Immer noch deutlich in der Überzahl, nun aber ohne Anführer und jeglicher Strategie beraubt, begannen die Jaltus sich von ihren Gegnern zu lösen und die Böschung hinaufzulaufen. Pethen war es froh, denn ohne den Überraschungsmoment und seine Magie war er nur ein schlechter Messerkämpfer, der sich für kurze Zeit mühsam eines Gegners erwehrt hatte.
Er blickte sich um und beobachtete, wie Hylei ihr Wurfholz einsammelte und zu ihm kam. Gleichzeitig kehrten die beiden Wächter zu den drei verängstigen Menschen auf dem Weg zurück. Sie hatten zwei weitere Jaltus, die nicht schnell genug die Böschung hinaufgeklettert waren, getötet. Während der größere der beiden leise mit den Personen sprach, die vermutlich seine Arbeitgeber waren, ging der andere von einem Körper zum nächsten. Mit heftigen Stichen in die Kehlen beendete er das Leben der verwundeten Jaltus und untersuchte anschließend die gefallenen Menschen. Hylei wandte ihren Blick von dem blutigen Schauspiel ab und auch Pethen gefiel es nicht, wie bedenkenlos die Verwundeten getötet wurden. Er war bereit, im Kampf zu töten, auch wenn er sich nicht sich war, ob es tatsächlich schon einmal so weit gekommen war. Dies war jedoch einfach nur noch abschlachten.
Die kleine Gruppe kam auf sie zu, angeführt von einem älteren Mann mit grauen Haaren und einem Backenbart, an dem die Reisekleidung unpassend wirkte. Hinter ihm gingen zwei jüngere Männer, die mit ihm verwandt sein mochten, oder einfach nur aus dem gleichen Dorf kamen, wenn man nach der gemeinsamen kräftigen Nase und der hohen Stirn ging. Ihre Waffen hatten sie zurück in gut gepflegte, wenn auch einfache Scheiden an ihren Gürteln gesteckt. Sie waren etwas größer als der Alte und auch als die beiden Flüchtlinge, jedoch nicht so groß wie der Bewaffnete, der direkt hinter dem Alten stand und sein Schwert nun gesenkt hielt. Er blickte sie gelassen aber aufmerksam an.
„Unsere Retter! Aemavheas sei Dank, dass er eure Wege zur rechten Zeit an diesen Ort geführt hat. Wie können wir euch diese große Tat vergelten.“ Er sprach diese Worte jovial und fast fröhlich aus, gleichsam als würde er einen Gast in seinem Haus begrüßen. Pethen spürte jedoch, dass der Mann nur mühsam seine Sinne beisammen hielt. Die beiden jüngeren Männer hinter ihm schienen nicht so viel Übung und Geschick im Umgang mit Fremden zu haben, denn sie wirkten niedergeschlagen und blickten immer wieder zu den Toten, bis dem einen die Tränen zu rinnen begannen. Pethen konnte es ihnen nicht verdenken. Auch ihm war nicht wohl bei dem Anblick des Todes um ihn herum, wohl aber aus anderen Gründen. Hylei ging ein paar Schritte vom Kampfplatz fort und drehte den anderen den Rücken zu, was Pethen gut verstehen konnte. Sie verabscheute die Brutalität der Söldner. Außerdem missfiel ihr die Freundlichkeit fremder Menschen. Sie wollte die Möglichkeit, als Feenling erkannt zu werden, so gering wie möglich halten und empfand kein Bedürfnis viele Worte zu wechseln. Ihr junger Weggefährte ahnte jedoch, dass auch die Wut auf ihn, auf seine unbedachten Taten und darauf, dass er sie in diesen Kampf zum Wohle von Menschen hineingezogen hatte, keine geringe Rolle bei ihrer Abkehr spielten.
Pethen hatte Hylei nachgeblickt und nicht gleich geantwortet, so dass der Fremde mit einem etwas betroffenerem Ton fortfuhr.
„Was hat sie? Ist ihr nicht gut? Ist sie verletzt?“
„Oh, verzeiht, nein, sie ist nicht verletzt, soweit ich weiß.“ Pethen zögerte und blickte noch einmal zu Hylei, musterte dann aber wieder die vier Männer vor sich.
„Macht euch bitte keine Gedanken. Gegen Jaltus muss man sich einfach helfen, Herr“
„Es war jedoch sehr selbstlos von euch. Zumal ihr ohne bedenken hervorgestürmt seid und die Übermacht überrumpelt habt. Ihr beide wart wirkungsvoller als meine vier Wachen, die ich für diese Reise angeheuert habe.“ Er warf einen Blick auf den Mann knapp hinter sich, dessen Gesicht gleichgültig zu bleiben schien. Wenn man jedoch genauer hinsah, konnte man erkennen, dass die Augen sich ganz leicht verengt hatten. Pethen, dem nicht daran gelegen war, einen Streit mit einem Söldner anzufangen, wand schnell ein: „Ohne eure Wachen, wären wir zu spät gekommen. Wir hatten auch nur Glück, dass die Jaltus sich von uns haben erschrecken lassen. Meine Schwester und ich sind nur Jäger, keine Krieger, wir hätten hier nicht bestehen können.“ Der Mann wischte Pethens Einwände jedoch mit einer flüchtigen Handbewegung weg.
„Sei es wie es will, ihr beide seid unsere Retter. Ohne euch hätte die beiden jungen Leute und ich das gleiche Schicksal ereilt wie Fialfas und Revigel. Und da ihr unser Leben gerettet habt stehen wir in eurer Schuld.“ Damit verbeugte er sich und die beiden jungen Männer taten es ihm gleich. Pethen errötete.
In diesem Moment stieß der zweite Söldner zur Gruppe hinzu. Als ihn sein Kamerad anblickte, schüttelte er nur kurz den Kopf und der größere beugte sich zu seinem Soldgeber hinab, um ihm etwas ins Ohr zu flüstern. Erst als der Alte nickte, aber nicht überrascht zu sein schien, begriff Pethen, wie ungewöhnlich es war, dass die Überlebenden sich zuerst um ihre Retter gekümmert hatten, ohne zuvor die Gefallenen, die wohlmöglich noch gerettet werden konnten, aufzusuchen.
„Dann werden wir die Toten verbrennen und ihnen eine Stele errichten.“
Die beiden Söldner legten fast gleichzeitig ihre Stirne in Falten. „Herr, wir werden kaum das nötige Holz zusammenbekommen, um so viele Fleisch zu verbrennen.“
Der Alte blickte die beiden Männer an, als hätten sie den Honig aus einem Bienenstock mit der Zunge herausgeschleckt. „Doch nicht alle, nur die unsrigen.“ Er schüttelte den Kopf.
„Herr, auch dafür müssten wir eine große Menge Holz sammeln, wenn ihr nicht wollt, dass verkohlte Leichname übrigbleiben.“
„Und was schlagt ihr vor.“ Der kleinere zog die Schultern hoch, der größere antwortete jedoch: „Begraben oder, da wir keine Spaten haben, mit Steinen bedecken. Wir sollten es jedoch bald tun, denn die Toten werden noch vor dem Mittag die Aaskriecher anlocken.“
Am Ende halfen alle bei der Bestattung mit, selbst Hylei brachte ein paar Steine heran. Sie hielt sich aber weiterhin abseits. Mit flachen Steinen und den Messern der Jaltus gruben sie zuerst eine nicht besonders tiefe Mulde vielleicht fünfzig Schritte vom Weg entfernt. Nachdem sie die Leichen hineingelegt hatten, bedeckten sie sie mit der ausgeworfenen Erde und schließlich mit den Steinen. Es war ein dürftiges Grab, erlaubte jedoch die Hoffnung, dass kein wildes Tier die Körper zerreißen und die Teile im Wald verstreuen würde.
Nachdem die Arbeit beendet war, zog Pethen eine widerwillige Hylei von den anderen fort. Widerwillig, nicht weil sie bei der Gruppe bleiben, sondern weil sie noch nicht mit ihm sprechen wollte.
„Dumm“, zischte sie ihn leise an. Dabei schlug sie sich mit dem Handballen gegen die Stirn, eine eindeutige Geste.
„Es tut mir leid. Aber was hätten wir denn machen sollen? Zugucken, wie sie niedergemacht werden?“ flüsterte er zurück.
„Jaltus töten ist besser?“
„Sie haben uns angegriffen.“
„Wir waren fertig. Modonhirn.“
„Es tut mir leid.“
„Und dann: Magie!“
„Pss.“ Hylei war nicht lauter geworden, allein das Wort löste jedoch die Angst vor der Entdeckung in ihm aus, „es tut mir leid. Ich sag es doch die ganze Zeit schon.“
„Und das am Baum?“
„Was? Ach, oh. Ich hatte Angst. Der eine Jaltu hätte dich erwischt und da habe ich ihnen meine Angst geschickt.“ Diesmal schlug Hylei mit dem Handrücken an Pethens Kopf, das erste Mal, dass sie ihn berührt, wenn es nicht um seine Aufmerksamkeit, das Training oder die Farbe in seinem Gesicht ging.
„Mir auch. Modonhirn.“
„Es tut mir leid. Und sag das nicht immer.“ Sie blickte ihn weiterhin vorwurfsvoll an.
„Können wir jetzt weiter?“
„Meinetwegen, aber eigentlich dachte ich, wir könnten vielleicht mit diesen Leuten zusammen gehen, zumindest für eine Weile.“
„Bist du verrückt?“
„Überleg doch. Wenn Jaltus unterwegs sind, ist es sicherer, mit so vielen zu laufen, wie wir nur finden können. Der Alte ist uns so dankbar, dass er vielleicht sogar unser Essen bezahlt.“
„Zu gefährlich.“
„Wir müssen uns
halt ein wenig abseits halten. Wir kundschaften, laufen nicht direkt mit ihnen.“
Hylei überlegte und sah dabei auf den Boden.
„Gut. Fürs erste. Und wenn was ist, gehen wir. Sofort. Ohne Widerrede.“
„Einverstanden. Aber erst Mal muss ich mit dem alten reden, ob er auch damit einverstanden ist.“
„Und Pethen“, Hylei hielt ihn zurück, „mach das mit der Angst nie wieder.“
Er presste beschämt die Lippen zusammen und nickte schwach, bevor er den Kopf hängen ließ.
Der Alte, sein Name war Naebaes Wegilos, war hoch erfreut, als Pethen ihm vorschlug, die Gruppe zu begleiten, damit sie sich gegenseitig Schutz gewähren konnten. Und wie Pethen vermutet hatte, war seine Dankbarkeit so groß, dass er ihnen einen Sold anbot, den Pethen jedoch ablehnte, da er sah, wie Naebaes seine Söldner behandelte. Außerdem hätte dann ein Vertrag zwischen ihnen gestanden, der Hylei und ihn an die Gruppe gebunden hätte, ein Umstand, den er nicht akzeptieren konnte, da sie sich die Möglichkeit offen halten wollten, jederzeit ihrer eigenen Wege gehen zu können. Er wusste, dass Hylei sich durch einen solchen Vertrag mit einem Menschen nicht gebunden gefühlt hätte, für sich persönlich war eine Vereinbarung bindend.
„Wenn euch aber so sehr daran liegt, uns eure Dankbarkeit zu zeigen, dann lasst uns an eurem Essen teilnehmen. Wir können kaum noch etwas zu essen finden und die Jagd ist schlecht.“
„Das ist das Geringste. Nur tragen wir selbst wenig dabei und wandern von Dorf zu Dorf und fasten an den Tagen, wenn wir keine Gaststätte finden.“
Pethen versuchte sich an einem heiteren, mitfühlenden lachen: „Das kennen meine Schwester und ich zur Genüge.“
„Wohin seid ihr unterwegs?“ mischte sich der große Söldner ein, der sich als Bakoln vorgestellt hatte.
„Wir wissen es noch nicht. Zu einer Stadt, wenn wir eine finden. Vielleicht gibt es dort ein besseres Leben für uns.“
Bakoln zog sein Kinn einmal schräg hoch, was so etwas wie ein Nicken zu sein schien wo er herkam. Sein kantiger Akzent verriet, dass er nicht die gleiche Heimat sein eigen nannte wie Naebaes. Aber Söldner kamen vermutlich weit herum in ihrer Suche nach Arbeit. Iosimel, der andere überlebende Söldner, sprach ähnlich, seine Melodie war jedoch ein wenig anders, wie man jetzt hören konnte: „Die werden euch nicht mit den Waffen einlassen.“
Pethen stutzte. Warum sollten sie nicht mit ihren Waffen eine Stadt betreten dürfen? Gerade als er jedoch fragen wollte, fiel ihm das offensichtliche wieder ein: Niemand durfte Waffen tragen, mit Ausnahme registrierter Söldner und Soldaten sowie der Priester. Jeder andere, der mit einer Waffe angetroffen wurde, machte sich strafbar, auch wenn es hieß, dass Geld auch diese Sünde verzeihlich machte, was wohl für Naebaes und seine Gefährten galt. Es lag jedoch im Ermessen der jeweiligen Herrscher, wie sie das Gesetz der Drachen durchsetzten und wie hart sie es ahndeten. In der Wildnis mochte man damit durchkommen, einen Speer zu tragen, denn die Gefahr, von Tieren oder schlimmerem angegriffen zu werden, war zu groß. Auch bei den Bauern auf fernen Gehöften wurde ein Auge zugedrückt. Die Aussage des Söldners ließ Pethen jedoch vermuten, dass in der Stadt die Gesetze höher geachtet wurden.
„Gegen ein Messer können sie doch nichts haben, oder?“
Der große Mann zuckte mit den Schultern und wandte sich seinem Kameraden zu.
„Und wohin seid ihr unterwegs, wenn ich fragen darf?“ nahm Pethen den Faden im Gespräch mit Naebaes wieder auf.
„Du darfst, natürlich. Wir werden schließlich eine ganze Weile gemeinsam unterwegs sein.“ Er drehte sich um und deutete mit einer ausladenden Geste auf die beiden anderen Männer.
„Mein Sohn, mein Neffe und ich sind auf einer Pilgerreise zum Schrein von Shimen. Bakoln, Iosimel und die beiden anderen, die jetzt in dem Grab liegen, hatte ich angeheuert, um uns zu schützen. Aber ich hatte nicht gedacht, dass wir den Schutz so dringend benötigen würden.“
Das Wort Pilgerreise verschlug Pethen beinahe die Sprache und er fragte sich, ob sie nicht vielleicht doch einen Fehler begangen hatten, sich diesen Leuten anzuschließen. Denn Pilger bedeutete immer besonders religiöse Menschen. Menschen, die den Geboten der Kirche folgten. Und diese Gebote sahen die Verfolgung von Nichtmenschen und Magiern vor.
Wie Pethen vorgeschlagen hatte, hielten die beiden Flüchtlinge sich meist etwas abseits der Gruppe, indem sie voraus liefen und den Weg auskundschafteten. Sie trafen sich mit den Pilgern nur für die Pausen und das Abendlager. Wenn sie auf einem Gehöft oder in einer Gaststube übernachteten, hielten sie sich in ihrer eigenen Ecke und Hylei behielt ihre dicke Kleidung an, sehr zur Verwunderung ihrer Begleiter. Pethen fand jedoch, dass das Essen, welches ihnen von ihren jeweiligen Gastgebern gereicht wurde, ihre zusätzlichen Sorgen aufwog, zumindest, während er es aß. Zu lange hatten sie auf warmes Essen verzichtet und selbst, wenn die Speisen nicht wirklich gut waren, so ging doch kaum etwas über warme Speisen, ein Feuer und eine überdachte Schlafstätte nach einem Tag der Wanderung bei immer unfreundlicher werdendem Wetter. Hylei aß nur wenig, wie es ihre Gewohnheit war, und sorgte für Unbehagen bei den Pilgern, da sie nicht bereit war, irgendeine ihrer Frage zu beantworten. Die beiden Söldner zollten ihr jedoch einen gewissen Respekt, nicht zuletzt wegen ihrer Schweigsamkeit. Pethen hingegen schienen sie geringer zu achten.
Trotzdem kam Bakoln am ersten Abend, nachdem sie ihr Lager in einer Scheune eingerichtet hatten, zu ihm und fragte ohne Umschweife: „Du nanntest die Angreifer Jaltus. Ich hab‘ das Wort schon mal gehört. Woher kennst du sie?“
Pethen hatte schon den Mund geöffnet, um von dem Unterricht zu erzählen, in dem ihnen die Namen und das Aussehen der meisten Halbmenschen beigebracht worden war. Im letzten Moment schnappte er jedoch die Lippen vor den Worten zu und versuchte sich Fieberhaft eine plausible Lüge auszudenken. In diesem Moment tauchte Hylei hinter ihm auf, die sich bereits in ihre Decke eingerollt hatte: „Unser Vater.“
Pethen drehte sich zu ihr um, erschrocken, aber auch dankbar für ihre Worte, nachdem ihm aufging, wohin sie führen mussten.
„Genau. Unser Vater. Er hat immer gesagt, dass er weit herumgekommen ist. Er hat uns von Rattenmenschen erzählt und sie Jaltus genannt. Und da sie sehr rattisch aussahen, habe ich halt gedacht, dass es wohl Jaltus sind.“
Bakoln zog wieder sein Kinn zur Bestätigung hoch, sah Pethen jedoch weiterhin prüfend an.
„Kameraden von mir haben mal gegen Jaltus gekämpft. Weit im Westen. An der Grenze. Von anderen habe ich gehört, dass sie nicht so weit nach Osten kommen sollen. Euer Vater scheint weit herumgekommen zu sein.“
„Ja, soweit wir vermuten. Er hat nur manchmal was erzählt.“ Pethen lächelte zuvorkommend, wobei er nicht sicher war, wie überzeugend sein Lächeln wirken mochte. Er spürte etwas von dem Söldner ausgehen, dass er nur als Misstrauen beschreiben konnte. Er konnte es fast körperlich spüren, als wenn ihn dieses Misstrauen berühren würde.
Als sie sich auf ihre Strohhaufen gelegt hatten, dachte er noch lange über den Tag, den Söldner und dieses Gefühl nach. Er musste dieses neue Wahrnehmung genauer untersuchen, austesten, vielleicht sogar mit Hylei, was in dieser Gruppe jedoch nicht möglich war.
Kurz bevor er einschlief flüsterte er nur noch ein „Danke“ zu Hylei hinüber und konnte mit seiner besonderen Sicht sehen, wie sie nickte.
*
Streiter fasste sich immer noch an die Stirn, selbst nach sieben Tagen. Kam-ma versuchte ihn davon abzuhalten, denn es wurde langsam auffällig, inmitten der vielen Menschen, die sie umgaben.
Vor vier Tagen hatten sie sich einer Karawane angeschlossen. Es handelte sich um Händler, die über Land fuhren, um den verstreut lebenden Bauern ihre Ernte abzukaufen, nachdem sie ihnen ihre eigenen Wahren verkauft hatten. Einige hatten auch Jägern ihre Felle und sogar lebende Tiere abgehandelt. Es war eine lange Karawane, denn sie war schon eine Weile unterwegs. Nachdem, was der Karawanenführer gesagt hatte, hatten die ersten Wagen vor über einen Monat mit ihrem Rückweg begonnen. Und immer wieder waren neue Wagen hinzugekommen. Jetzt zählte dieser Wagenzug sechzig Gefährte unterschiedlichster Größe und Machart. Alle
rdings waren nur Menschen in dieser großen Gruppe. Streiter wurde daher mit Misstrauen empfangen, jedoch nicht so großem, wie Tro-ky und Kam-ma befürchtet hatten. Wie sich allerdings herausstellte, kannten viele der Händler die Chuor, die den Großen Jahm befuhren. Sie galten als barbarisch und ungehobelt aber vertrauenswürdig. Wer einmal mit ihnen verhandelt hatte, beschrieb sie sogar als ehrenhaft und fair. Das Streiter ein Chuor war, stellte sich daher nicht als Nachteil heraus, sondern verschaffte ihnen einen großen Vertrauensvorsprung, den sie sich sonst hätten mühsam erarbeiten müssen.
Streiter war jedoch kein guter Gesprächspartner, und so war es nur glücklicher Zufall gewesen, dass einer der Händler, der zur ursprünglichen Karawane gehörte, die Tätowierungen auf Kam-mas und Tro-kys Gesicht erkannt hatte. Kam-ma, die für gewöhnlich die Wortführerin der Geschwister war, hatte sich diesmal zurückgehalten und war bei Streiter geblieben, der sich abseits hielt.
Tro-ky war jedoch schnell dem Charme des Händlers erlegen gewesen, der von der Freundlichkeit der tätowierten Menschen aus Fgenip schwärmte und ihr gutes Bier lobte. Als Tro-ky und Kam-ma mit Estron ihre Familie verlassen hatten, war er noch zu jung gewesen, um das Bier unverdünnt vorgesetzt zu bekommen. Daher konnte er diese Erinnerung nicht teilen. Trotzdem hatte es ihm gut getan, jemanden so wohlwollend von seiner Heimat sprechen zu hören. Seitdem hielt er sich oft unter den Händlern auf und Estron beobachtete ihn aus der Ferne, immer darauf bedacht, ihm seine Freiheit zu lassen, aber dennoch aufzupassen, dass sein jüngerer Schüler nicht unvorsichtig wurde. Er war jetzt 19 und wäre wohl eine gute Partie in seinem Dorf gewesen, wenn er nach Hause gegangen wäre, aber seine Begeisterung hatte ihn in die Welt hinaus getrieben. Obwohl er der stillste in dieser Gruppe war, denn selbst Streiter sagte häufiger etwas als der junge Mann, war er es doch gewesen, der damals Kam-ma überzeugt hatte, dass sie sich Estron anschließen mussten. Kam-ma machte sich Tro-kys Ideen zu Eigen und konnte sich für sie begeistern, so wie sie es Estron gegenüber getan hatte, als sie ihn überzeugt hatte. Aber bis vor kurzem waren es seine Ideen gewesen, denen sie gefolgt waren. Seitdem sie sich allerdings Streiter zugewandt hatte, hatte sie sich von ihm gelöst. Tro-ky missgönnte ihr diese Freundschaft nicht. Er missgönnte auch nicht die Liebe, die sie für den Chuor empfand. Es machte ihn ein wenig traurig nach allem, was sie geteilt hatten. Er empfand liebe für sie, aber er war immer nur ein Freund gewesen, oft genug sogar an zweiter Stelle, nach Estron, was er gut verstehen konnte. Auch ihn liebte er, denn er war mehr als ein Freund, mehr als ein Lehrer und mehr als ein Liebhaber. Er hätte sich nicht vorstellen können, dass er jemals für einen Mann so hätte empfinden können. Von der anderen Sache, die sie geteilt hatten, ganz zu schweigen. Er konnte es sich auch mit niemand anderem vorstellen und hier war die eine Sache, bei der Kam-ma ihm vorangegangen war und er war ihr nur zögerlich gefolgt. Er hatte es nicht bedauert, trotzdem würde er es mit keinem anderen Mann machen.
Feen Buch 1: Der Weg nach Imanahm Page 37