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Die Sterne werden fallen

Page 6

by Kiefer, Lena


  »Wir haben geahnt, dass so etwas passieren würde. Deswegen hat Lucien entschieden, dass ich herkomme und dich im Auge behalte.« Er wies in die Richtung, wo ich eine FlightUnit vermutete. »Gehen wir. Wir haben das Zeitfenster ohnehin schon überschritten. Niemand darf uns hier entdecken.«

  Ich begriff erst verzögert, was er gerade gesagt hatte. Dann schüttelte ich den Kopf. »Ich kann nicht weg. Costard will, dass ich enger mit der OmnI zusammenarbeite.« Kurz schoss mir durch den Kopf, dass Duforts Auftauchen bedeutete, ich konnte Lucien wiedersehen. In seiner Nähe sein, mit ihm reden, ihn umarmen … alles in mir sehnte sich danach. Aber es ging hier nicht um mich. Oder um uns. »Das geht nur, wenn ich bis nächste Woche in diesem Team bleibe.«

  Dufort sah mich streng an. »Das ist keine Option. Ihr Anführer ist tot und du warst die Letzte, die ihn lebend gesehen hat. Wie willst du das erklären?«

  »Keine Ahnung. Aber mir fällt etwas ein.« Eigentlich hatte ich keinen Schimmer, wie ich das mit Kovacs erklären wollte. Trotzdem servierte mir Costard die OmnI auf dem Silbertablett. Diese Chance durfte ich nicht ungenutzt lassen.

  »Ophelia, ich verstehe, dass du deinen Beitrag leisten willst – nach allem, was du getan hast.« Dufort sah prüfend zum Haus und dann wieder zu mir. »Aber was du da vorhast, ist nicht nur leichtsinnig. Sondern dumm.«

  »Es ist eine unglaubliche Möglichkeit für uns«, beschwor ich ihn. »Das musst du doch erkennen!«

  »Das tue ich. Aber das gesamte ReVerse-Team war gestern Abend dabei, und du weißt nicht, wer diese Szene noch gesehen hat – oder die mit ihm.« Er zeigte auf die Leiche von Kovacs. »Vielleicht Costard, vielleicht Vale und Nyberg und die anderen. Vielleicht sogar die OmnI selbst.«

  »Oder niemand. Die Links der anderen sind außerhalb von Einsätzen meistens nicht aktiv.«

  »Meistens. Dieses meistens könnte dich das Leben kosten.« Dufort sah verärgert aus. »Schon vorher standen deine Chancen nicht gut, dass du die OmnI von deiner Unschuld überzeugen kannst. Aber jetzt sind sie miserabel.«

  »Die OmnI will mich in ihrer Nähe«, beharrte ich. »Sie ist bei mir nicht rational, sie –«

  Jemand rief vom Haus herüber, und Dufort hatte seine Waffe schneller in der Hand, als ich die Stimme identifizieren konnte. Dann kamen Schritte näher und Jye tauchte vor uns auf. Ich atmete erleichtert aus.

  »Was ist denn hier passiert? Phee, geht es dir gut?« Jye musterte mich besorgt, nachdem er erst Kovacs auf dem Boden und dann das Blut an meinem Hals entdeckt hatte.

  »Ja, alles okay. Kovacs hat … sieht so aus, als hätte er Knox doch eher die erste Story abgenommen als die zweite.« Ich lächelte schief.

  »Verdammt.« Mein bester Freund schaute zwischen mir und Dufort hin und her. »Du nimmst sie doch mit, oder?«, fragte er den Schakal dann.

  »Was? Nicht du auch noch.« Wütend starrte ich Jye an. »Die OmnI erwartet meine Anwesenheit in einer Woche. Wenn ich jetzt nach Maraisville gehe, dann gibt es kein Zurück. Dann kann mich auch die beste Geschichte nie wieder ins Spiel bringen.«

  »Na und?« Jye schüttelte leicht den Kopf. »Du gehörst doch sowieso nicht hierher, das hast du nie. Du gehörst nach Maraisville, an Luciens Seite. Er braucht dich.«

  Wie konnte er mir so in den Rücken fallen?

  »Ich wäre auch lieber dort, als mit Leuten wie Torres und den Wulff-Brüdern in der Kälte rumzureisen und ihre Einsätze zu vereiteln.« Nur war das nicht der Punkt. »Aber ich bin Lucien keine Hilfe, solange man in mir nur eine Verräterin sieht. Und deswegen kann ich erst zu ihm zurückkehren, wenn ich meinen Fehler korrigiert und die OmnI besiegt habe! Das weißt du!«

  »Ich weiß vor allem, dass Lucien seine gesamte Familie verloren hat. Was denkst du, was mit ihm passiert, wenn er dich auch noch verliert?«

  Ähnliche Worte hatte auch Lucien benutzt, als er mich vor dem Bunker überzeugen wollte, mit ihm zu gehen. Damals hatte ich ihm gesagt, er würde mich erst recht verlieren, wenn ich mitkäme. Und das war immer noch die Wahrheit. Nur dass Jye offenbar anderer Meinung war.

  »Willst du nichts dazu sagen?«, fragte ich Dufort unfreundlich.

  »Nein«, antwortete er ungerührt. »Denn Jye hat recht.« Die beiden wechselten einen Blick, als würden sie sich ewig kennen. Vielleicht passierte das, wenn ein Fremder dem anderen das Leben rettete. Oder sie hatten sich doch näher miteinander angefreundet, als ich wusste, während Jye sich in Maraisville erholt hatte.

  Ich änderte meine Strategie. »Und was ist mit dem direkten Draht zu den Aktionen des Widerstandes?« Das war ein Argument, das beide überzeugen musste.

  Von wegen.

  »Ich kann das übernehmen«, sagte Jye mit einem Nicken. »Gebt mir ein Implantat und ich bin eure Augen und Ohren bei ReVerse.«

  Ich schnaubte ungläubig. »Du willst hierbleiben? Das kommt überhaupt nicht infrage! Das ganze Team weiß, dass wir uns nahestehen. Wenn sie mich für eine Verräterin halten, dann dich garantiert auch.«

  Jye schüttelte den Kopf. »Nein, nicht unbedingt. Ich kann ihnen erzählen, dass du mich um den Finger gewickelt hast, um mich für deinen eigenen Zweck zu missbrauchen. Ich wirke harmlos auf sie und Knox kann mich decken. Das wird funktionieren.«

  »Es ist zu gefährlich, wenn du bleibst.«

  »Nein, es ist zu gefährlich, wenn du bleibst, Phee.«

  Ich konnte mir nicht vorstellen, ohne Jye hier wegzugehen. Nicht nur, weil ich Angst um ihn hatte, sondern auch, weil ich an unser Zusammensein so gewöhnt war. »Die werden dich fragen, wo ich bin. Was mit Kovacs passiert ist! Was willst du ihnen sagen?«

  »Dass du ihn getötet hast, um zu entkommen. Und dass ich dich aufhalten wollte, du mich aber überwältigt hast.« Jye nahm das blutige Messer vom Boden und hielt es mir hin.

  »Was soll ich damit?«, fragte ich und trat einen Schritt zurück.

  »Du musst mir einen Cut verpassen. Wenn die anderen denken sollen, dass du mich verraten hast, um zu verschwinden, muss es glaubwürdig aussehen.«

  Ich hob die Hände. »Auf keinen Fall.«

  »Gut, dann mach ich es.« Dufort schob sich an mir vorbei und nahm das Messer aus Jyes Hand. Ohne Vorwarnung zog er es über seinen Arm, genau so tief, dass es blutete, aber keine schwere Wunde war. Jye prüfte den Schnitt mit schmerzverzerrtem Gesicht und nickte. Dann kam er auf mich zu und umschlang mich fest mit dem anderen Arm.

  »Pass auf dich auf, Phee.« Er ließ mich los und lächelte, ganz der unerschütterlich gute Kerl, der er immer gewesen war.

  »Ich werde dich nicht aus den Augen lassen«, drohte ich. »Und bei der kleinsten Gefahr hole ich dich raus, verlass dich drauf.«

  Dufort musste in der Zwischenzeit seinen Kollegen einen Wink gegeben haben, denn nun trat eine junge Schakalin aus dem Schatten und hielt ihm einen kleinen Koffer hin. Als sie ihn öffnete, sah ich das gleiche Implantat, das auch ich trug. Es Jye einzusetzen dauerte keine Minute. Die Kalibrierung war ebenso schnell erledigt.

  »Funktioniert alles?«, fragte Dufort ihn.

  Jye nickte. »Okay, und jetzt schlag mich k.o.«

  Ich war nur noch Zuschauerin dieser grotesken Szene, stand reglos daneben, während Dufort ausholte und Jye einen Kinnhaken verpasste. Er fiel bewusstlos zu Boden, landete im Schnee, die Augen geschlossen.

  »Komm jetzt, Ophelia.« Dufort warf das Messer neben Jye auf den matschigen Untergrund. Ich rührte mich immer noch nicht, sondern starrte meinen besten Freund an.

  »Er holt sich den Tod, wenn er da so liegen bleibt.«

  »Das wird er nicht lange.« Dufort zeigte zur Terrasse, wo Stimmen zu hören waren. »Wir müssen hier weg. Wenn Jye seinen Job machen soll, braucht er ein Team dafür.« Und wenn wir blieben, würde es keins mehr geben.

  Dufort lief los, seiner Kollegin nach, die längst in Richtung der Weinberge verschwunden war. Ich starrte auf den zertrampelten Schnee um Jye herum. Würden die glauben, dass die Spuren nur von ihm, Kovacs und mir stammten?

  »Ophelia, Tempo jetzt!«

  Ich löste mi
ch aus meiner Starre und schaffte es, ein paar Schritte zu machen – Schritte, die bedeutsamer waren als alle der letzten Monate. Aber ich hatte keine Optionen mehr. Ich konnte nur gehen und das Beste hoffen.

  Mit einem letzten Blick auf Jye und dem inständigen Gebet, ihn heute nicht das letzte Mal gesehen zu haben, wandte ich mich ab und lief Dufort hinterher.

  6

  Das Brummen der FlightUnit ließ meinen Sitz leicht beben und erinnerte mich an das letzte Mal, als ich in einer geflogen war – zurück auf die Insel, zurück zu ReVerse, nachdem Leopold mir gesagt hatte, dass sich an meinem Zehn-Jahres-Deal nichts geändert hatte. Seitdem hatte sich jedoch fast alles geändert. Heute schon wieder.

  Ich war raus. Mein Job als Doppelagentin, den ich in der einen oder anderen Form seit über acht Monaten ausgeführt hatte, war beendet. Ich würde keine Rolle mehr spielen oder jemanden davon überzeugen müssen, dass ich an etwas glaubte, das ich eigentlich verabscheute. Ich musste nicht mehr lügen, taktieren oder jemanden betrügen. Ich kehrte als aufrichtige Königstreue zurück in eine Stadt, die ich für den Verrat an Leopold betreten und für den Verrat an ReVerse wieder verlassen hatte. Aber meine letzte Mission war gescheitert.

  »Wir werden nicht lange brauchen.« Dufort kam zu mir. Ich nickte nur und er setzte sich neben mich.

  »Geht es Jye gut?«, fragte ich. »Haben die seine Story geschluckt?«

  »Haben sie.« Dufort zeigte in Richtung seiner Augen, und ich wusste, er hatte Jye im Blick. »Es war die richtige Entscheidung, Ophelia. Das weißt du.«

  »Eigentlich war es gar keine Entscheidung.« Ich sah ihn an, aber ich war nicht mehr auf Konfrontation aus, sondern einfach nur müde. Es wäre so einfach gewesen, alles auf Knox zu schieben, auf sein verletztes Ego, das zusammen mit dem Alkohol aus ihm gesprochen hatte. Aber es war nicht seine Schuld. Sondern meine.

  »Es ist doch nicht nur schlecht, nach Maraisville zurückzukehren, oder?« Dufort lächelte schief. Ich erwiderte es noch schiefer.

  »Nein. Aber wenn man auf diese Art zurückkehrt, ist Freude wohl kaum angebracht.« Ich hatte mir bisher nicht erlaubt, mich auf Lucien zu freuen. Die Tatsache, dass ich ihn in weniger als einer Stunde wiedersehen würde, hätte mich unter anderen Umständen überglücklich gemacht. Aber so war das Glück unter einem Berg aus Scham und Versagen verschüttet worden. Ich wusste, Lucien würde es egal sein, dass ich gescheitert war. Aber mir nicht.

  »Sei nicht so hart zu dir. Du hast uns in den letzten Monaten viele wertvolle Informationen geliefert. Ohne dich stünden wir bedeutend schlechter da.«

  Ich fand es nett, dass Dufort mich aufmuntern wollte, obwohl ich sein Vertrauen mit dem Attentat so schwer erschüttert hatte. Nur dass es eben nicht mehr als ein Versuch war. Die Wahrheit sah anders aus.

  »Ohne mich«, sagte ich, »stünden wir bedeutend besser da.« Mit der OmnI im Bunker unter dem See und einem lebendigen Leopold.

  »Oh, komm schon, Ophelia.« Dufort schaute mich an und ich erkannte plötzlich Verärgerung in seinem Blick. »Uns allen wäre sehr geholfen, wenn du dich etwas weniger wichtig nehmen würdest.«

  Ich setzte mich auf. »Wie bitte?«, fragte ich irritiert.

  »Du hast mich schon verstanden. Ja, du wolltest auf den König schießen. Ja, deswegen wurden die Sicherungsprotokolle in Kraft gesetzt, und ja, deswegen konnte Troy Rankin mit der OmnI verschwinden. Aber glaubst du, dass nur du diesen Notfall hättest auslösen können? Dass nur dein Attentat auf den König die Protokolle aktivieren konnte? Das ist Unsinn. Jeder Angriff auf den König tut das. Und Costard hätte sicher früher oder später einen Weg gefunden, uns anzugreifen. Vielleicht wären dabei sogar Leute draufgegangen, die jetzt noch leben.« Er atmete ein. »Der König braucht dich jetzt. Also tu mir einen Gefallen, zieh den Kopf aus dem Bottich mit Selbstmitleid und überleg dir lieber, wie es für dich weitergehen soll.« Damit stand er auf und ging – wie immer, ohne mich antworten zu lassen – nach vorne zu seinen Kollegen. Ich blieb perplex zurück und wollte mich über seine Worte empören, aber bald wurde mir klar: Er hatte recht, immerhin zum Teil. Die OmnI hätte ihren Weg in die Freiheit irgendwann gefunden, mit meiner Hilfe oder ohne. Dazu war sie zu klug, dazu waren Costard und seine Verbündeten zu gerissen. Leopold hätte die KI zerstören sollen, als er die Abkehr ausgerufen hatte. Das wäre wahrscheinlich der einzige Weg gewesen, den Krieg zu verhindern, der jetzt drohte. Ich hatte dazu beigetragen, dass sie frei war, ja. Aber das war Vergangenheit. Jetzt musste ich mich darauf konzentrieren, wie ich sie aufhalten konnte. Wie wir sie aufhalten konnten. Denn ich war keine Einzelkämpferin mehr.

  Die FlightUnit senkte sich kurze Zeit später herab und durch das kleine Fenster neben mir erkannte ich Maraisville – die Festung mit dem gläsernen Juwel als Krönung, die Altstadt als Ring drum herum, dahinter die Wohngebiete mit den weißen würfelförmigen Gebäuden. Es war kein Gefühl von Heimkommen, das ich empfand, und ich ging nicht davon aus, dass die Menschen hier mich mit offenen Armen empfangen würden. Aber ich kannte einen, der das garantiert tun würde – und auf den kam es an. Mit diesem Gedanken überfiel mich die Vorfreude, die ich die ganze Zeit zurückgehalten hatte, und mein Herz schien nach Monaten der Starre endlich wieder zu schlagen. Musste die Unit denn unbedingt in Zeitlupe landen?

  Wir kamen im Militärbereich am Rande der Stadt runter, direkt in der Nähe des Sees. Als die Rampe herunterglitt und ich einen Fuß auf Maraisvilles Boden setzte, wurde meine Aufregung noch stärker. War Lucien darüber informiert, dass ich hier war? Er hatte Dufort beauftragt, auf mich aufzupassen, aber wusste er auch, dass man mich rausgeholt hatte? Ich hielt Ausschau nach einer der schwarzen TransUnits, mit der die Schakale normalerweise abgeholt wurden. Aber als sie endlich neben uns hielt, stiegen nur die drei Kollegen von Dufort ein. Er selbst blieb neben mir stehen und hielt mich davon ab, ihnen zu folgen.

  »Es gibt da noch ein paar Formalitäten«, sagte er und wies mir den Weg zu dem hellen Gebäude, das ich bereits in meiner allerersten Nacht in Maraisville betreten hatte. »Du brauchst einen neuen WrInk und dein Implantat muss entfernt werden.«

  »Hat das nicht Zeit?« Ich brauchte jetzt keinen WrInk, ich wollte Lucien sehen. Seit ich die Vorfreude auf ihn zugelassen hatte, tanzte sie um mich herum wie ein kleines Kind. Zwischen mir und einer Umarmung des wichtigsten Menschen in meinem Leben lagen nur noch ein paar Kilometer und zehn Minuten Fahrt.

  »Ach, auf einmal bist du ungeduldig?« Dufort musterte mich amüsiert. »Du kennst die Vorschriften. Es wird nicht lange dauern.«

  Es dauerte zu lange für mich. Eine Frau in weißer Kluft entfernte nicht nur das Implantat unter der Haut an meiner Schläfe, sondern auch meine EarLinks. Außerdem wurde ich einem umfassenden MedScan unterzogen, um sicherzugehen, dass ich weder krank noch sonst irgendwie kontaminiert oder verletzt war. Es war jedoch keine Behandlung nötig. Milan hatte mich ein paarmal erwischt, aber außer blauen Flecken war nichts davon zurückgeblieben.

  Dann bekam ich Tropfen für das Auflösen der EyeLinks, denn nach drei Monaten im Einsatz war es an der Zeit, auch sie zu entfernen. Wenn ich neue brauchte, würde ich sie bekommen. Fürs Erste blieb ich Link-frei, abgesehen von meinem neuen WrInk, der die gleiche Kennung hatte wie der erste, den ich in Maraisville bekommen hatte. Erst als er eingesetzt war, durfte ich gehen. Die Ärztin legte mir beim Abschied ans Herz, ruhig zwei oder drei Kilo zuzunehmen.

  »Bin ich dünner geworden?«, fragte ich Dufort und sah an mir herunter. Wir saßen in einer TransUnit und meine Aufregung drückte gegen meinen Magen.

  »Ein bisschen, ja. Bei Costard gab es wohl keine Burger.«

  »Nein, nur Notrationen«, sagte ich, und allein bei dem Gedanken an einen Burger lief mir das Wasser im Mund zusammen.

  »Na, jetzt hast du ja freie Auswahl. Also bestell dir, was immer du willst, sobald du im Juwel bist. Die Küche ist Tag und Nacht besetzt.«

  »Heißt das, ich …« Ich brach ab, aber das machte nichts, denn mir gegenüber saß einer der besten Schakale, die es gab.

  »Ob du dort wohnst?« Dufort erriet meine Ge
danken. »Sicher. Es sei denn, du willst dein altes Zimmer in Wohneinheit X7 zurück.«

  »Nein, natürlich nicht.« Ich hatte bisher nur selten gewagt, einen Gedanken daran zu verschwenden, welche Rolle mich hier in Maraisville erwarten würde. Ich war eine Schakalin, aber ich war auch mit Lucien zusammen. Zu was verpflichtete mich das? Öffentliche Auftritte bei Empfängen? Die Übernahme irgendwelcher offiziellen Aufgaben?

  Dufort stand auf, und ich sah, dass wir vor der Festung angekommen waren. Ich stieg nach ihm aus, ein bisschen zittrig in den Knien und mit verschwitzten Handflächen. Was, wenn Lucien sich verändert hatte? Wenn er nicht mehr der wunderbare, warmherzige und humorvolle Mensch war, in den ich mich verliebt hatte? Du drehst durch. Hör auf zu denken.

  »Ich hätte mich umziehen sollen«, stellte ich fest, als ich neben Dufort in die Festung hineinging. Ich trug immer noch meine Laufsachen vom Morgen, in denen der Schweiß längst getrocknet war und die daher nicht gerade frisch rochen. Und meine Haare hatte ich zwar gestern Abend in Costards Haus gewaschen, aber der straffe Zopf sah nach dem Kampf mit Kovacs sicher nicht mehr hübsch aus.

  »Sieh an, Ophelia Scale ist also doch ein Mensch«, kommentierte Dufort nur mit mildem Spott. Wir schwiegen, dann holte ich Luft.

  »Danke. Dafür, dass du mir den Kopf zurechtgerückt hast.«

  »Jederzeit gerne. Aber ich bleibe auch bei dem, was ich vorher gesagt habe: Du solltest nicht so hart zu dir selbst sein.« Er führte mich weiter durch das endlose Gewirr aus Gängen zu einer der vielen Türen im unterirdischen Teil der Festung. Dort hielt er an.

  Ich blieb ebenfalls stehen. »Was machen wir hier?« Hinter der Tür lag entweder ein Büro oder ein Besprechungsraum für die Angestellten des Königs. Aber nicht der oberste Stock des Juwels, wo Lucien lebte und mittlerweile auch arbeitete. »Caspar, wenn du jetzt mit noch mehr Formalitäten kommst, dann schwöre ich dir –«

  In dem Moment ging die Tür auf und jemand trat heraus, kam auf mich zu und hatte mich in die Umarmung aller Umarmungen geschlossen, noch bevor ich eine weitere Silbe rausbrachte. Ich hätte ohnehin nichts sagen können, denn kaum spürte ich Luciens Arme, fühlte seine Wärme unter meinen Fingern und atmete seinen Geruch ein, war meine Kehle wie zugeschnürt.

 

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