Silver Crown - Forbidden Royals (German Edition)

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Silver Crown - Forbidden Royals (German Edition) Page 12

by Johnson, Julie


  Ich brauchte eine Ablenkung. Etwas, das mich davon abhielt, über die Zukunft nachzugrübeln. Vorzugsweise etwas, das zartbittere Schokoladenstückchen und einen angenehmen Zuckerschub beinhaltete. Ich brauchte …

  Kekse.

  Also schob ich meine Sorge, Carter oder Chloe oder – Gott bewahre – ihrer Schreckschraube von Mutter über den Weg zu laufen, beiseite und machte mich auf die Suche nach der Küche. Wenn ich jetzt nur noch das Mehl finden würde, wäre ich meinem Ziel einen großen Schritt näher …

  »Verdammt«, murmle ich und öffne einen weiteren Schrank. In diesem befindet sich etwas, das wie ein antikes Porzellanservice aussieht.

  »Miss, sind Sie sicher, dass ich Ihnen nicht helfen …«

  »Ich bin mir sicher!«, falle ich ihr ins Wort und schüttle verzweifelt den Kopf, während ich vor mich hin murmle. »Ernsthaft, wie können reiche Leute so leben? Was machen sie mit dieser ganzen Freizeit?« Ich ziehe einen weiteren Schrank auf. Gewürze. Allmählich komme ich der Sache näher. »Sie müssen keine Hausarbeit verrichten. Sie müssen keine Mahlzeiten kochen. Das Essen erscheint einfach auf magische Weise auf dem Tisch, und die schmutzigen Klamotten erledigen sich, ohne dass man einen Finger rühren muss … Es kommt mir so vor, als würde ich mit verflixten Hauselfen zusammenleben.«

  »Ich bitte vielmals um Entschuldigung, Miss«, sagt Patricia und klingt, als wäre sie den Tränen nah.

  »Oh, nehmen Sie das bitte nicht persönlich!« Ich wirbele zu ihr herum und habe sofort ein schlechtes Gewissen. »Sie machen nur Ihre Arbeit. Es liegt an mir . Ich bin es nicht gewohnt, den ganzen Tag lang herumzusitzen, ohne einen Finger zu rühren. Mir fällt schnell die Decke auf den Kopf, wenn ich keine Beschäftigung habe. Können Sie das verstehen?«

  »Natürlich, Miss.«

  Ich schenke ihr ein Lächeln, doch sie erwidert es nicht – sie ist zu sehr damit beschäftigt, auf ihrer Unterlippe herumzukauen. Sie ist es eindeutig nicht gewohnt, dass sich herrschaftliche Gäste in ihrem Reich breitmachen.

  Mit einem Seufzen setze ich meine Suche nach Zutaten fort. Ich habe die Hoffnung schon fast aufgegeben, als ich die letzten verbliebenen weißen Schranktüren aufziehe und eine schmale eingebaute Vorratskammer finde, die bis unter die Decke mit Backzutaten gefüllt ist.

  »Natürlich ist es der letzte Schrank, den ich öffne …«

  Ich lache, während ich die Behälter auf denen MEHL und ZUCKER steht, aus dem Regal hole, sie an meine Brust drücke und zu einem Arbeitstisch in der Nähe trage. Der schwere Standmixer des Lockwood-Anwesens ist von sehr viel besserer Qualität als der, den ich zu Hause habe, aber von der Funktionsweise her scheint er nahezu identisch zu sein. Ich bin mir sicher, dass ich problemlos herausfinden werde, wie er funktioniert.

  Patricia ringt in stummer Verzweiflung die Hände. Während sie zuschaut, wie ich zwischen der Vorratskammer und dem Tisch hin und her laufe und meine Zutaten in einer ordentlichen Reihe aufstelle – Backpulver, Salz, Vanillezucker, Schokoladenstückchen. Als sie sieht, dass ich auf ihren tadellos sortierten Kühlschrank zugehe, kann sie sich einen gequälten Laut nicht ganz verkneifen.

  »Miss, sind Sie ganz sicher, dass ich das nicht lieber für Sie erledigen soll? Wenn Sie mir einfach das Rezept sagen würden … «

  »Tut mir leid«, sage ich mit einem schiefen Lächeln und nehme zwei Eier aus einem Karton. »Ich bin einfach eine von diesen Verrückten, die tatsächlich Freude daran haben, ihr Essen selbst zuzubereiten.«

  »Eine Verrückte?« Eine warme, vertraute Stimme hallt durch die Küche. »Das kann ich bestätigen.«

  Ich erschrecke mich so sehr, dass ich beide Eier auf den Boden fallen lasse. Ich höre das unverkennbare Knirschen der Schalen, die auf den gefliesten Boden treffen. Begleitet wird das Ganze von einem schrillen Aufschrei der Haushälterin, als sie sieht, wie sich das Eigelb auf dem Boden ausbreitet, aber das ist mir egal. Ich habe mich bereits in Bewegung gesetzt und fliege förmlich quer durch die Küche in Owens geöffnete Arme.

  »Du bist hier!«, rufe ich, als er mich an seine Brust drückt. Ich atme seinen Duft ein. Er riecht so gut. Vertraut, nach Sicherheit und Zuverlässigkeit.

  Nach zu Hause.

  »Natürlich bin ich hier. Denkst du, ich würde einfach so zulassen, dass sie dich einsperren und den Schlüssel wegwerfen? Nie und nimmer, Ems.«

  »Mein Held«, necke ich ihn mit schwärmerischer Stimme.

  Er lacht. »Tja, es war nicht gerade leicht. Ich habe vermutlich hundertmal angerufen und ins Telefon gebrüllt, während mir ein gleichgültiger Telefonist immer wieder den gleichen Schwachsinn über ›vertrauliche königliche Sicherheitsmaßnahmen‹ erzählte. Ich war fast wahnsinnig vor Angst, dass dir etwas passiert sein könnte. Ich hätte das keine Sekunde länger ausgehalten, ohne die Presse einzuschalten und mich mit dem Fall an die Öffentlichkeit zu wenden.«

  »Gott.« Ich drücke ihn fester. »Das tut mir wirklich leid.«

  »Es ist nicht deine Schuld. Sondern allein die dieser Mistkerle, die dich hierher verschleppt haben«, murmelt Owen düster .

  »Owen, es ist so …«

  »Weißt du, ich bin mir nicht ganz sicher, warum sie ihre Meinung geändert haben. Ich vermute jedoch, dass ich ihnen ordentlich zugesetzt haben muss, denn vor etwa einer Stunde hielt diese schicke schwarze Limousine vor meiner Wohnung und der Fahrer wies mich an einzusteigen. Auf Befehl des Königs. Wie verrückt ist das denn, bitte schön? Ich kam mir vor wie in einem Actionfilm.« Er schnaubt. »Aber keinem guten.«

  Sofort überkommen mich Schuldgefühle. Ich weiß genau , warum er plötzlich hier bei mir ist. Es hat nicht das Geringste mit seinen ständigen Telefonanrufen zu tun, sondern allein damit, dass ich vor zwei Stunden eine Abmachung mit Linus getroffen habe. Aber ich bringe es nichts übers Herz, ihm die Illusion zu rauben.

  »Danke, dass du gekommen bist«, flüstere ich und blinzele ein paar Tränen fort. »Ich kann es gar nicht fassen, dass du hier bist.«

  »Ich? Was ist mit dir? «, kontert er und tritt einen Schritt zurück, um mich anzusehen. Er hat die Stirn gerunzelt und die braunen Augen besorgt zusammengezogen. »Ernsthaft, Ems … Was zum Teufel machst du noch hier?« Er schaut sich in der Küche um, und sein Blick fällt auf die Zutaten hinter mir. »Außer offensichtlich Kekse für den gottverdammten Feind zu backen.«

  Ich zucke zusammen und lasse die Arme sinken.

  »Ich meine es ernst, Ems. Was zum Teufel geht hier vor? Ich komme hier hereingestürmt und rechne damit, dich in irgendeinem Schlafzimmer vorzufinden, in dem man dich aus welchem Grund auch immer gefangen hält. Und natürlich war ich bereit, mit Zähnen und Klauen für deine Freiheit zu kämpfen … Da kannst du dir wohl vorstellen, wie überrascht ich bin, da ss du absolut kein Problem damit zu haben scheinst, Opfer einer Entführung geworden zu sein.«

  »Das ist nicht wahr!«

  »Ach nein?«

  »Owen, hör auf . Du weißt nicht, wovon du redest!«

  »Dann erklär es mir.«

  Ich fahre mit beiden Händen durch mein Haar. »Es ist kompliziert.«

  »Was ist denn so kompliziert daran?«, fragt er. »Schnapp dir deine Sachen und lass uns verdammt noch mal von hier verschwinden. Wir müssen weg von diesen Leuten. Zurück in unser Leben.«

  Ich reiße die Augen ein wenig weiter auf. »Ich … Owen, ich kann nicht.«

  »Was zum Teufel soll das heißen?«

  Ich werfe einen Blick zu Patricia, die auf dem Boden hockt und das Eigelb von den Fliesen wischt. Sie kann jedes Wort hören, das wir sagen. Wenn ich der Ansicht wäre, dass auch nur die geringste Chance bestünde, dass sie mir gestatten würde, ihr zu helfen, würde ich es tun. Aber ich bin klug genug, es gar nicht erst zu versuchen.

  »Komm mit, okay?«, flehe ich meinen besten Freund an. Ich greife nach seiner schlaffen Hand und verschränke meine Finger mit seinen. »Ich werde es dir erklären. Aber … nicht hier.«

  Er starrt mich einen Augenblick lang stoisch an. Dann drückt er meine Hand. Ich rufe Patricia eine hastige Entschuldigung zu und führe ihn aus der Küche die Treppe hinauf nach oben. Eine ungute Vorahnung macht sich in meinem Magen breit und lastet m
it jedem weiteren Schritt, den wir nach oben machen, ein wenig schwerer auf mir.

  Warum habe ich das Gefühl, dass ich gleich noch ein sehr viel größeres Durcheinander anrichten werde als das, das ich auf dem makellosen Küchenfußboden hinterlassen habe?

  Es ist ein wunderschöner Herbsttag.

  Die schneebedeckten Berge hinter dem Herrenhaus bilden einen malerischen Hintergrund für unseren Spaziergang durch den Garten. Zwei Wachen folgen uns in respektvollem Abstand – stumme Schatten, die uns wachsam im Auge behalten, während wir an den Formschnitthecken und sprudelnden Springbrunnen vorbeigehen. Das Labyrinth aus sorgfältig gehegten Beeten ist auch ohne Sommerblumen wunderschön. An jedem anderen Tag würden wir die Aussicht genießen, lachen und über triviale Dinge scherzen, uns gegenseitig Geschichten erzählen und Pläne für die Zukunft schmieden.

  Heute besteht zwischen uns eine Kluft aus abgrundtiefem Schweigen.

  Er hat kein Wort mehr gesagt, seit ich ihm von der Abmachung erzählt habe, die ich mit Linus getroffen habe. Ich kann ihm keinen Vorwurf machen. Er war schließlich mit der Absicht hierhergekommen, mich zu retten. Mein nobler Ritter. Stattdessen sollte er erfahren, dass die Prinzessin nicht gerettet werden musste. Tatsächlich hatte sie bereits eine Abmachung mit dem bösen König getroffen.

  Ich zittere, als der Wind zunimmt. Meine leichte Baumwollbluse und die dünne marineblaue Hose mögen in den Augen der persönlichen Palasteinkäufer modisch sein, aber sie sind nicht unbedingt geeignet, um Zeit draußen zu verbringen, wenn man dem frischen caerleonischen Klima ausgesetzt ist. Ich werde einfach den Gedanken nicht los, dass sie meiner neuen Garderobe absichtlich keinen Mantel hinzugefügt haben, damit ich mich nicht zu weit vom Haus entferne .

  Netter Versuch, ihr Idioten.

  Ich bin bereits dazu übergegangen, meine Hände gegeneinanderzureiben, um ein wenig Wärme zu erzeugen, als Owen stehen bleibt, seine olivgrüne Jacke auszieht und sie mir reicht.

  »Hier. Zieh die an.«

  Meine Kehle schnürt sich zu. Er kümmert sich immer um mich – selbst wenn er sauer auf mich ist.

  »Danke«, murmle ich und schiebe die Arme in die Ärmel. Die Jacke, die aus schwerem, leinenartigem Stoff besteht, ist an meinem zierlichen Körper praktisch so lang wie ein Kleid. Die Ärmel ragen weit über meine Hände hinaus. Er kann das Zucken seiner Lippen nicht ganz verbergen, als ihm bewusst wird, wie lächerlich ich darin aussehe.

  »Owen …«

  Er presst die Lippen wieder fest zusammen. »Nicht.«

  »Du weißt doch noch gar nicht, was ich sagen will.«

  »Natürlich weiß ich das. Ich kenne dich schließlich dein ganzes verdammtes Leben lang.« Er seufzt tief. »Du wirst versuchen zu rechtfertigen, warum das langfristig die richtige Entscheidung für dich ist. Weil du zweifellos bereits eine Liste mit Vor- und Nachteilen angefertigt und all deine Argumente vor dem Badezimmerspiegel geprobt hast …«

  Meine Wangen werden heiß. Er kennt mich tatsächlich .

  »Aber dieser ganze Schwachsinn interessiert mich nicht, Emilia. Ich bin dein bester Freund. Ich will die Wahrheit hören.«

  »Ich habe dir die Wahrheit erzählt! Ich würde dich niemals anlügen, das weißt du.«

  »Dann versuch nicht, mir diese ›Prinzessinnenprobezeit‹ als ausgeklügelten Plan zu verkaufen, der es dir ermöglichen soll, abzudanken und auf den Thron zu verzichten.« Er schüttelt den Kopf. »Wenn das deine Absicht wäre, würdest du jetzt sofort mit mir durch die Eingangspforte nach draußen marschieren und nie wieder zurückschauen.«

  »Owen, so einfach ist das nicht …«

  »Doch, es ist so einfach.« In seinen Augen liegt echte Traurigkeit. »Aber wir beide wissen, dass du das nicht tun wirst. Weil ein Teil von dir hier sein will . Ein Teil von dir muss wissen, wie es wäre, seine Tochter zu sein. Diese Krone zu tragen. Das Leben zu führen, das du immer hättest haben sollen.«

  Ich spanne den Kiefer an, widerspreche ihm aber nicht. Ich kann es nicht.

  Wir lügen einander nicht an.

  »Du kannst dir einreden, dass du das nur machst, damit er deine Hypothek bezahlt und du das Haus behalten kannst, in dem du aufgewachsen bist, während du gleichzeitig deine Anonymität wahrst … Aber ich weiß, dass ein Teil von dir neugierig darauf ist zu erfahren, wie es wäre, stattdessen an Orten wie diesem hier zu leben.« Er deutet mit dem Daumen in Richtung des Lockwood-Anwesens. »Bedienstete, die dir jeden Wunsch von den Augen ablesen. Eine waschechte Prinzessin wie im Märchen.«

  »Und was, wenn ich tatsächlich neugierig bin?«, schnauze ich zu meiner Verteidigung, da mir sein vorwurfsvoller Tonfall langsam auf die Nerven geht. »Ist das etwa ein Verbrechen?«

  »Das ist es, wenn es bedeutet, dass du deine Seele an diese Leute verkaufst!«

  »Diese Leute? Du meinst meinen biologischen Vater? «

  »Ja, ich meine den Mann, der noch bis gestern nicht das Geringste mit dir zu tun haben wollte. Ich erinnere mich ziemlich gut an ihn«, murmelt er. »Es ist wirklich armselig zu sehen, dass du sofort einknickst, sobald er dir auch nur ein winziges bisschen Aufmerksamkeit widmet. «

  Tränen schießen mir in die Augen. »Nicht alle von uns sind in einer Familie wie deiner aufgewachsen, Owen. Perfekte Eltern, ein perfektes Haus, perfekte Schwestern. Ein paar von uns haben ungeklärte Probleme, und, tja, ich weiß auch nicht, vielleicht wäre es ganz nett, sich denen stellen und sie verarbeiten zu können, wenn man endlich die Gelegenheit dazu erhält. Ich dachte, dass ausgerechnet du das verstehen würdest. Vielleicht habe ich mich geirrt.«

  »Willst du etwa sagen, ich wüsste nicht, dass du eine emotionale Last mit dir herumschleppst? Ich bin schließlich derjenige, der dir zwanzig Jahre lang geholfen hat, sie zu tragen!«

  Er brüllt die Worte so laut, dass ein Vogelschwarm aus einem nahen Baum aufflattert, weil der Lärm die ruhenden Tiere aufgeschreckt hat. Sein Gebrüll ist so laut, dass ich ehrlich überrascht bin, dass die Wachen nicht mit gezückten Waffen angelaufen kommen.

  »Owen …« Meine Stimme bricht, während eine Träne über meine Wange läuft. Ich kann wirklich nicht glauben, dass er das gerade zu mir gesagt hat. Oder genauer ausgedrückt: dass er es mir ins Gesicht gebrüllt hat. Während all der Jahre, die wir nun schon befreundet sind, hat er sich noch nie so verhalten. Ich frage mich unweigerlich, ob hinter dieser Reaktion mehr steckt als die bloße Tatsache, dass ich meinen Vater kennenlernen werde.

  Die wütende Maske seines Gesichts bekommt ein paar Risse, als er meine Tränen sieht.

  »Tut mir leid«, presst er nach einem Moment hervor und unterdrückt seine Wut, so gut es geht. »Ich wollte dich nicht anbrüllen, Ems.«

  Ich nicke steif.

  »Es ist nur …« Er macht einen Schritt auf mich zu. »Ich kann nicht einfach dastehen und zusehen, wie man dich ma nipuliert, damit du ein Leben führst, das du nie haben wolltest.«

  Ich schweige.

  »Ich will nicht, dass dich diese Leute verschlingen.«

  »Das wird nicht passieren. Hab ein wenig mehr Vertrauen in mich, Owen.«

  »Ems …«

  »Es ist ja nicht so, als wäre es für immer. Es geht um einen Monat. Einen einzigen. Wie viel könnte sich in dieser Zeit schon verändern?«, frage ich und ignoriere die böse Vorahnung, die sich schlagartig in mir breitmacht, sobald ich die Worte ausgesprochen habe. Ich habe das Gefühl, als hätte ich gerade das Universum herausgefordert, als hätte ich mich mit einem achtlosen Satz selbst verflucht.

  Was für ein lächerlicher Gedanke.

  Owen macht einen weiteren Schritt auf mich zu, bis unsere Gesichter nur noch wenige Zentimeter voneinander entfernt sind. Dann beugt er sich vor, um mein Gesicht mit beiden Händen zu umfassen. Mit dem Daumen wischt er eine Träne weg. »Dinge verändern sich ständig. In einem Monat. In einer Nacht. In einem Augenblick.«

  »Das gilt nicht für mich.« Meine Stimme ist unnachgiebig. »Nicht für uns .«

  »Ich habe Angst davor, dich zu verlieren.«

  »Du könntest mich niemals verlieren, Owen.« Ich hebe meine Hand und lege sie auf seine. »Selbst wenn ich hierbleibe, selbst wenn ich nicht abdanke …
wird sich nichts verändern. Nicht wenn es um dich und mich geht. Wir werden immer beste Freunde sein.«

  In seinen Augen blitzt etwas auf. Er öffnet den Mund, um etwas zu sagen, bekommt jedoch nicht die Gelegenheit dazu, denn plötzlich sind wir nicht mehr allein. Zwei Leute in Sportkleidung joggen um eine Biegung des Pfads herum und stoßen praktisch direkt mit uns zusammen. Wir weichen sofort voneinander zurück.

  »Na, ist das nicht herzallerliebst?«, kommentiert Chloe gedehnt und mustert uns mit messerscharfem Interesse. Ihr rotbrauner Pferdeschwanz schwingt fröhlich hin und her, während sich ein Grinsen auf ihrem Gesicht breitmacht.

  Ich weiß, wie das hier für sie aussehen muss. Ich trage Owens Jacke und schaue zu ihm auf, während er mein Gesicht umfasst hält. Wir wirken nicht wie zwei Freunde, die gerade eine große Veränderung verarbeiten, sondern wie ein Paar, das einen gestohlenen Augenblick in einem geheimen Garten teilt.

  Warum kümmert es dich, was sie denken? , frage ich mich, noch während ich direkt zu Carter schaue. Mein Herz fängt an zu hämmern. Ich habe ihn seit gestern Abend nicht mehr gesehen – seit wir uns im Flur gegenseitig angeschrien haben, habe ich nicht mehr mit ihm gesprochen. Die Tatsache, dass die letzten Worte, die ich in seine Richtung gezischt habe, eine hartnäckige Behauptung waren, dass ich keinen festen Freund habe, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Seine kalten himmelblauen Augen treffen auf meine. In ihnen liegt keinerlei Emotion, und irgendwie weiß ich, dass er genau das Gleiche denkt.

  Ich schlucke schwer.

  »Wer ist denn dieser heiße Typ?«, fragt Chloe und stemmt die Hände in die Hüften. »Und wo bekomme ich so einen für mich her?«

  »Das ist Owen«, antworte ich und gebe ihr nicht mehr Einzelheiten als unbedingt nötig. »Owen, das sind Linus’ Stiefkinder. Chloe und …« Warum fällt es mir so schwer, seinen Namen auszusprechen, wenn er mich so anschaut? »Und Carter. «

  Carter bricht den Blickkontakt mit mir ab und schaut zu Owen. Sein intensiver Blick wird noch durchdringender. Ich spüre, wie sich Owen neben mir versteift und sich zu seiner vollen Größe aufrichtet, während er den Blick erwidert. Keiner der beiden Männer sagt etwas – zumindest nicht laut. Aber zwischen ihnen scheint sich eine nonverbale Kommunikation abzuspielen, und dem unterkühlten Schweigen nach zu urteilen, das sich über unsere kleine Gruppe legt, verläuft sie nicht gut.

 

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