Forbidden Royals 02 - Golden Throne

Home > Other > Forbidden Royals 02 - Golden Throne > Page 15
Forbidden Royals 02 - Golden Throne Page 15

by Johnson, Julie


  Mit einem entschiedenen Ruck zieht sie den Reißverschluss auf und bringt ein langes, schwarzes Rollkragenkleid zum Vorschein.

  »Ahhhh! Meine Augen!« Chloe schleudert das Kleid mit einer theatralischen Geste in die Ecke. Dann lässt sie sich auf die Knie fallen und presst die Handflächen auf ihr Gesicht. »Schnell, schnell. Verbrenn es!«

  Ich schnaube. »Keine Sorge. Ich habe nicht vor, das zu tragen.«

  »Gut, denn so sackförmig, wie das Teil geschnitten ist, passen da locker drei Emilias rein, und es wäre immer noch Platz für den Nachtisch.« Chloe verdreht die Augen. »Ich dachte, Lady Mürrisch wollte eine königliche Hochzeit? Weiß sie nicht, dass man die Gunst eines heiratsfähigen caerleonischen Junggesellen am ehesten mit einem ebenso geschmackvollen wie sinnlichen Maß an Sideboob erwirbt?«

  »Mir war nicht klar, dass ein Sideboob überhaupt geschmackvoll sein kann.«

  »Habe ich geschmackvoll gesagt?« Sie legt nachdenklich den Kopf schief. »Vielleicht meinte ich auch billig … Wie dem auch sei, die Wirkung auf Männer ist die gleiche.«

  Ich rappele mich auf und trotte auf meinen geräumigen begehbaren Kleiderschrank zu. »Komm schon. Du musst mir dabei helfen, etwas zum Anziehen auszuwählen. Vorzugsweise ein Mittelding zwischen ›zugeknöpftem Rollkragen‹ und ›skandalösem Sideboob‹.«

  Zwanzig Minuten später klopft es an meine Tür – das ist zweifellos Galizia, die gekommen ist, um mich zu meiner Verabredung zu begleiten.

  »Herein!«, rufe ich und werfe noch einen letzten Blick in den Spiegel. Die Kombination aus einem maßgeschneiderten weißen Blazer und einer eng geschnittenen schwarzen Stoffhose wirkt klassisch, doch die bis übers Knie reichenden Absatzstiefel aus Wildleder und der üppige Silberschmuck, mit dem mich Chloe behangen hat, verpassen dem Outfit einen nicht allzu langweiligen Anstrich.

  »Das ist genau das richtige Maß an Dekolleté«, pflichtet mir meine Stiefschwester bei und mustert meine Brüste mit einem prüfenden Blick. »Oder, Gali… Oh! Sie sind nicht Galizia.«

  Ich drehe mich herum, um zu sehen, was sie meint, und reiße die Augen auf. In meiner Tür steht eine Wache, aber der Mann ist definitiv nicht Galizia. Er ist groß und muskulös und hat einen dichten Schopf aus kastanienbraunem Haar sowie metallisch schimmernde graue Augen. Ich habe ihn schon ein- oder zweimal auf dem Schlossgelände gesehen, während er Dienst hatte, aber wir haben nie miteinander gesprochen.

  »Ähm. Hi«, sage ich ziemlich dümmlich. »Wer sind Sie, und warum sind Sie in meinem Zimmer?«

  Er nimmt sofort Haltung an und salutiert förmlich. »Oberleutnant Emmett Riggs, Eure Hoheit.«

  Chloe pfeift anerkennend.

  »Stehen Sie bequem, Soldat«, sage ich und ignoriere ihre Mätzchen. »Kann ich Ihnen irgendwie helfen?«

  »Tatsächlich hoffe ich, dass ich Ihnen helfen kann, Prinzessin.«

  Ich ziehe die Augenbrauen hoch. »Oh?«

  Er nickt. Seine grauen Augen sind fest auf meine gerichtet. »Ich habe mich gefragt, ob Sie immer noch nach geeigneten Kandidaten suchen und bereit wären, meine Dienste in Anspruch zu nehmen.«

  Ich ziehe die Augenbrauen noch weiter nach oben. Was auch immer ich von ihm erwartet habe … das war es nicht.

  »Für Ihre Prinzessinnengarde«, stellt er klar.

  »Ja, wir haben uns schon gedacht, dass es nicht um eine Stelle als Vollzeit-Sexsklave geht«, kommentiert Chloe gedehnt.

  »Chloe!«, weise ich sie zurecht, aber Riggs grinst.

  »Also … ist das ein Ja?«

  Ich schaue ihn mit zusammengezogenen Augen an. »Hat Bane Sie dazu angestiftet?«

  Die Frage scheint ihn ernsthaft zu beleidigen. Die Art, wie er die Lippen verzieht, als ich den Namen des Kommandanten erwähne, verrät mir, dass er auf den Mann eindeutig nicht gut zu sprechen ist.

  »Nein, Eure Hoheit. Ich bin aus freien Stücken hier. Ich hätte schon früher kommen sollen, damals, als Sie um Hilfe baten. Ehrlich gesagt ärgere ich mich seit jenem Tag darüber, dass ich so feige war.«

  »Warum?«

  Er wirkt verwirrt. »Warum was?«

  »Warum wollen Sie die Königsgarde verlassen und für mich arbeiten? Ist das für Sie nicht so was wie eine Degradierung?«

  »Ganz im Gegenteil.« Er zuckt leicht mit den Schultern. »Darf ich offen sein?«

  »Natürlich.«

  »Ich kann mir vorstellen, dass aus dieser Prinzessinnengarde früher oder später die Königinnengarde werden wird. Mit anderen Worten, wenn ich nur lange genug warte … hätte ich mir gerade eine Gratisbeförderung gesichert. Ganz schön clever, wenn ich das so sagen darf.«

  Angesichts seiner Logik kann ich mir das Lächeln nicht verkneifen. Aber er hat nicht ganz unrecht. Außerdem hat er etwas Sympathisches an sich. Etwas Unverkrampftes, das mich sofort entspannen lässt. Tatsächlich erinnert er mich ein wenig an Owen.

  Bei dem Gedanken gerät mein Lächeln ins Wanken.

  Owen.

  Immer wenn mir mein bester Freund in den Sinn kommt, verspüre ich einen heftigen Stich im Herzen. Ich habe seit Wochen nicht mehr mit ihm gesprochen – nicht mehr seit er mich anrief, um mich vor einer möglichen Bedrohung während der Krönungsfeier zu warnen.

  Und wie recht er damit behalten sollte …

  Ich fange an, mir Sorgen um ihn zu machen. All meine Anrufe an seine alte Nummer sind unbeantwortet geblieben. Der königliche Straferlass liegt nutzlos in meiner Schreibtischschublade herum und erscheint mir wie der blanke Hohn.

  Was für einen Sinn hatte es, sich mit Octavia anzulegen, um ihm eine Begnadigung zu verschaffen, wenn er sich nicht mal die Mühe macht, das verdammte Ding zu benutzen?

  Andererseits, wenn er seine kürzlich für sich entdeckte Sympathie für die lancasterfeindlichen Splittergruppen und deren Aktivitäten beibehält … könnte er sie irgendwann tatsächlich benötigen. Ich rufe mir immer wieder ins Gedächtnis, dass er nicht wirklich zum Monarchiegegner geworden ist … dass er sich ihnen nur angeschlossen hat, um Informationen über ihre potenziellen ruchlosen Pläne zu erhalten … dass er das nur tut, um mich zu beschützen … Aber etwas zu wissen und etwas zu glauben sind zwei vollkommen unterschiedliche Dinge. Auch wenn ich es noch so sehr versuche, ich kann einfach das Bild von ihm mit diesem schwarzen Tuch vor dem Gesicht nicht loswerden.

  Tod der Monarchie!

  Chloe räuspert sich und holt mich damit zurück in die Gegenwart. Ich richte meine Aufmerksamkeit wieder auf Riggs.

  »Ich werde zuerst mit Galizia klären müssen, ob das in Ordnung geht«, teile ich ihm tonlos mit. »Aber wenn sie kein Problem damit hat, mit Ihnen zu arbeiten, werde ich Ihnen eine Chance geben. Auf vorläufiger Basis.«

  »Oh.« Er verzieht das Gesicht. »Das könnte ein Problem darstellen.«

  »Warum?«, frage ich verwirrt. »Hat Galizia ein Problem mit Ihnen?«

  »Nicht wirklich.«

  Ich verschränke die Arme. »Erklären Sie mir das.«

  Er grinst hastig und beinahe verlegen. »Nun ja, die Sache mit Galizia ist … Sie ist in mich verliebt. Und zwar bis über beide Ohren verliebt.«

  Chloe und ich werfen uns skeptische Blicke zu. Die Vorstellung, dass meine stoische Leibwächterin »bis über beide Ohren« in irgendjemanden verliebt sein könnte, klingt ehrlich gesagt ziemlich abwegig.

  »Und … ist sich Galizia dieser Tatsache bewusst? «, hake ich nach.

  »Noch nicht.« Riggs klingt vollkommen unbekümmert. »Aber sie wird es schon noch mitbekommen. Irgendwann. Falls Sie je bemerkt, dass ich existiere.«

  Chloe schnaubt. »Ja. Viel Glück dabei, Kumpel.«

  Als ob sie gehört hätte, dass wir ihren Namen erwähnt haben, wählt Galizia exakt diesen Augenblick, um in meine Gemächer zu treten. Sie reißt die blauen Augen weit auf, als sie Riggs entdeckt.

  »Emmett!«, keucht sie, und ihre Wangen laufen rot an. »Ich meine Riggs. Leutnant Riggs. Ähm … Oberleutnant. Sir.« Sie errötet noch heftiger und salutiert hastig, da er streng genommen ihr Vorgesetzter ist.

  Eine unvorhergesehene Wendung … Riggs könnte mit seiner Vermutung tatsächlich recht haben …

  Chloe und
ich tauschen einen weiteren Blick aus. Sie sieht aus, als würde sie ein Lachen hinunterschlucken. Ich selbst bin derart schockiert, Galizia so nervös zu sehen, dass sie sich verhaspelt, dass ich meine Kinnlade nur mühsam davon abhalten kann, herunterzuklappen.

  Galizia und Riggs starren einander weiterhin an – sie angespannt und steif, er vollkommen entspannt und grinsend. Wenn man die beiden so zusammen sieht, lässt sich nicht leugnen, dass auf beiden Seiten Gefühle im Spiel sind. Nun ergibt es absolut Sinn, dass Riggs so wild darauf ist, Teil meines persönlichen Sicherheitsdienstes zu werden … Und seine Motive haben nichts damit zu tun, der Krone zu dienen oder seine Karriere voranzutreiben.

  »Was machen Sie hier?«, fragt ihn Galizia geradeheraus.

  Er öffnet den Mund, um zu antworten, aber ich komme ihm zuvor.

  »Ich habe ihn gerade eingestellt«, platze ich heraus und versuche, ein Lächeln zu unterdrücken. »Er wird das zweite Mitglied meiner offiziellen Prinzessinnengarde sein. Ist das nicht toll?«

  »Was?!«, zischt Galizia. »Eure Hoheit, das ist … Ich denke nicht … Warum sollten Sie …?« Sie presst die Lippen zusammen, atmet tief durch die Nase ein und nimmt Haltung an. »Wenn Sie das für das Beste halten, werden ich Ihre Entscheidung unterstützen, Prinzessin.«

  »Sehen Sie, Eure Hoheit?«, sagt Riggs fröhlich. »Sie hat absolut keine Probleme damit. Wir sind alle eine große, glückliche Familie.«

  Galizia wirft ihm tödliche Blicke zu.

  Chloe kichert. »Oh, das wird lustig werden.«

  Ich lache zum ersten Mal an diesem Tag und kann ihr nur zustimmen.

  Eine Stunde später gibt es für mich absolut nichts mehr zu lachen.

  Ich bin zu Tode gelangweilt.

  Sir Edgar Klingerton, der hochverehrte Graf aus Lund, von dem Simms und Lady Morrell dachten, dass er mein Herz erobern könnte, ist von durchschnittlicher Größe, sieht landläufig betrachtet ganz gut aus und …

  Das ist auch schon alles.

  Damit enden seine Vorzüge.

  Nicht dass er engherzig oder übellaunig wäre. Er ist einfach nur … unerträglich langweilig . Um ehrlich zu sein, hatte ich sogar während einer Zahnbehandlung schon anregendere Unterhaltungen, obwohl mein Mund dabei voller Metallteile war, die meine Zunge nach unten drückten.

  Unsere Gesprächsthemen umfassten das Wetter – mild für Ende November! –, unsere liebsten Rugbymannschaften – Erzfeinde auf dem Spielfeld und auch abseits davon – und unsere Lieblingskekssorte – wir mögen beide dieselbe Marke .

  Wir sind in einem der Situation angemessenen Abstand am Flussufer entlangspaziert, genau wie Lady Morrell es angeregt hat. Wir haben sogar für ein Pressefoto haltgemacht, und zwar an einer besonders idyllischen Biegung des Flusses, wo wir eine Entenfamilie mit Brot gefüttert und breit genug gelächelt haben, um die Kameras davon zu überzeugen, dass wir uns glänzend verstehen.

  Als meine Absätze an einer Stelle im Matsch versinken, verhält sich Edgar wie ein perfekter Gentleman – er reicht mir seine Hand, um mir vom grasbewachsenen Ufer zurück auf den Gehweg zu helfen. Ich lächle ihn in den richtigen Momenten an und sage all die richtigen Dinge. Ich verabschiede mich mit einem warmen Lächeln von ihm und verspreche, mich bei ihm zu melden.

  Erst als ich für die Rückfahrt zum Palast wieder in der Limousine sitze und sicher hinter den getönten Scheiben verborgen bin, gestatte ich es mir, das falsche Lächeln verblassen zu lassen. Sofort rollen dicke Tränen über meine Wangen.

  Ich habe gerade den ersten flüchtigen Blick auf meine Zukunft erhalten.

  Und sie sieht wirklich ausgesprochen trostlos aus.

  Die nächste Woche vergeht in einem verschwommenen Wirrwarr aus Presseterminen und publikumswirksamen Verabredungen.

  Ich nehme zusammen mit dem vollkommen vergessenswürdigen Baron von Zareb an einer Wohltätigkeitsveranstaltung teil. Zu seinen Hobbys zählen Schachturniere und Marathonläufe. Man kann wohl mit Fug und Recht behaupten, dass es keine Liebe auf den ersten Blick ist.

  Ich verbringe einen verschneiten Morgen in einer örtlichen Grundschule, wo ich den Kindern etwas vorlese. Ich trinke Tee mit der todlangweiligen Frau des Premierministers in ihrem Wintergarten in Frenberg. Ich besuche unser Naturkundemuseum mit einer Gruppe ausländischer Würdenträger, die bei uns zu Besuch sind – bevor ich meine Stilettos ausziehe, um mit ihren Kindern durch die Dinosaurierausstellung zu rennen. (Was, nur fürs Protokoll, der unterhaltsamste Moment meiner ganzen Woche ist.)

  Natürlich hat die Presse ihre Schlagzeile.

  BARFÜSSIGE THRONFOLGERIN!

  PRINZESSIN EMILIA ZIEHT WÄHREND EINER DIPLOMATENVERANSTALTUNG DIE SCHUHE AUS

  Ich dachte, dass Simms einen Herzinfarkt erleiden würde, als er diese spezielle Schlagzeile über einem Bild von mir sah, auf dem ich wie wild herumrenne und dabei von einem Geschwader aus Siebenjährigen verfolgt werde. Doch dann zog er die Reaktion der Öffentlichkeit in Erwägung.

  Wie es scheint, teilen die sogenannten einfachen Bürger seine Missbilligung meines unstandesgemäßen Verhaltens nicht. Tatsächlich … mögen sie es sogar irgendwie. Jeden Tag, wenn ich aus der Rolls-Royce-Limousine steige, um mich einer weiteren königlichen Aufgabe zu widmen, ist die wartende Menge ein wenig größer. Und sehr viel lauter.

  Früher lächelte ich verhalten und ging an den Leuten vorbei, ohne stehen zu bleiben. Ich fühlte mich unwohl dabei, der Mittelpunkt von so viel Aufmerksamkeit zu sein. Aber mit der Zeit habe ich mehr Übung darin bekommen, und es ist einfacher geworden.

  Als ich heute das Rosebud-Lernzentrum verlasse – die kleine Wohltätigkeitseinrichtung, in der ich den Morgen damit verbracht habe, mich mit den Lehrern und Hilfskräften über ihre frisch bewilligte königliche Förderung zu unterhalten –, bleibe ich stehen, um die Leute zu begrüßen, die sich auf dem Bürgersteig versammelt haben.

  Seht mal! Das ist Emilia!

  Oh mein Gott, sie ist es wirklich!

  Prinzessin Emilia! Hier drüben!

  Sind Sie tatsächlich mit dem Grafen von Lund zusammen?

  Ich gehe langsamer, während ich mich an den Leuten vorbeibewege, lächle und im Laufen Hände schüttle. Hin und wieder halte ich inne, um jemanden nach seinem Namen zu fragen oder mich zu erkundigen, woher er stammt. Die meisten Leute leben hier in Vasgaard, aber ein paar sind aus den entlegensten Winkeln Caerleons angereist, um die bevorstehende Urlaubssaison in der Hauptstadt zu verbringen. Sie stammen aus Orten, von denen ich noch nie gehört habe, ganz zu schweigen davon, dass ich jemals dort gewesen wäre.

  Uvendon, Jaarlsburg, Hanton, Saalk.

  Auf halbem Weg zur wartenden Limousine bleibe ich stehen, um einem kleinen Jungen mitzuteilen, dass mir sein Rugbytrikot gefällt – die Cavaliers sind auch meine Lieblingsmannschaft. Sein Gesicht strahlt förmlich vor Freude. Ich habe mich vorgebeugt, um ihn zu fragen, wer sein Lieblingsspieler ist, als eine scharfe Stimme durch die Menge schallt.

  »Lancaster-Schlampe!«

  Ich kann das barsche Wort kaum verarbeiten, denn eine Sekunde später klatscht etwas Feuchtes gegen meine Wange.

  Spucke , wie mir voller Entsetzen klar wird. Jemand hat mich angespuckt.

  »Nieder mit der Krone!«, brüllt der Mann nun. Jedes einzelne Wort ist von einem Hass durchtränkt, der mich regelrecht in Schockstarre versetzt. »Hörst du mich, Flittchen? Die Tage der Monarchie sind gezählt!«

  Ich hebe den Blick, um nach der Quelle der giftigen Worte zu suchen, aber mir bleibt keine Zeit, meine Wachen haben mich umringt – Galizia auf der einen und Riggs auf der anderen Seite. Sie haben meine Oberarme gepackt und führen mich vom Ort des Geschehens weg. Ich erhasche lediglich einen flüchtigen Blick auf meinen Angreifer: einen glatzköpfigen Mann mittleren Alters, den ich noch nie zuvor gesehen habe. Auf seinem schwarzen Oberteil prangt das Symbol der Monarchiegegner, das ich erkenne – das Löwenwappen, das von einem roten Schwert in zwei Hälften geteilt wird. Seine dunklen Augen scheinen sich regelrecht in mich hineinzubrennen, selbst dann noch, als ihn bereits ein Geschwader aus Wachen mit gezogenen Waffen umzingelt.

  »Faschisten!« Der Mann schreit weiter, als sie ihn z
u Boden drücken. »Lancaster-Abschaum! Dafür wirst du verdammt noch mal bezahlen! Ihr werdet alle bezahlen!«

  Gelähmt vor Entsetzen wehre ich mich nicht, als mich Riggs förmlich in den Rolls-Royce stößt. Sobald die Tür hinter mir zuschlägt, rasen wir davon und lassen den Bürgersteig hinter uns. Die Reifen quietschen so laut, dass ich zusammenzucke.

  Ich brauche eine ganze Weile, bis sich mein donnerndes Herz beruhigt. Eine weitere Minute vergeht, bis mir klar wird, dass mir Simms gegenübersitzt. Sein Gesicht ist vor Schreck ganz blass, als wir in Richtung Palast rasen. Unsere Blicke treffen sich, und ich sehe, wie sich mein Entsetzen in seinen Augen spiegelt.

  Ohne ein Wort greift er in sein Jackett und zieht ein besticktes Taschentuch hervor. Einen Moment lang starre ich es verwirrt an. Er schaut hastig auf meine Wange. »Da ist ein wenig …«

  Oh.

  Ich ignoriere das Zittern meiner Finger und strecke eine Hand aus, um nach dem Stofftuch zu greifen. Dann kneife ich die Augen zu und wische mir die Spucke des Fremden von der Wange. Seine Worte hallen in Endlosschleife in meinen Ohren wider.

  Lancaster-Schlampe!

  Nieder mit der Krone!

  Ich schüttle den Kopf und versuche, die Erinnerungen loszuwerden.

  »Lassen Sie sich davon nicht einschüchtern, Prinzessin«, sagt Simms, klingt aber selbst ziemlich verunsichert. »Der Mann war eindeutig verwirrt.«

  Ich versuche, mich von seinen Worten beruhigen zu lassen. Es nützt nichts. Ich kann die neue Verwundbarkeit, die mein Herz wie eine Faust umklammert hält, während wir mit hohem Tempo eine Kurve nach der anderen hinter uns bringen und in der Ferne Sirenen heulen, nicht abschütteln.

  »Er wirkte nicht verwirrt«, murmle ich und erinnere mich an den Hass in seinen Augen. »Er wirkte wütend .«

  »Gefährlich«, korrigiert mich Simms.

  »Wenn er mir wirklich hätte schaden wollen, hätte er ein Messer oder eine Schusswaffe zücken können. Eine kleine Bewegung, und ich wäre tot gewesen. Aber das hat er nicht getan.« Ich schüttle den Kopf. »Ich glaube, dass er einfach nur Aufsehen erregen wollte. Um mich zu demütigen, nicht um mich zu verletzen.«

  »Ich rate Ihnen dringend, keinen weiteren Gedanken an die Angelegenheit zu verschwenden, Eure Hoheit. Der Mann befindet sich bereits in Gewahrsam. Wenn wir zurück im Schloss sind, wird sich Bane schon um ihn gekümmert haben.«

 

‹ Prev