Was auch immer geschieht 02 - Feeling close to you

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Was auch immer geschieht 02 - Feeling close to you Page 11

by Iosivoni, Bianca


  Nach und nach kam wieder Leben in mich, und ich realisierte, dass ich ihn genauso fest umarmte, wie er mich – und dass ich mich dafür auf die Zehenspitzen stellen musste. Von irgendwoher meinte ich, Geräusche zu hören. Stimmen. ­Jubel. Das Klicken von Handyfotos. Aber das war alles ganz weit weg.

  Bis es mit einem Schlag zurückkehrte, als Parker sich ein Stück zurücklehnte und meinen Blick suchte. »Hi.«

  »Hallo.« Meine Mundwinkel wanderten wie von selbst in die Höhe, doch dann verzog ich das Gesicht. »Sorry. Ich wollte deine Signierstunde nicht crashen, aber jemand hat mich hierher geschleift.« Ich sah zu meiner Moderatorin, die jetzt wieder nur zwei Schritte entfernt stand und ziemlich selbstzufrieden aussah. »Parker, das ist Alice. Alice, Parker.«

  Er ließ mich los, um Alice die Hand zu geben, und ich erwischte mich dabei, wie mir sofort die Wärme fehlte, die von ihm ausgegangen war. Und sein Geruch. Was zum Teufel stimmte nicht mit mir?

  »Freut mich, Alice«, begrüßte Parker sie gut gelaunt. »Ich hab schon von dir gehört.«

  Die pragmatische, bodenständige Alice wurde schlagartig blass und riss die Augen auf. »Du hast … ihr habt … über mich geredet?« Sie deutete zwischen uns hin und her.

  Ich musste mir auf die Lippen beißen, um bei dieser Reaktion nicht laut loszulachen. »Hey, sieh mich nicht an. Ich hab nur Gutes erzählt. Denke ich.«

  Alice warf mir einen mörderischen Blick zu, und ich prustete leise.

  Auch Parker grinste und schien etwas hinzufügen zu wollen, als jemand seinen Namen rief. Er schnitt eine Grimasse. »Danke, dass du sie hergeschleift hast«, sagte er zu Alice und zwinkerte ihr zu, dann wandte er sich an mich. »Ich muss zurück, aber sehen wir uns später noch?«

  Ich war überrascht, wie schnell ich sowohl mit Ja als auch mit Nein antworten wollte – und gar keinen Ton über die Lippen brachte.

  Zum Glück hatte ich Alice dabei. Meine wundervolle Moderatorin. Meine wundervolle, bald schon tote Moderatorin, weil ich sie spätestens heute Abend nach dem letzten Programmpunkt erwürgen würde.

  »Auf jeden Fall!«, warf sie breit grinsend ein. »Ihr seid in gegnerischen Teams beim Live Let’s Play heute Nachmittag und könnt euch bei PlayerUnknown’s Battlegrounds austoben. Außerdem ist Teagan beim Retro-Panel auf der Bühne, falls du vorbeikommen willst. Und dann …«

  Ich packte ihren Arm so fest, dass sie vor Schreck quietschte. Aber das war immer noch besser, als sie an Ort und Stelle umzubringen. Hier gab es eindeutig zu viele Zeugen.

  Amüsiert blickte Parker zwischen uns hin und her. »Gut zu wissen«, erwiderte er und ignorierte das Rufen des dunkelhaarigen Kerls bei der Signierbühne total. »Und heute Abend? Habt ihr da schon was vor?«

  »Nein, aber …«

  Diesmal ließ mir Parker keine Chance, weiterzusprechen.

  »Perfekt. Dann sehen wir uns auf der After-Show-Party. Bis später.« Er warf mir ein Lächeln zu, das seltsame Dinge in meiner Magengegend auslöste, dann machte er auf dem Absatz kehrt und joggte zurück.

  »Tjaaa …« Selbstgefällig verschränkte Alice die Arme vor der Brust. »Lief doch super.«

  »Ich töte dich«, murmelte ich und hoffte, dass sich die Morddrohung nicht in meiner Mimik widerspiegelte, da uns noch immer ein paar Leute aus der Schlange beobachteten.

  Sie winkte ab. »Freu dich lieber. Sieht so aus, als hättest du heute Abend ein Date. Da wirst du gar keine Zeit haben, mich zu töten, schließlich musst du dich noch frisch machen und – «

  »Oh, ich finde vorher eine Gelegenheit dazu, verlass dich drauf.« Und damit packte ich sie und zog sie aus dem Raum.

  Parker

  Ich hatte recht

  Teagan

  Womit?

  Parker

  Es war toll, dich live zu treffen

  Teagan

  Auch wenn wir deine Signierstunde gecrasht haben?

  Parker

  Ach was! Alles gut. Wenigstens hatte ich so eine kleine Pause und ein nettes Gespräch

  Parker

  Wir sehen uns heute Abend, oder? Auf der After-Show-Party?

  Teagan

  Vielleicht …

  Parker

  Oh wow. Etwas mehr Begeisterung bitte!

  Teagan

  …

  Parker

  Ich hätte dich nicht für einen Feigling gehalten, Tea-Tea

  Teagan

  Wie bitte?!

  Parker

  Die Party …

  Teagan

  Das hat nichts mit Feigheit zu tun. Vielleicht mag ich einfach keine Partys. Oder Menschen!

  Parker

  Musst du auch nicht. Ich bin ja da

  Teagan

  Du bist echt von dir selbst überzeugt. Hat dir das schon mal jemand gesagt?

  Parker

  Parker

  Das fällt dir erst jetzt auf? Wirklich?

  Teagan

  Parker

  Also? Party heute Abend? Es sei denn, du traust dich nicht …

  Teagan

  Ich TRAUE mich nicht???

  Teagan

  Erst werde ich dein Team beim Live Let’s Play fertigmachen – und dann reden wir heute Abend noch mal darüber, was ich mich traue und was nicht!

  Parker

  Deal!

  Parker

  Aber dazu musst du mein Team erst mal schlagen, Tea-Tea

  Teagan

  Besorg dir schon mal Taschentücher

  Parker

  ?

  Teagan

  Weil ich euch zum Heulen bringen werde!

  Parker

  Oh. Ach so. Ich dachte gerade an was anderes

  Teagan

  Ugh! Bilder in meinem Kopf!

  Parker

  Gern geschehen

  Teagan

  Ich hasse dich.

  Level 7

  Parker

  Conventions waren das Beste. Zugegeben, ich liebte die Livestreams – und wenn ich ehrlich war sogar das anschließende Schneiden der Videos, um sie auf YouTube hochzuladen, auch wenn das manchmal eine echt nervige und langwierige Arbeit sein konnte. Vor allem wenn wieder mal irgendwas nicht so funktionierte, wie es sollte, und dadurch mein ganzer Zeitplan durcheinandergeriet. Doch der direkte Austausch mit meinen Zuschauern war der Teil, der mir am meisten Spaß machte. Ich hätte den ganzen Tag in diesem Raum stehen und mit den Leuten quatschen, sie umarmen, lachen, herumscherzen und irgendwelches Zeug signieren können. Leider hatten die Veranstalter mir genau wie allen anderen nur zwei Stunden Zeit eingeräumt, und als ich den letzten Fan verabschiedete, hatte ich schon über eine halbe Stunde überzogen. Whoops.

  Ursprünglich wäre ich allein auf die Convention gekommen, aber vor einer Woche hatte Cole erklärt, er als zukünftiger Gaming-Designer wolle die Gelegenheit nutzen, um zu netzwerken und die neuesten Spiele auszutesten, und Lincoln … okay, keine Ahnung, was der eigentlich hier machte. Aber er studierte Cyber Security, und vermutlich gab es auf der RTX auch eine Spielwiese für jemanden wie ihn.

  Von der Autogrammstunde hatte ich die beiden ferngehalten, weil ich das sehr gut allein hinbekam und keinen dazu verdonnern wollte, stundenlang herumzustehen. Trotzdem mussten die beiden genau wie Coles Freundin Mallory zumindest in der Nähe geblieben oder pünktlich zurückgekommen sein, denn sie schleiften mich direkt nach dem Signieren in den abgesperrten Bereich hinter den Bühnen, wo es Snacks und Getränke für die eingeladenen Gamer und Entwickler gab, ­genauso wie die Möglichkeit, zwischendurch kurz zu verschnaufen.

  Nach dem Treffen mit meinen Zuschauern schwebte ich noch immer auf einem Adrenalinhoch. Während ich mir Häppchen in den Mund stopfte, versuchte ich, einigermaßen vernünftige Gespräche hinzukriegen. Schließlich ging es neben allem anderen bei solchen Veranstaltungen vor allem ums Networking und darum, alte Freunde und Bekannte aus der Szene wiederzutreffen. Ich begrüßte Leute per Handschlag oder mit kurzen Umarmungen, wir machten ein paar Selfies, die sofort auf Instagram und Co. landeten, tauschten uns über die neuesten gehypten Games aus und vereinbarten gemeinsame Streams und Termine auf den nächsten Conventions. Zwischendurch sah ich mich im
mer wieder nach Teagan und ihrer Begleitung um, konnte die beiden aber leider nirgends entdecken.

  Auch beim Live Let’s Play später am Nachmittag hatten wir keine Möglichkeit, ungestört miteinander zu reden. Bei PUBG beschränkte sich die Kommunikation zwischen allen Teilnehmern auf zugerufene Befehle, Richtungsanweisungen, Jubelschreie, Flüche und wilde Verwünschungen, wenn man selbst oder jemand aus dem eigenen Team getroffen wurde. Ich verlor eine Person aus meiner Gruppe – aber wir schafften es trotzdem in die markierte Zone und gewannen in den letzten Sekunden sogar gegen einen ziemlich berühmten Gamer und seine Truppe. TRGame war schon vor einer ganzen Weile rausgeflogen. Ha! So viel zu den Tränen und Taschentüchern, die sie mir angedroht hatte.

  Nachdem alle Programmpunkte erledigt waren, machte ich abends einen kurzen Abstecher ins Hotel, duschte und zog mich um, dann ging es für die After-Show-Party zurück ins Convention Center, wo Lincoln, Cole, Mallory und ich uns unter die Leute mischten. Nach dem zweiten Tag in Folge auf der RTX sollte ich körperlich total erledigt sein, aber stattdessen war ich aufgekratzt und voller Energie. Ich konnte kaum still sitzen, allerdings war mir auch nicht danach zumute, mich auf der Tanzfläche auszutoben, die einen Großteil der Halle ausmachte. Stattdessen versuchte ich mich mit ein paar Leuten aus der Szene, die ebenfalls regelmäßig streamten, an einigen Runden Just Dance, ehe ich zu den anderen zurück­kehrte.

  Auf der Bühne lief gerade ein Live-Act, der dem Publikum einheizte, aber der DJ stand schon an seinem Pult bereit, damit die Party richtig starten konnte. Am anderen Ende der Halle gab es ein riesiges Buffet direkt neben der Bar. Die meisten Leute tummelten sich noch dort, aber wir hatten uns in weiser Voraussicht schon mal eine der vielen Sitzecken gesichert. Ächzend ließ ich mich auf ein knallgrünes Sofa mit vielen bunten Kissen fallen.

  »Hey.« Ich trat Cole gegens Schienbein, damit er von seinem Handy aufsah. »Wo sind die anderen?«

  »Holen was zu trinken.« Er hatte es sich in einem roten Sessel gemütlich gemacht und hob nicht mal den Kopf. Was auch immer er da las oder anschaute, es musste wahnsinnig spannend sein. Spannend genug, um sogar die Plaudertasche unserer WG zum Schweigen zu bringen.

  Seufzend lehnte ich mich zurück und ließ den Blick durch die Halle – oder das, was ich bei all den Menschen davon sehen konnte – wandern. Allerdings waren es weder Linc noch Mallory, nach denen ich mich umsah, sondern eine ganz bestimmte junge Frau mit langen, teilweise lila gefärbten Haaren, einer unglaublichen Ausstrahlung und einem Konkurrenzdenken, das mich herausforderte und zu Höchstleistungen antrieb. Während meiner Autogrammstunde hatten wir uns höchstens ein, zwei Minuten miteinander unterhalten. Mehr nicht. Aber ich wollte mehr. Ich wollte in Ruhe mit ihr reden und herausfinden, ob sie im echten Leben genauso war wie online in den Streams. Wie in unseren ganzen Chats. Und ich war ehrlich genug, das zumindest vor mir selbst zuzugeben.

  »Suchst du jemand Bestimmtes?« Cole hatte sein Smartphone weggesteckt und sein amüsiertes Gesicht tauchte in meinem Blickfeld auf, als er sich auf dem Sessel vorlehnte. Er wedelte mit der Hand herum, als könnte er nur so auf sich aufmerksam machen. Wie immer zierten zahlreiche Glücksarmbänder sein Handgelenk, ohne die er nie aus dem Haus ging. Einmal war er sogar schon fast beim Campus gewesen und extra wieder zurückgefahren, um sie zu holen.

  »Linc«, erwiderte ich auf seine Frage hin. »Mit den Getränken.«

  Was zumindest ein Teil der Wahrheit war. Nach der Tanzpartie bei Just Dance war ich am Verdursten.

  »Hmmm«, machte Cole nur und rieb sich über den Ring in seiner Augenbraue. »Sicher? Gibt es da nicht noch jemand anderen, der dein Interesse geweckt haben könnte? Sie ist ungefähr so groß und hat …«

  »Kein. Wort«, knurrte ich.

  Obwohl ich mich für nichts schämte – schließlich war auch gar nichts passiert! –, konnte ich auf seine dummen Sprüche verzichten. Teagan und ich waren Freunde. Freunde, die seit Wochen miteinander schrieben und sich heute zum allerersten Mal in echt gesehen hatten. War es da wirklich ein Wunder, dass ich mehr von ihr woll… ähm, mehr Zeit mit ihr verbringen wollte? Definitiv nicht. Aber das musste ich sicher nicht mit der ganzen Welt teilen. Oder mit meinen neugierigen Mitbewohnern.

  Grinsend lehnte sich Cole zurück. »Wie du meinst, Mann. Aber die ganzen Fotos und Videos von euch bei deiner Autogrammstunde erzählen eine ganz andere Geschichte.«

  Ich seufzte innerlich. Auch das noch … Dabei hätte ich wissen müssen, dass so etwas sofort online sein und ziemlich hohe Wellen schlagen würde. Wahrscheinlich explodierte die Gerüchteküche bereits. Und ich hatte noch keine Zeit gehabt, überhaupt mal länger auf mein Handy zu schauen, als es dauerte, um ein Foto oder kurzes Video hochzuladen.

  Wo war Sophie, wenn man sie brauchte? Sie hätte im Handumdrehen dafür gesorgt, dass Cole die Klappe hielt und nicht weiter auf diesem Thema herumritt. Leider war unsere Mitbewohnerin in Pensacola geblieben, statt mit uns nach Texas zu fahren. Nicht, dass ich es ihr verübeln könnte. Wenn ich an ihrer Stelle gewesen wäre und die Wahl zwischen sturmfreier Bude für ein ganzes Wochenende und einer zehnstündigen Autofahrt mit Cole, Linc, Mallory und mir hätte, würde ich auch Ersteres wählen.

  »Also, wenn du meine Meinung dazu hören willst …«

  »Will ich nicht«, fiel ich Cole ins Wort, bevor er weiterreden konnte. Wenn der Kerl erst mal anfing, gab es kein Halten mehr. Einmal hatten wir es darauf ankommen lassen und er hatte uns tatsächlich über zwei Stunden lang vollgetextet. Praktisch ohne Luft zu holen. Auf eine Wiederholung konnte ich wirklich verzichten.

  »Was willst du nicht?«, fragte Mallory und setzte sich mit einem Cocktail in der einen und einem Bier in der anderen Hand auf Coles Schoß. Erst überreichte sie ihm das Bier, dann drückte sie ihren Mund auf seinen.

  Ich wandte den Blick ab. Im Grunde mochte ich Mallory – sie war immer gut drauf, hatte einen tollen Sinn für Humor und war auch noch hübsch anzusehen. Aber die beiden zusammen konnten auf Dauer nervig werden. Ständig knutschten oder schmusten sie herum, völlig egal, ob sie allein oder in Gesellschaft waren. Ich schnaubte. Pärchen waren anstrengend. Aber das hier war immer noch besser als Faye und ihren Ehemann auf Callies Geburtstagsparty zu ertragen. Sieben Stunden lang. Und da gab es echt noch Leute, die behaupteten, in einer Multiplayer-Lobby darauf warten zu müssen, dass das Spiel endlich startete, wäre die Hölle. Die hatten ja keine Ahnung.

  Ich atmete auf, als Lincoln endlich aus der Menge auftauchte und mir gleich darauf ein Bier in die Hand drückte. »Danke, Kumpel.« Ich trank ein paar Schlucke gegen den Durst – und dann noch einen großen, um Cole und Mallory auszublenden.

  Lincoln ließ sich auf den Gaming-Sitzsack schräg gegenüber fallen. Auch sein Blick glitt zu dem glücklichen Paar und er schnitt eine Grimasse. Dann flog auch schon ein Bierdeckel durch die Luft. »Nehmt euch ein Zimmer!«

  Cole sah nicht mal auf, sondern knutschte weiter mit seiner Freundin herum, zeigte Linc dafür aber erstaunlich zielgenau den Mittelfinger.

  Belustigt schüttelte ich den Kopf und stieß nur mit Lincoln auf einen gelungenen zweiten Convention-Tag an. Dann lehnte ich mich mit einem zufriedenen Seufzen zurück. Es war echt zu schade, dass Sophie und Liz nicht auch hier sein konnten. Damit wäre unsere WG komplett – und diese durchgeknallte Truppe bedeutete mir mittlerweile mehr, als ich je für möglich gehalten hatte.

  Als ich vor drei Jahren für einen Neuanfang nach Pensacola gezogen war, war mein ganzes Leben ein einziger verdammter Clusterfuck gewesen. Neues Studium, neue Stadt, in die falsche Frau verliebt und Eltern, die mich brauchten und in deren Nähe ich sein wollte. Nicht so nahe, dass ich praktisch wieder zu Hause wohnte, denn das würde ich nicht aushalten, aber nahe genug, um spontan genauso wie an den Wochenenden hinzufahren. Und in Notfällen.

  Ich war ohne Erwartungen nach Florida gekommen, ohne Kohle und nach meinem abgebrochenen Medizinstudium mit kaum bis gar keinen Zukunftsaussichten. Doch dann war ich irgendwie in dieser WG gelandet, zusammen mit Leuten, die ähnliche Interessen hatten wie ich, die lustig, locker, loyal und total chaotisch waren. Und selbst wenn wir uns gelegentlich gegenseitig
an die Gurgel gingen oder einer von uns – meistens Cole – die anderen auf möglichst kreative Weise ins Jenseits befördern wollte, wusste ich, dass ich mich auf sie verlassen konnte. Egal, worum es ging. Und obwohl ich auch allein zu dieser Veranstaltung gefahren wäre, war ich doch froh, dass sie dabei waren.

  »Erde an Parker.« Lincoln wedelte mit der Hand vor meinem Gesicht herum.

  Ich schlug sie weg und starrte ihn stirnrunzelnd an. »Was willst du?«

  »So schlecht drauf?« Er grinste dieses wissende Grinsen, das ihm trotz der braunen Hundewelpenaugen etwas Diabolisches verlieh.

  Ich schüttelte nur den Kopf.

  Cole löste sich lange genug von Mallorys Lippen, um Luft zu holen und seinen Senf dazu zu geben. »Könnte daran liegen, dass eine ganz bestimmte Frau noch nicht aufgekreuzt ist.«

  Diesmal war ich derjenige, der ihm den Mittelfinger zeigte. Okay, vielleicht hatte ich das mit der loyalen WG, an der ich mit ganzem Herzen hing, gerade etwas übertrieben.

  »Entspann dich.« Lincoln fuhr sich durch das dunkelblonde Haar und lehnte sich in dem Sitzsack zurück. Obwohl er völlig relaxt wirkte, merkte man ihm an, dass er nicht richtig hierher gehörte. Vielleicht war Linc einfach zu sehr erwachsen und zu wenig nerdig mit seinen Chucks, der Jeans und dem schwarzen Hemd, vielleicht auch zu fokussiert und zielorientiert, um den ganzen Tag über zwischen all den Ständen, Veranstaltungen und Besuchern Spaß zu haben. Wahrscheinlich musste man das bei einem Cyber-Security-Studium, das man mithilfe eines Sportstipendiums finanzierte, auch sein. Aber da er die Hälfte der Kosten für das Hotelzimmer ebenso wie seinen Teil für den Sprit übernahm, würde ich mich sicher nicht beschweren. »Wir verarschen dich nur. Sie kommt bestimmt.«

  War ich wirklich so leicht zu durchschauen? Denn irgendwie war ich mir gar nicht mehr so sicher, was Teagans Auftauchen anging. Seit unserem letzten viel zu kurzen Chat und dem Live Let’s Play heute Nachmittag hatte ich nichts mehr von ihr gesehen oder gehört. Auch auf meine Nachricht, wo genau wir auf der After-Show-Party zu finden waren, hatte sie nicht reagiert.

  Shit . Was, wenn sie es sich anders überlegt hatte und schon nach Hause gefahren war? Dass ich nicht mal wusste, wo genau dieses Zuhause war, machte die Sache nicht gerade besser. Genau genommen wusste ich kaum etwas über Teagan, außer dass sie aufs College ging, als Barista arbeitete und mein Team und mich im Guild Wars PvP fertigmachen konnte. Aber auch, dass sie gut zuhören und man stundenlang mit ihr zocken konnte, dass sie eine rebellische Art genauso wie einen erfrischend zynischen Sinn für Humor und ein unglaubliches Lächeln hatte und nie klein beigab. Und dass sie sich heute verdammt gut in meinen Armen angefühlt hatte.

 

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