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Feen Buch 1: Der Weg nach Imanahm

Page 13

by Peter Singewald


  Für Hylei spielte es keine Rolle, ob die Stadt nun nur in der Luft oder auch auf dem Boden war. Sie war sowieso nur selten dort.

  Als sie damals die Beeren des Allesstirb gegessen hatte, war sie den äußersten Häusern bereits gefährlich nahe gewesen. Wäre sie ein Mensch gewesen, man hätte sie sterben lassen, und wenn sie es gewagt hätte sich immer noch weiter zu nähern, wäre man sogar gezwungen gewesen, sie zu töten. Yari hatte sogar mal behauptet, dass es großes Glück für sie gewesen wäre, dass sie versucht hatte, sich selbst das Leben zu nehmen. Es hielt sich nämlich das Gerücht, dass die Banden schon öfter Feenlinge getötet hätten, weil sie aus Versehen in die Stadt eingedrungen waren. Schließlich gab es nicht viel, wodurch man einen Feenling von einem Menschen unterscheiden konnte. Feinere Gesichtszüge und schlankere Glieder waren verräterisch, reichten allein aber eben nicht aus. Und oft war die Grazie der Glieder durch unförmige Kleidung verdeckt und die Flinkheit und Geschmeidigkeit durch die Beschwernissen des Weges aus dem Körper gewichen. Es gab jedoch keine Beweise für den Tod von Feenlingen durch die Hand anderer Feenlinge. Wobei Yari davon ausging, dass die Leichen einfach nur schnell genug vergraben worden waren, damit niemand die Wahrheit erfahren konnte. Aber Hylei fand sowieso, dass Yari den ganzen Tag über eine Menge Dinge sagte, die nur sehr schwer zu glauben waren. Es war ein Wunder, dass sie den Mund halten konnte, wenn sie sich verstecken mussten.

  Derzeit befand sich Hylei mit ihrer Bande nahe einem Menschendorf. Neben ihr saß mal wieder Yari, die es sich so selten wie möglich nehmen lassen wollte, wenigstens mit ihren Ohren an allen Entscheidungen beteiligt zu sein. Einige Schritte hinter ihr hockte wie immer Atensul, der meist mehr auf sie als auf die zu erledigenden Aufgaben zu achten schien und einem Schatten gleich jeder ihrer Bewegung folgte.

  Außer den beiden gehörten noch fünf weitere Feenlinge zu Hyleis Bande. Einer der frühsten Ratschläge der Weisen der Stadt bestand darin, festzulegen, dass keine Bande mehr als 10 Feenlinge enthalten durfte. Fanden sich mehr Feenlinge als von Banden aufgenommen werden konnten, wurden einfach neue Banden gegründet. Hylei fand diese Obergrenze sehr praktisch, denn so konnte sie jedem von ihnen eine Nummer mit den Fingern signalisieren, ohne dabei doppeldeutig werden zu müssen. Außerdem fand sie jetzt schon manchmal, dass einige Aufgaben besser mit weniger Feenlingen zu erledigen gewesen wären. Sie vermutete jedoch, dass dies nicht der ursprüngliche Grund für diesen Ratsbeschluss gewesen war.

  Aber was gingen sie die Angelegenheiten der Stadt an, solange sie sich außerhalb dem wilden und freien Leben der Jagd hingeben konnte? Immerhin hatte ihr dieser Ratschluss bereits nach zwei Jahren in der Stadt erlaubt, eine eigene Bande zu versammeln, auch wenn verschiedene Feenlinge, allen voran Atensul, heftige Einwände vorzubringen gehabt hatten. Aber die Weisen hatten weder gelten lassen, das sie noch nicht lange genug in der Stadt gewesen sei, noch die Vorwürfe, dass sie zu bereitwillig jedes Risiko einging.

  Auch wenn Hylei befürchtete, dass sie eines Tages noch mit den Weisen in Konflikt kommen würde, war sie in diesem Fall sehr dankbar für die Auslegung ihrer Beschlüsse, die für alle bisher in gleichen Maßen angewandt wurden.

  Als sie ihre Bande gegründet hatte, waren ihre ersten Gefährten ehemalige Mitglieder aus der Bande Atensuls gewesen, der sie für fast ein Jahr lang selber angehört hatte. Yari war die erste von ihnen gewesen. Hylei hatte ihr, als sie noch neu in Atensuls Bande gewesen war, gehörig die Meinung gesagt und ihr sogar dabei die Nase gebrochen. Seitdem war Yari ihr immer gefolgt, fast wie ein Schoßtier und irgendwann hatte Hylei es aufgegeben, sich über ihr ständiges Gebrabbel aufzuregen.

  Atensul hätte sich eigentlich freuen müssen, dass er die Sorge um Yaris Mund nicht mehr hatte. Dennoch war er ausgesprochen wütend geworden, als Hylei ging. Allerdings war seine anfängliche Wut nichts gegen seinen Zorn gewesen, als zwei weitere Feenlinge aus seiner Bande in Hyleis gewechselt hatten. Martei und Rachul saßen derzeit 15 und 30 Schritte zu Hyleis linken. Martei hatte ihr damals den Kampf mit dem Speer beigebracht und fast täglich mit ihr trainiert, bis sie beinahe so gut war wie er. Seine Mühen hatte er bei den anderen Mitgliedern der neuen Bande wieder aufgenommen und Hylei war ihm sehr dankbar dafür, denn er war ein guter Lehrer, auch wenn man seine Gewandtheit nicht von seinem, gemessen an anderen Feenlingen, gedrungenen Gliedern ablesen konnte und seine liebevolle Lehrfähigkeit hinter einer hässlichen Brandnarbe verborgen war, die sich von der Stirn über die Schläfe bis hin zur Wange zog. Rachul hingegen war nach Hylei in Atensuls Bande gekommen. Durch seine ehrgeizige Unvernunft hatte er es sich schnell mit seinem damaligen Anführer verdorben und sie hatte ihn bereitwillig aufgenommen, und ihn sogar zu ihrem dritten Mann gemacht, noch vor Yari. Zuvor hatte sie ihm jedoch einen Finger gebrochen, um seiner Aufmerksamkeit bei dem was sie zu sagen hatte, sicher zu sein. Er hatte seitdem immer sehr gewissenhaft zugehört und auch keine Zeichen von Unvernunft mehr an den Tag gelegt. Hätte Hylei jedoch nicht gewusst, dass sich Rachul im Wald zu Recht fand wie fast kein anderer, wäre sie nicht dazu bereit gewesen, ihn bei sich aufzunehmen. Schon sein dunkelbraunes Haar passte sich selbst im Winter dem Wald an, seine Glieder klammerten sich an Bäume, die er heraufkletterte, wie die kleinen Baumhörnchen. Es hieß, dass seine Pflegeeltern bereits Waldleute gewesen seien, aber Rachul sprach nicht darüber und Hylei war es zu gleichgültig, um ihn danach zu fragen.

  Zu Hyleis rechten hockten die anderen drei Mitglieder ihrer Bande. In den Augen der Älteren waren sie Frischlinge, obwohl sie bereits kurz nach der Gründung von Hyleis Bande dazu gestoßen waren. Aber sie würden wohl auch noch die nächsten zehn Jahre Frischlinge bleiben, wenn nicht irgendetwas Einschneidendes geschah, oder ein neues Mitglied zur Bande stieß.

  Hylei am nächsten saß der schlaksige Pej. Er war wohl einer der jüngsten Feenlinge, die jemals in die Stadt gelangt waren. Und ohne seine Schwester wäre ihm das Schicksal der Vertreibung nicht so schnell widerfahren. Das war das zweite besondere an ihm. Niemals zuvor hatte jemand von einem Geschwisterpaar unter den eingewanderten Feenlingen gehört, aber Pejs und Uens Pflegeeltern waren wohl zweimal im Wald fündig geworden. Sie sahen sich sogar ähnlich. Beide hatten dasselbe lockige, rotbraune Haar, dieselben braunen Augen und dieselbe flache Nase. Nur das Uen bereits eine ausgewachsene Schönheit war und ihr Bruder noch nicht. Wie die meisten Feenlinge sprachen auch sie nur selten über ihre Vergangenheit. Aber sie waren eine gute Gesellschaft und als einzige in der Gruppe bereit, sich wirklich auf die anderen einzulassen. Uen saß wie immer in der Nähe ihres Bruders, weil sie immer noch auf ihn achtgeben musste, wie sie behauptete.

  Ganz rechts saß Michkul, der ein wenig grimmiger war als die anderen, selbst wenn er sich mit sarkastischen Bemerkungen in Gespräche einmischte. Sein schwarzes Haar unterstrich den Eindruck. Er war der einzige, der in Hyleis Bande ein Schwert besaß. Wo er es herbekommen hatte, war wie so vieles ein Geheimnis, obwohl Yari immer wieder versuchte, es zu lüften.

  Nur diese sieben waren Hyleis Ruf gefolgt. Atensuls alte Bande war inzwischen wieder bis auf zehn aufgefüllt. Doch das störte Hylei nicht, setzte sie doch so weniger Feenlinge ihren Gefahren aus.

  Langsam war es still im Dorf geworden. Die Dunkelheit zwang die Menschen immer in die Häuser und schließlich in ihre Betten. Hylei verachtete die Menschen seitdem sie festgestellt hatte, dass sie selbst noch in der finstersten Nacht sehen konnte. Andererseits neidete sie ihnen die Geborgenheit, die Dummheit, mit der sie sich alles einfach machten und alles Fremde aus ihren Leben verbannten. Nicht zum ersten Mal wäre Hylei am liebsten in die Häuser eingedrungen, um dort allen ihre gerechte Strafe zu geben. Wie diese Strafe hätte aussehen sollen, wusste sie selbst nicht genau. Aber gleichgültig was es werden würde, jetzt war nicht die Zeit dafür. Alle sahen ihre gehobene Hand und schlichen in das Dorf hinein, sobald Hylei nach vorne zeigte.

  Lautlos gingen sie vor. Der flache Graben mit der kleinen Palisade, die die Tiere draußen halten sollte, war kein Hindernis für die Feenlinge und wurde schnell überwundern. Eine Wachonre wurde mit einem Wurfholz betäubt, eine von Marteis vielen Spezialitäten. Dann strömten sie a
us und durchsuchten die Schuppen und Unterstände. Sie huschten wie Geister durch die Nacht. Menschen hätten nicht zu sagen vermocht, ob sie Schatten oder Lebewesen waren. Und nach wenigen Augenblicken hatten sie sich wieder bei der Palisade gesammelt, um nach draußen zu klettern. Diesmal sollte es jedoch nicht ganz so reibungslos von statten gehen. Denn Plötzlich öffnete sich eine Tür. Kerzenschein erhellte die Gestalt, die heraustrat. Allerdings hielt er die Kerze nicht in der Hand, was ihm seine Sicht in der Dunkelheit gänzlich genommen hätte. Hinter ihm leuchtete sie und zeigte seine Umrisse. Ein schmächtiger Mann. Müde und offensichtlich auf dem Weg zum Abort. Oder zur Palisade, falls er sein Geschäft im Stehen erledigen wollte. Das führte ihn genau zu Hyleis Gruppe, die bei dem hellen Mondlicht nicht unbemerkt über die Palisade klettern konnte. Sie verharrten ganz still, während der Mensch immer weiter auf sie zukam.

  Aber nur selten ist es jemandem gegeben sich vollständig still zu verhalten. Und je mehr Personen versuchen still zu stehen, desto wahrscheinlicher ist es, dass ein Muskel zuckt.

  Hinterher wusste keiner mehr von ihnen zu sagen, was es genau gewesen war. Ob ein leiser Wind durch einige lose Haare gefahren war, ob zwei Metallstücke aneinander geschabt hatten oder ob vielleicht auch nur die Augen des Menschen inzwischen die Schatten des blassen Mondlichts zu deuten wussten. Auf jeden Fall blickte er sie mit einem Mal an. Er blieb stehen, erstaunt. Die Bande meinte zu spüren, wie das Erstaunen zuerst Entsetzen, dann Angst und schließlich Aggressivität wich.

  Sein Schrei löste den Bann, der sie alle gefangen gehalten hatte. Flink wie Baummäuse überwanden sie das letzte Hindernis und verschwanden in der Nacht, während im Dorf die Menschen erwachten und überall Licht entfachten. Die Mitglieder der Bande konnten den Lärm noch hören, als sie schon tief im Wald verschwunden waren und den weiten Bogen liefen, um wieder in Richtung der Stadt zu kommen.

  Wenigstens war niemand gestorben. Und Schuldzuweisungen waren wohl auch fehl am Platz. Dennoch war sich Hylei sicher, dass dies vor dem Rat ein Nachspiel haben würde. Vor allem, weil sie jetzt auf geraume Zeit aus diesem Dorf und wohl auch aus den angrenzenden Dörfern kein Metall mehr beschaffen konnten. Sie würden wachsam sein und jeden Walddämon, den sie trafen, töten.

  Und auf den Krieg mit den Menschen wollte sich der Rat nicht einlassen.

  *

  Estron führte seine beiden Lehrlinge immer weiter in Richtung des Treffpunkts. Und je weiter sie reisten, desto näher kam er in seinen Erzählungen den wahren Geschehnissen rund um den Tod der beiden Feenlinge, die ihn einst begleitet hatten. Jeden Abend wand er sich aufs Neue um den Kern der Geschichte herum und erzählte etwas neues, angeblich Interessanteres. Aber er wusste, dass er schließlich alles offenbaren würde, denn tief in seinem Inneren wünschte er sich, dieses Geheimnis zu teilen.

  Aber an den Tagen machten sie gute Fortschritte, obwohl sie meist durch den Wald gingen und die Pfade immer wieder mieden. Manchmal beobachteten sie einige Tiere, die im Wald spielten und auf Bäumen herumkletterten. Einmal meinte Estron sogar etwas Menschenähnliches gesehen zu haben. Doch ob es ein Mensch, ein Feenling, ein Bär oder irgendetwas anderes gewesen war, hatten sie nicht feststellen können. Vielmehr waren sie vorsichtig in die Hocke gegangen und hatten gewartet, bis sie sicher sein konnten, dass es nicht mehr in der Nähe war. Wenn sie Wege überqueren mussten, verweilten sie oft lange im Gebüsch, bis sie ganz sicher sein konnten, dass niemand sie sehen konnte, wenn sie ins Licht traten. Um die großen Wiesen und offenen Flächen machten sie weite Bögen.

  Doch manchmal tut es auch gut, mit jemandem sprechen zu können, den man nicht die ganze Zeit um sich herum hat. So wie es auch manchmal Not tut, dass man sich zurückziehen kann, um für ein paar Stunden allein zu sein. Deswegen versuchte Estron für das eine wie auch für das andere zu sorgen. Jeden Abend und jeden Morgen verrichtete jeder deswegen seine Meditation und auch kleinere Betrachtungen allein. Nicht zu weit weg vom Lager, gerade so weit, dass man sich gegenseitig noch hören konnte. Aber weit genug weg, dass man sich für ein paar Augenblicke nicht gegenseitig störte.

  Andersherum war es viel schwieriger, geeignete Ortschaften oder Gehöfte zu finden, bei denen man sicher sein konnte, dass dort Menschen lebten, denen man trauen konnte, andere Völker lebten in dieser Gegend leider nicht.

  Glücklicherweise gab es einige solche Höfe, deren Bewohner er schon seit längerer Zeit kannte. Noch bevor Sonne und Schwert damit begonnen hatten, ihn zu suchen. Estron war sich sicher, dass sie ihn willkommen heißen würden, denn er hatte mit ihnen das Ringfülle-Feuer geteilt. Sie mussten ein wenig von ihrem graden Weg abweichen, aber das war ein Dach über dem Kopf schon mal wert. Lanei und Alvina hießen sie und waren wirklich ein sehr nettes, junges Paar. Kurz nach dem Ringfülle-Feuer war endlich ihr Kinderwunsch erfüllt worden, was sie ihm zuschrieben. Estron war sich sicher, dass, wenn er überhaupt etwas damit zu tun hatte, er höchstens die Kraft der Natur an sie weitergereicht hatte.

  Die kleine Hütte stand in einem gerodeten Stück Wald, unweit eines kleinen Dorfes, welches jedoch von Bäumen vollständig verdeckt wurde. Es war ein bescheidenes Heim, sie hatten nicht einmal eine Stallung, in der sie Tiere hätten unterbringen können, denn die eine Ziege nahmen sie immer mit ins Haus. Aber es war ihr eigenes Heim, und sie konnten sich hier gut selbst versorgen, ohne von den Steuereintreibern zu sehr geschröpft zu werden. Es begann schon zu dunkeln, als sie das Feld überquerten. Sie waren erschöpft, denn die Sonne hatte heiß geschienen und sie waren länger gewandert als gewöhnlich, da sie sonst versuchten, ihr Lager noch vor Sonnenuntergang zu errichten.

  Es wunderte sie nicht, als die Tür nicht sofort geöffnet wurde, sondern dass man aus dem inneren des Hauses zuerst noch Gerumpel hören konnte, so als wenn sich jemand noch eilig bewaffnen würde. Erst dann hörten sie von hinter der Tür jemanden rufen: „Wer reist noch so spät?“

  „Mein Name ist Estron. Ich werde auch der Keinhäuser genannt. Und wenn ich mich nicht irre, steht hinter der Tür mein Freund Lanei, mit dem ich jetzt gerne einen schönen Abend verbringen würde.“

  Es begann hinter der Tür zu rumpeln, als die Riegel weggeschoben wurden, und mit einem leisen Knarren schwang die Tür auf. Vor ihnen stand ein Hüne von einem Mann. gut einen Kopf größer als Estron und vermutlich doppelt so breit. In den letzten Sonnenstrahlen konnte man seine leicht gelblichen Zähne im schwarzen Bart blitzen sehen. Er machte einen Schritt auf Estron zu und der Keinhäuser verschwand in seinen Armen, wobei er immer noch wacker versuchte, die Umarmung seines Freunds zu erwidern. Erst einige Augenblicke später fiel Laneis Blick auf Kam-ma und Tro-ky, die eingeschüchtert einen Schritt hinter Estron standen. Der Hüne ließ Estron los und ging auf die Schüler zu. „Du hast Freunde mitgebracht? Kommt doch alle rein.“ Und damit drückte er Estron voran und gab nacheinander den beiden jüngeren die Hand.

  Als sie den kleinen Raum betraten sahen sie gleich eine Frau vor der Tür des hinteren Raumes stehen. Sie war gerade dabei, die Tür zu schließen. Anschließend drehte sie sich um, lächelte ihnen freundlich zu und hielt den Zeigefinger vor den Mund, als Zeichen, dass sie nicht zu laut sein sollten. Estron ging schweigend auf sie zu und umarmte sie eben so herzlich, wie Lanei ihn umarmt hatte. Dann machte er einen Schritt zurück und streichelte ihren runden Bauch. Da sahen auch Kam-ma und Tro-ky, dass Alvina schwanger sein musste. Estron und Alvina lächelten sich an und er umarmte sie erneut.

  Eine gute Stunde später saßen sie bei einem einfachen Mal, zu dem die drei Gäste vermutlich eben so viel beigesteuert hatten, wie die Gastgeber. Unablässig musste Estron erzählen, was ihm in den letzten Jahren widerfahren war und auch seine beiden Schüler wurden mit Fragen gelöchert. Nur ab und zu gelang es dem Keinhäuser ebenfalls Fragen zu stellen, so dass sie nur langsam aus ihren Gastgebern herausbekamen, wie gut es ihnen ging. Denn sie maßen noch immer ihr Glück und ihren Wohlstand an ihrem Kindersegen, den sie, wie sie immer wieder betonten, nur Estron zu verdanken hatten. Allerdings stellte sich bald auch heraus, dass dies nicht erst Alvinas zweite Schwangerschaft war, sondern bereits die dritte. Und wenn es nach den beiden ging, würden sie auch nich
t so bald damit aufhören, Kinder in die Welt zu setzen. Am liebsten eine ganze Scheune voll. Vielleicht sogar so viele, dass es für ein ganzes Dorf neben dem Dorf reichen würde.

  „Wohin seid ihr denn Unterwegs?“

  „Es tut mir leid Alvina, aber das kann ich euch leider nicht sagen.“

  „Ach, dann ist es also wahr, was man sich über den wandernden Keinhäuser erzählt.“

  „Man erzählt sich was über mich? Was denn, Alvina?“

  „Nun, dass du auf der Flucht vor den Priestern bist.“

  „Oh, das ist sogar bis zu euch gedrungen?“

  „Es ist nicht wirklich bis zu uns gedrungen, aber wir waren immer sehr daran interessiert, zu erfahren, wie es um dich steht. Und du weißt sicher auch, dass man mehr erfährt, wenn man die Ohren offen hält und freundlich zu anderen ist.“ Dabei lächelte Alvina und Estron wusste, dass sie ebenso sein Geschick im Zuhören oder vielleicht sogar Aushorchen anderer meinte, wie sie von ihrem eigenen sprach.

 

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