Silver Crown - Forbidden Royals (German Edition)

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Silver Crown - Forbidden Royals (German Edition) Page 15

by Johnson, Julie


  »Wir sollten vermutlich ins Bett gehen«, flüstere ich.

  Vielleicht bilde ich es mir nur ein, aber ich könnte schwören, dass in seinen Augen Hitze aufflammt, als er dabei zusieht, wie mein Mund die Worte formt. Er verbirgt seine Reaktion jedoch schnell hinter einer Maske aus kühler Gleichgültigkeit. Er steht auf und verharrt mit dem Rücken zu mir auf der Schwelle, wo er für einen winzigen Augenblick innehält.

  »Du solltest wirklich deine verdammte Hand kühlen.«

  Eine Sekunde später ist er verschwunden und schlägt die Tür mit unverkennbarer Endgültigkeit hinter sich zu. Ich höre, wie er sie abschließt, und stoße rasselnd einen Atemzug aus, den ich lange angehalten habe.

  »Gute Nacht«, flüstere ich in den leeren Flur hinein.

  Der lange Weg nach unten in die Küche hilft nicht dabei, meinen hämmernden Puls zu beruhigen. Und als ich später ins Bett klettere und meine geschwollene Hand behutsam an meine Brust drücke … träume ich von strahlend blauen Augen, die irgendwie immer direkt durch mich hindurch und unmittelbar auf die schmutzige, zerstörte Seele schauen, die sich in meinem Inneren befindet.

  12. KAPITEL

  Es ist fünf vor zwölf, und ich tigere vor den geschlossenen Türen des Salons auf und ab. Ich weigere mich, diesen Raum zu betreten, bis es sich absolut nicht mehr vermeiden lässt.

  »Sie hat dich auch ausgetrickst, damit du hier teilnimmst, was?«

  Ich schaue auf, als ich Chloes Stimme höre, und sehe, dass sie an der Wand lehnt und beobachtet, wie ich hin und her laufe. Dem warmen Ausdruck auf ihrem Gesicht nach zu urteilen, hegt sie wegen des Zwischenfalls mit Owen keinen Groll gegen mich.

  Ich erwidere ihr Lächeln. »›Ausgetrickst‹ ist ein zu nettes Wort für das, was sie getan hat.«

  »Du wirst dich schon noch daran gewöhnen.«

  »Soll ich mich deswegen besser oder schlechter fühlen?«

  Sie lacht – ein heller, klarer Laut, wie Wasser in einem Winterfluss. »Weder noch. Es ist einfach die Realität. Nach einer Weile wirst du eine Art sechsten Sinn für Octavias Intrigen entwickeln. Und sobald du die Züge deines Gegners vorausahnen kannst … ist es bedeutend leichter, ihnen auszuweichen.«

  Ich schüttle müde den Kopf. »Ich bin mir nicht sicher, ob ich für dieses Leben geschaffen bin.«

  »Niemand ist jemals für irgendetwas geschaffen. Du beißt einfach die Zähne zusammen und ziehst es durch und hoffst, dass sich irgendwann alles fügt. Jeder, der dir etwas anderes erzählt, lügt.«

  »Das ist deine Devise? Die Zähne zusammenbeißen?«

  »Hmm …« Sie denkt einen Moment lang darüber nach. »Ja.«

  »Chloe, hast du je über eine Karriere als Grußkartenschreiberin nachgedacht? Da du so ein Quell an überbordender herzerwärmender Weisheit bist?«

  »Man kann nie wissen. Es könnte meine wahre Bestimmung sein. Nehmt euch in Acht, all ihr Grußkartenverkäufer, jetzt komme ich!« Sie legt den Kopf schief. »Und das Ganze hätte noch einen zusätzlichen Vorteil. Kannst du dir den Ausdruck auf Octavias Gesicht vorstellen, wenn ich ihr mitteilen würde, dass ich mir einen Job suche? Einen richtigen Job ?«

  Ich schnappe nach Luft. »Wie ein einfacher Bauer?«

  »Ein schuftender Trottel!« Sie presst eine Hand auf ihr Herz. »Was für ein Skandal!«

  »Einfach entsetzlich!«

  »Wo soll das nur hinführen?«

  Wir beide brechen in Gekicher aus.

  »Willst du einen Rat hören? Wenn wir da drinnen sind, versuch, dich von Octavia nicht aus dem Konzept bringen zu lassen«, sagt sie, als wir wieder zu Atem gekommen sind.

  »Je mehr du dir deine Wut anmerken lässt, desto zufriedener wird sie sein. Sie ist wie eine dieser Höllenkreaturen, die sich von Elend ernähren.«

  »Sie zu ignorieren wäre leichter, wenn sie nicht die Menschen bedrohen würde, die mir wichtig sind.« Die Uhr an der Wand schlägt zwölf. Ich starre sie böse an, als könnte ich auf diese Weise die Zeit anhalten. »Ich schätze, das ist unser Stichwort. «

  »Keine Sorge«, flüstert Chloe verschwörerisch und tritt an meine Seite. »Ich habe etwas, das diese Erfahrung sehr viel angenehmer machen wird.«

  »Zyanid?«, frage ich nur halb scherzhaft.

  »Besser.« Sie holt einen kleinen Plastikbeutel hervor, hält nach Simms oder einem der anderen stets wachsamen Hausangestellten Ausschau und schüttet den Inhalt dann auf ihre Handfläche. »Nimm eins. Dank mir später.«

  Ich blinzle und schaue auf die zwei harmlos aussehenden Gummibärchen hinunter. »Was ist das?«

  »Nur eine Kleinigkeit, die dir dabei helfen wird, dich ein wenig zu entspannen. Ich nenne sie ›Octavia-Dämpfer‹. Damit wird ihre Gesellschaft zumindest einigermaßen erträglich – vor allem wenn es um eine so abscheuliche Aktion geht.«

  »Wird es wirklich so schlimm werden? Ein Kleid auszusuchen, kann doch unmöglich so lange dauern, oder? Ich hatte mich auf zwanzig oder dreißig Minuten eingestellt, und das hielt ich schon für hoch gegriffen.«

  Chloe schnaubt. »Oh, du hast ja keine Ahnung. Es wäre echt niedlich, wenn es nicht so tragisch wäre.«

  »Fünfundvierzig Minuten?« Ich verziehe das Gesicht, als sie den Kopf schüttelt. »Eine Stunde ?«

  »Eher zwei Stunden für die Auswahl der Kleider und dann weitere zwei Stunden, in denen sie angepasst werden. Nur für den Fall, dass du nicht weißt, was auf dich zukommt: Das bedeutet normalerweise, dass du wie angewurzelt vor einem unschmeichelhaften Spiegel stehst, während eine sadistische Schneiderin Nadeln in dein Mieder steckt.« Sie streckt wieder die Hand aus und wackelt mit den Fingern. »Glaub mir. Das willst du nicht nüchtern durchstehen müssen.«

  »Ich weiß nicht …«

  Sie verdreht die Augen, schnappt sich meine Hand und drückt ein Gummibärchen hinein. Dann wirft sie sich das andere umgehend in den Mund. »Wir sehen uns auf der anderen Seite, Kameradin.«

  Bevor ich sie aufhalten kann, marschiert sie auf die Salontüren zu. Ich bin vor Unentschlossenheit wie erstarrt. Mein Blick flackert zwischen ihrer Hand, mit der sie nach der Türklinke greift, und meiner eigenen, in der sich immer noch das kleine Gummibärchen befindet, hin und her. Auf dem winzigen Gesicht des Bärchens prangt ein fröhliches Lächeln. Die Uhr schlägt ein letztes Mal.

  »Tut mir leid, Kleiner«, murmle ich. »Dein Leben gegen meins.«

  Zwei Sekunden bevor sich die Türen öffnen, werfe ich mir das Gummibärchen in den Mund.

  Ich bin nicht das, was man im Allgemeinen drogenerfahren nennen würde.

  Als ich das erste Mal high war, war ich fünfzehn. Owen und ich bastelten uns eine behelfsmäßige Pfeife aus einem Apfelkerngehäuse und rauchten einen Klumpen altes Gras, das er einem Schüler aus einem höheren Jahrgang abgekauft hatte, während wir in dem Baumhaus im Garten hinter seinem Haus saßen, in dem er als Kind gespielt hatte. Vermutlich war das nicht die beste Idee, die wir je hatten, denn als wir die Leiter hinunterkletterten, wurde mir so schwindelig, dass ich vier Meter tief fiel und mir an zwei Stellen den Arm brach, sodass ich für den Rest des Sommers einen Gips tragen musste.

  Das war gleichzeitig auch das letzte Mal, dass ich je high war.

  An die eigentliche Erfahrung erinnere ich mich so gut wie gar nicht mehr. Ich weiß nur noch, dass meine Haut juckte und mir jede Menge Ideen kamen, die mich ganz hibbelig machten. Allerdings fehlte mir die Energie, die nötig gewesen wäre, um sie umzusetzen.

  Wie ich schon sagte: Ich bin nicht das, was man als Junkie bezeichnet.

  Ich weiß nicht, welche Geheimzutat sich in Chloes Gummibärchen befindet, aber sie ist auf jeden Fall von einem ganz anderen Kaliber. Ich fühle mich ganz und gar nicht high. Tatsächlich fühle ich mich so entspannt, dass ich durch den Boden sinken und verschwinden könnte.

  Ruhig. Unerschütterlich. Locker.

  Die vier Stunden, die wir mit der Auswahl und dem Anpassen der Kleider verbringen müssen, vergehen in einem verschwommenen Nebel aus Reißverschlüssen und Hüten und Säumen und spitzenbedeckten Knöpfen. Normalerweise würde ich mich unwohl dabei fühlen, fast nackt vor einem Spiegel zu stehen, während drei fremde Frauen jeden Qu
adratzentimeter meines Körpers ausmessen … aber dank Teddybärs Hilfe fühle ich mich mit meinem etwas breiteren Hintern und meinen gut gefüllten C-Körbchen absolut selbstsicher – selbst während ich neben Chloe stehe, deren dünner straffer Körper selbst bei einem Supermodel genug Unsicherheit hervorrufen könnte, um das Mittagessen ausfallen zu lassen.

  Während der Nachmittag voranschreitet, wird Octavia immer unleidlicher, weil ihre gehässigen Kommentare über meine »füllige Figur« keinerlei Reaktion hervorrufen. Sie ändert ihre Taktik und zieht über die »abscheulich grelle Farbe« meines Haars her, um mich zu provozieren. Der Ausdruck auf ihrem Gesicht, als ich mich unbekümmert bereit erkläre, es vor der Beerdigung zu einem diskreteren Braunton umzufärben, ist wirklich unbezahlbar.

  Teddybär, heute bist du mein Held.

  Dicht gefolgt von Chloe .

  Als wir für diesen Tag endlich entlassen werden, ist es schon fast sechzehn Uhr. Die Auswirkungen des mit Zaubermittel gefüllten Gummibärchens lassen langsam nach. Chloe hakt sich bei mir unter, als wir aus dem Salon eilen, und grinst wissend.

  »Wie lautet das Urteil?«

  »Oh Käpt’n, mein Käpt’n! Ich werde nie wieder an dir zweifeln.«

  »Es war mir eine Freude.« Sie lacht. »Können wir uns jetzt bitte etwas zu essen besorgen? Ich verhungere.«

  »Ich glaube, ich habe eine Idee …«

  Zehn Minuten später befinden wir uns im Heimkino des Lockwood-Anwesens, wo wir auf einem ledernen Fernsehsessel für zwei liegen und voller Ehrfurcht auf den Fernseher im Kinoformat starren. Er ist in den Galaxismodus geschaltet, was bedeutet, dass ein Meer aus Planeten und Sternbildern langsam und farbenfroh über den Bildschirm treibt. Wir haben das Licht gedimmt, wodurch es beinahe so aussieht, als würden wir im Weltraum zwischen den Sternen schweben.

  »Oh mein Gott, diese Kekse sind so gut «, stöhnt Chloe und beißt in einen weiteren. »Wo hast du die noch mal her?«

  »Von Patricia. Sie arbeitet in der Küche. Sie kann bestens mit einem Standmixer umgehen.«

  »Wie ist es möglich, dass du seit gerade mal fünf Minuten in dieser Familie bist und dich das Personal bereits besser behandelt als mich? Ich lebe schon seit zwanzig Jahren als Stieftochter des Herzogs von Hightower und habe nicht ein einziges Mal selbst gebackene Kekse in meine Suite geliefert bekommen.«

  »Als würdest du regelmäßig Kekse essen.« Die Vorstellung entlockt mir ein Schnauben. Soweit ich es beurteilen kann, besteht Chloes Ernährung zu gleichen Teilen aus Tabletten und Alkohol, und hin und wieder isst sie einen Salat, damit sie ihrem Körper wenigstens ein Minimum an Nährstoffen zuführt.

  Sie grinst. »Touché.«

  »Hey, kann ich dir mal eine ganz willkürliche Frage stellen?«

  »Willkürliche Fragen sind zufälligerweise meine Lieblingsfragen.«

  »Erinnerst du dich an dein Leben, bevor Octavia Linus geheiratet hat?«

  »Nicht wirklich. Ich war damals erst vier Jahre alt.« Sie seufzt und denkt an die Zeit zurück. »Carter erinnert sich an mehr als ich – vermutlich zu seinem Nachteil. Er war bei ihrer Hochzeit etwa acht.«

  »Warum zu seinem Nachteil?«

  »Sagen wir einfach, dass es einen Grund dafür gibt, dass Carter nicht an die Ehe oder langfristige Beziehungen glaubt. In einem Haus mit zwei Eltern aufzuwachsen, die sich hassen, weckt in einem nicht gerade den Glauben an Monogamie als brauchbaren Lebensweg.«

  »Wie war dein Dad so? Dein biologischer Dad?«

  »Soll ich ehrlich sein? Nach dem, was ich mir zusammengereimt habe, war er ein ziemlicher Idiot. Er verspielte den Großteil seines Treuhandfonds, man entzog ihm seinen Titel, und irgendwann knallte er eines Nachts auf dem Heimweg vom Casino betrunken mit seinem Auto gegen einen Baum. Octavia blieb mit zwei kleinen Kindern zurück, die sie allein großziehen musste, und hatte keinerlei Möglichkeit, die Familie zu versorgen.«

  »Und doch hat sie es irgendwie geschafft, sich einen Prinzen zu angeln.«

  »Eins muss ich meiner Mutter lassen: Sie akzeptiert kein Nein als Antwort. Niemals. Bevor sie in die Thorne-Familie einheiratete, war sie ein Niemand. Die uneheliche Tochter einer Stripperin, die einen verheirateten Lord verführte, weil sie dachte, dass sie sich auf diese Weise sein Vermögen unter den Nagel reißen könnte. Stattdessen bekam sie Octavia – die, seien wir mal ehrlich, sogar als Baby eher eine Strafe als ein Segen gewesen sein muss.«

  »Octavia war unehelich? Nie im Leben.«

  »Doch, das ist die Wahrheit. Warum sonst sollte sie dich wohl so verabscheuen?« Chloe zieht eine Augenbraue hoch. »Sie sieht sich selbst in dir.«

  »Ähm, autsch . Bitte beleidige mich nicht so.«

  »Nein, nein. Ich vergleiche nicht eure Persönlichkeiten. Ich meine nur … dass du alles darstellst, was sie hinter sich lassen wollte. Sie schaut dich an und sieht ein Leben, das sie lieber vergessen würde. Sie hat ihr ganzes Leben lang gekämpft, um sich von einer unehelichen Tochter von niederer Abstammung zur Ehefrau eines Lords, dann zur Witwe und schließlich zur Herzogin hochzuarbeiten … Und jetzt ist sie im Grunde genommen die mächtigste Frau des Landes. Die zukünftige Königsgemahlin.«

  »Wow.«

  Mir schwirrt der Kopf. Die Vorstellung, dass Octavia und ich etwas gemeinsam haben, ist seltsam. Noch seltsamer ist es, sie mir in meinem Alter vorzustellen – jung, verletzlich, verzweifelt. Irgendwie bin ich immer davon ausgegangen, dass sie schon mit diesem kalten, berechnenden Lächeln im Gesicht auf die Welt gekommen ist.

  »War Linus ein guter Stiefvater?«, frage ich. Ich bin mir nicht mal sicher, wo die Frage herkommt, aber plötzlich … ist sie einfach da und hängt in der Luft.

  Chloes Stimme wird nachdenklich. »Das war er tatsächlich – wenn auch ein wenig abwesend. Als wir klein waren, war er viel auf Reisen, vor allem nach der Krönung seines Bruders. König Leopold hielt große Stücke auf ihn als Ratgeber. Ich erinnere mich, dass wir immer sehr lange am Stück ohne ihn in Hightower lebten. Aber wenn er zurückkam, brachte er immer Geschenke und Geschichten von seinen Reisen ins Ausland mit.« Ihr wehmütiger Tonfall verebbt. »Natürlich verbrachten Carter und ich den Großteil unserer Teenagerzeit auf unterschiedlichen Internaten in der Schweiz, also sahen wir von Caerleon nicht viel außer an Weihnachten und ein paar Wochen im Sommer während der Ferien.«

  »Das klingt …«

  »Glamourös?«

  »Ich wollte einsam sagen.«

  Sie tunkt eine Seite ihres Kekses in ein Glas Milch. »Willkommen im Leben als Lancaster. Ich glaube, ›einsam‹ steht auf dem königlichen Wappen.«

  »Eigentlich bin ich mir ziemlich sicher, dass da ein doppelköpfiger Löwe drauf ist …«

  »Halt den Mund.«

  Ich grinse in der Dunkelheit. Wir schweigen eine Weile und betrachten einfach die vorbeiziehenden Sterne.

  »Weißt du«, murmle ich. »So ätzend diese Woche auch gewesen ist … Ich bin froh, dass wenigstens etwas Gutes dabei herumgekommen ist.«

  »Du redest von dem riesigen Diadem, das sie dir bei deiner Krönungszeremonie aufsetzen werden, oder? Die untere Reihe Diamanten an dem Ding würde ausreichen, um ein Entwicklungsland ein ganzes Jahr lang über Wasser zu halten. Das sind ein paar ordentliche Klunker.«

  Ich werfe ihr einen Blick zu. »Eigentlich habe ich von dir geredet. Ich habe nie viele Freundinnen gehabt. Das ist eine nette Abwechslung. «

  »Igitt. Ich hoffe, dass du jetzt nicht klammerst, E. Ich habe Bindungsängste.«

  »Finde dich damit ab, C . Und denk ja nicht, dass mir dein Kommentar über meine Krönung entgangen ist.« Ich verdrehe die Augen. »Dir ist schon klar, dass eine neunundneunzigprozentige Chance besteht, dass ich all das hier in ein paar Wochen hinter mir lassen werde, oder?«

  »Nein.« Sie knallt ihr Milchglas mit Schwung auf den Tisch. »Ich weigere mich, das zu akzeptieren. Du kannst nicht abdanken. Wenn du es tust … wird der Thron an irgendeinen entfernten Cousin von der anderen Seite des Familienstammbaums gehen, den niemand so richtig kennt oder mag.«

  »Wie entfernt?«

  »So entfernt wie …« Sie kneift die Augen zusammen und überlegt. »Der Sohn
der Tochter des jüngeren Bruders deines Großvaters. Zweifellos ein schielender Schurke mittleren Alters.«

  »Hmm. Und woher genau willst du wissen, dass dieser entfernte Cousin nicht einen besseren Herrscher abgeben wird als ich?«

  »Das weiß ich nicht.« Sie zuckt mit den Schultern. »Aber ich kann zumindest mit einiger Gewissheit sagen, dass du keine komplette Idiotin bist. Gott allein weiß, was für ein Volltrottel da aus der Versenkung gekrochen kommen könnte.«

  »Wie süß.«

  Sie lacht melodisch.

  Plötzlich kommt mir ein Gedanke. »Wird der gefürchtete Cousin am Sonntag auf der Beerdigung sein? Falls ja, wirst du eine Gelegenheit haben, ›mit einiger Gewissheit‹ zu entscheiden, wer auf dem Thron weniger Schaden anrichten würde.«

  »Vermutlich.« Sie ächzt angesichts der Vorstellung. »Eine Menge Leute werden dort sein, um den Verstorbenen in ihrem besten Beerdigungsstaat die letzte Ehre zu erweisen. Das dürfte eine ganz schön scheußliche Veranstaltung werden.«

  »Bei dir klingt das wie eine schlechte Cocktailparty und nicht wie eine Trauerfeier.«

  »Beerdigungen sind nicht für die Toten, sondern für die Lebenden. Und im Fall einer königlichen Beisetzung geht es mehr um das Spektakel als um alles andere. Tage voller Glanz und Gloria, Würdenträger, die von überall auf der Welt angereist kommen … Es ist ein einziger Medienzirkus. Ehrlich gesagt würde ich meiner Tante und meinem Onkel lieber im Stillen gedenken und nicht in aller Öffentlichkeit, nur damit die ganze Welt dabei zusehen kann.«

  »Das verstehe ich. Als meine Mom starb … wollte ich meine Trauer mit niemandem teilen. Ich behielt es monatelang für mich. Ich bin mir nicht sicher, warum ich das tat. Ich weiß nur, dass ich … das Gefühl hatte, dass ich irgendwie ein Stück von ihr weggab, wenn ich mit anderen Leuten über sie reden würde. Ergibt das Sinn?«

  Chloe schaut mich an. »Vielleicht spricht da das Gummibärchen aus mir, aber ja. Das ergibt total Sinn.«

 

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