Faded Duet 1 - Faded - Dieser eine Moment

Home > Other > Faded Duet 1 - Faded - Dieser eine Moment > Page 15
Faded Duet 1 - Faded - Dieser eine Moment Page 15

by Julie Johnson


  »Das stimmt absolut!« Ihr Lächeln strahlt in der zunehmenden Dunkelheit. »Ich kann dir versichern, dass du eines Tages ganz groß rauskommen wirst, Felicity Wilkes.«

  Ich zucke kurz zusammen, als ich den falschen Nachnamen höre, aber ich glaube nicht, dass es ihr auffällt. »Danke, Carly.«

  »Du hast keine Ambitionen zu singen, oder?«

  Aus mir unbekannten Gründen blitzt Ryders Gesicht vor meinem inneren Auge auf. Ich schüttle den Kopf, um es loszuwerden. Ich wünschte, ich könnte aufhören, an ihn zu denken. Doch er ist mir so tief unter die Haut gegangen, dass ich befürchte, ihn nie wieder abschütteln zu können.

  »Nein, ich bin keine Sängerin.«

  »Schade«, murmelt Carly und hebt ihre Finger in die Luft, um mein Gesicht damit einzurahmen wie mit einer Kameralinse. »Mit deinen Liedern und deinem Aussehen hättest du das Gesamtpaket, falls du dich je entscheiden solltest, vor Publikum aufzutreten. Sie würden dein Gesicht auf jede Plakatwand in dieser Stadt kleben.«

  Genau davor habe ich Angst.

  Wir leeren unsere Teller, während die Sonne langsam hinter dem Horizont verschwindet. Die Menge auf der Straße wird mit jeder Minute dichter, denn immer mehr Leute begeben sich auf der Suche nach einem tollen Abend auf die Vergnügungsmeile. Bierfahrräder fahren vorbei, und ihre betrunkenen Gäste singen schief, während sie wie Paradewagen die Straße entlangradeln. Musik erfüllt die Luft und dringt aus jedem offenen Fenster im Umkreis von einem knappen Kilometer. Gleichzeitig erwachen um uns herum die Leuchtreklamen flackernd zum Leben.

  »Du weißt, dass du mit mir reden kannst, oder?«, meint Carly schließlich und lenkt meine Aufmerksamkeit wieder auf sich. Sie wirkt untypisch ernst. »Wenn du je jemanden brauchst, dem du dein Herz ausschütten oder an dessen Schulter du dich ausweinen kannst, oder wenn du einfach nur mal mit jemandem tanzen gehen willst, um dich abzulenken … dann bin ich für dich da.«

  »Danke, Carly.«

  Sie zwinkert mir zu. »Wofür sind spirituelle Führer da?«

  Letztendlich landen wir im Tootsie’s.

  Die berühmte Orchid Lounge, die aufgrund ihres grellen lilafarbenen Anstrichs so genannt wurde, ist eine feste Einrichtung in Nashville. Es gibt drei Stockwerke mit Livemusik sowie eine Bar auf dem Dach. Direkt daneben liegt das Ryman, und jedes Wochenende treiben sich hier Hunderte von Besuchern herum. Jeder von Kenny Chesney bis hin zu Keith Urban wurde hier schon gesichtet, ob nun bei einem Bier an der Theke oder singend auf der Bühne. Als wir das lilafarbene Gebäude erreichen, ist die Sonne komplett untergegangen, und die Schlange vor dem Eingang ist so lang, dass sie um die Ecke des Hauses herumgeht.

  Ich stöhne. »Wir werden mindestens eine Stunde lang warten müssen.«

  »Halte dich an mich, Kleine.« Carly zwinkert mir zu, legt ihren Arm um meinen und zieht mich am Haupteingang vorbei in eine schmale Gasse. Ein riesiger Türsteher, der ganz in Schwarz gekleidet ist, bewacht den Seiteneingang, doch er lächelt, sobald er uns entdeckt.

  »Carly! Ich wusste nicht, dass du heute Abend kommst. Wie geht es dir, Süße?«

  »Hey, Hübscher! Ich kann nicht klagen.« Sie drückt mich. »Das ist meine Freundin Felicity.«

  Er schaut mir in die Augen und mustert dann den Rest von mir. Ich versuche, nicht zappelig zu werden, als sein Blick ein wenig zu lange auf meinem Dekolleté verweilt.

  Carlys Stimme ist kokett und fröhlich. »Meine Freundin ist brandneu in Nashville, und ich will ihr das Nachtleben in der Stadt zeigen. Da war mir klar, dass unser erster Halt das Tootsie’s sein musste. Hier bekommt man noch richtige Honkytonk-Musik zu hören.«

  »Neu, was?« Er schaut mir wieder in die Augen. »Carly hat gut daran getan, dich herzubringen. Wir werden dafür sorgen, dass du dich wie zu Hause fühlst.«

  »Ich bin ja so aufgeregt«, sprudelt es aus mir heraus. Ich tue mein Bestes, um Lacey Briggs nachzuahmen.

  Carly zwickt mich in den Arm und versucht, nicht zu kichern. »Könntest du irgendetwas tun, um dafür zu sorgen, dass wir nicht in dieser Schlange anstehen müssen? Dann wärst du unser Held!«

  »Ach verdammt.« Der Türsteher zwinkert ihr zu und zieht die Tür ein paar Zentimeter weit auf. »Du weißt, dass du dich auf mich verlassen kannst.«

  Sie quietscht aufgeregt. Doch bevor wir durch die Tür gehen dürfen, muss Carly einen Wegezoll bezahlen. Der Türsteher streckt seine Arme aus und zieht Carly in eine erdrückende Umarmung, bei der er ausgiebig ihren Hintern begrabscht.

  Igitt.

  Carly zuckt nicht mal mit der Wimper. Sobald sie wieder frei ist, zieht sie mich ins Gebäude, bevor er mich ebenfalls umarmen kann. Dann ruft sie dem Türsteher über die Schulter zu: »Danke noch mal, Schönster!«

  Wir bahnen uns einen Weg durch die Bar im Erdgeschoss. Ich betrachte die Wände, die mit Fotos von Berühmtheiten bedeckt sind, von denen einige ein paar Jahrzehnte alt sein müssen. Der dunkle Raum ist so überfüllt, dass man kaum atmen kann. Alle trinken Bier und bewegen die Köpfe im Takt, während ein Mann mit einer E-Gitarre auf der Bühne in der Ecke vollkommen ausrastet. Carly hält kaum inne, um mich alles betrachten zu lassen. Stattdessen zerrt sie mich eine Treppe hoch in den ersten Stock.

  Hier ist der Raum größer, aber nicht weniger überfüllt. Eine reine Frauenband singt eine Coverversion eines Lieds von Martina McBride, was allerdings nicht besonders gut klingt. Ein Großteil des Publikums ist zu betrunken, um Anstoß daran zu nehmen, dass die Leadsängerin die Töne nicht hundertprozentig trifft, wenn sie sich an die höheren Noten heranwagt.

  Carly verzieht das Gesicht und schüttelt den Kopf, was wohl bedeutet, dass es ihr im ersten Stock auch nicht gefällt. Schnell zieht sie mich in den zweiten. Als wir oben ankommen, dünnt sich die Menge ein wenig aus, sodass ich endlich genug Raum habe, um wieder richtig zu atmen. Wir haben die Treppe zur Hälfte hinter uns gebracht, als die Frauenband endlich von den Musikern im obersten Stockwerk übertönt wird. Das Lied klingt seltsam vertraut, aber ich kann es nicht richtig einordnen … bis wir durch den Bogengang treten und ich einen ersten Blick auf die Bühne werfen kann.

  Nein, nein, nein.

  »Carly, warte …!«, rufe ich und versuche, sie aufzuhalten. Doch die Musik ist so laut, dass sie mich nicht hört. Und dann ist es zu spät. Sie entdeckt Ryder, Aiden und Lincoln auf der Bühne und grinst, als wäre das die beste Überraschung ihres Lebens. Sie dreht sich zu mir um und brüllt: »Oh mein Gott! Sieh mal, wer hier heute spielt!«

  Ich wäre überzeugt, dass sie dieses ganze Szenario extra arrangiert hat, um mich zu quälen, wenn die Verblüffung auf ihrem Gesicht nicht so vollkommen aufrichtig wäre. Außerdem hat sie keinen Grund zu denken, dass ich ein Problem damit haben könnte, hier zu sein. Niemand weiß von meinen seltsamen Problemen mit Ryder, weil ich niemandem davon erzählt habe. Wie immer.

  Es ist, wie er letztens sagte …

  Felicity, du bist ein verschlossenes Buch. Ein Buch, das mit einem Vorhängeschloss versehen ist. Und in Geheimschrift verfasst ist, damit man, nur für den unwahrscheinlichen Fall, dass es doch mal jemandem gelingt, das Schloss zu knacken, eine Entschlüsselungsmethode braucht, um den Inhalt zu verstehen.

  Er hatte recht.

  Das macht mich wütender als zu sehen, wie gut er aussieht, während er dort mit seiner Gitarre steht und im Licht der Bühnenscheinwerfer leidenschaftlich ins Mikro singt. Seine Stimme hallt in meinem Knochenmark wider – es ist dieselbe Stimme, die ich in der vergangenen Woche jede Nacht in meinen Träumen gehört habe und die mich wie ein Geist heimgesucht hat.

  Nun wird mir klar, warum mir das Lied so bekannt vorkam. Er singt eine von Laceys Nummern, aber sie klingt vollkommen anders, wenn sie aus seinem Mund kommt. Es ist eine verlangsamte, vereinfachte Version, und ich muss sagen, dass sie verglichen mit Laceys übertriebenem Gequäke deutlich besser klingt. Ich bin nicht die Einzige mit dieser Meinung – vor der Bühne drängt sich eine ganze Reihe Frauen. Sie hüpfen auf und ab und haben die Blicke fest auf Ryders Gesicht gerichtet, als wäre er eine Droge und als bräuchten sie
dringend einen Schuss.

  Das verführerische Schmunzeln auf seinen Lippen treibt ihre Leidenschaft nur noch weiter an.

  »Ich hatte keine Ahnung, dass sie hier sein würden!«, ruft Carly und grinst mich an. »Wir haben echt Glück!«

  »Großes Glück«, erwidere ich tonlos und gedehnt.

  Sie verschränkt ihren Arm mit meinem. »Komm schon, besorgen wir uns etwas zu trinken!«

  Ich nicke und folge ihr an die Theke. Nachdem wir uns unter Einsatz unserer Ellbogen einen Weg nach vorne erkämpft haben, versucht Carly, den Barkeeper auf uns aufmerksam zu machen. Meine Aufmerksamkeit ist jedoch fest auf die Bühne hinter uns gerichtet. Ich bezweifle, dass er mich in der dunklen Menge bereits entdeckt hat, aber ich habe das Gefühl, dass das nur eine Frage der Zeit sein wird.

  »Hier.« Carly reicht mir ein Mineralwasser und nimmt einen großen Schluck von ihrem Cocktail. »Lass uns näher herangehen!«

  »Eigentlich finde ich es hier ganz gut.«

  Sie schaut mich an, als hätte ich den Verstand verloren. »Wir sind hergekommen, um zu tanzen!«

  Sie hat recht.

  Das sind wir.

  Ich sollte mir von irgendeinem Idioten nicht den Abend verderben lassen.

  Ich habe siebzehn Jahre damit verbracht, mir von einem Mann jede meiner Handlungen vorschreiben zu lassen. Ich habe in Angst vor seinen Reaktionen gelebt, mich in seiner Gegenwart wie auf Eiern bewegt und versucht, mich unsichtbar zu machen. Außerdem konnte ich beobachten, wie meine Mutter dasselbe tat, und es schien sie nie auch nur ansatzweise glücklich zu machen.

  Ich bin nach Nashville gekommen, weil ich dieses Leben hinter mir lassen wollte. Ich habe die Nase voll davon, in Angst vor anderen Menschen zu leben, und ich will mich nicht länger darum scheren, was andere über mich oder meine Art zu leben denken.

  Selbst wenn es umwerfende Musiker sind, die mein Herz doppelt so schnell schlagen lassen.

  »Dann mal los!«, rufe ich und hake mich bei Carly unter. »Lass uns tanzen.«

  13. KAPITEL

  Ryder

  Ich weiß nicht, wie zum Teufel wir das hinbekommen haben, aber es funktioniert.

  Die Lieder sind nicht so spektakulär, wie sie es sind, wenn Lacey sie singt, aber das scheint keine Rolle zu spielen. Wer hätte gedacht, dass unter den sexy Hüftbewegungen und hauchigen Pausen tatsächlich anständige Musik lag, die darauf wartete, gehört zu werden?

  Wir spielen eine abgespeckte Version unseres üblichen Programms – fünf eigene Lieder und zwei unserer besten Coverversionen –, und die Menge flippt förmlich aus. Zum ersten Mal seit Langem habe ich tatsächlich Spaß auf der Bühne. Vielleicht liegt das an der Abwesenheit einer gewissen wasserstoffblonden Diva. Vielleicht ist es aber auch einfach die Tatsache, dass mir im Hinterkopf bewusst ist, dass dies durchaus das letzte Mal sein könnte, dass ich zusammen mit meinen besten Freunden auftrete.

  Ich stehe mit meiner Gitarre in den Händen im Scheinwerferlicht und lasse alles andere los – die abwegigen Erwartungen meines Vaters, Laceys unverfrorene Manipulationen, den Druck, einen Plattenvertrag an Land ziehen zu müssen, die Gefühle, die ich für eine Frau empfinde, die ich nicht haben kann, und mit denen ich deswegen hadere …

  Das alles ist für einen Augenblick nicht mehr wichtig, und ich spiele einfach. Ich spiele, als hätte ich nichts mehr zu verlieren. Denn so ist es. Und so einsam diese Vorstellung auch ist, hat sie auch etwas absolut Befreiendes an sich.

  Lincoln und Aiden haben einen Heidenspaß. Ich habe sie noch nie so sehr mit dem Publikum interagieren sehen. Eine Frau reißt sich tatsächlich den BH vom Leib und wirft ihn Linc zu, als er während »Hurts Like Hell« sein Solo spielt. Als wir unser letztes Lied anstimmen, frisst uns die Menge aus der Hand. Ich könnte verdammte Kinderlieder singen, und sie würden uns anhimmeln.

  »Das ist unser letztes Lied«, sage ich ins Mikro und atme schwer. Die Frauen in der ersten Reihe schreien nach mir, und in ihren Augen schimmert Lust. »Das ist das erste Mal, dass wir dieses Lied live spielen, aber ich bezweifle, dass es das erste Mal ist, dass ihr es hört. Also wenn ihr den Text kennt, dann singt bitte mit …«

  Ich nicke Aiden zu, der das Intro spielt. Linc tippt mit seinen Stöcken sanft auf die Trommeln, um eine subtile akustische Begleitung beizusteuern. Und als ich mich ans Mikro lehne und es mit beiden Händen umfasse, als würde ich es küssen wollen, schließe ich die Augen und denke an sie.

  »Saw you in the crowd the other day

  You were ten years older, ten years colder

  When your gaze wandered my way …«

  Die Frauen in der ersten Reihe singen mit. Dieses Lied ist etwa dreißig Jahre älter als die meisten von ihnen, doch sie kennen den Text trotzdem auswendig. Das ist die Magie eines Lieds von Bethany Hayes. Es wurde geschrieben, um die Zeit zu überdauern.

  »Wish that I could tell you that you’re hated

  All those tears I cried, ’cause you never tried

  And still, for years, I waited …«

  Als ich fast den Refrain erreicht habe, öffne ich die Agen und sehe ein Meer aus Lichtern – einhundert Handys leuchten auf und schwanken hin und her wie Sternschnuppen. Als ich anfange, den Refrain zu singen, schließen sich meiner Stimme viele andere an. Sie kommen von überall – sowohl aus der ersten Reihe als auch aus der hintersten Ecke der Bar.

  »’Cause love don’t burn out, even though you’re gone

  And hate don’t come just ’cause you write it in a song …«

  Sie singen mit voller Kraft, denn es ist eine der beliebtesten Textzeilen in der Geschichte der Countrymusik.

  »Sure it’s sad but it isn’t complicated …

  You’re my only memory that never faded …

  You never faded … Oh …«

  Die Instrumente verstummen komplett, und meine Stimme verklingt. Es gibt nur noch mich und die Menge, und wir teilen diesen Moment miteinander. Ich schaue in die Gesichter, lasse den Blick durch den Raum wandern und versuche, vor der letzten Strophe mit so vielen Leuten wie möglich eine Verbindung herzustellen.

  Ich übersehe sie beinahe.

  Sie steht etwa sechs Reihen entfernt hinter einem großen Kerl, fast so als würde sie sich vor mir verstecken. Ihr Haar ist lockig, und sie trägt zu viel Make-up, das ihre natürliche Schönheit verdeckt, aber ich erkenne sie trotzdem.

  Felicity.

  Meine Felicity.

  Ich kann kaum glauben, dass sie dort steht und zu mir hinaufschaut. Ich weiß, dass ich wegschauen sollte, aber ich tue es nicht. Der Rest des Raums existiert für mich nicht länger. Ich schaue in ihre Augen und auf die unübersehbaren Tränen, die sich in den Augenwinkeln sammeln, während ich das berühmteste Lied ihrer Großmutter singe, und zwar fünf Jahrzehnte nachdem es in exakt diesem Gebäude zum ersten Mal vor Publikum dargeboten wurde.

  »Sure it’s sad but it isn’t complicated.

  You’re my only memory that never faded …

  You never faded …

  Faded …«

  Als wir das Lied beenden, ist der Applaus ohrenbetäubend.

  »Ich bin Ryder Woods, das am Bass ist Aiden, und Lincoln ist der Mann am Schlagzeug. Vielen Dank fürs Kommen, Nashville!«

  Ich springe praktisch von der Bühne und bahne mir einen Weg durch die wild gewordene Menge. Frauen schnappen nach meinen Armen, springen hoch, um mir etwas ins Ohr zu flüstern, und rufen Worte des Lobes. Ich ignoriere sie. Es ist unhöflich und unprofessionell, aber das ist mir egal. Ich dränge mich in die Mitte des Publikums und lasse meinen panischen Blick nach links und rechts schweifen. Ich betrachte jedes Gesicht.

  Ich entdecke sie nirgends.

  Ist sie gegangen?

  Ich wirbele herum, um mich erneut umzuschauen, und stoße beinahe mit ihr zusammen. Da ist sie, nur anderthalb Meter von mir entfernt und so schön wie immer in einem engen roten Kleid, das mir den Atem raubt. In ihren Augen schimmern Tränen, als sie sie auf meine richtet. Ich sehe zu, wie eine Träne über ihre Wan
ge rollt, und bin für den Bruchteil einer Sekunde wie gelähmt.

  Sie öffnet den Mund, als würde sie etwas sagen wollen. Doch ich habe die Nase voll vom Reden.

  Ich setze mich in Bewegung.

  Meine Füße überwinden die letzten Meter Distanz zwischen uns.

  Ich lege die Arme um sie.

  Sie lehnt sich gegen meine Brust.

  Und dann küsse ich sie.

  Ich küsse sie, wie ich es seit Wochen tun will, wie ich es schon bei unserer ersten verdammten Begegnung im Nightingale hätte tun sollen. Mein Mund labt sich an ihrem wie ein Verhungernder an einem Festmahl. Ich versuche, dieses brennende Bedürfnis in meinen Venen zu stillen.

  Doch ich kann mein Verlangen nicht befriedigen. Es ist zu stark, und ich habe ihm zu lange das verwehrt, wonach es sich verzehrt.

  Ich könnte sie verdammt noch mal verschlingen.

  Sie zerstören und zugrunde richten.

  Und doch wäre es immer noch nicht genug.

  Ich lege die Hände auf ihr Kreuz und drücke sie so fest an mich, dass ich spüren kann, wie sich jede ihrer Kurven an meine Brust schmiegt. Sie schiebt die Hände an meinen Schultern vorbei in mein Har und zieht meine Lippen energischer nach unten, als würde sie sich ebenso sehr nach mir verzehren wie ich mich nach ihr.

  Wir stehen eng umschlungen und gierig da, bis die summende Menge um uns herum verschwimmt und undeutlich wird. Bis die Welt auf diesen einen Augenblick zusammenschrumpft. Auf diesen Kuss. Es gibt nur noch sie und mich, und unsere Arme sind so fest um unsere Körper geschlungen, dass das Atmen schwerfällt.

  Aber das Atmen ist mir egal.

  Wir ertrinken ineinander, und keiner von uns macht auch nur den geringsten Ansatz, nach Luft zu schnappen.

  14. KAPITEL

  Felicity

  Meine Lippen sind ein Funke, seine sind der Zündstoff.

  Wir gehen in eine lodernde Flamme auf, sobald sie sich berühren, und brennen lichterloh inmitten einer johlenden Menge aus Fremden. So bin ich noch nie geküsst worden – als wäre ich etwas Lebenswichtiges wie Sauerstoff oder Nahrung oder Zuflucht. Etwas, ohne das er sterben könnte, wenn er zu lange ohne es auskommen muss.

 

‹ Prev