Silver Crown - Forbidden Royals (German Edition)

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Silver Crown - Forbidden Royals (German Edition) Page 20

by Johnson, Julie


  Ich musste ein leises Geräusch von mir gegeben haben – halb Keuchen, halb Seufzen –, denn er schaute auf und entdeckte mich, wie ich zwischen den Regalen herumlungerte und eine Erstausgabe von Rebecca von Daphne du Maurier fest an meine Brust drückte. Ohne auch nur Hallo zu sagen, klappte er sein Buch zu, stand auf und marschierte aus der Bibliothek.

  Er warf nicht einen Blick zurück.

  An diesem Abend waren die Seiten meines Buchs nass und fleckig, weil meine Tränen auf sie fielen.

  Ich bin nicht vollkommen naiv: Nach dem, was zwischen uns passiert war, war mir klar, dass unser Verhältnis angespannt sein würde. Aber ich dachte, dass der Schmerz in meinem Inneren mit der Zeit nachlassen würde. Dass ich nicht mehr mitten in der Nacht mit pochendem Herzen aufwachen würde, weil ich in meinen Träumen bruchstückhafte Bilder meiner Erinnerungen gesehen hatte .

  Meine Hände in seinem Haar, seine Zunge in meinem Mund … Mein in Fetzen gerissenes Kleid, die Hitze seines Verlangens, die wie eine Flamme auch auf meinen Körper übersprang …

  Wenn ich wach bin, kann ich die Erinnerungen verdrängen … Aber mein Unterbewusstsein hält sich nicht an derartige Praktiken der Selbsterhaltung. Jede Nacht tauchen die Bilder von Neuem auf und fördern die Leidenschaft zutage, die ich so dringend begraben will.

  Seine Berührung verfolgt mich. Ich sehne mich mit einem Verlangen danach, das mir Angst einjagt. Ich verzehre mich danach wie ein Junkie, der nach nur einem Schuss süchtig geworden ist, egal wie oft ich mir einrede, dass ich ihn mir aus dem Kopf schlagen sollte.

  Es hätte nie passieren dürfen.

  Und es wird nie wieder passieren.

  An diesem Abend im Garten war ich vollkommen durcheinander – ein Nervenbündel aus Schmerz, das ein Ventil brauchte. Carter übernahm diese Funktion. Er nahm meinen Schmerz in sich auf, schirmte die Explosion an Gefühlen ab, die sich in meinem Inneren ereignete. Er fuhr mit seinen Händen über meine Haut und strich all meine scharfen Kanten glatt. Und ich ließ ihn gewähren.

  Nein, ich ließ ihn nicht nur gewähren …

  Ich ermutigte ihn regelrecht dazu.

  Ich brachte mich aktiv ein.

  Ich versuche, nicht zu intensiv über die Tatsache nachzudenken, dass sein Zimmer seit drei Tagen leer ist. Dass genau in diesem Moment irgendwo dort draußen vermutlich eine andere Frau »sich aktiv einbringt«, während er mit ihr zusammen ist.

  Mit wem auch immer Carter Thorne seine Zeit verbringt, geht mich nichts an .

  Er gehört mir nicht.

  Er wird mir nie gehören.

  Mit einem Seufzen greife ich nach dem Touchscreen-Tablet, mit dem ich alle Funktionen in meiner Suite kontrollieren kann, von der Beleuchtung, dem Thermostat und der Lautstärke der Geräte bis hin zu Anfragen beim Personal. Ich passe die Temperatur an, damit es ein paar Grad wärmer wird. Heute liegt eine nicht zu leugnende Kühle in der Luft, die darauf hindeutet, dass der Winter im Anmarsch ist. Der Oktober ist fast vorüber, und zu den ständig kürzer werdenden Tagen gesellen sich windige Nachmittage, die das Laub in bunten Wirbeln durch die Luft tanzen lassen. An wärmeren Tagen sitze ich auf meinem Balkon und beobachte, wie sie über den Hof wehen. Doch heute habe ich mich in einen extrem weichen Kaschmirpullover gekuschelt und Türen und Fenster fest verschlossen.

  Ich drücke auf eine weitere Taste, und die Töne eines vertrauten Lieds erklingen aus den Lautsprechern in der Decke: Everybody wants to rule the world von Lorde. Dieses Lied ist für mich in den vergangenen zwei Wochen so etwas wie meine persönliche Hymne geworden. Selbst in meinen dunkelsten Momenten, wenn die Wände des Schlosses um mich herum immer näher zu rücken scheinen, gibt es mir Kraft.

  Welcome to your life, there’s no turning back …

  Ich klappe mein Lehrbuch mit einem lauten Knall zu und strecke die Arme mit einem leisen Ächzen über den Kopf. Nachdem ich vier Stunden am Stück für Psychopharmakologie gebüffelt habe, habe ich mir definitiv eine Pause verdient. Meine Augen sind müde, aber es fühlt sich gut an, sich wieder auf echtes Unterrichtsmaterial zu konzentrieren. Ich will etwas lernen, das wirklich von Bedeutung ist, anstatt mir beibringen zu lassen, wie tief man je nach Situation knicksen muss oder wie die Tanzschritte irgendeines langweiligen Walzers gehen.

  Tut mir leid, Lady Morrell.

  Sie kommt immer noch jeden Tag vorbei und gibt sich die größte Mühe, eine anständige Prinzessin aus mir zu machen. Ich ringe mir ein Lächeln ab und spiele mit, aber ich denke, wir beide wissen, dass ich längst nicht mehr mit dem Herzen bei der Sache bin. Jeglicher Ehrgeiz, den ich verspürte, Linus mit meinem Fortschritt zufriedenzustellen, verpuffte in der Sekunde, als ich erfuhr, dass er mein Schicksal bereits besiegelt hatte. Meine Zukunft gestohlen hatte. Mir ohne ein Fünkchen Reue sogar die Illusion des freien Willens geraubt hatte.

  Es ist seltsam – man weiß Entscheidungsfreiheit erst dann richtig zu schätzen, wenn sie einem genommen wird wie der Atem aus der Lunge nach einem heftigen Sturz. Man betrachtet seine Zukunft als so selbstverständlich wie die Anwesenheit der Sterne, die jede Nacht am Himmel stehen. All diese Möglichkeiten erstrecken sich ins Unendliche, und jede von ihnen strahlt heller als die letzte.

  Aber wenn die Wolken aufziehen und die Galaxien für unsere sterblichen Augen nicht länger sichtbar sind … findet man sich allein im Gefängnis seiner eigenen Dunkelheit wieder, wo man von einem Umstand festgehalten wird, der weit über das eigene Fassungsvermögen hinausgeht.

  Eine Gefangene in einem mondlosen Dunst.

  Eine Frau in Ketten mit einer schimmernden Krone auf dem Kopf.

  Da ich die pessimistische Abwärtsspirale erkenne, in die sich meine Gedanken bewegen, zwinge ich mich dazu, mein Zimmer zu verlassen und mir eine Ablenkung zu suchen. In Form von Chloe. Nachdem ich sie eine Stunde überall gesucht habe – in ihrer privaten Suite, der Küche, in den Stallungen, im Thronsaal und in der Bibliothek –, finde ich sie schließlich dort, wo ich sie niemals vermutet hätte – im Inneren des gläsernen Gewächshauses in der Mitte des Hofs, wo sie mit einer neongelben Bong in den Händen im Schneidersitz auf dem Schieferboden zwischen den zahlreichen Blumentöpfen hockt.

  »Hey«, begrüßt sie mich, als ich hereinkomme. Ihre Stimme ist vom Rauch ganz kratzig.

  Ich lasse mich neben sie auf den Boden sinken. »Was machst du im Gewächshaus? Ich habe ewig gebraucht, um dich zu finden.«

  Sie zuckt mit den Schultern. »Hier kommt nie jemand her – vor allem nicht Octavia. Sie würde niemals riskieren, dass Dreck auf ihre perfekten Designerklamotten geraten könnte.«

  Ich werfe einen nachdrücklichen Blick auf die Louboutin-Stiefel an Chloes Füßen, deren kirschrote Sohlen bestens zu erkennen sind.

  »Ja, ich weiß. Wer im Glashaus sitzt …« Sie schmunzelt. »Aber ich habe kein Problem damit, schmutzig zu werden. Das ist der Unterschied.«

  Sie nimmt einen großen Zug und bietet mir dann auch einen an.

  Ich schüttle den Kopf. »Ich kann nicht. Ich muss nachher noch weiterlernen.«

  »Du hast in den letzten zwei Wochen deine Nase unentwegt in diese Bücher gesteckt.« Sie beäugt mich neugierig. »Fast so, als würdest du versuchen, etwas anderem aus dem Weg zu gehen.«

  »Was? Nein, das stimmt nicht.« Mein Herz schlägt heftiger. »Ich versuche nur, alles nachzuholen, was ich in den letzten paar Wochen verpasst habe. Meine Dozenten waren zum Glück sehr verständnisvoll, als ich sie wegen des versäumten Stoffs kontaktierte. «

  Chloe schnaubt. »Na, das ist ja wohl klar . Sie werden ihrer verdammten Prinzessin ganz sicher keine schlechte Note verpassen. Du könntest vermutlich für den Rest des Semesters blaumachen und am Ende trotzdem mit Auszeichnung bestehen.«

  »Darum geht es nicht.« Ich seufze müde. »Ich mag Psychologie tatsächlich. Ich lerne gern . Ich lese gern Fallstudien und beschäftige mich gern mit Behandlungsmethoden. Und wenn auf meinem Diplom magna cum laude steht, dann soll es dort stehen, weil ich es mir verdient habe. Mit ehrlichen Mitteln, nicht wegen Vetternwirtschaft oder einer falschen Demonstration von Patriotismus.«

  »Streberin.«

  »Ja. Das bin ich. Und ich sch�
�me mich nicht dafür.«

  »Ich will ja nicht gemein sein, aber ich verstehe immer noch nicht, warum du dir die Mühe machst. Du wirst damit beschäftigt sein, ein Land zu regieren – da bezweifle ich, dass du oft Gelegenheit haben wirst, dein Diplom zu nutzen.« Sie hält inne. »Es sei denn, du nutzt es, um Octavias narzisstische Persönlichkeitsstörung nachzuweisen, aber ich bin mir nicht sicher, dass wir dafür wirklich eine ärztliche Diagnose brauchen.«

  Ich lache, aber es klingt nicht überzeugend. Ich weiß, dass Chloe recht hat: Ich werde niemals Psychologie praktizieren. Ich werde niemals jemandem helfen. Ich werde niemals eine Karriere haben, abgesehen von der, die eine Krone mit sich bringt.

  Ich werde zu der Idiotin mit Diadem auf dem Kopf werden, über die ich mich einst lustig gemacht habe.

  »Ich schätze, ein Teil von mir ist zu stur, um so kurz vor dem Abschluss einfach aufzugeben.« Ich seufze. »Wenn ich das täte … hätte ich das Gefühl, als würde ich mich Linus’ Willen fügen. Als hätte er mich komplett gebrochen. «

  Sie hebt solidarisch ihre Bong. »Lass dir nichts gefallen, Schwester.«

  Dieses Mal ist mein Lachen echt. »Außerdem ist da noch die Tatsache, dass ich ohne meine Studien vor lauter Langeweile sterben würde. Hier gibt es ja sonst nicht viel zu tun.«

  »Da stimme ich dir zu. Es gibt nichts auf dieser Welt, was diesen Ort unterhaltsam machen kann.«

  »Wenigstens darfst du auch mal rausgehen.«

  »Mit einer ganzen Schar von Leibwächtern im Schlepptau«, brummt sie.

  »Ich würde die ganze verdammte Königsgarde in Kauf nehmen, wenn das bedeuten würde, dass ich mal für ein paar Stunden aus diesem Schloss rauskomme.«

  Sie stößt mit ihrer Schulter gegen meine. »Das wird nicht immer so sein. Nach der Krönung wird sich der Presserummel allmählich legen. Die Story wird aus den Schlagzeilen verschwinden. Und irgendwann werden die Ermittler herausfinden, wer das Feuer gelegt hat, und dann werden diese bescheuerten Sicherheitsmaßnahmen gelockert werden. Es wird dir freistehen, ein normales Leben zu führen. Na ja … so normal, wie das Leben für einen Lancaster eben sein kann.«

  Ich werfe einen Blick über meine Schulter in Richtung des Ostflügels. Oder vielmehr der Ruine, die einst der Ostflügel war. Nun existiert er nicht mehr und ist nur noch ein Haufen verkohlter Asche. Die größeren Trümmer hat der Aufräumtrupp in der Nacht des Feuers bereits beseitigt.

  »Was ist, wenn sie nie herausfinden, wer dahintersteckt?«, flüstere ich angespannt.

  »Sie werden es herausfinden. Das müssen sie einfach.«

  »Woher weißt du das?«

  »Weil die Öffentlichkeit Gerechtigkeit für König Leopold und Königin Abigail verlangt. Das Volk würde niemals zulassen, dass ein derartiges Verbrechen ungesühnt bleibt. Vor allem nicht, wenn Henrys Leben weiterhin am seidenen Faden hängt.«

  »Gibt es irgendetwas Neues über seinen Zustand?«

  »Keine Verbesserung.« Sie nimmt einen weiteren Zug aus ihrer Bong. »Ich habe gestern versucht, ihn im Krankenhaus zu besuchen, aber sie haben mich nicht zu ihm gelassen.«

  »Warum nicht?«

  »Er befindet sich wegen der Verbrennungen in einem Isolierzimmer.« Sie schüttelt den Kopf. »Das Risiko einer Infektion ist zu hoch. Die Ärzte sagen, dass es zu diesem Zeitpunkt tödlich sein könnte, ihn Keimen von außerhalb auszusetzen. Sein Körper ist zu schwach, um damit fertigzuwerden. Ich denke, uns allen ist bewusst … dass er jeden Tag ein wenig schwächer wird. Es wird wohl nicht mehr lange dauern.«

  »Verdammt.« Mein Herz verkrampft sich. »Weißt du, es ist seltsam: Er ist mein Cousin, aber ich bin ihm nie begegnet. Und nun könnte er sterben … ohne dass ich jemals die Gelegenheit gehabt hätte, ihn kennenzulernen.«

  »Du würdest ihn mögen. Alle mögen ihn.« Sie hält versonnen inne. »Tatsächlich bin ich im Krankenhaus Alden über den Weg gelaufen. Er saß einfach im Wartezimmer und starrte ins Leere. Er sah aus, als wäre er den ganzen Tag dort gewesen.«

  »Er und Henry standen sich ziemlich nah, oder?«

  »Sie waren beste Freunde. So gut wie unzertrennlich, vor allem nach Henrys und Avas Verlobung. Für ihn ist das alles sehr schwer. Sehr viel schwerer als für seine egoistische Schwester. Sie scheint es nicht im Geringsten zu kümmern, dass ihr Verlobter im Sterben liegt.«

  »Warum haben sie sich dann überhaupt verlobt?«

  Sie schaut mich an, als hätte ich nicht alle Tassen im Schrank. »Ava Sterling würde einen impotenten alten Ochsenfrosch heiraten, wenn ihr das die Chance verschaffen würde, eines Tages Königin zu werden.«

  »Ah.«

  Ich vergesse immer, dass viele junge Frauen gern eine Prinzessin wären. Für sie ist es ein absoluter Traum, zu den Lancasters zu gehören … kein Albtraum, vor dem man um jeden Preis davonlaufen sollte.

  Chloe räuspert sich. »Auf jeden Fall hat Alden tatsächlich nach dir gefragt.«

  Ich ziehe die Augenbrauen hoch. »Wirklich?«

  »Ja. Er wollte wissen, wie du diesen ganzen Wahnsinn verkraftest. Ich habe ihm gesagt, dass er mal im Schloss vorbeischauen und dich selber fragen soll.«

  »Chloe.«

  »Was?« Sie lächelt unschuldig.

  »Bitte versuch nicht, mich zu verkuppeln.«

  »Das tue ich doch gar nicht.«

  Ich schaue sie skeptisch an.

  »Ehrlich! Meine Absichten sind absolut ehrenvoll.« Sie verzieht das Gesicht. »Er ist einsam und traurig, du bist einsam und traurig … Auf diese Weise könnt ihr zusammen einsam und traurig sein.«

  »Klar. Und es gibt keine anderen Gründe?«

  »Nein.« Ihre Lippen zucken. »Allerdings musst du schon zugeben … dass der Typ nicht gerade hässlich ist …«

  »Oh Mann! Ich wusste, dass du mich verkuppeln willst!«

  »Ach komm schon, E. – du bist stur, aber du bist nicht blind. Alden sieht aus … na ja, als wäre einer der Erzengel von der Decke der Sixtinischen Kapelle gefallen und Richtung Norden gewandert.«

  Ich verdrehe die Augen. »Und?«

  »Und hast du dich nicht gerade noch beschwert, dass dir sterbenslangweilig ist? Ich würde das als … kreative Lösung für dieses Problem bezeichnen. Meiner Erfahrung nach gibt es nichts Besseres als einen ordentlichen Orgasmus, um den Blick auf die Dinge komplett zu verändern.« Sie zieht die Augen zusammen. »Es sei denn, es gibt irgendeinen Grund, warum du nicht mit ihm ausgehen kannst. Etwas, das du mir nicht verrätst.«

  Ich beiße mir auf die Unterlippe.

  Verdammt.

  Ich will mich auf gar keinen Fall mit Alden verabreden. Seit mich Carter meidet wie die Pest und Owen mich mit um Entschuldigung bittenden Sprachnachrichten verfolgt, ist die Situation mit den Männern in meinem Leben schon kompliziert genug. Dieser Gleichung muss ich ganz sicher nicht noch mehr Testosteron hinzufügen. Aber ich bin mir nicht sicher, wie ich Chloe das begreiflich machen soll, ohne weitere Details zu enthüllen, die ich lieber für mich behalten würde.

  »Hör zu, ich bin mir sicher, dass er sehr nett ist«, sage ich ausweichend. »Falls er in ein paar Wochen zufällig mal vorbeikommt, kann ich es vielleicht einrichten, mich mit ihm zu treffen, aber …«

  »Toll! Er kommt heute Abend um achtzehn Uhr her.«

  Ich schnappe nach Luft. »Chloe!«

  »Was?«

  »Sag mir, dass das ein Scherz ist!«

  »Das könnte ich, aber das wäre eine Lüge.«

  »Du bist unmöglich, weißt du das?«

  Sie bleibt vollkommen gelassen und lächelt, während sie mit dem Daumen ihr Feuerzeug betätigt und beobachtet, wie die Flamme aufflackert. »Habe ich erwähnt, dass es bereits siebzehn Uhr dreißig ist?«

  »WAS? «

  »Ja. Was willst du zu deiner Verabredung anziehen?«

  Verabredung?

  Plötzlich schaue ich panisch an mir hinunter.

  Auf meinem Kaschmirpullover prangt ein Kaffeefleck, und die locker sitzende Hose im Boyfriend-Stil, die ich trage, sieht aus wie etwas, das ich auf einem Stapel mit Klamotten gefunden habe, den ein Secondhandladen aussortiert hat. An den Füßen trage ich altmodische Schaffe
llhausschuhe. In meinem Gesicht befindet sich nicht ein Fitzelchen Make-up. Mein Haar ist zu einem unordentlichen Knoten zusammengebunden. Der grellblaue Lack auf meinen Fingernägeln – tut mir leid, Lady Morrell, ich bin eine Rebellin – ist größtenteils abgeblättert.

  Genau genommen sehe ich wie eine Obdachlose aus.

  »Ich hasse dich«, zische ich Chloe entgegen. Dann stehe ich hastig auf und eile wie der Blitz davon.

  »Viel Glück!«, ruft sie mir hinterher. Noch während ich aus dem Gewächshaus renne und schnurstracks in Richtung meiner Suite laufe, höre ich ihr Lachen.

  17. KAPITEL

  »Wow«, hauche ich und drehe mich langsam im Kreis.

  »Ich habe es dir ja gesagt.« Alden schenkt mir ein kleines, wenngleich aufrichtiges Lächeln. »Diese Aussicht ist unübertroffen.«

  Er hat recht. Ich beuge mich auf dem Turm nach vorn, streiche mir eine Strähne aus den Augen, die mir der Wind ins Gesicht geweht hat, und blinzle in Richtung Horizont. Von hier oben sehen die Berge so nah aus, dass ich das Gefühl habe, dass ich eine Hand ausstrecken und sie berühren könnte. Ganz Vasgaard erstreckt sich in dem Tal unter uns wie ein bunter Teppich aus roten Schieferdächern und qualmenden Kaminen. Der Nelle River schlängelt sich durch die Landschaft wie eine Ringelnatter, und seine zahlreichen Biegungen und Steinbrücken geben von diesem Aussichtspunkt aus einen beeindruckenden Anblick ab.

  Als Alden vor einer halben Stunde vor meiner Suite auftauchte und sich bereit erklärte, mir seinen Lieblingsplatz im Schloss zu zeigen, muss ich zugeben, dass ich skeptisch war. Ich ging davon aus, dass er mich in den Thronsaal mit seiner hohen Decke und dem vergoldeten Thron bringen würde … oder in die Waffenkammer … oder in die Stallungen, um mein Herz mithilfe ein paar hübscher Pferde zu erweichen.

 

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