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Silver Crown - Forbidden Royals (German Edition)

Page 18

by Johnson, Julie


  … zwanzig Jahre alt …

  … Studentin an der Vasgaard-Universität …

  … prestigeträchtiges Praktikum für Klinische Psychologie …

  … Mutter, Nina Lennox, verstorben …

  … Komplikationen nach einer Lungenentzündung …

  Ich bin dankbar, dass die Sterlings nicht hier sind, um Zeugen dieser Demütigung zu werden. Noch dankbarer bin ich dafür, dass Simms meine Profile in den sozialen Medien bereits vom Angesicht der Erde getilgt hat. Nicht dass ich je besonders viel gepostet hätte, aber je weniger Fotos und Erinnerungen diese Geier finden können, um sie in ihren morgendlichen Talkshows auseinanderzunehmen, desto besser.

  »So schlimm ist es gar nicht«, meint Chloe und stößt mit ihrer Schulter gegen meine, während ein scheußlicher Schnappschuss von mir mit krausen Haaren und Zahnspange auf dem Bildschirm auftaucht. Das ist mein Schulfoto aus der Mittelstufe, wenn ich mich recht entsinne.

  Ich werfe ihr einen skeptischen Blick zu. »Ich dachte, du würdest mir immer die Wahrheit sagen.«

  Sie seufzt. »Hör zu … Irgendwann wäre es ohnehin rausgekommen, oder?«

  »Nein! Wäre es nicht . Nicht wenn ich es nicht gewollt hätte.« Ich lasse den Kopf mit einem Ächzen in meine Hände sinken. »Das sollte meine Entscheidung sein.«

  »Das ist es immer noch«, beharrt sie.

  »Nein, das ist es nicht! Jetzt darf die ganze Welt mitreden.«

  »Zum Teufel mit der Welt.«

  Ich schaue ruckartig auf, als ich Carters Stimme vernehme. Er sieht mich konzentriert an und hat die Augenbrauen zusammengezogen .

  »Was?«, keuche ich.

  »Zum Teufel mit der Welt«, wiederholt er. »Die Leute können dich nicht zu jemandem machen, der du nicht sein willst, Emilia. Wenn du das nicht willst … kann dich niemand dazu zwingen. Weder die Presse noch Linus und noch nicht einmal dein blöder Geliebter.«

  »Er ist nicht mein Geliebter. Er ist nicht mal mein Freund. Nicht mehr.« Meine Stimme bricht kläglich – ein winziges Anzeichen für den Verrat, der mich innerlich so sehr zerrissen hat, dass ich nicht weiß, wie diese Verletzung je wieder heilen soll. »Aber … trotzdem danke. Dafür dass du das gesagt hast.«

  Er nickt ernst.

  Ich schaue wieder auf den Fernseher, auf dem zahlreiche Videoclips und Bilder in einer Endlosschleife über den Bildschirm laufen. Die Nachrichtensprecherin friert das Bild, das mich in Panik erstarrt auf den Stufen von Wyndsor Abbey zeigt, voller Schadenfreude ein und zoomt dann näher heran, bis die Angst in meinen Augen so sehr vergrößert ist, dass sie den ganzen Bildschirm ausfüllt. Ich will den Blick abwenden, kann es aber nicht.

  »Die königliche Familie hat noch keine offizielle Stellungnahme herausgegeben, aber es heißt, dass sich der Pressesprecher des Palasts, Gerald Simms, noch vor Ende des Tages zu der Situation äußern wird …« Die Nachrichtensprecherin ordnet die Blätter auf ihrem Schreibtisch. »Nun schalten wir zu unserer Korrespondentin vor Ort, Sara Wertz, die vor dem Haus steht, in dem die Prinzessin aufgewachsen ist …«

  Ich beiße mir auf die Unterlippe, als ich sehe, wie das Bild zu einer Liveübertragung mit meinem Haus im Hintergrund wechselt. Seine abgeblätterte Farbe und schiefen Fensterläden geben einen ziemlich tristen Anblick ab. Um das Grundstück herum sind mehrere Mitglieder der Königsgarde … postiert, di cht gedrängt mit etwa hundert Vertretern der Presse, die alle ganz wild auf eine Sensationsnachricht sind.

  Es ist ein furchtbares Bild.

  Mein Herz stockt kurz, als ich das vertraute Gesicht meiner Nachbarin sehe und ihr jemand ein Mikrofon vor den Mund hält.

  »Ma’am, könnten Sie uns ein paar Fragen zu der Prinzessin beantworten? Stimmt es, dass sie direkt hier gegenüber aufgewachsen ist?«

  Bevor ich hören kann, ob mich die süße alte Mrs Carmichael an die Presse verkaufen wird oder nicht, marschiert Carter wütend auf den Fernseher zu und schaltet ihn mit so viel Nachdruck aus, dass ich überrascht bin, dass er nicht zu Boden kracht.

  In der schweren Stille, die darauf folgt, brennen sich meine Augen in den nun schwarzen Bildschirm, auf dem ich, wenn ich die Augen zusammenkneife, den Umriss der fremden Frau ausmachen kann, die mich daraus anstarrt. Die mit dem dunkelbraunen Haar und dem verlorenen Mut.

  Die Seitentür öffnet sich mit einem leisen Knarren. Simms tritt ein. Seine Miene ist ernst.

  »Eure Hoheit«, murmelt er, und zum ersten Mal mache ich mir nicht die Mühe, ihn zu korrigieren. »Der König verlangt nach Ihnen.«

  Linus sieht mich eine scheinbar endlose Weile lang einfach nur an, die Hände auf dem riesigen Schreibtisch vor sich aneinandergelegt. Ich versuche, mich nicht einschüchtern zu lassen, hebe das Kinn und halte seinem Blick stand.

  »Der heutige Tag verlief nicht wie geplant«, sagt er schließlich.

  »Nein«, stimme ich zu. »Tut mir leid. Die Beerdigung … «

  »Was passiert ist, war nicht deine Schuld. Trotzdem müssen gewisse Dinge in ein richtiges Licht gerückt werden. Deswegen werden wir morgen früh eine Pressekonferenz abhalten und dich offiziell als meine Erbin vorstellen. Ich hätte dich gern an meiner Seite, wenn wir die Neuigkeit verkünden. Um Stärke zu demonstrieren.«

  Er wartet auf meine Erwiderung.

  Ich gebe ihm keine.

  »Nun, da die Beerdigung hinter uns liegt, werden wir ins Schloss umziehen, um den Beginn meiner Regentschaft offiziell zu machen.« Er hält wieder inne. »Der Ostflügel ist traditionellerweise dem designierten Erben vorbehalten, aber momentan steht er wegen des Brandschadens natürlich nicht zur Verfügung. Bis auf Weiteres wirst du eine Suite im Nordflügel bewohnen, zusammen mit Chloe und Carter.«

  Ich verkneife mir einen Kommentar.

  »Irgendwann wird der Palast wieder in seiner alten Pracht erstrahlen. Aber wir wollen mit den Renovierungsarbeiten nicht zu überstürzt ans Werk gehen. Nicht solange Henry immer noch …« Er verstummt.

  Ich spanne den Kiefer fester an.

  Die Stille wird so erdrückend, dass ich fast daran ersticke.

  »Emilia.« Er seufzt, als fände er mich furchtbar ermüdend. »Ich weiß, dass du gehofft hattest, all dem noch eine Weile aus dem Weg zu gehen, aber wir müssen uns den Tatsachen stellen. Die Situation hat sich geändert. Du hast in dieser Angelegenheit keine freie Wahl mehr. Du bist die Kronprinzessin von Caerleon. Es ist dein Geburtsrecht und deine Verantwortung. Und morgen wird die ganze Welt Zeuge sein, wie du beides endlich annimmst.«

  Ich räuspere mich, um sicherzustellen, dass ich die Lautstärke meiner Stimme unter Kontrolle habe, bevor ich zu einer Erwiderung ansetze. »Also war alles, was du gesagt hast – alles, was du mir zuvor versprochen hast, dass ich meinen eigenen Weg wählen könnte und so weiter … hohles Geschwätz?«

  Er lehnt sich auf seinem Stuhl zurück. »Es war kein ›Geschwätz‹. Ich habe lediglich versucht, deine Illusion von Freiheit noch ein wenig länger aufrechtzuerhalten. Ich habe dir einen Gefallen getan, wenn du so willst.«

  »Einen Gefallen? «, schnaube ich bitter. »Das soll wohl ein Witz sein.«

  »Ich kann mir nicht den Luxus erlauben, Witze zu machen. Nicht heute.«

  »Wenn das die Art ist, wie du deine Familie behandelst, würde ich nur zu gern wissen, wie du mit deinen Feinden umgehst.«

  »Widersetze dich mir, dann wirst du es vielleicht erfahren«, verspricht er in hartem Tonfall.

  »Wow. Jetzt lässt du dich schon zu belanglosen Drohungen herab? Du bist ganz schön krass.«

  »Das mag sein, aber ich bin auch ein König , der die Last eines ganzen Landes auf seinen Schultern trägt. Ob es dir nun gefällt oder nicht, deine Wünsche sind nicht die einzigen in Caerleon, die mich beschäftigen.« Seine Augen werden zu smaragdfarbenen Eisbrocken. »Und deswegen wirst du morgen an der Pressekonferenz teilnehmen. Du wirst dich würdevoll verhalten. Und du wirst deine Absicht, die Rolle der Kronprinzessin einzunehmen, verbal anerkennen.«

  »Und was passiert, wenn ich es nicht tue?«

  Er wägt seine Worte einen Moment lang sorgfältig ab. »Dann wird dein Haus in Hawthorne auf den freien Markt gehen. Ich könnte mir vorstelle
n, dass es nun, da die Leute wissen, dass ihre Prinzessin dort mal gewohnt hat, schnell einen Käufer finden wird. «

  »Das kannst du nicht tun«, keuche ich. »Du hast die Hypothek bereits bezahlt! Das Haus gehört rechtmäßig mir.«

  »Tut es das?«

  Mir gefriert das Blut in den Adern. »Was?«

  Er lehnt sich über den Tisch zu mir herüber. »Ich hatte so ein Gefühl, dass wir irgendwann im Verlauf dieser Angelegenheit auf ein Problem wie dieses stoßen könnten. Deswegen habe ich der Bank den vollen geschuldeten Betrag nicht in deinem Namen gezahlt … sondern in meinem. Was bedeutet, dass ich nun nach Belieben über einen Großteil deines Grundstücks verfügen kann.«

  »Aber ich habe immer noch die Besitzurkunde«, beharre ich und traue meinen Ohren kaum.

  »Wenn du dich mit dem Thema Eigentumsrecht auseinandersetzt, wirst du herausfinden, dass die Besitzurkunde ab einem gewissen Punkt keine Rolle mehr spielt – normalerweise sobald du deine Hypothekenzahlungen nicht mehr regelmäßig leisten kannst und es außerdem versäumst, deine Grundsteuer zu zahlen.« Seine Miene wird ein wenig sanfter. »Im Grunde genommen habe ich die komplette finanzielle Verantwortung für dein Haus übernommen, Emilia. Es gehört mir. Und wenn du dich entscheiden solltest, deiner Pflicht den Rücken zuzukehren … wirst du keinen Ort mehr haben, an den du gehen kannst.«

  Ich erstarre und spüre, wie sich der Riss des Verrats in meinem Inneren weiter öffnet. Zuerst Owen und jetzt Linus.

  Wie viel Verrat kann ein Herz an einem einzigen Tag verkraften?

  Ich war so naiv, meinem Vater die Kontrolle über die einzige Sache zu geben, die mir wichtig ist, weil ich dachte, dass er zu seinem Wort stehen würde. Dass er mein Haus absichern würde .

  Stattdessen benutzt er es, um mich in der Hand zu haben.

  Was für eine Idiotin ich war, diesem Mann zu vertrauen. Auf das Märchen hereinzufallen, obwohl alles in mir mich gewarnt hat, das Gegenteil zu tun.

  Hast du es vergessen? Das war der Grund, warum Mom ihn hasste.

  Tief im Inneren dachte ich, dass in Linus’ Seele immer noch ein Hauch von väterlicher Loyalität schlummern könnte. Nun muss ich erkennen, dass das ein großer Fehler war. Ich bin ihm vollkommen gleichgültig. Alle sind ihm vollkommen gleichgütig. Ihn kümmern nur sein eigenes Wohl, seine Krone und sein Erbe.

  Ironischerweise höre ich in diesem Augenblick ausgerechnet Octavias Worte.

  Die einzige Person, die Linus Lancaster am Herzen liegt, ist Linus Lancaster. Du wirst schon noch selbst herausfinden, wie wenig du ihm bedeutest, sobald eure Interessen nicht mehr übereinstimmen.

  Sie hat mich gewarnt, dass das passieren würde, aber ich war entweder zu dumm oder zu stur, um auf sie zu hören. Und während ich nun hier im Büro meines Vaters sitze und spüre, wie meine sorgfältigen Pläne in ihre Einzelteile zerfallen, breche ich beinahe in Gelächter aus, weil ich in diesem Spiel, das wir alle spielen, so trickreich überlistet wurde.

  Es ist fast absurd: Nach dem heutigen Tag denkt die ganze Welt, dass ich eine Adlige bin.

  Aber ich bin keine Prinzessin.

  Ich bin eine Schachfigur.

  15. KAPITEL

  Ich lande wieder genau dort, wo ich vor ein paar Tagen angefangen habe – ich sitze im Dunkeln auf einer kalten Steinbank in einem vergessenen Garten. Meine Augen sind feucht. Mein Herz ist leer.

  Wenigstens regnet es diesmal nicht.

  Ich bin im Verlauf einer Woche wieder am Anfang angekommen.

  Gott, ist es wirklich nur eine Woche her?

  Alles hat sich rasend schnell verändert, von meinen Zukunftsaussichten bis hin zu meiner Haarfarbe. Es fällt mir schwer zu glauben, dass ich vor zehn Tagen noch eine normale junge Frau auf dem Weg zum Unterricht war. Meine größten Sorgen bestanden aus Halbjahresnoten und der Frage, ob der süße Typ in meiner Pharmakologievorlesung mit mir flirtete oder einfach nur freundlich war, als er fragte, ob wir nach der Stunde zusammen unsere Notizen durchgehen sollten.

  Ich hatte einen besten Freund. Ich hatte ein Zuhause. Ich hatte einen Karriereplan.

  Und nun … habe ich niemanden.

  Nichts.

  Nur einen Titel, den ich nicht haben will, und einen bodenlosen Abgrund aus Angst, der in mir wirbelt wie ein schwarzes Loch .

  Die Tränen laufen schneller, obwohl ich den Kopf nach hinten beuge, um zu den Sternen hinaufzublicken. Halbherzig suche ich nach ein paar Sternbildern, während ich in meinem hübschen schwarzen Kleid zittere und bebe.

  Zehn Minuten vergehen.

  Ich warte.

  Zwanzig.

  Ich warte.

  Dreißig.

  Vierzig.

  Fünfzig.

  Ich warte.

  Ich warte.

  Ich warte.

  Weil ich denke … dass ein Teil von mir weiß, dass er kommen wird, noch bevor er die bewusste Entscheidung trifft, das Herrenhaus zu verlassen, und lange bevor ich seine Stimme hinter mir in der Dunkelheit höre.

  »Wie ich sehe, bist du zu deinem ursprünglichen Plan zurückgekehrt.«

  Carter.

  Meine Kehle verkrampft sich. Ich drehe mich nicht herum, um ihn anzuschauen. Ich kann nicht. Noch nicht. Nicht solange mein Gesicht tränenverschmiert ist.

  Kies knirscht, als er hinter mir näher kommt. Eine Sekunde später umhüllt warmer Stoff meine Schultern – sein Jackett legt sich um mich wie eine Decke. Ich umklammere die Revers, als seine Lippen mein Ohr streifen.

  »Ich dachte, wir hätten uns bereits darauf geeinigt, dass der Kältetod keine gute Methode ist, um das Leben als Prinzessin zu vermeiden«, murmelt er.

  Ich versuche, Worte zu finden, aber meine Kehle ist von Tränen und Trauer und noch etwas anderem verstopft. Etwas, von dem ich noch nicht bereit bin, es beim Namen zu nennen.

  Carter setzt sich neben mich auf die Bank. Er ist mir so nah, dass ich die Wärme spüre, die von seinem Körper ausgeht. Ich lasse die Arme in die Ärmel seines Jacketts gleiten und versuche, nicht zu registrieren, wie viel besser ich mich fühle, nur weil er in meiner Nähe ist.

  »Bist du in Ordnung?«

  »Nein«, krächze ich. »Nein, das bin ich ganz und gar nicht.«

  »Gibt es etwas …« Er atmet geräuschvoll aus, als wäre er nicht sicher, wie er das, was er sagen will, am besten zum Ausdruck bringen soll. »Kann ich irgendetwas tun, um es für dich besser zu machen?«

  »Hast du zufällig eine Zeitmaschine?«

  »Ich fürchte nicht.«

  »Eine Tarnkappe?«

  Er schüttelt den Kopf.

  »Dann, Carter, bin ich wohl auf mich allein gestellt.«

  Er legt die Hände um die Kante der Steinbank. Er bebt förmlich vor Wut und Frustration.

  »Eigentlich ist es sogar ziemlich lustig«, sage ich mit einer hohlen Stimme, die ganz und gar nicht lustig klingt. »Ich bin Psychologiestudentin. Ich studiere menschliches Verhalten. Ich lese all diese Bücher über unsere Fähigkeit zur Manipulation und Bosheit. Ich lese Abhandlungen über jede Abscheulichkeit, die wir als Spezies im Verlauf von Tausenden von Jahren gegeneinander begangen haben. Wie wir uns tatsächlich dazu entwickelt haben, grausam und selbstsüchtig anstatt ehrlich und aufrichtig zu sein.« Ich atme flach ein. »All dieses Wissen steht mir zur Verfügung … und trotzdem bin ich vollkommen überrumpelt, wenn es mir passiert.«

  »Emilia …« Mein Name bleibt ihm im Hals stecken .

  »Warum hat er das getan?«, frage ich, während eine weitere Träne über meine Wange läuft. »Er ist mein bester Freund. Ich würde alles tun, um ihn zu beschützen – ich würde ihn sogar aus meinem Leben ausschließen, wenn ich ihn am dringendsten brauche. Aber er … er hat beschlossen, mich ausgerechnet auf die Weise zu verletzen, von der er wusste, dass er damit den größten Schaden anrichten würde. Wie konnte er mir das antun? « Ich habe das Gefühl, als hätte man mir das Herz direkt aus der Brust gerissen und ein klaffendes Loch zurückgelassen. »Und Linus … Linus …«

  Ich bin nicht mal ansatzweise in der Lage, die Worte auszusprechen.

  »Emilia, bitte schau mich an.«

  Ich schüttle den Kopf, weine im
mer noch und benutze seinen Ärmel, um mir die Tränen von den Wangen zu wischen. »Du solltest gehen. Lass … Lass mich einfach allein.«

  »Nein.«

  »Ich bin momentan keine gute Gesellschaft, Carter.«

  »Das ist mir egal. Ich bin niemals gute Gesellschaft. Aber wir alle brauchen manchmal jemanden. Jemanden zum Anlehnen.« Er atmet schwer, und ich kann hören, wie sich seine Brust hebt und senkt, während er mir beim Weinen zusieht. »Wenn du heute Abend jemanden zum Anlehnen brauchst … ich bin hier.«

  Ich schluchze so heftig, dass mir der Atem stockt.

  Nun flüstert er, sodass ich ihn kaum noch hören kann. »Ich bin hier, Orchidee.«

  Das »Orchidee« gibt mir den Rest. Ich drehe den Kopf in seine Richtung, und unsere Augen treffen innerhalb eines Herzschlags aufeinander. Und an jedem anderen Abend würde ich versuchen, dagegen anzukämpfen – gegen diese magnetische Anziehung, die ich verspüre, wann immer ich in seiner Nähe bin. Aber ich habe einfach keinen Kampfgeist mehr in mir.

  Ich blicke in sein schönes Gesicht und sehe diesen herzzerreißenden Widerspruch aus Zärtlichkeit und Angst, die sich auf seinen umwerfenden Zügen spiegelt. Ich kann einfach nicht anders, als mich nach vorn gegen seine Brust sinken zu lassen.

  Er legt die Arme um mich und drückt mich an sich. Es ist ganz anders als unsere letzte Umarmung – es gibt keine Unsicherheit, kein Zögern. Diese Umarmung ist ungestüm und voller Verlangen. Das Verlangen, jemanden zu berühren und mich an einen Mann zu klammern, der mir Halt und Sicherheit gibt. Zumindest für den Moment.

  Ich presse meine feuchten Augen gegen seinen Hals und höre, wie er angespannt einatmet. Ich schlinge die Hände um seine breiten Schultern und lasse sie dann nach oben gleiten, um sie in seinem Nacken zu verschränken und mich ganz fest an ihn zu drücken – Brust an Brust, Herz an Herz. Und es ist total verrückt … aber nun, da unsere Pulsschläge den gleichen Takt haben, denke ich, dass Carter tatsächlich stark genug sein könnte, um die Last der dunklen Verzweiflung in meinem Inneren zu tragen. Und sei es nur für ein paar Minuten.

 

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