Feen Buch 1: Der Weg nach Imanahm
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Er wusste, dass der Krieger nicht lange zum Aufstehen benötigen würde. Deshalb machte er sich gar nicht erst die Mühe, den Gürtel umzuschnallen, sondern zog einfach die kurzen Klingen heraus und deutete seiner Frau, wieder ins Haus zu gehen.
Dann drehte er sich um.
Zu seiner großen Überraschung hatte der Krieger keine Anstalten gemacht, näher zu kommen, sondern hatte sein Schwert wieder in der Scheide verschwinden lassen. Er stand gelassen die paar Schritte von ihm entfernt und schien auf etwas zu warten.
Darun korrigierte seine Stellung. Mehrere Pläne formten sich ganz nebenbei in seinem Kopf, aber keiner schien ihm vernünftig und sicher für seine Familie zu sein. Ein langer Augenblick verstrich, in dem sich die beiden Kontrahenten in der abendlichen Sonne regungslos gegenüberstanden.
"Sehr gut, Gach-Ensh." Die Stimme des Kriegers war rau und unangenehm in seiner Lautstärke auf dem Hof zu hören. "Ich musste sicher gehen, dass ihr es wirklich seid."
Darun hielt weiterhin seine Kampfstellung aufrecht, das linke Schwert hinter dem Rücken, das rechte entspannt auf den Gegner gerichtet.
"Da ihr mich gefunden habt dürften solche Tests wohl unnötig sein." Tatsächlich war Darun ein wenig verärgert. Wenn ihn einer gefunden hatte, dann konnten es auch andere. Dabei stellte sich jedoch auch die Frage, warum derjenige, der ihn gefunden, ihn nicht auch gleich aus sicherer Entfernung getötet hatte.
"Man kann sich niemals ganz sicher sein und schließlich ist der Gach-Ensh dafür bekannt, falsche Fährten zu legen."
"Und womit habe ich die Ehre ihrer Aufmerksamkeit verdient?"
Der Krieger machte einen Schritt auf ihn zu. Darun spannte seine Muskeln an und machte einen Schritt zurück. Der Krieger blieb wieder stehen.
"Ihr wisst, wer ich bin?"
"Ich weiß, was ihr seid."
"Das sollte wohl ausreichen, um meinem Angebot Nachdruck zu verleihen."
"Ich übe dieses Handwerk nicht mehr aus."
"Wie dumm von euch. Dieses Handwerk lässt man niemals hinter sich. Ihr habt gar keine Wahl, als es wieder auszuüben."
"Ob ich eine Wahl habe, werde ich entscheiden, wenn ihr mir euer Angebot gemacht habt."
Der Krieger lachte, und Darun hasste ihn dafür, denn auch ihm war klar, dass, egal wie das Angebot aussehen würde, er wirklich keine Wahl haben würde, als es anzunehmen. Aber am Ende blieb immer die Hoffnung.
"Nun gut. Ihr werdet jemanden für mich töten. Sein Name ist Shaljel Githon. Als Gegenleistung dafür gebe ich euch mein Wort, dass weder ich noch irgend einer meiner Bekannten euch oder eurer Familie ein Leid zufügen wird noch euch jemals wieder behelligen wird."
Darun spürte, dass dieser Auftrag einen Haken haben musste.
"Und warum macht ihr euch die Mühe, mich zu finden. Um einen Mann zu töten hättet ihr euch einen beliebigen Mörder von der Straße holen können. Oder besser noch, ihr macht es selbst."
"Mein lieber Gach-Ensh, ihr habt natürlich recht, dass ich mir für einen simplen Mord-Auftrag irgendjemand anderen hätte suchen können. Aber ihr verfügt über Fähigkeiten, die ich oder irgendein gedungener Todschläger nicht besitzen. Ihr seid der beste. Ich habe nur gutes von euch gehört, was für euch und eure Zuverlässigkeit spricht. Ihr habt bisher jeden gefunden und das ist die erste Schwierigkeit eures Auftrags."
"Ich fühle mich geschmeichelt, von einem wie euch gelobt zu werden. Ihr wisst also nicht einmal den Aufenthaltsort des Opfers?"
"Oh, nein, das wäre zu einfach. Immerhin weiß ich, dass er sich hauptsächlich in den Gegenden rund um das Taanen-Gebirge aufhält. Er benutzt auch meist seinen richtigen Namen."
"Habt ihr vielleicht noch eine Beschreibung von ihm?"
"In seiner eigentlichen Gestalt werdet ihr ihn vermutlich niemals antreffen, er neigt jedoch dazu als Hutzler aufzutreten."
"Ein Gestaltwandler?"
"Nicht im eigentlichen Sinn. Eher ein mächtiger Magier."
"Ich soll einen von Euch töten?"
"Hat man so etwas schon einmal gehört? Ich würde euch niemals auf einen der unseren ansetzen. Nein, Shaljel ist ein Feen."
Darun wollte erwidern, dass es nicht möglich wäre, einen Feen zu töten, aber er wusste, dass es sinnlos gewesen wäre. Man konnte jeden töten.
"Nehmt ihr an?"
Hatte er eine Wahl? In seinem Verstand setzten sich Pläne zusammen und vielen wieder auseinander. Wenn er allein gewesen wäre, hätte er vermutlich den Kampf gewagt. Mit seiner Familie aber im Haus, war er um ein vielfaches angreifbarer. Auch die Flucht war ihm verwehrt. Erneut, allein hätte er es wohl vermocht, aber mit einer Frau und zwei Kindern waren ihm alle Fluchtwege, die in die Sicherheit geführt hätten, verwehrt.
Hatte er eine Wahl?
Die Sonne war bereits untergegangen, als Darun endlich ins Haus kam. Er hatte lange hin und her überlegt. Einen Ausweg hatte er jedoch nicht finden können.
Breka saß auf ihrem Hocker am Tisch, auf ihrem Schoß sein Waffengürtel. An die Wand gelehnt stand seine Tasche, davor das gesamte Sortiment seiner Werkzeuge. Darun blickte zu Boden. Er sammelte all seinen Mut und schaffte es schließlich in Brekas Gesicht zu sehen. Sie hatte geweint, aber nun würde sie nicht weinen, dass konnte Darun sehen. Und sie hatte Angst, würde es aber nicht zugeben. Sie fragte nur:
"Warum hast du ihn nicht umgebracht?"
"Es war zu gefährlich. Ihr wärt vermutlich alle dabei umgekommen."
"Dann lass uns fliehen." Er wusste, dass sie sich sicher war, dass dies nicht möglich sein konnte. Schließlich hatte sie seine Ausrüstung schon bereitgelegt. Darun lächelte nur traurig.
"Sie würden uns finden. Sie haben mich jetzt gefunden, und sie werden uns wieder finden."
"Aber sie haben lange dafür gebraucht. Selbst Magier brauchen Zeit dafür. Und wenn wir immer wieder fliehen, immer weiter weg, vielleicht sogar in den Schutz der Kirche ..."
"Die Kirche kann uns nicht helfen. Und wir können nicht so schnell fliehen, wie sie uns folgen können. Es mag sichere Orte geben, an denen wir uns verstecken könnten, aber wir würden dort niemals ankommen. Wenn ich jedoch den Auftrag annehme, dann seid wenigstens ihr in Sicherheit." In Gedanken fügte er jedoch hinzu: Soweit ihr als meine Familie jemals in Sicherheit sein könnt.
Breka stand auf. "Wer sind sie, dass du mit ihnen nicht so fertig werden kannst, wie mit allen anderen?"
"Drachen, Breka, sie sind Drachen."
Der Waffengürtel fiel zu Boden.
*
Der Marsch mit Meister Thrael war für Hylei eine Qual. Er redete viel, aber das war an sich nicht schlimm, nachdem sie ihn einmal zurechtgewiesen hatte, dass er leiser sprechen sollte. Sie wollte jedoch nicht, dass er mit seinen Erzählungen aufhörte, denn es war interessant und zum Teil auch lehrreich, was er so berichten hatte. Außerdem lenkte es sie von ihren eigenen Gedanken ab und besonders dafür war sie dankbar. Allerdings konnte sie jetzt sehr gut verstehen, warum es verhältnismäßig leicht gewesen sein musste, ihn gefangen zu nehmen.
Die eigentliche Qual war jedoch, dass Meister Thrael furchtbar langsam ging. Hylei hatte vermutlich am Ende fast die doppelte Strecke zurückgelegt, von dem was der Meister gegangen war, denn sie lief aus purer Langeweile immer wieder vor sah sich den Weg an und kam wieder zurück, um ihn anzuspornen. Manchmal war es jedoch auch notwendig gewesen, den Weg auszukundschaften, denn sie wollte auf keinen Fall auf irgendein Dorf stoßen oder womöglich noch einmal einem der Soldaten begegnen, die vor Meister Thrael geflohen waren.
Der Zauberer schien sich ein wenig über ihre Schnelligkeit lustig zu machen. Er belächelte ihre langen Schritte, schüttelte manchmal sogar den Kopf, wenn sie, ohne auch nur außer Atem zu sein, von ihren Ausflügen zurückkehrte, und hatte bereits mehr als einmal betont, dass sie doch sowieso nicht wüsste, wohin sie eigentlich unterwegs seien. Damit hatte er wohl Recht. Woher hätte sie es auch wissen sollen, zumal sie sogar ihre eigenen Dörfer, das heißt die Dörfer, die sie gewohnt war, zu patrouillieren, nur in der Dunkelheit, wenn alle Menschen schliefen, kannte.
Insgesamt kam sie sich ein wenig seltsam vor. Sie hatte sich endgültig zu
einer ausgestoßenen unter ihresgleichen gemacht, indem sie sich nicht dem Urteil des Rates der Stadt stellte. Und jetzt lief sie mit einem jener herum, von denen sie wusste, dass sie mit jemandem wie ihr, einem Nichtmenschen, einem Feenling, normalerweise nichts zu tun haben wollten. Und dann war da die Sache mit der Magie. Sie hätte nie gedacht, dass sie sich darauf freuen würde, etwas Neues zu lernen, aber vielleicht lag ihre Begeisterung für diesen Gedanken auch darin begründet, dass ihr die Magie nur noch ein weiterer Stein auf der Straße in den Tod war. Denn wenn sie schon nicht von den Menschen getötet werden würde, weil sie ein Feenling war, dann doch vielleicht, weil sie ein Magier wurde. Sie dachte sogar kurz darüber nach, wie schmerzvoll der Tod durch das Feuer oder auf dem Rad sein würde, aber verglichen mit dem, was sie jetzt empfand, erschien es ihr doch eine Erleichterung zu werden.
Denn nur mit Mühe und mit Hilfe der sinnlosesten Beschäftigungen, die ihr einfielen, gelang es ihr, nicht beständig an Yaris Gesicht zu denken, wie es sie aus toten Augen ein letztes Mal angesehen hatte. Sie war schuld an ihrem und am Tod Pejs. Wäre sie nicht ... Halt! Der Magier wollte bestimmt wieder wissen, was vor ihnen lag.
Während des Laufens wischte sie sich eine einzelne Träne aus dem Auge, ohne es zu bemerken.
Meister Thrael genoss diese Reise. Auch wenn Hylei es nicht wissen konnte, er liebte ihren Anblick und fühlte sich so beschützt wie noch nie zuvor. Seine persönliche Macht war niemals eines seiner Probleme gewesen, wenn es um die Begegnungen mit den Priestern ging. Aber er musste auch ab und zu schlafen und sein Auftreten war zu auffällig, dass sich die Menschen nicht an ihn erinnerten. Das gab er sogar gerne zu. Denn er hielt sich für vornehm und dem allgemeinen Pöbel überlegen. Wenn man seine Magie bedachte, war er es wohl auch, dennoch war seine Arroganz wohl hauptsächlich darauf begründet, dass er immer wieder versuchte, sich von seinen Wurzeln zu lösen. Als ihn sein Meister damals gefunden hatte, war es ihm wie so vielen anderen auch ergangen. Er war ein Bauernlümmel gewesen, ein Nichtsnutz, der von seinem Vater zur Arbeit geprügelt worden und nur sehr ungerne morgens aus dem Bett hervorgekrochen war, welches er sich mit drei Geschwistern hatte teilen müssen. Es hatte nie genug zu essen gegeben und die Mutter war, zusammen mit dem fünften Kind bei einem Hochwasser ums Leben gekommen.
Dies war die Geschichte, die er gerne erzählte, wenn man ihn nach seiner Herkunft fragte. Er fügte noch ein paar Schilderungen der Prügel hinzu die er hatte ertragen müssen und wie gut es ihm schließlich ergangen war, als er seinen Meister, einen weitgereisten Händler, traf. Sein Vater hatte ihn damals verkauft, um sich anschließend von dem bisschen Geld besaufen gehen zu können.
Die Wirklichkeit sah erstaunlich anders aus. Thrael war der Sohn eines Magiers, etwas sehr seltenes, wenn man bedachte, dass zum einen sehr viele Magier entweder an den Folgen ihrer eigenen Magie oder durch die Hand der Priester starben, zum anderen sich das Talent der Magie bisher nur in den wenigsten Fällen auf die Kinder vererbt zu haben schien.
Als Sohn eines Magiers war Thrael trotzdem in Armut aufgewachsen, denn um auch nur irgendwo in Ruhe leben und ihren Unterhalt verdienen zu können, waren die meisten Magier gezwungen, ihre Fähigkeiten geheim zu halten und mühsam in irgend einem Dorf die Arbeit eines Bauern zu verrichten. Die wenigen reichen Magier mussten doppelt vorsichtig sein, denn der Neid auf den Reichtum verleitete viele dazu, einen Reichen genauer zu beobachten.
Thraels Vater hatte Thraels Leben zusätzlich erschwert, indem er ihm von den Reichtümern erzählt hatte, die einst in seinem Besitz gewesen waren. Denn in seinem früheren Leben war er der Sohn eines mächtigen Stadtrates gewesen, der sich nur schwer mit der Andersartigkeit seines einzigen Kindes hatte abfinden können. Thrael wusste nicht genau, was schließlich dazu geführt hatte, dass sein Vater diesen Reichtum hatte aufgeben müssen, aber es schien irgendwie mit seiner Mutter in Zusammenhang gestanden zu haben.
Anders als bei vielen Magierlehrlingen war Thrael auch durch seinen Vater in die Schule eingeführt worden und hatte entsprechend der Dinge, die er schon von ihm gelernt hatte, immer glänzen können. Das hatte ihn nicht gerade beliebt gemacht. Aber Thraels Ziel in der Schule war auch nicht gewesen, beliebt zu werden, sondern genug Magie zu lernen, um zum einen bei seinem Großvater herauszufinden, warum sein Vater verstoßen worden war, und zum anderen sehr, sehr reich zu werden.
Mit beidem hatte er niemals wirklich Erfolg gehabt. Bis er seinen Großvater hatte schließlich ausfindig machen können, war dieser bereits gestorben und die Kinder seiner zweiten Frau hatten den Besitz übernommen. In Anbetracht der Tatsache, dass sie vermutlich entweder nichts von ihm wussten oder seinen Vater für einen Schwarzmagier halten musste, hatte Thrael es damals nicht für angebracht gehalten, sich ihnen vorzustellen. Stattdessen hatte er ein wenig Nahrung, Kleidung und ein paar kleinere Wertgegenstände aus ihrem Besitz in seinen gebracht, was er niemals als Diebstahl angesehen hätte, da er sich immer um sein Erbe betrogen fühlte.
Von da an war sein Weg nahezu vorgezeichnet gewesen. Er hatte sich mit seinem Talent durchgeschlagen, manchmal mehr schlecht als recht, aber meist am Ende doch erfolgreich. Er hatte Besitz angehäuft und ihn verborgen, er hatte Häuser gekauft und vermietet, sich bei Händlern beteiligt und wieder auszahlen lassen. Aber er konnte einfach nicht an einem Ort bleiben. Die Sesshaftigkeit erinnerte ihn zu sehr an das Leben, welches er mit seinem Vater geführt hatte. Er wollte sich nicht verbergen, nicht einmal, nachdem ihm schon nach nur einem Jahr die ersten Priester gefolgt waren. Schon damals hatte er den Zauber des Brennenden Fleisches sehr gut beherrscht. Trotzdem hatte er großes Glück gehabt, dass er seine Gegner überrascht hatte und nicht umgekehrt er von ihnen überrascht worden war. Einen Zauber zu kenne, und ihn in der Anwendung zu sehen, ist schließlich doch ein großer Unterschied. Er hatte sich Wochen später noch regelmäßig bei dem Geruch von angebranntem Fleisch übergeben.
Und das war sein Einstieg in das Leben als gesuchter Häretiker gewesen. Sein Glück hätte wohl nicht lange angehalte, wenn nicht seine alten Meister aus der Schule auf ihn zugekommen wären, um ihn als Sucher anzuheuern. Mit Hilfe der Schule und ein paar Monaten Ruhe und Beistand durch die anderen Magier, war er bereit gewesen, sein Leben etwas ruhiger angehen zu lassen, und etwas vorsichtiger mit seiner Umgebung umzugehen. Und er hatte ein wenig Speck angesetzt. Das half, damit man ihn nicht mehr für allzu gefährlich halten musste. Außerdem hatte er in seinem Leben zu oft auf Essen verzichten müssen.
Alles in allem war er inzwischen an einem Punkt angekommen, an dem er sagen konnte, dass sein Leben es bisher gut mit ihm gemeint hatte, auch wenn er immer noch nicht auf die Weise reich war, wie er es sich immer gewünscht hatte: mit einem großen Bett, viel zu essen und Dienern, die für ihn heizten. Den Besitz hätte er gehabt, die Ruhe nicht.
Aber dafür war er jetzt, endlich, einem Feenling über den Weg gelaufen. Und dieser war sogar bereit gewesen, mit ihm mit zu kommen. Aber am besten war dabei, dass sie wahrlich eine Augenweide war, mit ihrer schlanken, grazilen, dennoch kraftvollen Gestalt und ihren großen, braunen Augen. Sie hatte etwas von einer Katze. Etwas schleichendes, arrogantes, geschmeidiges. Er mochte Katzen.
Das Leben hatte es wahrlich gut mit ihm gemeint.
Hylei bereitete das Nachtlager. Sie tat es allein. Sie sammelte die Sträucher und Äste für ihr Dach, hinter dem sie sich verbergen konnten, und das ihnen Schutz vor Wind und Regen bieten sollte. Sie sammelte Kräuter und Beeren zum Essen. Sie machte kein Feuer und ging auch nicht auf die Jagd. Sie mochte kein rohes Fleisch. Sie wusste von einigen Feenlingen, die ihre Fleisch und auch ihren Fisch roh aßen. Sie hatte sie dabei beobachtet und auch mal gekostet. Es machte ihr nichts aus, aber sie bevorzugte tatsächlich Obst, Gemüse und Pilze. Aber Meister Thrael mochte Fleisch und er hatte an den ersten Abenden immer wieder darauf bestanden, dass sie auch Fleisch bereiten sollte. Nicht dass es ihm etwas genutzt hätte. Seitdem sie bei den Feenlingen gelebt hatte, hatte sie gelernt, sich nicht mehr einfach so herumschupsen zu lassen wie im Dorf, nur weil sie eine Frau war. Nicht dass es die Männer im Dorf leicht mit ihr gehabt hätten. Es hatte immer geheißen, dass ih
re Eltern sie verdorben hätten, obwohl sie das nicht bestätigen konnte. Damals war sie jedoch noch in dem Bewusstsein gewesen, dass Männer und Frauen unterschiedliche Aufgaben zu erfüllen hatten und es hatte sie nicht gestört. Doch jetzt hatte sie genauso neben Männern gekämpft, wie jene das Essen bereitet hatten. Das Leben des Ausgestoßenen folgte nun mal anderen Regeln. Und wenn Thrael meinte, sie würde sich einfach so in die Rolle zurückstoßen lassen, die die Dorfbewohner ihren Töchtern zugeschrieben hatten, dann irrte er. Das hatte sie ihm auch gesagt. Er hatte gelacht und für diesen Abend nicht mehr darüber gesprochen. Der Streit hatte sich jedoch an den folgenden Abenden wiederholt, bis sie ihm gesagt hatte, dass er gerne eine eigene Hütte bauen könnte, denn wenn er weiter so einen Mist reden würde, würde sie ihn nicht mehr in ihre hinein lassen. Wieder hatte er gelacht, aber von da an kein Wort mehr zu diesem Thema fallen lassen.
Das Essen war ruhig, zu ruhig für Hyleis Geschmack, denn sie hätte sich gerne ablenken lassen. Ihre Augen schweiften über das Gelände, ihr Kopf zuckte herum, um möglichst viel der Umgebung im Blick behalten zu können. Schließlich verweilte ihr Blick für einen Moment auf Thrael, der ihn erwiderte.
"Morgen kommen wir an." Und nach einem kurzen Augenblick, in dem er wohl auf eine Reaktion von ihr wartete: "Es wird sich nicht vermeiden lassen, dass wir ein Dorf betreten." Zu Thraels Genugtuung verzog Hylei das Gesicht, wobei er ihren Ausdruck nicht zu deuten wusste. Sie antwortete ihm jedoch nicht. Er nahm dies als ein Zeichen, dass sie kein Gespräch wünschte und hielt sich mühsam zurück, ihr nicht doch von den Dorfbewohnern zu berichten.
Hylei schlief schlecht in dieser Nacht. Bisher hatte sie den Gedanken an Dörfer oder auch nur an die Gemeinschaft der Magier verdrängt. Sie fürchtete sich davor, wieder unter Menschen zu sein, zu sehr saß, selbst nach all dieser Zeit, der Schmerz und die Angst der Vertreibung in ihr. Aber was sollte sie jetzt noch tun? Sie könnte weglaufen. Aber inzwischen hatte sie feststellen müssen, dass sie die vollständige Einsamkeit noch mehr fürchtete. Und sich selbst umbringen, das würde sie nicht noch einmal versuchen. Warum sie es jedoch nicht schon längst noch einmal versucht hatte, hätte sie auch nicht zu sagen vermocht. Irgendetwas bohrte in ihr, dass sie dieses Leben nicht beenden würde. Sie suchte den Tod, ja, aber sie würde ihm nicht die Arbeit abnehmen.