Ich blinzle zu ihm hoch. Er ist mir nah – so unerträglich nah – und doch immer noch so weit entfernt. »Als ich vorhin gesagt habe, dass ich es bereue …«
Er lässt die Hände von meinem Gesicht gleiten, und ich vermisse sie sofort. »Ich erinnere mich«, presst er hervor.
»Ich habe nicht gemeint, dass ich es bereue, mit dir zusammen gewesen zu sein. Dieser Abend, das, was wir miteinander geteilt haben – das werde ich niemals bereuen.« Ich schlucke und überlege, wie ich das, was ich sagen will, am besten zum Ausdruck bringe. Meine Worte sind vorsichtig und so leise, dass ich mir nicht mal sicher bin, ob er sie hören kann. »Was ich bereue, und zwar mehr, als ich es je ausdrücken kann … ist die Tatsache, dass sich danach alles zwischen uns so drastisch verändert hat. Was ich bereue, sind die Folgen. Was ich bereue, ist die unerträgliche Distanz zwischen uns. Ich weiß nicht, wie ich sie überwinden soll. Und ich will nicht, dass irgendetwas zwischen uns steht, Carter. Ich kann es nicht ertragen, dass …«
Ich bringe den Satz nicht zu Ende.
Denn Carter streckt die Hände nach mir aus, zieht mich in seine Arme, presst seinen Mund auf meinen … und löscht in dieser einen Sekunde, innerhalb dieses einen kühnen blauen Augenblicks jegliche Distanz aus, die je zwischen uns geherrscht hat.
11. KAPITEL
Carter Thorne küsst mich.
Hält mich.
Berührt mich.
Endlich, endlich berührt er mich, und ich kann zum ersten Mal seit Wochen wieder frei atmen. Er berührt mich, und meine Welt dreht sich wieder.
Mir war nicht mal klar gewesen, dass sie angehalten hatte.
Er vergräbt die Hände in meinem Haar und schiebt seine Zunge in meinen Mund. Mir ist nicht bewusst, dass ich mich bewege, aber plötzlich ist mein Rücken gegen eine der steinernen Mauern des Turms gepresst, und er drückt sich fest an mich und lässt unsere erhitzten Körper miteinander verschmelzen. Ich schlinge die Arme um seinen Rücken und ziehe ihn noch näher an mich heran, so nah, wie es physisch möglich ist. Ich muss unbedingt seinen starken, mich beschützenden Körper an meinem spüren.
Er ballt die Hände in meinem Haar zu Fäusten und zieht meinen Kopf nach hinten, damit er besseren Zugang zu meinem Mund hat. Sein Kuss ist hart, heiß und fordernd. Es ist weniger ein Kuss, sondern vielmehr die Verkündung eines Besitzanspruchs. Er ergreift Besitz von mir, macht mich zu seinem Eigentum und übernimmt mich mit jeder Bewegung seiner Zunge ein wenig mehr. Und ich erhebe keinen Einspruch. Wenn überhaupt, sporne ich ihn an. Denn hiernach habe ich mich in den letzten Tagen jede Sekunde gesehnt. Ohne es mir einzugestehen, war dieser Kuss von Carter das, was ich brauchte.
Ich schiebe die Hände unter seinen dicken Pullover und suche nach nackter Haut und glatten Muskeln. Ich streiche mit den Fingern über seinen starken Rücken und genieße das Beben, das meine Berührung in ihm auslöst.
Vielleicht erhebe ich auch Anspruch auf ihn.
Für einen sehr, sehr langen Augenblick verlieren wir uns ineinander – vergessen, wo wir sind, vergessen, wer wir sind. Wir sind Gefühl und Verlangen. Wir sind umherwandernde Hände und verschlingende Münder, mit Haut und Haaren in einem gestohlenen Augenblick gefangen. Zeit hat keine Bedeutung für uns. Genauso wenig wie die eisige Kälte, die um uns herum herrscht. Oder die Tatsache, dass das, was wir hier tun, vermutlich die schlechteste Idee aller Zeiten ist.
Irgendwann finden meine zitternden Hände den Weg zu Carters Brust. Ich streiche über die Wölbungen seines Waschbrettbauchs, spiele mit dem Gummibund seiner Jogginghose und folge der Spur aus Haaren, die ich dort finde, immer weiter nach unten, bis ich die Finger schließlich einige Zentimeter weit unter den Stoff gleiten lasse. Als ihm klar wird, was ich vorhabe, zuckt Carter abrupt zurück und reißt dabei seinen Mund von meinem los.
Ich lasse die Arme sinken und ziehe die Augenbrauen hoch. »Was ist los? Warum hast du aufgehört?«
Er starrt mich mit geschwollenen Lippen an. Seine Augen schimmern vor Lust. Sein Atem kommt stoßweise. Ich kann sehen, wie sehr er mich will – verdammt, ich konnte fühlen , wie sehr er mich will. Mir geht es doch genauso. Also weiß ich, wie schwer es ihm fällt, sich jetzt zurückzuziehen. Mich macht es ebenfalls vollkommen fertig.
Ich weiß nicht, warum er aufgehört hat. Aber um ehrlich zu sein, bin ich verzweifelt genug, mich nicht darum zu scheren.
»Küss mich«, flehe ich und neige mein Gesicht in seine Richtung. Doch er tut es nicht. Stattdessen lässt er den Kopf mit einem Ächzen in meine Halsbeuge sinken. Seine schnellen Atemzüge fühlen sich an meiner Haut heiß an.
»Carter? Was ist los?«
»Wir müssen es ein wenig langsamer angehen lassen.«
»Aber ich will es nicht langsamer angehen lassen.«
Ich will weitermachen, bis ich all die Gründe vergesse, aus denen wir einander fernbleiben sollten. Bis ich all die katastrophalen Auswirkungen vergesse, die unsere letzte intime Begegnung nach sich zog, als wir dem gleichen Impuls an einem dunklen Herbstabend in einem mondlichtdurchfluteten Gewächshaus nachgaben …
»Herrgott, Emilia.« Er lacht, aber es klingt gequält. »Du machst mich fertig.«
»Du wirst dich besser fühlen, wenn du mich küsst, das schwöre ich …«
Er hebt den Kopf, um mir in die Augen zu schauen. Und zum ersten Mal sehe ich unter der Lust noch etwas anderes. Etwas, das mehr ist als bloße körperliche Chemie oder sexuelle Anziehung. Etwas zutiefst Ernstes.
Es in seinen Augen zu sehen sorgt dafür, dass mir der Atem stockt.
Es in seinen Augen zu sehen erschreckt mich fast zu Tode.
Carter senkt die Stirn an meine, sodass wir uns Auge an Auge und Nase an Nase befinden.
»Als wir das das letzte Mal gemacht haben, haben wir es falsch gemacht«, murmelt er so dicht an meinem Gesicht, dass ich jedes Wort auf meinen Lippen spüren kann. »Dieses Mal will ich nicht, dass wir es vermasseln.«
Ich straffe meine Schultern. »Carter …«
»Ich werde das nicht aufs Spiel setzen, indem ich erneut überstürzten Sex mit dir habe. Es ist zu wichtig.« Er hält inne. »Du bist zu wichtig.«
Mein Herz verkrampft sich schmerzhaft in meiner Brust. Ich kann fühlen, wie mein Blutdruck mit jedem schicksalhaften Wort, das über seine Lippen kommt, steigt. Erneut rinnen Tränen aus meinen Augenwinkeln, und ich weiß, dass er sie feucht an seinen Wangen spüren kann.
»Carter.« Sein Name zersplittert auf meinen Lippen. »Bitte nicht.«
»Was soll ich nicht tun?«
»Sprich nicht weiter«, flüstere ich. »Küss mich einfach. Kann das für den Moment nicht genügen? Küss mich einfach und … Bitte, was auch immer du tust … sag diese Dinge nicht mehr zu mir.«
Er zieht sich zurück, und zwischen seinen Augen bildet sich eine Falte, als er endlich den Ausdruck auf meinem Gesicht und die Anspannung meines Körpers wahrnimmt. Seine Stimme ist herzzerreißend verletzlich, als er flüstert: »Warum nicht?«
»Weil es das nur schwerer machen wird.«
»Was wird es schwerer machen?«
Meine Kehle zieht sich in einem heftigen Muskelkrampf zusammen. Ich versuche, die Worte mit klarer Stimme auszusprechen, aber sie bricht auf halbem Weg. »Zu gehen.«
Der Ausdruck von Schmerz und Verrat, der über sein Gesicht huscht, wird mich für den Rest meines Lebens verfolgen.
»Verstehst du es denn nicht?« , will ich schreien. »Beim letzten Mal war es nur Sex, und dich zu verlassen hätte mich beinahe umgebracht. Wenn du also jetzt all diese wundervollen Dinge zu mir sagst … Wenn wir zulassen, dass es hier um mehr als nur körperliches Verlangen geht … Wenn wir zulassen, dass unsere Herzen zu unseren Körpern aufholen … dann denke ich nicht, dass ich es überleben werde, wenn das unvermeidliche Ende kommt.«
Er zieht die Hände zurück, als hätte ich ihn verbrannt. Dann weicht er einen Schritt vor mir zurück, als könnte er es nicht länger ertragen, mich zu berühren. »Klar . Mein Fehler. Ich dachte, dass es dieses Mal anders wäre. Aber wie ich sehe, sind wir wieder genau da, wo wir angefangen haben.«
»Carter, sag das nicht. Das stimmt nicht.«
»Doc
h, tut es wohl. Was genau hat sich denn verändert?« Seine hinreißenden Züge sind zu einem hasserfüllten Ausdruck verzogen. »Du treibst es mit mir in einem Gewächshaus, dann gehst du davon; du küsst mich auf dem Turm eines Schlosses, dann gehst du davon. Es läuft immer auf eins hinaus. Der einzige Unterschied ist, dass bei unserer kleinen Verabredung diesmal kein Orgasmus für dich herausgesprungen ist.«
Meine Tränen fließen nun ungehemmt und quellen mit alarmierendem Tempo aus meinen Augen hervor. »Tu das nicht.«
»Was tue ich denn, Emilia?«
»Mach … Mach es nicht schlecht. Verdrehe es nicht zu etwas, das es nicht ist.«
»Dann sag mir, was es ist . Nenn es beim Namen.« Er hält inne, und seine Augen lodern vor Zorn. »Du kannst es nicht, oder? Weil du genauso gut wie ich weißt, dass man etwas, das nicht existiert, nicht beim Namen nennen kann.«
Ein Schluchzen entringt sich meiner Kehle.
Gott, ich halte das nicht länger aus. Ich bin nicht stark genug. Noch eine Minute, und ich werde all meine Entschlossenheit über den Haufen werfen und in seine Arme fallen, zum Teufel mit den Konsequenzen.
»Jetzt weint sie«, flüstert er kalt und beobachtet, wie meine Tränen fließen. Er klatscht langsam in die Hände, um mir voller Hohn Beifall zu spenden. »Bravo. Was für eine glanzvolle Darbietung. Fast hätte ich dir abgenommen, dass dir das alles etwas bedeutet.«
»Natürlich bedeutet es mir etwas!« Entschieden wische ich die Tränen von meinen Wangen. »Du tust so, als würde ich das hier genießen, als wäre das alles leicht für mich …«
»Denkst du, dass es leicht für mich ist?«, knurrt er, während seine Wut wieder hochkocht. »Denkst du, dass es leicht ist, die eine Frau zu wollen, die buchstäblich die letzte Person auf dieser Erde ist, mit der ich zusammen sein kann, und zwar aus unzähligen Gründen? Denkst du, dass es mir Freude bereitet, dabei zuzusehen, wie du mit jedem Tag ein wenig weiter aus meiner Reichweite gleitest? Denkst du, dass es mir gefällt, die Boten bei dir Schlange stehen zu sehen, wie sie dir Blumen von Männern bringen, die tatsächlich eine Chance auf eine Zukunft mit dir haben, weil du sie als potenzielle Partner in Betracht ziehen darfst?«
Ein weiteres Schluchzen entringt sich meiner Kehle. »Was soll ich denn machen, Carter? Wie kann ich das wieder in Ordnung bringen? Bitte hilf mir auf die Sprünge, denn ich weiß nicht weiter. Nenn mir eine Lösung. Hast du eine? Oder bist du zu sehr damit beschäftigt, mir die Schuld an dieser ganzen Misere zu geben, um dich tatsächlich mal in meine Lage zu versetzen?«
Nun schauen wir uns gegenseitig finster an, und unsere Blicke vermischen sich zu einem feurigen Sturm aus Wut und Hass, aus Liebe und Lust, aus Verlangen und Feindseligkeit, aus Sehnsucht und Schmerz. Alles verschmilzt zu einem glühend heißen Gemisch, das uns in dieser bitterkalten Nacht wahrscheinlich beide verbrennen wird.
»Sag mir, was du hören willst, und ich werde es sagen«, wimmere ich. Meine Stimme ist nur noch eine armselige Hülle ihrer selbst. »Sag mir, was ich tun soll, und ich werde es tun.«
»Dann beantworte mir eine Frage. Aber ehrlich.«
Ich nicke, da ich nicht in der Lage bin zu sprechen.
Er kommt einen halben Schritt auf mich zu, achtet aber darauf, mich nicht zu berühren. Seine Augen spüre ich jedoch überall, auf jedem Teil meines Körpers.
»Willst du mit mir zusammen sein, Emilia?«
»So einfach ist das nicht, und das weißt du …«
»Doch, das ist es. Willst du mit mir zusammen sein? Ja oder nein? Wenn die Antwort Ja lautet … werden wir einen Weg finden. Wir werden das hinbekommen. Gemeinsam.«
Die Worte liegen mir auf der Zunge und blockieren meine Luftröhre.
Ob ich mit dir zusammen sein will?
Natürlich will ich mit dir zusammen sein. Du bist alles, woran ich denke, du bist alles, was ich mir in diesem Leben wünsche. Du erfüllst mein Herz und meine Gedanken wie niemand sonst.
Ob ich mit dir zusammen sein will?
Als ob man diese Frage überhaupt stellen müsste. Als wären wir nicht bereits untrennbar miteinander verbunden, unsere Seelen unwiderruflich miteinander vereint. Das ist keine Frage, sondern eine Tatsache. Ich fühle es. Ich weiß es.
Ob ich mit dir zusammen sein will?
Wollen sich die Wellen am Ufer brechen? Wollen die Berge in den Himmel hinaufragen?
Ich könnte mein Herz ebenso wenig von deinem trennen, wie ich die Erde in zwei Hälften teilen und sie an unterschiedliche Enden des Universums schleudern könnte.
»Was ich will, spielt keine Rolle«, sage ich stattdessen und fühle mich leer.
»Natürlich spielt es eine verdammte Rolle!«, brüllt er und sieht dabei aus, als würde er mich so lange schütteln wollen, bis ich Vernunft annehme. »Es spielt eine größere Rolle als alles andere, Emilia. Und wenn du mit mir zusammen sein willst … Wenn es für uns irgendeine Möglichkeit gibt, zusammen zu sein … dann werde ich sie finden. Und wenn es mich zerstört.«
Aber das ist ja genau das Problem. Nicht wahr?
Liebe sollte einen nicht zerstören.
Wenn sie dazu führt … wie kann es dann Liebe sein?
Er steht da und wartet auf meine Antwort.
Ich stehe da und zerbreche innerlich. Meine widersprüchlichen Sehnsüchte reißen mich in Stücke. Sie zerren mit rasiermesserscharfen Klauen an mir, und ich kann nicht mal eine Hand heben, um mich zu wehren.
»Du hast gesagt, dass du mir eine ehrliche Antwort geben würdest.« Seine Augen sind unbarmherzig, und er starrt damit schonungslos in meine. »Sag mir verdammt noch mal die Wahrheit, Emilia. Sag mir, dass du für uns kämpfen willst. Ansonsten … werde ich gehen.«
Ich will ihm glauben. Ich will ihm so verzweifelt glauben, dass ich für einen Moment beinahe in der Lage bin, die Realität zu ignorieren. Beinahe gelingt es mir, mich davon zu überzeugen, dass unsere Vereinigung mit irgendetwas anderem als Herzschmerz und Elend für uns beide enden könnte.
Beinahe.
Die Wahrheit ist, dass wir auf einer Achterbahn festgeschnallt sind, die eine festgelegte Strecke fährt. Wir können weder die Richtung noch das Ziel ändern. Die einzige Wahl, uns das Elend dieser Fahrt vielleicht zu ersparen, besteht darin, jetzt auszusteigen und getrennte Wege zu gehen.
Wenn er mir nicht so viel bedeuten würde, wäre mir der Ausgang dieser Sache vielleicht egal. Ich würde mich auf die Fahrt einlassen und die Konsequenzen in Kauf nehmen, nur um das vorübergehende Hochgefühl zu erleben, das es mit sich bringen würde, mit ihm zusammen zu sein. Ich würde jeden Schmerz in Kauf nehmen, nur um eine Chance zu haben, für eine kurze Weile an seiner Seite zu sein.
Aber ich weigere mich, Carter mit mir in den Abgrund zu reißen.
Mit den Augen überwinde ich die winzige Entfernung, die noch zwischen uns ist, und schaue ihn an.
Ich schaue ihn wirklich an.
Unter dem arroganten Äußeren, unter dem unverschämten Mistkerl, den er der Welt zeigt … besitzt Carter Thorne ein Herz, das zu tiefer Liebe fähig ist. Er lässt es niemanden sehen. Verdammt, möglicherweise hat er es sogar selbst noch nicht erkannt. Aber ich kann es klar und deutlich sehen. Ebenso wie ich sehen kann, wie viel Schmerz ihm das alles hier bereitet. Wie viel Schmerz ich ihm bereite.
Wir können uns nicht ewig im Kreis drehen. Uns im einen Moment hassen und im nächsten gegenseitig verschlingen. Ich kann mich nicht wieder in seine Arme fallen lassen und ihm meinen Körper schenken, während ich ihm alles andere vorenthalte. Nicht wenn jetzt echte Gefühle im Spiel sind. Nicht wenn es uns vorherbestimmt ist zu scheitern.
Es ist grausam – nicht nur seinem Herzen gegenüber, sondern auch meinem. Und ich werde es nicht länger zulassen. Dafür bedeutet er mir zu viel. Er bedeutet mir genug, um ihn gehen zu lassen.
Seine Worte schweben in der Luft wie ein Geist.
Willst du mit mir zusammen sein?
Ich schließe die Augen, damit ich den Ausdruck auf seinem Gesicht nicht sehen muss, und lege so viel Beharrlichkeit in meine Stimme wie möglich, bevor ich die Worte ausspreche, von denen ich weiß, dass ich niemals in der Lage sein werde, sie zurückzunehmen.
»Nein, Carter. Ich will nicht mit dir zusammen sein. Ich will nicht für uns kämpfen. Ich denke nicht, dass es das wert ist. Es darf nicht sein.«
Ich wende ihm den Rücken zu, verlasse den Turm und verschwinde auf die dunkle Wendeltreppe, bevor er die Tränen sehen kann, die sich in meinen Augen sammeln. Beim Abstieg über die unebenen Stufen in völliger Finsternis breche ich mir fast das Genick, aber ich bleibe nicht stehen.
Wen kümmern schon ein paar gebrochene Knochen, wenn das Herz in der eigenen Brust in tausend Scherben zersplittert ist?
12. KAPITEL
»Alles in Ordnung?«, fragt mich Chloe zum fünften Mal.
Ich reibe mir die Schläfen. »Es ginge mir besser, wenn du mich das nicht dauernd fragen würdest.«
»Ich frage es nur, weil du aussiehst … Na ja, du siehst aus wie ausgespuckt, wenn ich ehrlich sein soll. Und ich könnte mir vorstellen, dass du vor allem heute willst, dass ich ehrlich zu dir bin, da du ja in einer Stunde eine offizielle Verabredung hast, bei der dir das ganze Land zuschauen wird.«
»Danke. Das ist wirklich hilfreich, Chloe.«
»Ich tue, was ich kann.«
Ich will ihr sagen, dass es für meine furchtbare Erscheinung einen guten Grund gibt. Ich will mich ihr anvertrauen und ihr erzählen, dass die verquollenen, rot geweinten Augen und die dunklen Augenringe absolut gerechtfertigt sind. Ich will ihr klarmachen, dass sie sich nach der Nacht, die ich hatte, glücklich schätzen kann, dass ich überhaupt in der Lage war, mich aus dem Bett zu hieven. Denn ich habe deutlich länger in mein Kissen geweint als geschlafen.
Aber aus gutem Grund kann ich das nicht tun. Denn dann müsste ich ihr erzählen, weswegen ich geweint habe.
Denk nicht an ihn , rufe ich mich streng zur Ordnung. Sonst wirst du nur wieder weinen, und dann wird sie mit Sicherheit wissen, dass etwas nicht stimmt.
Chloe schnappt sich den mit einem Reißverschluss versehenen Kleidersack von meinem Bett. »Ist das das Outfit, das Lady Mürrisch für deine Verabredung ausgewählt hat?«
»Du meinst Morrell.«
»Ach wirklich?« Sie grinst. »Dann wollen wir doch mal sehen …«
Forbidden Royals 02 - Golden Throne Page 14