Feen Buch 1: Der Weg nach Imanahm

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Feen Buch 1: Der Weg nach Imanahm Page 38

by Peter Singewald


  An all diese Sachen hatte er in den letzten Tagen jedoch nur selten gedacht. Viel mehr beschäftigte ihn, wie Kam-ma ihr Herz Streiter öffnete und es nach und nach schaffte, auch sein Herz ein wenig zu erweichen. Es war schön, dass die beiden für einander da sein konnten. Besonders für Streiter freute Tro-ky sich, denn es hing immer eine Traurigkeit über ihm, die auch nicht verflog, wenn er sein bellendes Lachen ausstieß. Aber gleichgültig, wie viel Gutes aus dieser Freundschaft und Liebe entstehen mochte, die Wahrheit war, dass er selbst mehr Trauer darüber empfand. Natürlich konnten Kam-ma und Streiter bis zu ihrem Lebensende zusammenbleiben, von Ort zu Ort ziehen oder in einer Hütte wohnen. Am Ende sah Tro-ky jedoch die Einsamkeit, die die beiden begleiten würde. Die Menschen würden sie meiden und verachten, wenn sie sie nicht sogar verfolgten. Bei den Halb- und Tiermenschen würden sie ebenfalls keine Gemeinschaft finden. Nur bei Estron und seinen Anhänger konnten sie auf Verständnis hoffen. Vielleicht würde ihnen das genügen. Es hatte Kam-ma und ihm selbst bisher ja auch genügt.

  Vielleicht machte er sich jedoch auch zu viele Gedanken. Das hatte seine Mutter immer gesagt, wenn sie ihn hatte Grübeln sehen. Manchmal hatte sie es auch weniger Freundlich ausgedrückt, wenn er dabei seine Arbeit vernachlässigt hatte. Bei Estron hatte er gelernt, sich seine Gedanken zu machen und dabei weiter auf seine Umwelt zu achten. Wenn man Monate lang unter freiem Himmel lebte, konnte man es sich nicht leisten, vollständig in seinen eigenen Gedanken zu verschwinden, selbst wenn ihr Meister sie beschützte. Deswegen fiel es ihm auch recht leicht, den Worten des Händlers zu folgen und gleichzeitig seine Antworten zu überdenken, damit er nichts sagte, dass sie als Gruppe später bereuen mochten. Allerdings waren sie es gewohnt, ihre Namen wie auch alles andere, dass sie anging, geheim zu halten, es sei denn, Estron hatte gespürt, dass sie jemandem begegnet waren, der offen für seine Worte war. Bisher hatte er sich niemals geirrt und nur einmal hatten sie befürchtet, dass er seine Gegenüber falsch eingeschätzt hätte.

  Ein Dorf. Seit einem Jahr wanderten Tor-ky und Kam-ma mit ihrem Meister durch die Welt. Sie hatten sich immer wieder verstecken müssen, waren aber auch freundlich aufgenommen worden. In den Dörfern und Gehöften waren es vor allem die Frauen gewesen, die zu Estron gekommen waren, um ihm zuzuhören. Sie brachten ihnen Nahrung und Freundschaft. Estron brachte ihnen Hoffnung, Weisheit und einen Glauben jenseits der Götter. Wenn sie länger bleiben konnten, brachten die Frauen auch ihre Kinder und ließen sie vom Keinhäuser segnen. Sie hielten die kleinen auch Kam-ma und Tro-ky hin, die anfänglich von dieser Ehrerbietung überfordert waren. Es hatte vieler solcher Begegnungen bedurft, bis sie akzeptiert hatten, dass auch ihr Segen den Menschen etwas bedeutete.

  Für gewöhnlich kamen die ersten Männer erst, wenn die Frauen Estrons Erzählungen seit mehr als einer Woche gelauscht hatten. Es war ein Muster, dass sich immer wieder Wiederholte. Wenn man es oberflächlich betrachtete schienen sich die Männer keine Gedanken um ihren Glauben, um den Tod oder die Welt außerhalb ihres Dorfes machen zu wollen. Tro-ky wusste jedoch, dass dem nicht so war. Er kannte die Gespräche der Männer nach der Arbeit. Er war zwar noch jung gewesen, als sie das Dorf verlassen hatten, die Feldarbeit, die er hatte leisten müssen, hatten ihn jedoch auch dazu berechtigt, an den abendlichen Runden teilzunehmen. Er hatte sie über all die Dinge sprechen hören, über die die Frauen mit Estron beteten, nur nannten sie es oft nicht beim Namen. Sie machten sich keine Gedanken um die Seele oder ein Sein nach dem Tod. Sie machten sich Gedanken darüber, wie sie den Tod verhindern und für ihre Angehörigen Vorsorge treffen konnten. Sie machten sich keine Gedanken darüber, was jemand ihnen von der Welt erzählen konnte, denn sie gingen Jagen und auf Märkte und viele von ihnen hatten als Hilfstruppen an Kämpfen gegen Halb- und Tiermenschen teilgenommen. Als Fronpflichtige oder Erbpächter mit geringen Rechten, blieb den Männern oft keine Wahl, als ihre Höfe zu verlassen und als gemeines Fußvolk zu dienen. So hatten sie wenigstens noch eine geringe Chance lebend zurückzukehren. Falls sie zurückkehrten, hatten sie kein Interesse mehr an den Geschichten eines Wanderers, der ihre Feinde kannte. Wenn Estron und seine Schüler hatten fliehen müssen, waren sie denn auch meist von den Männern verraten worden.

  In diesem einen Dorf waren sie bereits an der Palisade von dem Vorsteher empfangen worden. Hinter ihm hatten sich die Bauern aufgestellt. Auf den ersten Blick mochte man sie für eine kleine, unschuldige Versammlung halten. Aber die Wanderer hatten solche Versammlungen zu oft gesehen. Meist aus der Entfernung, wenn sie kamen, um sie gefangen zu nehmen oder sie zu vertreiben. Diesmal breitete jedoch der Anführer seine Arme aus und lächelte. Er war nicht groß. Er war beinahe kahl. Er hatte einen Bauch, der von zu viel Wurzelbier zeugte. Er wirkte eitel in seiner bunten und teuren Kleidung. Dennoch strahlte er Autorität aus. Seine Selbstsicherheit hielt die Männer hinter ihm auf Abstand und selbst wenn er nicht derjenige gewesen wäre, der sie angesprochen hätte, wäre doch jedem Neuankömmling sofort klar gewesen, dass er der Anführer war. Tro-ky hatte vermutet, dass er ein Wiesel war, ein kleiner, unangenehmer Mann, der mit seinem Reichtum und kleinen Erpressungen die Männer kontrollierte. Solchen Menschen konnte man nicht vertrauen. Dass er sie mit offenen Armen begrüßt hatte, machte ihn in den Augen des jungen Mannes nur noch verlogener.

  „Willkommen. Wir haben euch erwartet.“ Sein Lächeln war größer geworden und hatte sogar seine Augen erreicht. Auch die Männer hinter ihm hatten gelächelt. Tro-ky wäre am liebsten geflohen und er hatte auch Kam-ma neben sich gespürt, die etwas zurückgefallen war. Auch sie hätte dieses Dorf wohl gerne nicht betreten. Aber Estron war auf den Mann zugegangen und hatte ihn umarmt. In diesem Moment waren die Frauen mit ihren Kindern herausgekommen und hatten sich zu ihren Männern gesellt. Sie hatten nicht verängstigt gewirkt, wie Tro-ky erwartet hatte, nur vorsichtig. Trotzdem hatte er seine Vorbehalte beibehalten. Nachdem sie sie in ihr Dorf hineingelassen hatten, hatten sie ihnen eine eigene Hütte zugewiesen. Die Einrichtung war sauber gewesen, man hatte jedoch sehen können, dass die Hütte nicht mehr regelmäßig bewohnt worden war. Im Laufe der nächsten zwei Tage hatten sie erfahren müssen, dass noch mehr Hütten leer gestanden hatten.

  Am Abend des ersten Tages hatte sich das ganze Dorf versammelt, um den drei Wanderern einen angemessenen Empfang zu bereiten. Ein Fest, voller verhaltener Freude, denn die Dorfbewohner schienen ihren Gefühlen keine Freiheit gewähren zu wollen. Etwas belastete sie und sie blickten immer wieder zu ihrem Vogt, den sie nur mit seinem Titel ansprachen. Tro-ky erfuhr nie seinen Namen. Aber sie behandelten ihn mit Respekt, sogar Hochachtung, die selbst dem misstrauischen jungen Mann schließlich hatte bewusst werden lassen, dass er sich dies hatte verdienen müssen. Eine Leistung, die umso größer wog, da die Vögte in dieser Gegend von den Priestern eingesetzt wurden und die Dorfbewohner berechtigten Groll gegen die Tempel, Priester und Söldner empfinden mussten.

  Erst am Nachmittag des nächsten Tags hatte Estron sich mit dem Vogt, den wichtigsten Bauern und seinen beiden Schülern zusammengesetzt, um über die Leiden der Bewohner des Dorfes und der Gehöfte der Umgebung zu sprechen. Die gesamte Zeit bis zu diesem Treffen hatte er damit verbracht, mit den weniger gewichtigen Einwohnern zu sprechen, denen Rat zu geben, die danach suchten, Segen zu spenden, denen er nicht anders zu helfen vermochte. Er hatte wohl alle Kinder des Dorfes und der Familien, die angereist waren, um den Keinhäuser zu sehen, in den Arm genommen und sie hatten ihn ohne Unterschied freudig angelächelt und umarmt. Kam-ma fiel es dabei leichter als Tro-ky, die Menschen zu berühren und sich für sie zu begeistern. Aber Tro-ky hatte es mit der Zeit gelernt, auch wenn es für ihn immer mehr Mühe bedeutete als für Kam-ma und vor allem Estron. Ihren Meister würden sie beide niemals erreichen.

  Was ihm Kam-ma gegenüber jedoch an Einfühlungsvermögen und Offenheit voraus hatte, besaß er mehr an Neugier und Aufmerksamkeit. Estron erklärte nicht viel, sondern ging davon aus, dass sie auf dem Weg lernen würden, aber einmal hatte er sich laut darüber gewundert, wie gut es war, dass sie sich in ihren Talenten so natürlich ergänzten.

  So war es in diesem Dorf für Tro-ky schwer gew
esen, aus dem Schatten der beiden anderen herauszutreten, wenn es um die Zuneigung ihrer Gastgeber ging, er hielt jedoch seine Augen und Ohren offen und lernte vieles, was sein Misstrauen zuerst verstärkte, schließlich aber beruhigte. Da waren zum Beispiel die bemühten Versuche, sich die Gefühle nicht anmerken zu lassen, ein Schauspiel zu Gunsten der Gäste. Verdächtig, aber am Ende war es dies, was ihn überzeugte, denn mit der Zeit konnte er die Verzweiflung und Trauer erkennen und fand nicht die Feindseligkeit, nach der er gesucht hatte.

  Beim ersten Gespräch mit dem Vogt war er allerdings noch nicht so weit gewesen, seinen Fehler einzugestehen und hatte Estron noch einmal leise gewarnt. Sein Meister hatte ihn jedoch nur angesehen, sein gütiges Lächeln aufgesetzt und seine Bedenken mit einem Kopfschütteln weggewischt.

  Sie waren über zwei Wochen dort geblieben. Es hatte zwar nicht viel gegeben, was sie hatten tun können, denn Estron suchte nicht den Kampf mit den Priestern, aber ihre Anwesenheit gab den Dorfbewohnern Hoffnung und vielleicht sogar ein wenig Seelenfrieden, etwas, was ihnen die Priester, die die Ketzer aus dem Dorf herausgetrieben hatten, nicht mehr geben konnten. So oder ähnlich hatten die Männer von Sonne und Schwert sich wohl ausgedrückt. Der Vogt hatte sich nicht widersetzt, aber er hatte geredet. Er hatte versucht die Anklagen herunterzuspielen, hatte gebeten, gebettelt und gefleht. Am Ende waren all seine Worte jedoch umsonst gewesen. Vielmehr hatte er es sogar noch schlimmer gemacht, denn nur durch das Eingreifen ihres eigenen Priesters, eines frommen, einfachen Mannes im Dienst der Göttin Maigeitho. hatten sich die fremden Priester davon abhalten lassen, auch den rundlichen Mann mitzunehmen. Stattdessen hatten sie den mutigen Hüter ihres Glaubens hinter sich her gezerrt. Er fehlte ihnen, wie die anderen, denn er hatte sich, wie es sich für Mitglieder seines Ordens gehörte, gut mit Tieren ausgekannt und war ein feiner Kerl gewesen. Man hatte ihn zwar nicht hinausgetrieben, seine Gemeinde konnte sich aber sehr gut vorstellen, was mit Erziehung und Disziplinierung gemeint war, genauso, wie sie wussten, dass die Hinausgetriebenen nicht zurückkehren würden, denn den Kammern der Priester Veshtajoshs entkam man nicht mehr. Und alles nur, weil einige gewagt hatten, Zehntflüchtigen Unterschlupf zu gewähren.

  Estron hatte sich alles angehört. Natürlich gab es nichts was er hätte tun können. Aber er hatte ein offenes Ohr für ihre Sorgen und sie für seine Lehren. Und das war das erstaunlichste, fand Tro-ky, das er gar nicht versuchte, den Menschen, mit denen er sprach, seinen Glauben, ja seine Religion zu vermitteln. Er schöpfte aus seinen Erfahrungen und fand die richtigen Worte, um Trost zu spenden und gleichzeitig seine Überzeugung zu teilen, dass die Natur die wahre göttliche Kraft war, von der alle Götter nur Teile sein konnten. Er sagte nie ein Wort gegen die Priester. Deswegen war er anfänglich auf seinen Reisen auch so überrascht gewesen, als sie begonnen hatten, ihn zu verfolgen. Verglich man jedoch seine Lehren mit den offiziellen, sanktionierten und einzigen der Kirchen, dann waren sie rein, unschuldig, uneigennützig und einleuchtend.

  Hätte Estron nicht darauf bestanden, dass sie weiter gehen mussten, der Vogt hätte sie nicht gehen lassen. Letztendlich hatte Estron eine junge Frau, die sich am gelehrigsten Erwiesen hatte, weihen müssen, damit sie dem Dorf als Priesterin dienen konnte. Einige hatten gegen die Weihe einer Frau gemurrt, aber der Meister hatte sie damit beruhigt, dass sie nur eine Mittlerin der Lehren sei, bis ihr alter Priester wieder zurückkehren würde. Aber bereits mit der Weihe war etwas von seiner Autorität auf sie übergegangen und selbst der Vogt hatte sie mit Ehrfurcht behandelt. Später hatte Estron seinen Schülern anvertraut, dass ihm nicht wohl bei dem Gedanken war, dass andere dachten, jemand hätte mehr Wert, nur weil er von ihm, Estron, dem Keinhäuser, die Hand aufgelegt bekommen hatte. Dennoch war damals der Same einer Idee in Estrons Geist gepflanzt worden, von dem er selbst nichts gewusst hatte, bis Shaljel ihn vor den roten Stein geführt hatte.

  Aber davon wussten weder Kam-ma noch Tro-ky etwas. Die Zeit rückte jedoch näher, da Estron ihnen den Plan eröffnen würde. Sobald sie Imanahm erreichten, würden sie so viel zu organisieren haben, dass jeder seinen Teil dazu würde beitragen müssen. Solange würden die beiden noch im Dunkeln tappen und auch die Händler würden sich mit der Lügengeschichte von dem Besuch bei Verwandten begnügen müssen.

  *

  Imanahm war eine Hochburg der Priester. Hier stand der große Tempel Veshtajoshs, der Ort von dem aus die meisten Priester von Sonne und Schwert auszogen. Und hierher kamen sie zurück, um die Häretiker, derer sie habhaft wurden, zu befragen. Enk wusste, dass ihre Form der Befragung sich wenig von der seinen unterschied. Es war nicht an ihm, sie dafür zu verurteilen, auch wenn sie es unter dem Mantel des Glaubens und der Heiligkeit taten.

  Er war schon oft hier gewesen, um Aufträge auszuführen und um sie anzunehmen. Imanahm war eine Stadt voller Kaufleute, die nicht zimperlich waren, wenn es darum ging, ihre Geschäftsinteressen durchzusetzen. Mit ihren Schiffen fuhren sie die Küsten entlang und die Bucht des Großen Jahm hinauf bis nach Rakjahm, dorthin, wo die Chuor den Verkehr zu Wasser kontrollierten. Zu Land reisten ihre Karawanen bis in den hohen Norden, wo sie gelegentlich sogar Enks alte Heimat erreichten. Offenbar waren die letzten Jahrzehnte, wenn nicht sogar Jahrhunderte, die Geschäfte der Imanahmer sehr gut gegangen, wenn man nur die Vormachtstellung auf den Handelswegen betrachtete. Aber man brauchte sich nicht auf die Handelsstraßen begeben, um den Reichtum der Kaufleute zu sehen. Die Häuser, mit ihren elaborat verzierten Fassaden, den bunten Dächern, den kunstvollen Türen und gewundenen Türmen, erzählten die Geschichte der Familien und ihrer Reichtümer, eine Geschichte voller Kämpfe, Verrat und Intrigen. Und die Zahl ihrer Intrigen wurde nur von ihrer Gier übertroffen. Dabei waren sie sich ihrer Sünden bewusst, wie Enk gelernt hatte, und von diesen Sünden profitierten die Priester und ihre Tempel. Die Tempel gehörten oft genug den einzelnen Familien, die sie gebaut hatten und unterhielten. Die obersten Ämter in den Tempeln waren von Familienmitgliedern besetzt. So war es wohl nur oberflächlich richtig, wenn man Imanahm für eine Hochburg der Priester hielt. Die Gläubigen taten es, aber was wussten sie schon von dem, was in Glaube und Tempel wirklich wichtig war. Nach allem, was Enk erfahren hatten, waren es nicht die Götter.

  In seiner kleinen Unterhaltung mit dem guten Bruder Jufem hatte er erfahren, dass die Priester von Sonne und Schwert in dem Tempel dieses Ortes einen besonderen Folterknecht hatten, der angeblich von den Göttern mit einer Gabe gesegnet war, die ihm erlauben sollte, in die Seele der Ketzer zu blicken. Enk konnte sich gut vorstellen, was die Priester darunter verstanden. Er konnte ebenfalls in die Seele seiner Opfer blicken, wenn sie ihm alles offenbarten, weil sie dafür einen schnellen Tod erhofften. Es bestand natürlich die Möglichkeit, dass die Priester einen Magier in ihrer Mitte hatten, der tatsächlich in den Geist der Gefangenen einzudringen vermochte. Er versuchte nicht allzu oft an diese Möglichkeit zu denken, denn das breite Grinsen, das in diesen Momenten über sein Gesicht zu ziehen versuchte, war schwer zu unterdrücken. Die Möglichkeit hingegen, dass die Götter ihren Dienern Macht verliehen, erschien Enk doch eher abwegig, wenn man sich betrachtete, wer die Priester waren und von wem sie tatsächlich ihre göttlichen Weisungen erhielten.

  Nur, dass jemand, der tatsächlich in sein Herz blicken konnte, ihn enttarnen konnte, machte ihm ein wenig sorgen. Andererseits hatte er nicht vor, irgendeinem Priester die Möglichkeit zu geben, ihn auf irgendeine Weise zu sehen.

  Dieser Seelenblicker war trotzdem der Grund, warum er Imanahm besuchte. Der dahinhingeschiedene Jufem hatte ihm berichtet, dass nur dieses Mannes wegen die wichtigsten und widerspenstigsten Ketzer hierher geschickt wurden. Der Priester hatte nicht ohne Anerkennung und Bewunderung behauptet, dass noch jeder, der in diese Stadt gebracht worden war, seine Geheimnisse Preis gegeben hatte. Als eine Art Bestätigung hatte er darauf hingewiesen, dass die Berichte dieser Geständnisse, in Kurzform, an alle größeren Tempel in den anderen Städten übermittelt wurden. Enk hatte dazu nur genickt, sich aber im Stillen gedacht, dass diese Berichte besser sein würden, als alles, was er in den Bibliotheken hatte finden können. Er hatte sich in Fasanal recht s
chnell in der Nacht Zugang zu den Geständnissen verschafft. Nachdem er jedoch die ersten Blätter überflogen hatte, wusste er, dass er die ausführlichen benötigte, denn bis auf einen Satz über das Geständnis und eine genaue Beschreibung der Person selbst, stand dort nichts. Die Schwierigkeit, wie er sich ohne Aufsehen zu erregen, Zugang zu den Archiven im Großen Tempel verschaffen und dort längere Zeit ungestört die Unterlagen lesen können sollte, war ihm durchaus bewusst. Einen Augenblick lang hatte er mit dem Gedanken gespielt, sich als Jufem auszugeben, aber das Risiko, dass jemand dort den Priester gekannt hatte, war zu groß. Es gab jedoch andere Wege, in ein Gebäude einzudringen.

 

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