Faded Duet 1 - Faded - Dieser eine Moment
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»Wofür war das?«, frage ich leise.
»Dafür dass du mich den ganzen Abend über nicht angeschaut hast. Ich vermisse deine Augen auf mir.«
Ich hole scharf Luft und hebe den Blick, um ihn anzusehen. In seinen Augen liegt so viel Kummer, so viel Liebe, dass ich es kaum ertragen kann.
»Da sind sie ja«, murmelt er.
Ich blinzle, und Tränen rollen über meine Wangen. Bevor ich sie wegwischen kann, beugt sich Ryder zu mir hinunter und küsst sie fort. Schließlich will er den Mund zurückziehen, doch ich lasse es nicht zu. Ich stelle mich auf die Zehenspitzen, schlinge die Arme um seinen Hals. Und presse meinen Mund auf seinen. Ich schmecke das Salz meiner eigenen Tränen auf seinen Lippen, während er den Kuss erwidert. Seine Zunge spielt mit meiner, und in seiner Kehle ertönt ein tiefer Laut der Lust.
Ich lasse mich gegen ihn sinken und bete, bete, bete, dass er uns nicht beide ertränken wird.
31. KAPITEL
Ryder
Mein Handy summt leise auf dem Nachttisch. Ich ignoriere es und umarme die schlafende Frau neben mir fester. Doch als es eine Minute später erneut dreimal summt und dabei sehr beharrlich klingt, seufze ich und rolle mich herum, um einen Blick auf das Display zu werfen. Dabei achte ich darauf, Felicity nicht zu wecken.
Ich bin erschrocken, als ich mehrere Textnachrichten von Lincoln erblicke. Ich bin überrascht, von ihm zu hören. Er ist mit Aiden im Viper Room, aber er weiß bereits, dass ich heute Abend – und auch in absehbarer Zukunft – zu Hause bei Felicity bleibe. Er weiß auch, wie sehr ich versucht habe, die Sache mit ihr seit unserer Konfrontation vor der Präsentationsparty gestern Abend in Ordnung zu bringen.
Ich runzle die Stirn, als ich auf das Handy tippe, um seine Nachrichten zu lesen.
Hi,
ich habe dieses Handy im Viper Room bei Ihrem Freund
gefunden.
Sie waren der letzte Kontakt, dem er eine Textnachricht
geschrieben hat.
Er ist in ziemlich übler Verfassung. Besteht die Möglichkeit, dass Sie herkommen und ihn abholen?
Wenn ihn die Türsteher finden, werden sie vielleicht
einen Krankenwagen rufen.
Oder die Bullen.
- Ein guter Samariter
Mist.
Ich steige aus dem Bett und bewege mich lautlos über den Teppich, während ich mir eine Jeans und ein T-Shirt anziehe. Ich werfe noch einen letzten Blick zu Felicity, bevor ich aufbreche. Sie hat sich an ein Kissen geschmiegt und schläft tief und fest. Ihr Mund ist ein klein wenig geöffnet, und ihr Haar fällt im Mondlicht lose über die Laken. Meine Kehle schnürt sich zu.
Sie ist so wunderschön.
Ich kann nicht glauben, dass ich sie beinahe verloren hätte. Ich kann nicht glauben, dass ich das, was wir miteinander haben, aufs Spiel gesetzt habe. Das ist der wichtigste Teil meines Lebens. Sie ist der wichtigste Teil meines Lebens – und ich habe vor, ihr diese Tatsache heute und an jedem anderen Tag für den Rest aller Zeiten zu beweisen, wenn sie mich lässt. Ich schaue für einen Moment auf den Nachttisch und spüre, wie sich meine Lippen zu einem Lächeln verziehen.
Den ganzen Tag lang habe ich mich auf meine Zukunft mit Felicity konzentriert, wann immer ich das Bedürfnis verspürt habe, eine Pille einzuwerfen. Auf diese Weise konnte ich das Verlangen ein wenig besser im Zaum halten. Ich fühle mich vollkommen elend – ich bin aufgedreht, habe eine pochende Migräne, schwitze und bin blass –, aber es ist, wie ich ihr gesagt habe …
Wenn ich die Wahl zwischen dir und ein paar Pillen habe … dann wähle ich dich, Felicity. Ich wähle dich jedes gottverdammte Mal. Von jetzt an bis in alle Ewigkeit.
Ich spiele mit dem Gedanken, ihr eine Nachricht zu hinterlassen, entscheide mich aber gleich wieder dagegen. Ich werde wieder da sein, bevor sie mich vermissen kann, und ich habe keine Zeit.
Wenn Linc in Schwierigkeiten steckt, bin ich da. Ohne jede Frage.
Ich ziehe meine Stiefel an der Tür an, nehme meinen Schlüsselbund vom Haken und laufe los. Es ist nicht weit – ich brauche höchstens fünfzehn Minuten. Weniger, wenn es mir gelingt, ein Taxi zu erwischen. Ich hoffe nur, dass ich es noch rechtzeitig schaffe.
Der Viper Room ist bei Touristen und Einheimischen gleichermaßen beliebt. Alle hoffen, sich dort eine Show auf dem berühmten Sunset Strip anschauen zu können. Jeder von Johnny Cash über Elvis Costello bin hin zu Tom Petty ist schon in diesem dunklen Club aufgetreten, und er ist schnell zu einem von Lincs und meinen Lieblingslocations geworden. Die Türsteher erkennen mich am Eingang – ein neuer Vorteil meines Lebens als »Star« – und lassen mich hinein, ohne mit der Wimper zu zucken.
Ich gehe durch den Club und halte nach Lincs vertrauter blonder Kurzhaarfrisur Ausschau. Auf der Bühne spielt eine Grungerockband, und ich bahne mir einen Weg durch die Menge aus Zuschauern, die im Takt der Musik Headbanging betreiben. Auf der Tanzfläche, an den Tischen und an der Theke entdecke ich ihn nicht, also mache ich mich auf den Weg zu den Toiletten. Die roten Wände sind von der Decke bis zum Boden mit Aufklebern von all den Bands bedeckt, die hier im Laufe der Jahre aufgetreten sind. Ich gehe an den Pissoiren vorbei und entdecke schließlich zwei Füße, die aus der linken Kabine auf der linken Seite herausragen. Linc sitzt zusammengesackt neben der Toilette und sieht ziemlich mitgenommen aus.
»Linc!« Ich versetze ihm eine leichte Ohrfeige, um ihn wach zu bekommen. »Alles okay, Mann?«
Er öffnet die glasigen Augen einen Spaltbreit.
»Was hast du genommen?«, frage ich und schüttle ihn.
»Es geht mir gut«, murmelt er. Er spricht so undeutlich, dass ich kaum ein Wort verstehen kann. »Gut.«
Es geht ihm definitiv nicht »gut«. Nicht mal ansatzweise. Aber ich werte es als gutes Zeichen, dass er nüchtern genug ist, um ein Wort herauszubringen.
»Schaffen wir dich hier raus, Linc.«
»Jacke«, murmelt er.
Ich verdrehe die Augen, schnappe mir seine Jacke vom ekelhaften Boden und werfe sie mir über den freien Arm. Seine Geldbörse und sein Handy liegen neben dem Toilettensockel in einer Pfütze aus irgendetwas Widerlichem, aber ich stecke sie trotzdem in meine Gesäßtasche.
Der Mistkerl schuldet mir eine neue Jeans.
»Komm schon, Kumpel.« Ich schlinge mir seinen schlaffen Arm um die Schultern und hieve ihn hoch. Sein Gewicht bringt mich ein wenig ins Wanken.
Mit taumelnden Schritten gelingt es mir, ihn aus den Toilettenräumen und durch den Seiteneingang nach draußen zu bringen. Wir landen in einer mit Abfall übersäten Gasse. Sie stinkt nach Pisse und verrottendem Müll. Linc lehnt sich gegen die Ziegelwand und übergibt sich lautstark.
»Das ist gut, Mann.« Ich tätschele seinen Rücken. »Das muss alles raus.«
Je schneller er diesen Mist aus seinem Körper befördert, desto besser.
Als er sich nicht mehr übergibt, ziehe ich ihn von der Wand weg und führe ihn zum Ausgang der Gasse. Er lehnt sich schwer auf mich. Seine Augen sind halb geschlossen. Ich weiß nicht, wie zum Teufel ich ihn nach Hause bringen soll. Er stinkt nach Urin und Erbrochenem – kein Taxifahrer, der bei klarem Verstand ist, wird uns in diesem Zustand in sein Fahrzeug lassen.
»Linc, wie geht es dir?«, bringe ich gepresst hervor und habe Mühe, ihn aufrecht zu halten.
»Gut. Es geht mir gut«, lallt er und sackt an einer nahe gelegenen Wand zusammen.
»Was hast du genommen?«
»Koks. Nur Koks, glaube ich.«
»Glaubst du?«
Er öffnet die Augen einen Spaltbreit und richtet den Blick auf mein Gesicht. Ich glaube, dass er etwas sagen will, doch stattdessen lehnt er sich vor und übergibt sich erneut – dieses Mal direkt auf meine Schuhe.
»Verdammt!«, rufe ich aus und weiche hektisch zurück. Ich pralle direkt gegen jemanden, der gerade in die Gasse gekommen ist, in der wir stehen. »Scheiße, tut mir leid«, sage ich und drehe mich herum, um mich zu entschuldigen. Ich reiße die Augen auf, als ich einen Officer des LAPD e
rblicke, der mit vor der Brust verschränkten Armen dasteht.
Er wirkt kein bisschen amüsiert.
Die Handschellen scheuern schmerzhaft an meinen Handgelenken, als mich die Polizisten auf den Rücksitz des Streifenwagens befördern. Einer von ihnen legt eine Hand auf meinen Kopf und drückt mich nach unten, damit ich mich nicht am Dach stoße. Sie knallen die Tür mit erschreckender Endgültigkeit hinter mir zu. Ich rümpfe die Nase, als ich den Gestank von Erbrochenem wahrnehme, der in diesem geschlossenen Raum überwältigend ist.
Gerade als ich dachte, dass meine Nacht nicht noch schlimmer werden könnte …
Linc ist bei den Sanitätern und vermutlich auf dem Weg ins Krankenhaus, wo man ihm den Magen auspumpen wird. Wenigstens dafür kann ich dankbar sein. Auf diese Weise wird er noch am Leben sein, damit ich ihn erwürgen kann. Ich könnte ihn umbringen dafür, dass er mich in diesen Schlamassel hineingezogen hat.
Nachdem ich gegen den Polizisten geprallt war, befahl der mir, meine Hände an die Wand zu legen. Ich tat, was er verlangte, und wehrte mich nicht, als er meine Füße auseinandertrat, damit meine Beine weit gespreizt waren, und er mich schnell durchsuchte. Ich versuchte, ihm zu erklären, dass ich sauber sei – keine illegalen Substanzen oder Waffen jeglicher Art. Vielleicht hätte er mir sogar geglaubt, wenn er nicht den Beutel mit Kokain gefunden hätte, der sich in der Tasche der Jacke befand, die ich über dem Arm hatte.
Lincs Jacke.
Drogenbesitz ist ein schweres Vergehen, und weder der Officer noch sein Partner wirkten allzu erpicht darauf, irgendetwas von dem zu hören, was ich zu meiner Verteidigung zu sagen hatte, nachdem sie das Kokain gefunden hatten. Sie pressten mich so heftig gegen die Wand, dass ich Sterne sah, zerrten meine Arme auf dem Rücken zusammen und legten mir so schnell Handschellen an, dass ich kaum Zeit hatte zu begreifen, was vor sich ging.
Ich beobachte, wie das Blaulicht rhythmisch wie ein Metronom an der Ziegelwand des Gebäudes aufblitzt. Ich kann kaum klar denken, denn ich mache mir große Sorgen wegen des Ärgers, den ich mir eingehandelt habe – mit der Presse, mit der Polizei.
Mit Felicity.
Verdammt. Ich hätte ihr wirklich eine Nachricht hinterlassen sollen.
32. KAPITEL
Felicity
Ich wache am Morgen auf, und er ist fort.
Keine Nachricht. Kein Abschiedskuss.
Sofort macht sich Unruhe in mir breit. Ich stehe auf und gehe durch das Loft. Sein Schlüsselbund hängt nicht am Haken. Seine Stiefel stehen nicht neben der Tür. Ich werfe einen Blick in Lincs und Aidens Zimmer und stelle fest, dass sie ebenfalls leer sind. Seltsam.
Ich schlage eine Stunde tot, indem ich Kaffee koche und mir Frühstück zubereite. Dabei versuche ich, die Nervosität zu ignorieren, die sich in meinem Körper breitmacht. Ich kann einfach nicht aufhören, mich zu fragen, wo er ist, was er macht … Wie eine Besessene denke ich über alles nach, was schieflaufen könnte, während ich das Geschirr spüle und es zum Trocknen auf dem Abtropfgestell stapele.
Als wir gestern nach der Präsentationsparty aufwachten, hatten wir ein langes Gespräch. Unser erstes seit einer gefühlten Ewigkeit. Er war so offen, so ehrlich – in Bezug auf den Stress, unter dem er gestanden hatte, um das Album aufzunehmen, in Bezug auf sein Bedürfnis, den Jungs gegenüber alles richtig zu machen, in Bezug auf das, was während des Fiaskos mit Red Machine passiert war. Er sprach sogar ganz offen über die Alkoholprobleme seines Vaters, und ich teilte ihm im Gegenzug Geschichten über meine Eltern mit.
Nach dem Abendessen saßen wir zusammen auf dem Balkon, spielten Musik und lachten über den Wahnsinn, dass unser erstes Album nun draußen in der Welt ist. Ich kochte eine Kanne Chai, und wir stießen mit randvollen Teetassen auf unsere Zukunft an, bevor wir ins Bett fielen.
Als ich in seinen Armen einschlief, war mein letzter Gedanke hoffnungsvoll.
Wir können das schaffen. Wir können das wieder in Ordnung bringen.
Doch jetzt, da ich mich auf der Suche nach Hinweisen auf seinen Verbleib in der leeren Wohnung umschaue, spüre ich, wie in mir erneut die Nervosität zum Leben erwacht. Ein Teil des Glücks, das wir uns gestern Abend zurückerobert hatten, fühlt sich im blassen Licht des Tages zerbrechlich an.
Wie oft wirkten Mom und Dad, als wären sie wieder auf dem richtigen Weg, nur um dann einen Rückfall zu erleiden? Wie oft hast du dich an deine Hoffnungen geklammert, nur um dann zuzusehen, wie sie zerbrachen, wenn du sie im Drogenrausch auf dem Wohnzimmerteppich vorfandest?
Meine Vergangenheit arbeitet gegen mich und reißt mit rasiermesserscharfen Klauen an mir. In meinem Herzen weiß ich, dass Ryder nicht so ist wie die Menschen, die mich großgezogen haben. Aber ich kann nicht anders, als mir automatisch den schlimmstmöglichen Fall vorzustellen und Ryder mit ihnen zu vergleichen.
Wo ist er?
Eine weitere Stunde vergeht, bis mir in den Sinn kommt, einen Blick auf mein iPad zu werfen, um zu sehen, ob es Neuigkeiten gibt. Als ich es einschalte, explodiert mein Postfach praktisch vor lauter E-Mails von Francesca und etwa hundert weiteren PR-Leuten, die für Route 66 arbeiten und denen ich nie begegnet bin.
POSTFACH
AN: thewildeone@route66records.com
VON: ffoster@route66records.com
BETREFF: Rufen Sie mich so schnell wie möglich an!
Felicity,
Ryder und Linc wurden gestern Nacht vor dem Viper Room wegen Drogenbesitzes verhaftet.
Wir kümmern uns darum. Die Anwälte sind bereits unterwegs. Ich werde mich in Kürze ebenfalls auf den Weg machen.
Vor Ihrer Wohnung werden Paparazzi auf der Lauer liegen, weil sie auf einen Exklusivbericht hoffen.
Vermeiden Sie es wenn möglich, das Loft zu verlassen.
Ich werde mich bald wieder melden.
Francesca
Mein Herz rutscht mir in die Hose, während ich zu Boden sinke.
Ich bin vor Fassungslosigkeit wie gelähmt. Die Vorstellung, dass er das tun würde, macht mich sprachlos.
Ich empfinde keine Wut. Keine Trauer. Keinen Herzschmerz.
Nur … Leere. Eine schmerzhafte, hohle Ödnis in der linken Seite meiner Brust – ein Ort, der einst für Ryder reserviert war.
Als ich mich schließlich aufrappele, schwebe ich wie ein Geist durch das Loft und sammele methodisch meine Sachen ein. Ich nehme meine silberne Armbanduhr von der Küchentheke, meinen Pullover von der Couch, mein liebstes Paar Sandalen von der Fußmatte an der Tür, meinen neuen Koffer aus dem Schrank, wo er neben einem dazu passenden steht, den sich Ryder gekauft hat.
Für unsere erste gemeinsame Reise, hatte er mir grinsend erklärt.
Die Preisschilder hängen noch an den Koffern. Meine Hände sind ruhig, und mein Atem geht gleichmäßig, als ich eine Hand ausstrecke und sie abreiße. Ich lasse sie mitten im Flur auf den Boden fallen. Auf dem Weg nach unten flattern sie wie Blätter im Wind.
Ich brauche nicht lange, um zu packen. Ich habe nicht viel.
Neue Klamotten. Eine neue Geldbörse. Ein neues Tablet.
Mein altes Notizbuch. Meine alte Gitarre. Ich bin immer noch ganz die Alte.
Losgelöst treibe ich davon. Wieder einmal.
Ich bin auf der Flucht. Wieder einmal.
Ich schaue mich noch ein letztes Mal um und überprüfe, ob ich in den Schubladen im Waschtisch irgendetwas vergessen habe. Ich ziehe auch die Nachttischschubladen auf beiden Seiten des Betts auf, um zu sehen, ob darin etwas liegt, das mir gehört. Ich erstarre, als ich eine kleine blaue Schachtel in Ryders Schublade berühre. Ich richte den Blick fest darauf und habe plötzlich Schwierigkeiten beim Atmen. Ich kann spüren, wie meine Emotionen hinter den dichten Mauern wüten, die ich wie einen Schild um meinen Verstand errichtet habe. Sie versuchen verzweifelt, mich zu erreichen.
Ich lasse sie nicht an mich heran.
Und ich öffne die Schmuckschatulle nicht. Mit dem Zeigefinger streiche ich über den Samt. Nur ein einziges Mal. Mehr gestatte ich mir nicht. Mehr kann ich nicht ertragen, ohne kompl
ett die Kontrolle zu verlieren.
Mindestens eine Minute vergeht, bis ich in der Lage bin, den Blick von der Zukunft loszureißen, die ich beinahe gehabt hätte. Eine weitere Minute vergeht, bis ich mich tatsächlich umdrehen und das Zimmer verlassen kann. Die Rollen meines Koffers sind auf dem Parkett so laut, dass meine Ohren schmerzen.
Ich lasse die Nachttischschublade offen stehen, als ich hinausgehe.
Ich erlaube es mir nicht, zurückzuschauen.
33. KAPITEL
Ryder
In der Sekunde, in der ich die Wohnung betrete, weiß ich es.
Ihre Abwesenheit ist greifbar. Sie pulsiert in der Luft wie eine schiefe Note, die ein ganzes Lied aus dem Takt bringt.
Ich schließe die Tür hinter mir mit einem leisen Klicken und lasse den Blick durch den Raum wandern.
Auf der Couch liegt kein Pullover, neben dem Wohnzimmertisch stehen keine Hausschuhe. Das Buch, das sie gelesen hat, liegt nicht mehr auf dem sonnigen Stuhl, auf dem sie immer sitzt. Ich gehe zum Schlafzimmer und trete über auf den Boden geworfene Kofferpreisschilder. Trümmer von einer Schlacht, in der ich nicht kämpfen durfte.
Die Tür schwingt auf. Ich bereite mich auf den Schlag vor, von dem ich weiß, dass er kommen wird. Doch er haut mich trotzdem um wie ein Fausthieb mitten ins Herz.
Jeder Hinweis auf sie ist verschwunden. Ihr Shampoo steht in der Dusche nicht mehr neben meinem. Ihre Bürste liegt nicht mehr im Regal. Ihre abgenutzte alte Gitarre lehnt nicht mehr an der gegenüberliegenden Wand.
Ich schaue zum Bett. Sie hat es frisch bezogen, sodass nicht mal ihr Geruch zurückbleibt.
In diesem kalten, leeren Zimmer ist nicht mehr das geringste Anzeichen von ihr.
Ich spüre, wie mein Herz in zwei Hälfen bricht, während ich zum Nachttisch gehe. Ich erstarre. Mein Blick ist fest auf die halb geöffnete Schublade gerichtet. Sie ist nur fünf Schritte entfernt, aber ich brauche eine verdammte Ewigkeit, um meine Füße dazu zu bringen, sich in Bewegung zu setzen, denn ich weiß nur zu gut, was ich sehen werde, wenn ich dort ankomme.