Faded Duet 1 - Faded - Dieser eine Moment

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Faded Duet 1 - Faded - Dieser eine Moment Page 16

by Julie Johnson


  Er legt die Hände auf meine Wangen und schiebt sie nach oben in meine Locken. Dann spannt er die Finger an, um mich näher an sich heranzuziehen.

  Näher.

  Näher.

  Nie nah genug.

  Sind wirklich erst wenige Augenblicke vergangen, seit ich wütend auf ihn war?

  Habe ich nicht früher an diesem Tag noch seinen Namen verflucht?

  Ich kann mich nicht erinnern, warum ich das getan habe. Ich weiß nur, dass das hier – sein Mund auf meinem und seine Hände in meinem Haar – der reinste, ergreifendste Augenblick meines Lebens ist. Ich will, dass er niemals endet. Ich will niemals aufhören, ihn zu berühren. Ich will ihm das T-Shirt über den Kopf ziehen und jeden Muskel mit dem Finger nachzeichnen. Ich will meine nackte Haut an seiner reiben und eine vollkommen andere Art von Musik erzeugen, die aus Keuchlauten und Seufzen und Stöhnen besteht statt aus Rhythmen und Noten und Melodien.

  Als er mich berührt, fällt es mir viel zu leicht zu vergessen, dass wir mitten in einer überfüllten Bar stehen und uns die ganze Welt zuschauen kann. Zumindest … bis die Pfiffe so laut werden, dass ich sie unmöglich ignorieren kann.

  Ryder findet als Erster die Kraft, sich zurückzuziehen. Er löst seine Lippen mit einem gequälten Knurren von meinen. Dann legt er seine Stirn an meine. Seine Atemzüge sind abgehackte Keuchlaute des Verlangens. Seine Augen sind vor Lust so dunkel geworden, dass ich mich für mehrere endlose Sekunden in ihren Tiefen verliere, bis ich es schließlich schaffe, Worte zu bilden.

  »Dieses Lied«, flüstere ich, und meine Stimme bricht. »Ich kann nicht glauben, dass du dieses Lied gesungen hast. Als ich es hörte, dachte ich, ich würde träumen …«

  »Ich habe jetzt das Gefühl, als würde ich träumen.« Seine Worte sind beinahe ein Knurren. Er lässt die Hände aus meinem Haar gleiten, streicht über meine Schulter und legt sie schließlich auf mein Kreuz, um mich an sich zu ziehen und den winzigen Abstand zwischen uns aufzuheben. Ich schnappe nach Luft, als sich unsere Körper berühren, und sofort flackern wieder Funken der Lust in mir auf. Seine Erektion an meinen Hüften ist hart wie Stahl. Meine Knochen fühlen sich plötzlich ein bisschen labberig an.

  »Das ist kein Traum«, flüstere ich und blicke auf seinen Mund. »Eine Fantasie vielleicht. Aber kein Traum.«

  »Felicity.« Er legt seine Stirn mit einem leisen Stöhnen wieder an meine. »Komm mit mir.«

  »Wohin?«

  »Irgendwohin. Zu dir. Zu mir.« Sein Blick ist verzweifelt, und er saugt mich damit förmlich in sich auf. »Es spielt keine Rolle. Ich brauche nur … Ich brauche …«

  Die Worte werden scharf abgeschnitten, als er die Nasenflügel bläht. Er scheint um Kontrolle zu ringen und nach den richtigen Worten zu suchen. Doch ich verstehe ihn auch so perfekt.

  Ich brauche dich.

  Ich muss dich berühren. Dich schmecken. Meine Gliedmaßen um deine schlingen, bis wir uns ineinander verlieren.

  Ich zögere keine Sekunde.

  »Lass uns gehen.«

  Mit fest umklammerten Händen bahnen wir uns einen Weg durch die Menge in Richtung Ausgang. Wir sind mehr als erpicht darauf, von hier zu verschwinden. Ich erhasche einen Blick auf Carly, die bei Lincoln und Aiden neben der Bühne steht, während sie ihre Ausrüstung abbauen und einpacken. Sie wirken alle drei gleichermaßen verblüfft, als sie uns an sich vorbeigehen sehen. Ich winke kurz mit meiner freien Hand, und Carly erwidert die Geste schlaff. Der Ausdruck auf ihrem Gesicht könnte nicht deutlicher sein.

  Hast du vergessen, etwas zu erwähnen, Felicity?

  Ein Lachen blubbert in meiner Kehle hoch. Ich richte den Blick nach oben, um Ryder anzuschauen, und will ihn gerade auf unsere Freunde aufmerksam machen, als ich spüre, wie sich Krallen in meinen Arm bohren. Noch bevor ich auch nur überrascht nach Luft schnappen kann, werde ich von Ryders Seite weggezerrt. Seine Hand rutscht aus meiner, und ich verliere in meinen hochhackigen Schuhen das Gleichgewicht und stolpere mitten in eine Ansammlung aus fremden Frauen mit Bierflaschen in den Händen. Ihre Getränke fallen zu Boden, als sie mich auffangen, und ergießen sich auf unsere Füße mit einem Schwall aus Schaum und Glasscherben.

  Fassungslos gelingt es mir, mich aufzurichten. Sofort schaue ich zu Ryder und reiße angesichts der Szene, die sich nur ein paar Schritte von mir entfernt abspielt, die Augen auf.

  »Du Mistkerl!«, kreischt eine Frau mit einer weinerlichen, viel zu vertrauten schrillen Stimme und schlägt mit den Händen nach seinem Gesicht, als wären es Klauen. »Du gottverdammter Mistkerl!«

  Sieht so aus, als wäre Lacey endlich doch mal zu einem Auftritt erschienen.

  Ryder weicht den schlimmsten Schlägen aus und hebt die Hände, um Lacey abzuwehren. Ich bin wie erstarrt und nicht in der Lage, mich zu bewegen oder irgendetwas zu tun. Ich kann nur zusehen, wie Lincoln und Aiden auf ihre gestörte Leadsängerin zustürmen. Carly ist ihnen dicht auf den Fersen, macht aber einen großen Bogen um das Chaos und kommt an meine Seite gelaufen.

  »Mist! Geht es dir gut?«, ruft sie und starrt entsetzt auf meinen Arm, wo fünf hässliche rote Streifen die helle Haut verunstalten. »Das Miststück hat dich übel zugerichtet!«

  Ich nicke stumm. Mein Arm könnte mir nicht gleichgültiger sein. Ich bin zu sehr damit beschäftigt, zuzusehen, wie Lincoln Lacey um den Bauch herum packt und hochhebt wie ein Kleinkind, das einen Wutanfall hat. Er hievt sie einfach von Ryder weg. Sie schlägt und tritt mit Armen und Beinen um sich und kratzt ins Leere. Mordlust blitzt in ihren Augen, als sie wütende Blicke in Richtung ihres Leadgitarristen wirft, während der Abstand zwischen ihnen immer größer wird.

  Ich kann nicht verstehen, was sie brüllt, weil die Musik aus den Deckenlautsprechern so laut ist. Aber danach zu urteilen, wie die Leute in ihrer Nähe zusammenzucken, kann es nichts Nettes sein. Die Gäste treten beiseite, um Lincoln vorbeizulassen. Er zerrt Lacey von der Tanzfläche und auf die offene Dachterrasse hinaus. Aiden und Ryder laufen hinter ihm her.

  »Tja, das war dramatisch«, stellt Carly fest, als sie aus unserer Sichtweite verschwinden. Sie schaut zu mir. »Sollen wir hinterhergehen?«

  Ich hole tief Luft. »Ich schätze … ja. Das sollten wir.«

  Ich murmele eine Entschuldigung in Richtung der Frauen, die mich aufgefangen haben, als ich gestolpert bin, und folge Carly auf die Dachterrasse hinaus. Furcht erstickt langsam, aber sicher die aufgeregten Schmetterlinge, die noch vor einer Minute in meinem Bauch umhergeflattert sind.

  Was auch immer gleich passieren wird …

  Ich bezweifle stark, dass es etwas Gutes sein wird.

  15. KAPITEL

  Ryder

  Erstaunlich, wie schnell sich das Leben gegen einen wenden kann.

  In einer Minute hält man noch die Frau im Arm, die dafür sorgt, dass man vor Leidenschaft brennt, und in der nächsten will einem jemand die Augen auskratzen. Mein Gesicht schmerzt immer noch von dem Angriff. Ich werfe einen Blick nach links, um mich zu vergewissern, dass es Felicity gut geht, bevor ich hinter Linc hereile, der aussieht, als würde er Lacey jede Sekunde fallen lassen. Wir müssen dieses durchgeknallte Miststück hier rausschaffen, bevor die Türsteher auftauchen und uns alle in hohem Bogen rauswerfen.

  Wir befördern Lacey unter großen Anstrengungen auf die Dachterrasse. Sie wehrt sich die ganze Zeit über wie eine wild gewordene Katze. Die wenigen Paare, die sich am Geländer versammelt haben, machen sich schnell davon, da sie nicht in unseren Schlamassel hineingezogen werden wollen. Ich mache ihnen keinen Vorwurf – so wie Lacey faucht und zetert, sieht sie aus, als hätte sie einen äußerst ansteckenden Fall von Tollwut.

  »Du Mistkerl!«, schreit sie mir zum zehnten Mal entgegen.

  Sie muss wirklich mal ihr Repertoire an Schimpfwörtern erweitern.

  »Was zum Teufel geht hier vor?«, brüllt Lincoln, der seine liebe Not damit hat, Lacey weiterhin in Schach zu halten. Ich sehe, wie er das Gesicht verzieht, als sie ihm die klauenartigen Fingernägel in den Unterarm krallt. »Au! Miststück!«

  »Du hättest
alles ruinieren können! Alles!«, kreischt Lacey in meine Richtung. Sie wirbelt die Beine in der Luft herum, während sie faucht. Ihre mit Strasssteinen besetzten Cowboystiefel blitzen auf wie Stroboskoplichter. »Du kannst verdammt noch mal von Glück reden, dass ich die Wogen für uns glätten konnte!«

  Aiden steht neben mir. Er ist gespannt wie ein Flitzebogen und stumm wie ein Fisch.

  »Lass mich los, Lincoln!«, kreischt Lacey und strampelt immer noch. »Lass mich runter!«

  »Das werde ich gern tun, sobald du dich wieder unter Kontrolle hast. Du führst dich auf wie eine Verrückte!«

  »Ich soll verrückt sein?«, keift sie und hört endlich auf, sich zu wehren. »Ich bin hier nicht die Verrückte. Wenn hier jemand verrückt ist, dann er.«

  Lincoln schaut mich an. »Hast du irgendeine Ahnung, wovon zum Teufel sie redet?«

  »Oh, und ob«, faucht sie und atmet schwer. »Er weiß ganz genau, was er getan hat.«

  Ich verschränke die Arme vor der Brust und balle die Hände zu Fäusten, während ich sie anschaue. Sie scheint sich langsam zu beruhigen, aber ich werde sie in absehbarer Zukunft trotzdem nicht in die Nähe meiner Augen lassen. Linc setzt sie ab, sodass sie wieder Boden unter den Füßen hat, behält die Arme aber um ihren Bauch geschlungen, nur für den Fall, dass sie sich erneut auf mich stürzen will.

  »Ist es, weil er diese Kellnerin aus dem Nightingale geküsst hat? Denn ich weiß, dass zwischen euch beiden vor einer ganzen Weile mal was lief, aber …« Lincoln zuckt mit den Schultern. »Ich will ja nicht kleinlich sein, aber du bist auch nicht gerade ein Muster an Tugendhaftigkeit, Lacey.«

  »Du denkst, dass ich eifersüchtig bin, weil er eine kleine Barmaus geküsst hat?« Sie wirft den Kopf zurück und lacht gackernd. »Das ist köstlich.«

  Aiden schaut zwischen ihr und mir hin und her. Ich kann beinahe sehen, wie sich die kleinen Räder in seinem Kopf drehen, während er versucht zu begreifen, was hier vorgeht. Ich fühle mich mieser als ein Stück Hundescheiße unter einem Schuh.

  »Wenn wir es hier nicht mit einer Yoko-Ono-Situation zu tun haben, was zum Teufel ist es dann?« Lincoln klingt mit jeder Sekunde, die vergeht, frustrierter. »Ich meine, du tauchst einfach hier auf – übrigens nachdem du uns den wichtigsten Auftritt versaut hast, den wir je hatten – und stürzt dich auf Ryder. Ich wusste schon immer, dass du nicht mehr alle Tassen im Schrank hast, aber das geht wirklich zu weit, sogar für deine Verhältnisse …«

  In ihren Augen liegt ein gefährliches Funkeln. »Ich vermute, die Tatsache, dass ihr ihn immer noch verteidigt, bedeutet, dass er es euch nicht erzählt hat.«

  »Uns was nicht erzählt hat?«, fragt Aiden leise.

  »Lacey …«, sage ich warnend.

  Sie lacht wieder und genießt das Schauspiel. »Oh? Du willst nicht, dass ich es ihnen erzähle?«

  »Das hier ist weder der richtige Zeitpunkt noch der richtige Ort dafür«, schnauze ich.

  »Nein, ich denke, dass ich das hören will«, sagt Lincoln. Er lässt Lacey los, tritt neben sie und schaut mich mit zusammengekniffenen Augen an. »Wovon zum Teufel redet sie, Ryder?«

  Ich schweige, als sie sich alle drei herumdrehen, um mich anzusehen.

  »Lacey redet nur Quatsch.« In meiner Kehle arbeitet es, und ich schlucke den Klumpen aus Bedauern hinunter, der darin feststeckt und mir die Luft abschnürt. »Noch ist nichts in Stein gemeißelt, also wollte ich warten, bevor ich es euch erzähle …«

  »Du wolltest also bis zur letzten Minute warten. Wie tapfer«, höhnt Lacey. »Hast du ernsthaft geglaubt, dass du mich übergehen könntest und ich das einfach so hinnehmen würde? Dass du diesen Auftritt ohne mich machen und meine gottverdammten Lieder singen könntest und ich es nicht herausfinden würde?« Ihre Stimme steigt eine Oktave höher. »Hast du ernsthaft geglaubt, dass du Clay anrufen und versuchen könntest, die Bedingungen hinter meinem Rücken neu zu verhandeln?«

  »Ja«, knurre ich. »Ich habe ihn angerufen. Ich habe versucht, das Durcheinander, das du verursacht hast, indem du all diesem Mist zugestimmt hast, dem du gar nicht alleine hättest zustimmen dürfen, wieder in Ordnung zu bringen!«

  »Was gibt es da noch zu diskutieren? Sie sind verdammter Ballast. Ich weiß es, Clay weiß es, scheiße, ich wette, sogar sie wissen es!« Sie deutet wild fuchtelnd auf Linc und Aiden. »Die einzige Person, die das offenbar nicht akzeptieren kann, bist du, Ryder!«

  Wenn sie ein Mann wäre, hätte ich ihr längst eine runtergehauen. Stattdessen beiße ich einfach die Zähne zusammen, balle die Hände an meinen Seiten zu Fäusten und versuche, meine Wut im Zaum zu halten.

  »Was zum Teufel geht hier vor, Mann?« Lincs Stimme ist todernst. »Was genau habt ihr verhandelt?«

  Aiden schaut direkt durch mich hindurch. »Erzähl es uns einfach.«

  »Das kannst du nicht, oder?« Lacey klingt wie ein stichelndes Mädchen auf einem Grundschulhof, das seinen Feind unter Kichern vernichtet. Sie macht einen Schritt auf mich zu und starrt mich unverwandt an. »Findest du nicht, dass sie ein Recht darauf haben, zu erfahren, dass das hier euer letzter gemeinsamer Auftritt war?«

  »Was?«, knurrt Lincoln.

  Aiden flucht.

  Lacey macht einen weiteren Schritt in meine Richtung. »Willst du unsere guten Neuigkeiten bezüglich des Plattenvertrags nicht weitergeben?«

  Die Luft scheint vollkommen zu erstarren.

  Ich werfe einen Blick zu Lincoln und sehe absolute Fassungslosigkeit auf seinem Gesicht. Aiden wirkt weniger überrascht, aber ebenso finster.

  Ich atme scharf ein. Als ich es endlich schaffe, mir die Worte abzuringen, liegt keinerlei Emotion in ihnen. »Nach unserem letzten Auftritt im Nightingale kam dieser Kerl von Red Machine auf uns zu. Er bot uns an, uns nach L. A. zu fliegen, damit wir dort vorspielen können. Wenn alles gut läuft, bekommen wir einen Plattenvertrag. Wir müssen nur auf der gepunkteten Linie unterschreiben.«

  »Das ist verdammt noch mal großartig!«, platzt es aus Lincoln heraus. »Warum sollte das schlimm sein …?«

  »Das war noch nicht alles«, mutmaßt Aiden.

  Ich nicke. »Die Abmachung … gilt nur für mich und Lacey. Sie sagten, dass sie uns nicht unter Vertrag nehmen würden, wenn ihr beide mit an Bord wärt.«

  Linc schaut mir fest in die Augen. »Und was haben sie gesagt, als du ihnen mitgeteilt hast, dass sie sich umgehend zum Teufel scheren können?«

  Mein Kiefer verkrampft sich. Die Luft ist so voller Spannung, dass ich kaum atmen kann.

  Laceys klirrendes Lachen fühlt sich an meinem Trommelfell wie Glas an.

  »Oh, Jungs. Ihr und eure verkorkste Vorstellung von Loyalität.« Sie schüttelt spöttisch den Kopf. »Das ist alles, was Ryder je wollte. Warum in aller Welt sollte er dem Mann, der ihm den Schlüssel zum Paradies überreicht, sagen, dass er sich zum Teufel scheren soll?«

  »Nein«, sagt Linc tonlos. »Ich glaube das nicht.«

  »Glaub es ruhig«, schießt Lacey zurück. »Denn morgen um diese Zeit werden wir weg sein.«

  Lincoln kommt auf mich zu. »Sag mir, dass sie lügt, Ry.«

  Ich beiße die Zähne zusammen. »Sie lügt nicht.«

  Für eine Sekunde herrscht vollkommene Stille. Dann stürzt er sich auf mich.

  »Du verdammter Mistkerl!«, brüllt er und läuft knallrot an. »Du selbstsüchtiges, beschissenes Arschloch!«

  Ich versuche nicht mal, dem Schlag auszuweichen. Ich lasse ihn auf mich einprügeln – ein, zwei, drei Schläge ins Gesicht. Vor meinen Augen explodieren Sterne. Meine Lippe platzt auf, und sofort läuft Blut über mein Kinn.

  »Wehr dich, du verdammter Feigling!«, schreit Linc. Seine Knöchel sind blutig. »Steh nicht einfach nur so da!«

  Ich wehre mich nicht. Ich hebe nicht mal die Hände, um mich zu verteidigen.

  Ich verdiene jeden einzelnen gottverdammten Schlag.

  Meine Nase knirscht widerlich. Ich schmecke etwas Metallisches, als Blut meinen Mund flutet.

  Ich höre einen herzzerreißenden weiblichen Schrei, als
ich taumele und sich die Welt um mich herum dreht. Schmerz vibriert in sämtlichen Nervenenden. Ich drehe den Kopf und zucke zusammen, als ich Felicity entdecke, die in der Menge steht, die sich versammelt hat, um bei der Schlägerei zuzuschauen. Ihre Augen sind vor Entsetzen weit aufgerissen. Ihr Gesicht ist weiß und blutleer.

  Ich hätte beinahe alles auf der Welt gegeben, um zu verhindern, dass sie das hier sehen musste.

  Ich öffne den Mund, um nach ihr zu rufen, und schmecke Kupfer und Bedauern auf meiner Zunge. Schnell wird mir klar, dass es nichts zu sagen gibt. Ich kann ebenso wenig um sie kämpfen, wie ich mit Lincoln kämpfen kann.

  Ich verdiene sie nicht. Ich habe sie nie verdient.

  Die Aussicht auf Blut und Drama zieht die Leute an. Sie strömen auf die Dachterrasse heraus und schubsen sich gegenseitig, um näher an das Geschehen heranzukommen. Die Türsteher werden jeden Moment hier sein, um den Pulk aufzulösen. Und wahrscheinlich wird auch die Polizei aufkreuzen.

  »Carly, bring sie hier raus!«, rufe ich und wende den Blick ab. »Bevor es noch hässlicher wird.«

  Ich höre eine gedämpfte Diskussion – eine von ihnen kämpft darum zu gehen, die andere kämpft darum zu bleiben –, aber ich gestatte es mir nicht, in ihre Richtung zu schauen. Carly wird sich um sie kümmern. Und ehrlich gesagt würde ich mich lieber Lincolns ungestümer Wut stellen als dem herzzerreißenden Anblick, wenn Felicity ein letztes Mal davongeht und ich zurückbleiben muss.

  »Du kannst mich also hintergehen, aber nicht wie ein Mann zuschlagen?« Lincoln ist direkt vor mir und fordert mich wieder heraus. »Komm schon! Wenn du mich schon verarschen willst, kann ich dem auch ins Auge blicken!«

  »Ich werde nicht gegen dich kämpfen, Linc.« Blut fällt wie Regentropfen von meiner Nasenspitze. Ich bin vollkommen nüchtern, aber meine Worte klingen undeutlich, als sie aus meinem Mund kommen – das liegt vermutlich an meiner aufgeplatzten Lippe und daran, dass sich in meinem Kopf alles dreht. »Ich würde mir selbst in den Hintern treten, wenn ich der Ansicht wäre, dass ich es dadurch wieder in Ordnung bringen könnte.«

 

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