würde jetzt dorthin gehen und diesem Arschloch endlich sagen, dass es sich verpissen sollte! Ich würde ihm ein für alle Mal klarmachen, dass Louisa ihm nicht gehörte. Und wenn ich schon dabei war, würde ich ihr auch noch die ganze Wahrheit offenbaren. Aiden hatte gesagt,
dass ich ihr irgendeine Form von Erklärung liefern musste. Ich hatte ihm und mir geschworen, ihr eine zu geben … aber erst würde ich sie küssen. Nur ein einziges, letztes und verzweifeltes Mal noch.

  Ich trank den Rest von dem Zeug, das Luke mir in die Hand gedrückt hatte, auf Ex und seufzte schließlich auf.

  Dann: Nein, ich konnte das nicht durchziehen, ich musste Louisa sein lassen, leben lassen, was und wie sie wollte. Ich hatte genau zwei Möglichkeiten. Entweder ich riss mich zusammen und gab mein Bestes, Louisa und Landon zu ignorieren, oder aber ich sah zu, dass ich hier so schnell wie möglich verschwand, bevor ich noch etwas richtig Dummes tat.

  Louis a

  Seit ich Pauls intensive Blicke auf mir gespürt hatte, konnte ich mich endgültig nicht mehr fallen lassen. Landon war nicht das, was ich wollte, zumindest nicht wirklich. Und was hatte es im Nachhinein gebracht, Aiden zu küssen – jemanden, der im Gegensatz zu Landon sogar einen Platz in meinem Herzen hatte? Letztendlich hatte dieser Kuss nichts geändert, mir wahrscheinlich nur noch mehr wehgetan, weil er mir vor Augen geführt hatte, wonach ich mich tief in mir so sehnte: Paul.

  Ich murmelte eine Entschuldigung und löste Landons Hände von mir, schob mich dann durch die tanzende Menge, ohne seine Reaktion abzuwarten. Erleichtert stieß ich Luft aus, als ich Trish und Bowie mit jeweils einer Tüte Popcorn auf den Pavillon zusteuern sah.

  »Hast du da gerade mit Landon getanzt?«, fragte Trish überrascht, als ich vor den beiden zum Stehen kam.

  Bowie hielt mir erst ihr Popcorn unter die Nase und hakte sich dann grinsend bei mir unter. »Ihr saht zusammen wirklich heiß aus!« Sie zwinkerte mir zu, doch statt darauf einzugehen, griff ich in ihre Popcorntüte und lief mit Trish und ihr zu den anderen rüber.

  »Vergiss es!«, sagte Aiden gerade zu Paul, als wir uns zu Luke, Isaac und den beiden stellten.

  Die Stimmung schien sich innerhalb der letzten Minuten verändert zu haben, die Luft geladen zu sein.

  Aiden schüttelte entschlossen den Kopf. »Es ist mir wirklich scheißegal, wie nüchtern du dich gerade fühlst«, sagte er bestimmt. »Ich gebe dir ganz sicher nicht die Schlüssel! Ich fahre ja selbst nicht mehr mit dem Auto zurück, weil ich schon zu viel getrunken habe. Also krieg dich wieder ein.«

  Paul fuhr sich genervt durch die Haare, stieß einen Fluch aus und baute sich vor Aiden auf, der keinen Schritt zurückwich. Von Sekunde zu Sekunde verfinsterten die Gesichter der beiden sich mehr. Ein kurzer Blickwechsel zwischen Isaac und Luke, doch Paul und Aiden starrten sich eine gefühlte Ewigkeit einfach nur an. Keiner rührte sich.

  Ich konnte mir nicht richtig erklären, woran es lag, doch im nächsten Moment hatte ich Aiden schon nach den Autoschlüsseln gefragt und gesagt, dass ich Paul zurück zum Campus fahren würde. Ein Impuls, eine Übersprunghandlung.

  Ich ignorierte Aidens zusammengezogene Augenbrauen und wie Trish sich auf die Unterlippe biss, um die Situation nicht zu kommentieren. Und ich blickte nicht zurück, um mich zu vergewissern, ob er mir auch tatsächlich folgte. Ich wusste selbst nicht, was ich hier eigentlich tat. Ich wusste nur, dass er wirklich betrunken war und ich unter keinen Umständen wollte, dass er sich in diesem Zustand am Ende doch noch hinters Steuer setzte. Dafür kannte ihn zu gut – wenn es darauf ankam, war er viel zu impulsiv und stur. Und Paul würde sich in diesem Fall auch von Aiden nichts sagen lassen. Letztlich würden die beiden ein weiteres Mal aufeinander losgehen, und das war etwas, auf das ich wirklich verzichten konnte.

  Paul

  Ich folgte Louisa, ihren entschlossenen Schritten und den sanft auf und ab wippenden Feuerlocken. Ich war betrunken und allein mit ihr, beides zusammen eine gefährliche Mischung, gefangen zwischen dem, was richtig war, und dem, was sich richtig anfühlte, irgendwo zwischen falschem Richtig und richtigem Falsch.

  Bevor ich mich auf den Beifahrersitz fallen ließ, dachte ich noch, was für ein glücklicher Mistkerl ich war, dass sie wegen mir diesen Arsch hatte stehen lassen.

  Wegen mir .

  10. KAPITEL

  Paul

  Louisa kam in einer der wenigen freien Lücken auf dem Parkplatz direkt vor meinem Wohnheim zum Stehen. Und ich kam nicht umhin festzustellen, dass sie Auto fuhr, wie sie auch sonst alles tat: bedacht, ruhig und irgendwo dahinter verträumt, mit den Gedanken in den Wolken, von denen heute Nacht so viele am Himmel hingen. Es hatte begonnen, aus ihnen zu regnen, ein sanftes Trommeln auf dem Autodach.

  Louisa, ein Wolkenmädchen .

  Hinter uns lag eine Fahrt voller ungesagter Worte, die jetzt ohne das beständige Summen des Motors noch unerträglicher und lauter danach schrien, ausgesprochen zu werden.

  Ich musterte sie von der Seite, dann platzte es aus mir heraus: »Läuft da was zwischen euch?«

  Louisa blickte starr geradeaus. Im Schein der Laternen sah ich nicht mehr als den sanften Schwung ihrer Wangenknochen.

  Und als ich schon dachte, sie hätte mich nicht gehört oder nicht hören wollen, wandte sie sich mir zu. Mit nichts im Blick. »Du hast absolut kein Recht, mich das zu fragen, Paul«, sagte sie tonlos und biss sich dann auf die Unterlippe. »Nicht nach dem, wie du das mit mir beendet hast und dich seitdem verhältst.«

  Scheiße, es stimmte: Ich hatte jedes Recht verwirkt, eifersüchtig zu sein. Ob sie nun meinen besten Freund küsste, um mich zu vergessen, oder etwas mit Landon oder irgendeinem anderen Kerl anfing, egal wie sehr sich bei mir bei dieser beschissenen Vorstellung von Louisa und einem anderen Mann alles zusammenzog .

  »Und dann die Tatsache, dass du Aiden ein blaues Auge verpasst hast, weil wir uns geküsst haben?!«, fügte Louisa mit unterdrücktem Ärger hinzu. »Wird das ab jetzt immer so laufen? Du servierst mich ab, tust so, als wäre da nie etwas zwischen uns gewesen, kommst aber null damit klar, dass ich genauso wie du weitermache, und gehst in Zukunft einfach grundsätzlich auf jeden Typen los, mit dem ich etwas am Laufen habe?«

  Gott, wenn du wüsstest, dass ich dich immer noch liebe, dass ich nie damit aufgehört habe, Louisa! Wenn du wüsstest, dass ich dich niemals gehen lassen wollte. Wenn du die ganze Wahrheit kennen würdest, vielleicht könntest du mich dann verstehen – zumindest ein bisschen.

  Ich war derjenige von uns beiden, der sich durch das College vögelte, um zu vergessen. Ich war der, der das mit uns beendet und sich in irgendwelche bedeutungslosen Sexgeschichten gestürzt hatte. Aber ich war nun mal betrunken, ich sehnte mich nach Louisas Worten, ihrer Berührung, danach, dass dieser ganze Scheiß nicht real war, das zwischen uns dafür aber umso mehr.

  »Und trotzdem hast du darauf bestanden, mich zurückzufahren …«, sprach ich das Offensichtliche aus. Weil ich ein betrunkener Mistkerl war und mein Mund plötzlich ein Eigenleben zu führen schien. Weil ich in diesem Moment ein Egoist war, der nur noch ein einziges beschissene Mal hören wollte, dass ich ihr etwas bedeutete.

  Sie schluckte. »Weil es zu viele Autounfälle in meinem Leben gab, zu viel Angst um Menschen, die mir etwas bedeuten.« Sie senkte die Stimme. »Du weißt das.«

  Die Angst um mich, Louisa?

  »Weil …«, setzte ich an und ließ meinen Blick über jeden vertrauten Zentimeter ihres Gesichts wandern. Diese Wahnsinnsaugen, die im Licht des Mondes dunkel schimmerten, die vollen Lippen, die feinen Sommersprossen auf der Nase und den Wangen, »weil ich dir immer noch etwas bedeute?«

  Der Klang meiner eigenen Stimme war ungewohnt kratzig und rau. Ich sollte endlich meine Klappe halten, ich sollte diese Dinge nicht sagen. Als wären meine Worte nicht schon schlimm genug, beugte ich mich über die Mittelkonsole zu Louisa und streckte eine Hand unendlich langsam nach ihr aus. Gott, ein Teil von mir hatte Angst, dass sie wie an dem Abend im Heaven vor mir zurückweichen würde, doch aus irgendeinem Grund tat sie das nicht. Stattdessen sah sie mich einfach nur abwartend an und bewegte sich kein Stück. Ein Brennen auf meiner Haut, als meine Hand an ihrem Gesicht lag, sich langsam in ihren Nacken schob und ich mit dem Daumen die Konturen ihres Kiefers nachzeichnete. Ich strich über das winzige Muttermal an ihrem rechten Mundwinkel, all die Sommersprossen, die im silbrig schimmernden Licht des Mondes wie Sternenbilder aussahen, die ganz allein mir gehör
ten.

  Ich war ein riesiges Arschloch, ich nahm mir etwas heraus, das mir nicht zustand, doch alles in mir schrie danach, dieses Mädchen nur dieses eine Mal noch zu berühren. Den Gedanken zuzulassen, dass mein abgefucktes Herz Louisa nach wie vor liebte, ganz gleich, was in der Zwischenzeit passiert war, ganz gleich, dass ich so nicht mehr fühlen durfte.

  Ich schluckte, weil es nach über zwei Monaten höllisch weh tat, ihre Haut unter meinen Fingern zu spüren, und sich gleichzeitig so richtig anfühlte. Ich sollte meine Hand zurückziehen, doch genau in diesem Moment legte sich Louisas federleicht über meine und hielt sie somit an Ort und Stelle. Nicht wegen des sanften Drucks ihrer Finger, sondern wegen der Tatsache, dass sie so unerwartet meine Berührung erwiderte.

  Ich hielt den Atem an.

  »Bedeute ich dir denn noch etwas?«, wisperte sie nach einer Ewigkeit statt einer Antwort. Da war nur ihr leiser Atem, mein hämmerndes Herz und der Regen, der unaufhörlich auf das Autodach prasselte. Ganz langsam verschränkten unsere Finger sich miteinander, meine Hand dabei immer noch an ihrem Gesicht. Ein Moment, der eine Ewigkeit andauerte. Wir sahen einander an und sagten nichts, doch es war diese Art Nichts , die alles bedeutete.

  Gott, sie hatte keine Ahnung, was sie tatsächlich für mich war. Dieses Mädchen, das mich einfach nie aufzugeben schien.

  Und dann nickte ich langsam, scheiße, ich nickte einfach. Und so wie ihre Züge in diesem Moment weicher wurden, sanfter, hatte sie diese kleine Bewegung auch wahrgenommen.

  Louisa

  Mein Herz begann unaufhaltsam, schneller zu schlagen. Ob bewusst oder nicht – Paul hatte genickt, und so durchdringend, wie er mich ansah, wusste er, dass ich es bemerkt hatte. Vorsichtig löste er seine Hand von meinem Gesicht, ließ unsere ineinander verflochtenen Finger zwischen uns sinken. Unsere Gesichter waren einander immer noch nah, und ich wusste, dass das hier nicht das Ende war. Noch nicht.

 

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