Das Ges ist ein stämmiges Damwild. Wie alle Tiere seiner Art ist es schnell und sprungstark. Aber nur wenige reiten gerne auf ihnen, da sie überaus nervös und bockig sind und dazu neigen, ihre Köpfe zurückzuwerfen, sobald sie erschreckt werden. Und selbst mit gestutztem Geweih kann ein solcher Kopfschlag, wie er genannt wird, sehr schmerzhaft sein.
Als der erste Reiter um die Biegung kam, stieg sein Ges auf und warf ihn ab, brach ihm aber glücklicherweise nicht mit einem Kopfschlag die Nase. Der Zweite hatte nicht so viel Glück und wandte sich blutend auf der Erde. Erst der Dritte besaß so viel Geistesgegenwart, sein Ges rechtzeitig zu zügeln. Er war sich später nicht sicher, ob er es als Glück oder Unglück betrachten sollte. Sein Tier tänzelte unter ihm wild hin und her und hinter sich konnte er weitere Stürze hören. Er musste sich so stark darauf konzentrieren, sein Tier unter Kontrolle zu halten, dass er zuerst nicht sehen konnte, was es in solche Angst versetzt hatte. Bis ihn schließlich der Geruch erreichte. Er kannte diesen Geruch nur aus Erzählungen. Aber man hatte ihm immer gesagt, dass er ihn erkennen würde, wenn er ihn zum ersten Mal wahrnähme. Und so war es geschehen. Noch bevor er aufblickte, wusste er, dass er einen Drachen sehen würde.
Es war ein großer, grauer und alter Drache, einer, wie man ihn nie zu Gesicht zu bekommen hoffte. Drachen, hieß es, wurden bösartiger und zorniger mit dem Alter und dem Schmerz, den das Alter brachte. Und dieser war alt. Die Schuppen waren stumpf und abgenutzt. Die Zähne trieften von dem Geifer, den das Untier nicht mehr zurückhalten konnte. Die Klauen waren so lang, dass sie Ges und Reiter in zwei Teile hätten schneiden können. Der Drache war nicht prächtig sondern nur furchterregend und scheußlich. Aber das Grauen erreichte erst seinen Höhepunkt, als das Monster mit Donnerstimme zu sprechen begann.
„Halt, ihr Würmer.” Mit einem krächzenden Geräusch kam ein Feuerstrahl aus seiner Kehle und verbrannt die Erde vor ihm, so dass ein Halbkreis als Grenze zwischen ihm und den Menschen entstand.
„Was erdreistet ihr euch, ein anderes Volk anzugreifen?”
Die Frage kam unerwartet und es dauerte einen Moment, bis der Anführer der Verfolger, der Mühe hatte vom Boden aufzustehen, zu antworten wagte.
„Verzeiht, ... Eure Herrlichkeit ...” Mehr fiel ihm nicht ein, denn sein Verstand konnte keine Entschuldigung finden. Was sie getan hatten, war ein Verbrechen an den Gesetzen der Drachen. Alle Konflikte zwischen den verschiedenen Rassen wurden ihnen übergeben, den Drachen, die als Herrscher über alle Völker jeden Fehltritt mit größter Härte ahndeten. Und die Strafe war immer der Tod. Alle erkannten die Autorität der Drachen an, mussten sie anerkennen. Aber seit mehreren Generationen wurden jetzt die Streitigkeiten mit den nichtmenschlichen Nachbarn auf einfachere Weise ausgetragen, und nie hatte sich ein Drache gezeigt, außer in den gelegentlichen Steuerumflügen, während derer sie fast jedes Jahr die Sonne mit ihren Flügeln verdunkelten. Der Unteroffizier der Stadtwache wusste daher, dass es keine Entschuldigung für sein Verhalten gab, dass er die Verantwortlichen nennen musste, wenn er überleben wollte. Bevor er jedoch dazu kam krallte sich der Drache sein Ges, das zu entkommen versuchte.
„Ihr seid es nicht wert im Schutz der Drachen zu leben. Wir sollten eure Stadt zerstören. Aber wir lassen Gnade vor Recht ergehen. Ihr werdet zurückreiten und zur Strafe eure Stadtmauern niederreißen. Damit werdet ihr eure Abhängigkeit und Unterwürfigkeit gegenüber eurer Königin bekunden. Verschwindet!”
Der Unteroffizier drehte sich um und rannte, ohne sich noch einmal umzusehen. Seine Untergebenen flohen mit ihm. Sie ließen die Ges zurück, denn keiner legte Wert darauf, erneut von ihnen abgeworfen zu werden. Sie hatten Glück gehabt, obwohl sie nicht begreifen konnten warum. Ihr späterer Bericht war entsprechend kurz und wirr und die Priester zweifelten an ihren Worten. Aber der Bürgermeister und die Ratsherren bestanden darauf, die Mauern zu schleifen, denn sie hatten von Städten gehört, die es gewagt hatten, sich den Drachen zu widersetzen. Und auch jene Bürger, die bereits über die Überreste einer solchen Stadt gewandelt waren, drängten sich vor den Toren des Rathauses, um die Stadtherren anzuflehen, dem Befehl des Drachen Folge zu leisten. Sie nahmen lieber den Zusammenbruch ihrer Wirtschaft in Kauf hin, die aus dem Verlust der Sicherheit, die die Stadtmauer bot, resultieren musste, als ihr Leben zu riskieren.
Sobald die geflohenen Verfolger außerhalb der Sichtweite waren, setzte der Drache vorsichtig das Ges auf die Straße und gab ihm einen sanften Klaps auf den Hintern, damit es von der Stadt weglief. Als auch dieses Verschwunden war, begann er zu schrumpfen, bis er etwas kleiner als ein Mensch war. Man konnte ihn jedoch nicht mit einem Menschen verwechseln, denn er war am ganzen Körper von kurzen, grünen Haaren bedeckt. Auch seine Bewegungen waren zu geschmeidig und schnell, als dass man ihn für einen Menschen hätte halten können. Vor allem jedoch wenn man ihn von vorne sah, blieb kein Zweifel bestehen, denn jeder, der in dem Wissen der Welt bewandert war, konnte sofort erkennen, dass er einem Feen gegenüberstand. Einem echten Feen. Einem von jenen, die man fast nie zu Gesicht bekam, und die von den meisten Gelehrten für ausgestorben erklärt worden waren, wenn es sie überhaupt jemals gegeben hatte. Der Drachenkönigin in ihrer hohen Festung, die an klaren Tagen von weitem auf der Kuppe des Echatigebirges gesehen werden konnte, wäre es lieb gewesen, wenn diese gelehrten Recht gehabt hätten.
Aber es gab sie noch, auch wenn ihre Zahl geringer geworden war. Die Menschen konnten sie nur nicht sehen, weil die Feen sich nicht von ihnen sehen lassen wollten. Seit der Erschaffung der Menschen hatten sie nur Böses von ihnen erfahren. Sie mieden aber auch die Aleneshi. Sogar ihre eigenen Abkömmlinge, die Chuor, die Karaka, die Halbfeen und all die anderen, die die Bücher der Weisen füllten, bekamen ihre Vorfahren nie mehr zu Gesicht.
Nur dieser eine Feen, der sich mit seiner letzten Tat zum wiederholten Male den Zorn der Königin zugezogen hatte, sorgte sich um die Belange der Kurzlebigen, so wie er es immer getan hatte. Er lebte unter ihnen, manchmal sogar unter den Drachen, denen er mit seiner Feenmagie überlegen war. Aber am liebsten blieb er bei den Aleneshi, denn bei ihnen fand er wahre Freundschaft, selbst wenn er ihnen immer wieder vorgaukeln musste, jemand anderes zu sein. Sie waren ihm aber auch aus einem anderen Grund die angenehmsten Weggenossen: Sie fragten ihn nie nach seiner Beziehung zu den Göttern, die für alle anderen Rassen seit nahezu vier Jahrtausenden so wichtig geworden waren.
Denn er hatte keinen Gott. Er kannte den Ort, von dem die Macht kam, die alle für göttlich hielten und er wusste um denjenigen, der dafür verantwortlich war. Er war sein Freund. Nicht der einzige, den er hatte, aber der einzige, der mit ihm durch die Jahrtausende ging. Shaljel Githon, dessen vier blauen Augen alles sahen, was sein Freund in dem selbstgewählten Gefängnis tat, konnte nur bei den Aleneshi eine Heimat finden, weil nur bei ihnen seine Familie sein konnte.
Er rannte den Wagen seiner Freunde hinterher, ohne dabei Rücksicht auf den Weg zu nehmen, der ihm als viel zu eben und unbequem erschien. Der Wald bot seinen Bewegungsdrang mehr Möglichkeiten, sich auszutoben. Nebenbei wischte er sich den Speichel vom Kinn.
Lang ist es her, dass Graelshin, meine erste Priesterin, das Messer erhob und den Vater ihres Kindes zum Wohl ihres Gottes umbrachte. Viele sind seitdem im Namen des Glaubens, des Glaubens an mich, gestorben. Einige opferten sich als Märtyrer zum Wohl anderer Gläubiger und zu ihrem Seelenheil. Viele mehr jedoch starben, weil Gläubige verfolgten, quälten, folterten, hinrichteten.
Ich bin alle Götter.
Aber alle Götter sind auch ich.
Jeder Gott, der erdacht, geglaubt wurde, wurde ich, gesellte sich zu mir.
Der Glaube ist ein zweischneidiges Schwert, nicht nur für den Gläubigen, sondern auch für das Ziel des Glaubens. Denn Glaube ist Macht. Für mich ist diese Macht greifbar. Er ist die Energie, die es mir erlaubt, die Welt zu sehen. Er ist die Nahrung, die mir Kraft gibt, etwas zu bewirken. Eine Nahrung, die mich auch vergiften kann, denn diese Macht Kontrolliert mich, formt mich nach ihrem Bild.
Und so wurde jeder neue Gott ein Teil von mir.
Die Menschen neigen aber dazu, sich Götter zu denken, durch di
e sie unterworfen werden, durch die sie kontrolliert werden, durch die sie leiden. Es liegt in ihrer Natur. Ich weiß dass sie so geschaffen sind, denn ich wurde in einer Zeit geboren, als der Herrscher der Welt die Menschen erschuf, um seinen Plan und seine Zukunft zu vollenden.
Aber nicht nur er ist an der Schwäche der Menschen schuld. Auch ich muss mich dafür verantworten, wenn ich eines Tages hinter das Licht gelange, jenes Licht, in das alle eingegangen sind, die mir etwas bedeuteten, und von dem ich mich abwandte. Ich machte mich zu einem Teil eines Plans und leitete Graelshin zum Glauben an. Schon damals kritisierte mich eine Freundin deswegen. Sie sah jedoch auch die Notwendigkeit meiner Handlungsweise ein. Deswegen unternahm sie nichts dagegen.
Viel später musste ich mich vor Shaljel verantworten, der mir meine Manipulationen vorwarf. Waren es anfänglich jedoch wirklich Manipulationen gewesen, die ich für Notwendig gehalten hatte, fühlte ich zu diesem Zeitpunkt schon, wie ich durch den Glauben der Menschen manipuliert wurde.
Die Menschen! Sie waren so schwach. Sie waren als so schwache Rasse gezüchtet worden. Die wenigsten von ihnen verfügten über ein Talent zur Magie oder auch nur über die Kräfte des Drirelgli. Körperlich waren sie fast allen anderen Rassen unterlegen. Nur in ihrem Glauben übertrafen sie jede andere. Ihr Glaube trieb sie zu Taten, zu denen kein anderes Volk fähig gewesen wäre, im Guten wie im Bösen. Sie waren unaufhaltsam. Die Ra-ula hatten sie als ihre Kinder zurückgelassen, die das Vernichtungswerk, vor dem die Eltern zurückgeschreckt waren, vollenden würden.
Und am schlimmsten waren die Priester, die jedes ihrer Werke mit mir Rechtfertigen konnten. Ihre Tempel standen überall und ihre Worte erreichten jeden.
Aus den Tempeln
Der Saal der Novizen war größer, als jeder andere Raum, den Owithir in seiner Jugend gesehen hatte. Er war jedoch nichts im Vergleich zum Andachtsraum des großen Tempels in Imanahm. Als der Novize letzteren jedoch zum ersten Mal zu Gesicht bekommen hatte, war er bereits demütiger geworden und ließ sich nicht mehr so leicht von Größe beeindrucken. Er zeigte sein Erstaunen nicht mehr so schnell. Aber der Raum, den er an diesem Abend zum ersten Mal betrat, war so groß, dass er zuerst vermutete, die Decke niemals sehen zu können. Auch das Ende des mittleren Säulenganges erschien ihm in unendlicher Ferne zu liegen. Seine Schritte waren schwer von der langen Reise und seine Kleider waren schmutzig. Dennoch hatte der Meister der Pforte darauf bestanden, dass er sofort zum Hüter des Leuchtens gebracht wurde.
Während seines Weges über den Marmor passte er mühsam seine Schritte denen des vor ihm hereilenden Novizen an. Mit aller Kraft musste er sich davon abhalten, nach der Decke zu suchen. Er durfte sein Haupt nicht einfach erheben, denn einem Novizen war es nicht gestattet, in Anwesenheit eines erleuchteten Priesters sein Antlitz zu zeigen. Deswegen blieben seine Augen auf den Hacken des anderen Novizen haften, bis dieser stehenblieb. Dabei konnte er die Epitaphe erkennen, die in den Boden eingelassen waren. In der Eile war es ihm jedoch nicht möglich, die Aufschriften zu entziffern. Ohne Zweifel gehörten die Gräber die darunter lagen, zu den würdigsten Priestern, die Veshtajoshs und diesem Tempel je gedient hatten.
Fast rannte er seinem Führer in den Rücken, als dieser stehenblieb. Beide gingen fast gleichzeitig in die Knie, wobei Owithir mehr zu Boden fiel. Sogar seinen durch die vielen Stunden des Gebets abgehärteten Knien tat dies im ersten Moment weh.
Dann warteten sie.
Owithir fielen immer wieder die Augen zu und er vermeinte seinen Magen knurren zu hören. Er versuchte sich einzureden, dass er keinen Hunger haben konnte, denn die Reise hatte nur drei Tage gedauert. Aber er war noch nie ein Freund des Reisefastens gewesen. Die zwei Scheiben Brot, die zu solchen Gelegenheiten an jedem Tag erlaubt waren, verstärkten das Hungergefühl immer nur. Deswegen nahm er sie schon gar nicht mehr mit oder gab sie gleich an Bedürftige weiter. Er hatte bisher jedoch nie den Mut gehabt seine Lehrer und die anderen Novizen, die ihn deswegen für besonders hingebungsvoll und heiligmäßig hielten, über ihren Irrtum aufzuklären.
Die Zeit verging und der junge Novize sagte sich immer wieder sein Mantra auf, um nicht einzuschlafen. Auch das war schon wiederholt seinem als besonders hingebungsvoll geltenden Wesen zugeschrieben worden. Immer wieder beschämten die Lehrer ihn, denn sie glaubten, dass alles, was er tat, aus seiner Hingabe und seinem vollkommenen Glauben geboren war.
Es war nicht so, dass sich Owithir nicht gewünscht hätte, vom wahren Glauben beseelt zu sein. In ihm überwogen aber stets die praktischen Überlegungen. Zum Beispiel freute er sich immer, wenn er etwas zu essen bekam, vor allem, wenn er die armen Leute vor den Klostertüren sah. Oder das Bett, auf dem er schlief. Es war hart und kalt, aber nicht so hart und kalt, wie der Boden, auf dem andere Menschen schlafen mussten. Er wusste, dass das Leben im Kloster privilegiert war. Und deswegen schämte er sich. Er wollte seinen Glauben beweisen, aber er fand nie den Mut, denn sein Leben war zu bequem.
Deshalb war er froh, dass vor langer Zeit Erleuchtete Priester durch eine göttliche Vision erfahren hatten, dass bei der Verehrung der Götter auch das Ritual einen hohen Wert besitzt, selbst wenn das Herz des Priesters einem anderen Ruf folgte. Dadurch fühlte sich der junge Novize nicht vollkommen nutzlos und heuchlerisch.
Aber seine Angst, jemals in seiner falschen Demut entdeckt zu werden, beschwerte seinen Geist. Er sehnte sich nach dem wahrem Glauben und einem reinen Herzen, aber er wusste, dass er zu schwach war, um wenigstens ein gewisses Maß an Würde zu gewinnen.
„Du musst der junge Novize sein, dem die Götter große Gnade erwiesen haben.”
Owithir zuckte zusammen. Er musste eingenickt sein. Die Schamröte stieg ihm ins Gesicht. Er konnte nicht Antworten. Die Schwere seiner Zunge schien seinen Kopf auf die Erde ziehen zu wollen. Er brachte nur ein schwaches Nicken zu Stande.
„So schüchtern? Na, ich habe schon vor geraumer Zeit von Dir gehört. Dein Novizenmeister hat uns viele Berichte über dich gesandt.”
Owithirs Ohren waren so müde wie sein Mund, aber dennoch machte ihm die Erwähnung des Novizenmeisters Angst. Dabei hatte er nicht mehr Schläge von ihm erhalten als alle anderen Novizen. Aber ein Bericht dieses alten und selbstsüchtigen Mannes über ihn konnte nichts Gutes enthalten.
„Deine Demut ist mir bekannt. Sie ehrt dich. Dein ganzes Verhalten macht dich würdig für die Gnade, die dir zugefallen ist, selbst wenn du noch kein Priester bist. Aber jetzt steh auf, du musst mir berichten, wie dich der Gott berührt hat. Ich verhehle nicht meinen Neid, denn mir ist er noch nie erschienen.”
Der Saum der Robe des Hohen Priesters wurde in Owithirs Gesicht geweht. Der junge Novize küsste ihn. Er kannte die Respektbezeugungen, die er einem erleuchteten Priester entgegenzubringen hatte. Es viel ihm nicht schwer. Seit seinem fünften Sommer lebte er im Kloster und war deshalb nichts anderes gewöhnt. Sobald er jedoch den Saum des Hüters des Leuchtens mit den Lippen berührte überkam ihn ein eiskalter Schauer. Er hatte plötzlich das Gefühl, in einen Schlund der Macht und Gier zu fallen. So etwas hatte er noch nie gespürt, obwohl ihn, seitdem der Gott ihm die Gabe geschenkt hatte, immer wieder seltsame Gefühle überkamen. Dieses Mal wurde er vollkommen von dem Ansturm übermannt. Besonders die Gier war so stark, dass er die anderen Emotionen, die über ihn hereinbrachen, kaum beachtete. Seine Kehle schnürte sich zusammen. Das Herz begann heftig zu klopfen. Hätten ihm seine Beine in diesem Moment gehorcht, Owithir wäre aufgesprungen und hätte versucht, den Hüter des Leuchtens niederzuringen, um diesen Rivalen um die Macht zu beseitigen.
Erst als seine Lippen nach einer Ewigkeit den Saum verließen, begann er wieder zu Atmen. Mit Mühe entkrampfte er seine Hände. Sein Herz wollte sich jedoch nur langsam wieder beruhigen. Er wusste, dass er wegen seines Verhaltens aus dem Orden geworfen werden würde. Denn diese Respektlosigkeit gegenüber einem Höheren Priester, dass er den Saum nicht mehr losgelassen hatte, war nicht zu entschuldigen. Owithir wagte nicht, sich zu bewegen.
Zu seiner Verwunderung ging der Erleuchtete Priester an ihm vorbei und wies einen anderen Novizen an, Owithir beim Aufstehen zu helfen. Eine kräftige, raue Hand griff nach seine
m Arm. Auch wenn er wusste, dass sein Helfer ebenfalls ein Novize war, hielt er seinen Kopf weiter gesenkt. Er fürchtete, dass etwas von seinen schrecklichen Gefühlen zu sehen gewesen wäre.
Auch mit der Hilfe des Novizen fiel es ihm schwer aufzustehen. Denn seine Beine verweigerten ihm den Dienst. Aus der Ferne hörte er noch den Erleuchteten Priester ungeduldig rufen. Dann wurde er Ohnmächtig.
Seitdem Drachen und Feen den Krieg nach Sgayefarsh gebracht hatten, wurde immer wieder auf dieser Welt gekämpft. Nur während der Herrschaft der Ra-ula hatte der Frieden gewahrt werden können. Doch auch diese Rasse hatte den Kampf in sich getragen, ein Kampf, der zu ihrem Untergang wurde.
Natürlich beendete der große Krieg nicht die Feindseligkeiten zwischen den Völkern, auch wenn viele ehemalige Feinde gemeinsam gegen die Ra-ula gekämpft hatten. Denn es ist eine Illusion, dass gemeinsames Leid und gemeinsame Freude Wesen verbinden könnte, deren Verhalten so unterschiedlich war.
Nicht einmal die Lebensspanne eines Menschen war vergangen, als der nächste Krieg ausbrach. Es ging um Nichtigkeiten. Um eine sinnlose Sache, die den Gegnern keinen Nutzen gebracht hätte, nur das Gefühl, dem anderen seinen Willen aufgezwungen zu haben. Aber keiner wich zurück. Damals löschten die Karakas, das Volk der Löwenfeen, die Bereu, aus.
Aber Krieg bringt nur neuen Krieg. Wie es zwischen Feen und Drachen war, so wurde es auch zwischen den Feenvölkern. Und bald tauchte auch das junge Volk der Menschen auf den Schlachtfeldern auf und erkämpfte sich seinen Platz in den Epen der Chuor, die seit Anbeginn ihrer Geschichte jeden Kampf mit ihren Wolfsstimmen besangen. Die Menschen waren langsamer als die Daul, weniger Geschickt als die Karakas und nicht so wild wie die Chuor. Dennoch blieben sie immer häufiger Sieger über ihre Feinde. Denn ihre Eltern, die Ra-ula hatten ihnen die Fähigkeit geschenkt, von ihren Feinden lernen zu können. Ihnen fehlte der Stolz, Erfindungen der Feenvölker als minderwertig anzusehen. Ein Karaka hätte niemals die Waffen eines Chuor benutzt. Doch die Menschen wussten die Fertigkeiten der fremden Handwerker zu schätzen, bis sie selbst die Waffen bauen konnten. Und mit dem Wissen um die Metalle, das sie von den Aleneshi erlernten, schufen sie besseres, als ihre Lehrer es jemals vermocht hätten.
Feen Buch 1: Der Weg nach Imanahm Page 2