Silver Crown - Forbidden Royals (German Edition)

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Silver Crown - Forbidden Royals (German Edition) Page 19

by Johnson, Julie


  Halt mich fest.

  Halt mich zusammen.

  Halt mich, bis dieser Albtraum vorbei ist.

  Halt mich, als würdest du mich nie wieder loslassen.

  Wir verharren in dieser Position, bis meine Tränen versiegen und sich meine schluchzenden Atemzüge ein wenig beruhigt haben. Zum ersten Mal seit Stunden fühle ich mich angenehm taub. Ich hebe den Kopf, um ihn anzuschauen.

  Unsere Gesichter richten sich in der Dunkelheit perfekt aufeinander aus. Ich umklammere seinen Nacken an der Stelle, an der sich sein Haar im Genick leicht kräuselt. Tief in seiner Kehle erklingt ein rauer Laut. Ich bin mir nicht sicher, ob er mich damit warnen oder mich auffordern will, näher zu kommen. Seine blauen Augen brennen so heiß, dass Flammen der Lust über meine Haut tanzen, als ich mich vorsichtig Zentimeter für Zentimeter vorbeuge. Und bevor ich es mir anders überlegen kann …

  Streife ich seine Lippen mit meinen.

  Es soll eine keusche Geste sein. Ein einfaches Dankeschön. Zumindest rede ich mir das ein. Aber diese kleine Berührung verwandelt sich in etwas anderes – etwas, das schon sehr bald außer Kontrolle gerät.

  Carter hebt die Hände, um mein vom Weinen verquollenes Gesicht zu umfassen. Ich bohre die Fingerspitzen fester in seinen Nacken. Und ganz plötzlich, ganz ohne Vorwarnung, küsst er mich.

  Oder vielleicht küsse ich ihn.

  Ich bin mir nicht sicher, wer den ersten Schritt macht.

  Ich bin mir nicht sicher, ob das eine Rolle spielt.

  Das Einzige, was ich mit Sicherheit weiß, ist die Tatsache, dass es nun, da es passiert, kein Zurück mehr gibt. Egal, ob es falsch ist. Verboten. Verurteilt. Egal, dass es niemals hätte passieren dürfen.

  Eine flüchtige Berührung. Ein Funke.

  Ein Kuss. Eine Feuersbrunst.

  Wir sind ein Inferno. Eine lodernde, unkontrollierbare Flamme. Mit einem hungrigen Stöhnen schiebt er seine Zunge in meinen Mund – neckt mich, kostet mich, verschlingt mich –, und ich kann den verzückten Laut, der sich meiner Kehle entringt, nicht unterdrücken.

  Ja.

  Gott, ja .

  Mir war nicht klar, wie sehr ich mich nach seiner Berührung gesehnt hatte, bis ich seine großen Hände auf meiner Haut spürte. Wie sehr ich das hier wollte – seinen festen Griff in meinem Haar, seine Zähne, mit denen er an meiner Unterlippe knabbert, seinen harten Körper, den er hitzig an meinen presst.

  Oder vielleicht war es mir doch klar, und ich wollte es mir nur nicht eingestehen. Nicht mal mir selbst gegenüber. Das gestattete ich mir nur in den dunkelsten Winkeln meines Geistes, wann immer ich die Erinnerungen an unsere erste Begegnung noch einmal abspulte. Schon damals, als wir noch zwei Fremde auf dem Rücksitz eines SUV waren und uns weder unsere Namen noch unsere Zukunftsaussichten oder unsere Familien zurückhielten, spürte ich diesen Funken.

  Der Kuss wird schnell verzweifelt und hungrig. Wir klammern uns ganz fest aneinander und lassen uns von den unkontrollierbaren Gefühlen mitreißen, bis es kein Zurück mehr gibt. Er lässt die Hände an meinem Körper entlang nach unten gleiten, erkundet die Wölbung meiner Taille und sucht nach jedem entblößten Stück Haut, das er liebkosen kann. Ich versuche mich auf seinen Schoß zu manövrieren, aber mein verdammtes Kleid ist so eng, dass ich mich darin unmöglich rittlings auf ihn setzen kann. Carter greift ungeduldig nach unten zum seitlichen Schlitz des Rockteils und reißt ihn schlagartig bis zum Oberschenkel auf. Ich mache große Augen, als ich den Stoff reißen höre, während er das Gleiche auf der anderen Seite macht.

  Eine Sekunde später ist mir egal, dass mein Kleid nur noch aus Fetzen besteht, weil er mich auf seinen Schoß zieht. Meine Knie prallen links und recht neben seinen Oberschenkeln auf die Steinbank, während ich mich fest auf ihn presse. Ein Schub aus reiner, unverfälschter Lust rauscht durch meinen gesamten Körper, als ich den Beweis für das Verlangen spüre, das er für mich empfindet – ich fühle es selbst durch den Stoff seiner Hose.

  »Gott, Emilia«, stöhnt er an meinem Hals und packt mich so fest, dass es fast wehtut. Ich umklammere ihn ebenso fest und genieße seine Berührung. Ich muss irgendetwas anderes als Kummer und Traurigkeit und Herzschmerz spüren. Doch obwohl er mich festhält, gerate ich ins Taumeln und verliere die Kontrolle. Ich kann fühlen, wie es passiert, und ich habe nicht die Macht, es zu verhindern.

  Ein Ruf in einer stillen Menge.

  Ein Meer von Kamerablitzlichtern.

  Ein grausames Messer in den Rücken.

  Ich küsse ihn heftiger und hoffe, dass ich dadurch die Erinnerungen, die ich nicht haben, und die Emotionen, die ich nicht empfinden will, vertreiben kann. Er muss mich festhalten, bis meine Welt wieder Sinn ergibt. Er muss mich berühren, bis ich alles, was seit meiner Ankunft an diesem gottverlassenen Ort passiert ist, vergesse.

  Octavia.

  Linus.

  Owen.

  Er streift mit seinen Lippen an meinem Hals entlang, küsst mich, beißt mich und neckt mich auf diese Weise mit seinem Mund. Ich genieße den groben Druck seiner Finger an meinem Rücken, während unsere Lippen wieder aufeinandertreffen. Ein verkorkster Teil von mir hofft, dass er Spuren auf meiner Haut hinterlässt, damit ich morgen, wenn ich aufwache, Beweise dafür habe, dass das hier kein Traum war.

  In meinem Kopf weiß ich, dass es krank und gestört und falsch ist, mit Carter zusammen zu sein. Aber als er mich rückwärts auf die Steinbank sinken lässt, ist er irgendwie das Einzige in meinem schrecklichen Leben, das sich absolut und vollkommen richtig anfühlt. Mein Körper ist eine brennende Zündschnur und jedes meiner Nervenenden knistert, als er sich mit seinem ganzen Gewicht auf mich sinken lässt.

  Ich brauche ihn.

  Ich brauche das hier.

  Ich muss das Gefühl haben, dass mich meine eigene, von mir getroffene Wahl beherrscht und nicht der Plan einer anderen Person.

  In der Unterwerfung liegt eine gewisse Schönheit. Zumindest in der Art, der mich Carter langsam unterzieht, indem er mich mit seiner Zunge und seinen Händen erobert. Ich verliere unter ihm die Kontrolle und verwandele mich in etwas, das ich kaum wiedererkenne.

  Vielleicht werde ich in seinen Armen verblassen, wenn er mich nur lange genug berührt.

  Komplett aufhören zu existieren.

  Nur noch eine Erinnerung an eine Frau auf einer kalten Steinbank sein.

  Ich bäume mich auf, um ihm entgegenzukommen, und verliere mich vollkommen in seiner Berührung. Er starrt auf mich herunter, und ich sehe etwas in seinen Augen aufflackern – hinter der Lust, hinter dem Verlangen. Besorgnis.

  »Emilia«, flüstert er und zieht sich ein wenig zurück.

  Ich versuche, ihn zu packen und meine Lippen wieder auf seine zu pressen, bis die Welt unscharf wird, aber er ist zu stark.

  »Küss mich«, flehe ich. Meine Stimme ist vor Verlangen und Verzweiflung ganz heiser.

  »Aber du weinst.«

  »Das spielt keine Rolle.«

  Er setzt sich auf und zieht mich mit sich hoch. Er drückt meine Oberarme und zieht dabei die Augenbrauen zusammen. » Was meinst du damit, dass das keine Rolle spielt? Natürlich spielt es eine Rolle.«

  »Nein. Das tut es wirklich nicht.« Ich versuche erneut, ihn zu küssen, aber er hält mich auf Abstand. Das macht mich wütend. »Herrgott, Carter, kapierst du es denn nicht? Nichts, was ich tue, ändert auch nur das Geringste am Ausgang dieses Komplotts. Nichts spielt eine Rolle. Nichts von alldem hier. Weder du noch ich noch irgendetwas, was wir zusammen machen.«

  Er zuckt zurück, als hätte ich ihn geschlagen, aber ich bemerke es kaum. In mir ist ein Damm gebrochen, und alles Düstere in mir wird als große Flutwelle nach draußen gespült.

  »Nichts. Spielt. Eine. Rolle. Weder mein Vater. Noch mein bester Freund. Noch mein Haus. Noch meine Zukunft. Nicht mal meine verdammten Erinnerungen, weil sie mir die auch genommen haben. Schalten Sie heute um siebzehn Uhr Ihren Lokalnachrichtensender ein, um die Emilia-Lancaster-Show zu sehen! Erfahren Sie, wie sie bei ihrem Abschlussball versetzt wurde! Hören Sie, was ihre Nachbarn über ihre tragischen Teenagerjahre zu berichten wissen! Und zur Hauptsendezeit werden wir uns dann ausführlich mit
dem qualvollen Tod ihrer Mutter beschäftigen!«

  Er atmet schwer und starrt mich an, als würde er mich nicht wiedererkennen.

  »Schau mich nicht so an«, sage ich und fühle, wie etwas in mir zerbricht. Eine weitere Bruchstelle entsteht. Eine aus zerstörten Träumen und falschen Vorsätzen.

  »Wie genau schaue ich dich denn an, Emilia?«

  Meine Stimme ist ein zittriges Flüstern. »Als würde ich dir Angst einjagen.«

  »Du jagst mir Angst ein«, murmelt er. »Aber weißt du was? Ich bin immer noch hier. Ich bin direkt hier vor dir. «

  Er will nach mir greifen, aber nun bin ich diejenige, die sich zurückzieht. Ich weiche seinem Griff aus und stehe von der Bank auf. Meine Augen brennen wieder, und plötzlich fühlt sich alles ein wenig so an, als wäre es nicht mehr an seinem gewohnten Platz. So, als hätte mich das schwarze Loch der Trauer in meinem Inneren womöglich aus dem Gleichgewicht gebracht und mir die Orientierung geraubt. Ich befinde mich jetzt in einer neuen Umlaufbahn und stehe kurz davor, mit aller Wucht gegen etwas zu prallen, sodass es dauerhaften Schaden anrichten wird.

  An mir und an ihm.

  Reiß dich zusammen, Emilia … bevor du ein noch viel größeres Chaos anrichtest.

  Kalte Luft weht über meine Haut. Es ist, als würde ich aus einem Traum aufwachen. Die letzten Minuten rauschen durch meinen Verstand, und die scharfkantigen Einzelheiten schneiden in ihn hinein wie Messerklingen. Entsetzen wallt in mir auf, während sich der Nebel der Lust komplett aus meinem Kopf verflüchtigt. Ich taumele rückwärts, so weit weg von ihm, wie es mir möglich ist, ohne die Lichtung zu verlassen, und presse eine Hand auf meinen Mund.

  Was habe ich getan?

  Was haben wir getan?

  »Tut mir leid. Ich hätte nicht … Tut mir leid «, flüstere ich und starre in sein Gesicht. Dort sehe ich schmerzliche Verletzlichkeit, die einen krassen Gegensatz zu seinem typischen gefühllosen Grinsen darstellt. Der Anblick zwingt mich fast in die Knie. Ich will zu ihm gehen, sein Gesicht in meine Hände nehmen und ihn küssen, bis ich mich wieder vollkommen verlieren kann.

  Aber das tue ich nicht.

  Ich kann nicht .

  »Das …« Stockend zwinge ich mich dazu, die Worte auszusprechen – Worte, die sich so unglaublich falsch anfühlen. »Das war ein Fehler.«

  Er steht auf und kommt mit blitzenden Augen auf mich zu. »Emilia …«

  »Nein, Carter.« Ich schüttle den Kopf. »Das dürfen wir nicht.«

  Er hält abrupt inne und knurrt mit angespanntem Kiefer: »Aber wir haben es doch schon getan.«

  »Und das war ein Fehler! Wir sollten … wir sollten einfach … vergessen, dass es je passiert ist.«

  Seine Miene wird sofort ausdruckslos und verwandelt sich in die gleichgültige Maske, die er dem Rest der Welt zeigt. Die Hitze in seinen Augen gefriert zu Eis.

  »Könntest du das wirklich?«, fragt er in einem kalten Flüsterton. »Könntest du es vergessen? Einfach so?«

  Ich wende den Blick ab, weil ich mich so sehr schäme, dass ich ihn nicht mal ansehen kann.

  »Ich muss es.«

  Meine Stimme bricht. In meiner Kehle braut sich ein Schluchzen zusammen, und ich bin mir nicht sicher, wie lange ich es noch zurückhalten kann. Ohne seine Reaktion abzuwarten, drehe ich mich um und renne den Pfad hinunter. Mein zerrissenes Kleid flattert dabei um meine Beine. Erst als ich in meinem Schlafzimmer bin und die Tür hinter mir abgeschlossen habe, wird mir klar, dass ich immer noch sein Jackett trage. Ohne es auszuziehen, kauere ich mich auf meinem Bett zu einem Knäuel aus Elend zusammen und weine mich in den Schlaf.

  16. KAPITEL

  Jedes kleine Mädchen träumt davon, in einem Schloss zu leben.

  Sogar ich.

  Vielleicht vor allem ich, wenn man meine spezielle Familiengeschichte bedenkt.

  Aber nun, da ich tatsächlich in einem lebe, wünsche ich mir, dass ich in der Zeit zurückreisen und meinem fünfjährigen Ich auftragen könnte, von etwas Besserem zu träumen. Ich würde ihm raten, dass es seine Wünsche nicht an eine kalte steinerne Festung voller gewundener Korridore und zugiger Schlafgemächer verschwenden sollte.

  Andererseits könnte meine Wahrnehmung leicht verzerrt sein, wenn man die Tatsache bedenkt, dass ich hier im bezaubernden Waterford-Palast im Grunde genommen eine Gefangene bin. Zugegeben, meine Gefängniszelle ist eine riesige, in Pfirsich- und Cremetönen gehaltene Suite mit kunstvollen goldenen Verzierungen und einem Balkon, der einen Ausblick auf den Hof bietet … Aber ein Käfig bleibt ein Käfig, auch wenn es darin ein großes Doppelbett, superschnelles Internet, eine Badewanne und einen stets gefüllten Minikühlschrank gibt.

  Die gesamte Lancaster-Sippe ist am Tag der Pressekonferenz vom Lockwood-Anwesen hierhergezogen – an dem Tag, an dem ich mich mit einem idiotischen Lächeln auf dem Gesicht der ganzen Welt als Mitglied der Königsfamilie präsentierte.

  Ein Hoch auf Ihre Königliche Hoheit Emilia Victoria Lancaster, Kronprinzessin von Caerleon.

  Während dieses peinlichen Intermezzos war ich auf allen Seiten von meiner geliebten Familie umgeben: Linus, der stolze Vater, von dem ich immer geträumt habe; Octavia, die liebevolle Stiefmutter, die mich sofort wie ihr eigenes Kind aufnahm; und meine wundervollen Geschwister, zu denen ich so schnell eine enge Bindung aufgebaut habe, dass man meinen könnte, dass wir tatsächlich blutsverwandt wären.

  Oh! Moment.

  Nein.

  Alles Schwachsinn.

  Offensichtlich steht die Presse auf so was, denn das ist die Geschichte, die sie seit zwei Wochen verbreitet. Ich schwöre bei Gott, wenn ich noch einen weiteren Artikel dieser Art über die Lancaster-Familie und meinen neuen Platz darin zu lesen bekomme, werde ich mir jedes Haar einzeln ausreißen.

  Damit würde ich zweifellos ihre Aufmerksamkeit auf mich ziehen.

  Ich wünschte, ich könnte sagen, dass sich die Dinge beruhigt haben, aber das wäre eine Lüge. Die Interviewanfragen brechen nicht ab – Simms erhält immer noch mindestens zwanzig pro Tag –, und die Paparazzi sind so wild auf Fotos von mir, dass ich bis auf Weiteres im Palast eingesperrt bin. Zu meinem eigenen Schutz natürlich.

  Das ist mein Stichwort, um die Augen zu verdrehen.

  Die Presse gibt Linus lediglich die perfekte Entschuldigung dafür, mich bis zu seiner Krönung nächste Woche unter Verschluss zu halten. Die Vorbereitungen sind in vollem Gange. Rund um die Uhr sind mindestens fünfzig Bedienstete damit beschäftigt, das Schloss für die offizielle Krönungszeremonie sowie für den Hofball herzurichten, der direkt danach stattfinden wird.

  Abgesehen von der kurzen Pressekonferenz wird meine Teilnahme an der Krönung mein erster offizieller Auftritt sein. Ich werde mich für alle sichtbar unter die Mitglieder der Aristokratie mischen, mich unbeholfen durch die Schritte des traditionellen caerleonischen Walzers tanzen und im Großen und Ganzen versuchen, mich nicht komplett zum Idioten zu machen. Zu behaupten, dass die Vorstellung bei mir Herzrasen auslöst, wäre eine Untertreibung.

  Wenn ich Chloe glauben soll, ist meine Sorge allerdings vollkommen unnötig. Ihrer Ansicht nach ist allein mein Outfit von Bedeutung.

  Ich sage dir, E. – du könntest den Premierminister als Dumpfbacke bezeichnen und trotzdem fünfzig Jahre lang in Frieden regieren. Aber wenn du in einem rotbraunen Kleid auftauchst und dazu auch noch Schuhe aus der letzten Saison trägst … werden sie dir das niemals verzeihen.

  Deswegen sind die Hofschneiderinnen praktisch jeden Tag hier gewesen, um Maß zu nehmen. Ich bemühe mich stillzuhalten, während sie Stoffmuster an mich halten, um sie mit meinem Hautton abzugleichen. Dann gebe ich mein Bestes, um nicht zu stolpern, während sie verschiedene hochhackige Schuhe aus einer riesigen Sammlung an mir ausprobieren – als ob unter diesem gewaltigen Ballkleid, das sie für mich entwerfen, überhaupt jemand meine Füße sehen würde.

  Ich bringe es nicht übers Herz, ihnen zu sagen, dass es keine Rolle spielt, wie sehr sie versuchen, mich wie eine perfekte Prinzessin auszustaffieren. Ich werde niemals in der Lage sein, diese Illusion einen ganzen Abend lang aufrechtzuerhalten. Wenn man eine alte Rostlaube frisch lackiert, täuscht das die
Leute nur aus der Ferne. Ein Blick unter die Motorhaube genügt, um die Wahrheit ans Licht zu bringen.

  Chloe versichert mir, dass sie während der gesamten Veranstaltung an meiner Seite bleiben und mir dabei helfen wird, mit den Leuten zurechtzukommen. Ich glaube, dass das weniger mit Selbstlosigkeit zu tun hat, als vielmehr damit, dass zahlreiche heiratsfähige Junggesellen an der Veranstaltung teilnehmen werden, die alle darauf hoffen, ein Stück vom Emilia-Kuchen abzubekommen – ihre Worte, nicht meine. Prinzen, Barone, Herzoge und Grafen aus diversen Adelshäusern kommen extra für den feierlichen Anlass angereist. Offenbar gelte ich nun, da ich die Herrschaft über ein so wohlhabendes Land erben soll, als begehrtes Objekt.

  Weil nichts romantischer ist als ein Mann, dem die Krone auf dem Kopf einer Frau wichtiger ist als die Gedanken, die darin herumschwirren.

  Als ich diese Problematik zur Sprache bringe, zuckt Chloe nur mit den Schultern und erklärt mir, dass es keinen Sinn habe, meine besten Jahre als enthaltsamer Single zu verschwenden. Also könne ich ebenso gut die Vorteile des Prinzessinnendaseins genießen, solange es nur möglich sei. Damit hat sie schon recht … Auch wenn mir der Gedanke, mich momentan auf etwas einzulassen, das auch nur ansatzweise romantisch ist, Bauchschmerzen bereitet.

  Vielleicht wäre ich einer Verabredung eher zugeneigt, wenn da nicht dieses kleine Problem wäre, das zufällig die Suite direkt neben meiner bewohnt und auf den Namen Carter hört. Ich werfe einen Blick zu der Wand, die unsere Gemächer voneinander trennt, und seufze tief.

  Er ist seit Tagen nicht hier gewesen, wenn ich die Geräusche richtig deute – oder den Mangel an Geräuschen, sollte ich wohl sagen. Außerdem hat er seit unserem Abend im Garten nicht mehr mit mir gesprochen. Kein Wort, nicht mal bei den seltenen Gelegenheiten, wenn wir einander in den Fluren des Nordflügels über den Weg laufen oder uns im selben Raum befinden. Das ist auch kein Zufall. Er geht mir absichtlich aus dem Weg.

  Als ich mich letzte Woche in der Bibliothek umgesehen habe – mit Abstand der coolste Raum im ganzen Schloss, mit hohen Decken und so vielen Büchern, dass man zwei Leben brauchen würde, um sie alle zu lesen –, bog ich um eine Ecke und entdeckte ihn auf einem eleganten Lehnstuhl neben einem der prasselnden Kamine, wo er eine Ausgabe von Oscar Wildes Das Bildnis des Dorian Gray las. Für einen Augenblick stand ich einfach nur da und betrachtete ihn – das flackernde Licht der Flammen, das auf seinem Gesicht tanzte, die Haarsträhne, die ihm über die gerunzelte Stirn fiel, die elegante Haltung seines hochgewachsenen Körpers.

 

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