Die Sterne werden fallen

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Die Sterne werden fallen Page 13

by Kiefer, Lena


  Ich wollte ihm nicht zustimmen, aber ich konnte auch nicht widersprechen. Die Wortwahl, das Zeichen meines Tattoos, das ließ nicht viele Spekulationen zu. »Sie hat mir schon einmal den Krieg erklärt«, gab ich zögernd zu. »Mit einem Auszug aus Hamlet, damals im Bunker.«

  »Was sie zurückgenommen hat«, sprang mir Imogen bei, »zumindest nach den Worten Costards.«

  »Ja, aber das war, bevor Ophelia hergekommen ist.« Lucien starrte auf die Nachricht. »Die OmnI weiß, dass sie das Team verlassen und vermutlich auch Milan Kovacs getötet hat. Sie wird sich denken können, wo sie jetzt ist.«

  »Und das nimmt sie persönlich«, murmelte ich.

  »Wie meinst du das?«

  »Sie …« Ich ordnete kurz meine Gedanken. Bisher hatte ich niemandem davon erzählt. Aber auch wenn ich Saric, Deverose und Paulsen nicht zu meinen engsten Vertrauten zählte, waren sie Geheimhaltungspflichten unterworfen, die mich absichern würden. »Ich habe den Verdacht, dass die OmnI bei mir nicht rational reagiert, sondern emotional«, sagte ich leise. »Sie denkt, wir sind auf eine besondere Art miteinander verbunden, vielleicht sogar verwandt. Sie wurde nach dem Vorbild meiner neuronalen Struktur von Costard erschaffen. Also glaubt sie, ich wäre die einzige Person, die ihr das Wasser reichen kann. Und jetzt, wo ich ihre Freundschaft erneut abgelehnt habe, betrachtet sie mich endgültig als Feind.«

  Paulsen und Saric schienen das erst einmal verdauen zu müssen. Dufort, der schon länger von meiner Verwandtschaft zur OmnI wusste, sah mich jedoch skeptisch an. »Du willst damit sagen, sie ist … beleidigt? Und deswegen greift sie die Stadt an, tötet Menschen und schickt dir dann eine Nachricht?« Saric schnaubte. Ich ließ mich davon nicht beirren.

  »Wenn du das so sagst, klingt es natürlich mehr als lächerlich. Und es wird nicht der einzige Grund für den Zugriff auf die Pads sein. Aber ja, das glaube ich.«

  Alle diskutierten, wie man diesen Zugang wieder unterbinden konnte. Das war allerdings nicht das, was Dufort beschäftigte.

  »Du glaubst also«, er sah mich wieder an, »dass die OmnI dich für einen ebenbürtigen Gegner hält?«

  Er hatte eine wirklich unangenehme Art, die Dinge zu benennen. »Ebenbürtig ist ein großes Wort. Ich bin nicht in der Lage, zu tun, was sie tut – nicht einmal, wenn wir eine Möglichkeit hätten, meine alten InterLinks nachzubauen.« Ich seufzte. »Aber meine Denkstrukturen sind ihren ähnlich. Das bedeutet, wenn sie nach Gegnern sucht, stehe ich oben auf der Liste. Natürlich nicht, wenn sie darüber ausschließlich mit ihrem Verstand urteilt. Nur, wenn sie ihre Emotionen mitreden lässt.«

  »Was denken Sie darüber, Paulsen?«, fragte Dufort.

  »Möglich wäre es«, sagte er. »Die Forschung ist sich bei derartigen Fragen nicht einig, aber es ist ein Irrglaube, wenn man meint, der Mensch könne künstliche Intelligenzen wie die OmnI zur Gänze verstehen.«

  Überrascht schaute ich ihn an. »Vollkommen richtig«, stimmte ich ihm dann zu.

  Lucien starrte immer noch auf die Buchstaben mit der Botschaft der OmnI. »Wenn sie das Ganze jetzt persönlich nimmt, was wird sie dann tun? Was wird sie mit diesem Hass anfangen?« Er schaute mich ernst an.

  »Hoffentlich etwas, bei dem sie Fehler macht.« Ich hob das Kinn. »Wer emotional handelt, begeht Fehler. Vielleicht können wir das nutzen, um sie zu besiegen.«

  »Sir?«, sprach Paulsen Lucien an. Er hatte sich mit der jungen Analystin an deren Terminal besprochen. »Die OmnI hat den Kanal für die Pads wieder freigegeben. Wir haben die Kontrolle darüber zurück.«

  »Dann sorgen Sie bitte dafür, dass so etwas nicht wieder passiert«, sagte Lucien in diesem royalen Ton, der immer noch neu für mich war.

  »Wir tun unser Bestes, Sir.«

  Die Frage war nur: Würde das reichen?

  13

  Ich hatte schon seit Ewigkeiten nicht mehr durchgeschlafen. Wenn man die Nächte in einem Container mit mehreren anderen Menschen verbrachte, die alle auf ihre Art verarbeiteten, was sie den Tag über taten, wurde der Begriff Nachtruhe relativ. Und auch jetzt, zwei Wochen nach meiner Ankunft in Maraisville, wachte ich mehrmals in der Nacht auf. Manchmal wegen Albträumen, manchmal weil Lucien für Notfälle aus dem Bett geholt wurde, manchmal einfach so. Früher hatte ich in diesem Bett besser geschlafen als je zuvor in meinem Leben. Aber jetzt war alles anders.

  Die Sicherheitsvorkehrungen waren verbessert worden, und man hatte so gut wie möglich dafür gesorgt, dass es keine weiteren Angriffe dieser Art auf Maraisville geben konnte. Saric hatte trotzdem darum gebeten, dass Lucien in eines der Gästezimmer in den unteren Stockwerken umzog. Er hatte sich geweigert.

  »Wenn sie mich umbringen wollen, sollen sie ihre Chance kriegen«, hatte er gesagt. Das Schlimmste an den Worten waren nicht die Lacher gewesen, die sich daraufhin aus einigen Kehlen gelöst hatten. Sondern das Gefühl, er meine es vielleicht ernst. Allerdings war es nur ein Verdacht. Denn was wirklich in ihm vorging, wusste ich nicht.

  Wir redeten kaum. Nicht nur, weil wir uns so selten sahen – während Lucien das Land regierte und jeden Brandherd in Europa zu löschen versuchte, verbrachte ich viel Zeit im Überwachungsraum mit der Beobachtung von Jye oder ging in den Bunker unter dem See, um mich den Scans für die Entwicklung des OmnI-Morbus’ zu unterziehen. Wir redeten aber auch nicht viel, wenn wir uns sahen, weil Lucien jede Frage, die sich um ihn drehte und nicht um seine Arbeit, einfach mit einem Witz oder einem Kuss abwehrte. Aus dem Kuss wurde dann oft mehr, wir landeten im Bett – und ich ließ es zu, weil ich ihn so furchtbar vermisste. Lucien schien sich jeden Tag etwas mehr von mir zu entfernen, also versuchte ich, ihn auf diese Art festzuhalten. Das war erbärmlich, aber ich war froh um jede Minute, die wir so miteinander verbrachten, denn die körperliche Nähe war die einzige, die uns noch geblieben war.

  Früher hatten wir so viel geredet, gelacht, uns gegenseitig aufgezogen, dem anderen Einblicke in unsere Abgründe und Träume gewährt, ohne darüber zu urteilen. Und obwohl ich wusste, ich hatte ihn im letzten Jahr wochenlang belogen, konnte ich es kaum ertragen, dass er jetzt das Gleiche mit mir tat. Denn im Gegensatz zu ihm damals wusste ich nun genau, dass er mir nicht die Wahrheit sagte.

  Der Wecker zeigte kurz nach vier Uhr morgens an. Neben mir schlummerte Lucien tief und fest. Es hätte mich beruhigen sollen, dass er immerhin gut schlafen konnte, wo er doch so selten dazu kam. Aber das tat es nicht. Ich erinnerte mich gut daran, dass er immer dann so bleischwer schlief, wenn er eine sehr anstrengende Mission hinter sich gebracht hatte. Jetzt war jeder Tag eine solche Mission.

  Meine Gedanken machten mich immer wacher, und ich gab es auf, im Bett zu liegen und an die Decke zu starren. Also stand ich leise auf und tappte ins Bad. Dort schnappte ich mir meinen Morgenmantel vom Haken, zog ihn über und ging ins Wohnzimmer. Im Dunkeln setzte ich mich auf die Rückenlehne des Sofas und sah auf die Stadt, die zu Füßen des Juwels lag. Das tat ich immer, wenn ich nachts wach wurde und nicht mehr einschlafen konnte. Es beruhigte mich, hinunterzusehen auf die reglose Ansammlung von Gebäuden, die in der Nacht nur von wenigen Lampen und dem Mond erleuchtet wurden. Es gab mir das Gefühl, dass sich nicht alles änderte und in dieser Welt auch so etwas wie Beständigkeit existierte.

  Die meisten Schäden des Angriffs waren bereits beseitigt, die zerstörten Häuser wurden von Baurobotern wieder aufgebaut. Es hatte eine Trauerfeier für die Toten gegeben – ein paar Soldaten, zwei Schakale, aber auch einige Zivilisten und die Betreiberin eines Cafés in der Altstadt. Man spürte an jeder Ecke, dass die Leute erschüttert waren. Erschüttert in ihrem Glauben, dass nichts und niemand dieser Stadt und ihren Bewohnern etwas anhaben könne. Es einte sie in ihrem Hass gegen Costard und die OmnI – und in der Abneigung gegen mich. Ich konnte es in ihren Augen sehen und in ihrem Getuschel hören, das mich begleitete, sobald ich die Festung verließ: Sie hielten mich für mitverantwortlich. Es konnte ja kein Zufall sein, dass Maraisville angegriffen wurde, nur einen Tag, nachdem ich in die Stadt zurückgekehrt war. Ganz sicher hatte es etwas mit mir zu tun. Das war doch logisch.

  Ich ließ
sie reden, ich hatte keine andere Wahl. Egal, was Dufort oder Lucien sagten oder ob Leopold mir vor seinem Tod vergeben hatte, es ließ sich nicht leugnen: Das Entwenden der OmnI war durch meine Mithilfe möglich geworden. Also ertrug ich die giftigen Blicke, das Raunen und Tuscheln, wenn ich nach draußen ging. Und jedes Mal, wenn ich zurück in die Festung kam, wünschte ich mir, ich wäre einfach bei Costards Team geblieben. Das war vielleicht dumm und ganz sicher verklärend, aber dort hatte ich etwas Sinnvolles tun können. Ich hatte spioniert und dazu beigetragen, dass die OmnI viel langsamer vorankam als geplant. Es war hart gewesen und oftmals schwer zu ertragen, aber immerhin nützlich. Hier in der Stadt war ich vollkommen nutzlos. Ich war keine Unterstützung für Lucien, ich war keine Hilfe im Kampf gegen die OmnI. Außerdem vermisste ich Jye. Ich vermisste es, mit jemandem zu reden, der mein Schicksal teilte. Und der mich verstand.

  Der Gedanke an meinen besten Freund gab mir einen Ruck und ich stand auf. Wenn ich schon wach war, dann konnte ich immerhin Jyes Aufnahmen sichten. Er hatte gestern an einem Einsatz auf einer Offshore-Energieanlage vor der frankopäischen Küste teilgenommen. Ich wollte mich vergewissern, dass es ihm gut ging. Wir kommunizierten zwar regelmäßig und er schlich sich auch manchmal für ein Gespräch weg. Aber je öfter ich mich davon überzeugen konnte, dass er in Ordnung war, desto besser. Außerdem musste ich dann nicht über Lucien nachdenken.

  Kurz überlegte ich, im Morgenmantel und barfuß nach unten in den Überwachungsraum zu gehen, aber dann entschied ich, mir doch etwas anzuziehen. Es war immer jemand dort, um Jyes Sicherheit im Auge zu behalten. Und ich wollte mir bei meinem katastrophalen Ruf in diesen Mauern nicht auch noch das Attribut leicht bekleidet einhandeln.

  Ich drehte mich um und wollte gerade zurück ins Schlafzimmer schleichen, als ein schwacher Lichtschein mich stoppte. Das Terminal gegenüber der Couch hatte sich eingeschaltet. Erst dachte ich an eine Fehlfunktion, weil auf dem Screen nur die königliche Lilie zu sehen war. Aber dann tauchte eine Nachricht auf.

 

  Ich starrte auf die Worte, während mir ein eisiger Schauer den Rücken hinaufkroch. Aber bevor ich über eine Antwort nachdenken konnte, verschwand die Nachricht und eine andere erschien.

 

  Es klang wie ein unmoralisches Angebot, und hätte ich nicht gewusst, dass Lucien nebenan lag und schlief, wäre mein Verdacht auf ihn gefallen. So allerdings breitete sich das eisige Gefühl aus, erreichte meinen Nacken, meine Arme, trieb alles Blut aus meinen Händen. Flucht oder Kampf!, brüllte mein Hirn und schüttete einen ganzen Eimer Adrenalin aus. Aber es gab keinen Gegner. Nur Worte, weiß auf schwarz. Genau wie damals im Bunker. Das arme Kind von ihren Gefühlen / Hinunterzogen in den schlamm’gen Tod.

  Plötzlich wusste ich, dass der falsche Dufort der OmnI über die Schnittstelle nicht nur Zugriff auf die Pads verschafft hatte. Wir hatten sonst nichts finden können, aber jetzt war es mir klar: Er hatte einen Kanal geöffnet. Einen Kanal zu ihr.

  »Was willst du?«, fragte ich leise und hasste es, dass meine Stimme zitterte.

 

  »Worüber?«

 

  Genau das war es, was ich sofort hätte tun sollen – Lucien wecken und dann Dufort und am besten die ganze Festung. Aber ich wusste, dann würde die OmnI die Verbindung sofort abbrechen und möglicherweise irgendetwas Schlimmes tun. Vielleicht konnte ich ja Antworten bekommen, wenn ich mit ihr sprach. Vielleicht konnte ich endlich wieder nützlich sein.

  »Ich bin gleich da«, sagte ich. Entschlossen knotete ich die Kordel des Morgenmantels fester und ging zur Tür.

  Ich hatte Leopolds Räume nie bei Tageslicht betreten. Genau genommen war ich nur ein einziges Mal dort gewesen – als ich in der Nacht des Attentats nach ihm gesucht hatte. Sie jetzt wieder aufzusuchen, kam mir respektlos und falsch vor. Und wahrscheinlich hatte die OmnI genau das bei ihrer Aufforderung im Sinn gehabt.

  Die Tür zu Leopolds früherem Zuhause war nicht verschlossen oder auf andere Weise gesichert, also schlüpfte ich ungehindert hindurch und zog sie hinter mir zu. Damit sperrte ich das Licht auf dem Flur aus, erkennen konnte ich trotzdem genug. Niemand schien etwas verändert zu haben: Die teils modernen, teils alten Möbel standen an den gleichen Stellen wie im vergangenen Sommer, es lagen Bücher auf dem Schreibtisch, ebenso Dokumente. Alles wirkte genau wie im Refugium, so als wäre Leopold vor einer Stunde von dem Stuhl aufgestanden und ins Bett gegangen. Nicht so, als wäre er im Oktober ermordet worden. Von ihr.

  Das Terminal befand sich an der Wand hinter dem Schreibtisch und schaltete sich ein, als ich in die Nähe kam. Das eisige Gefühl in meinem Nacken blieb, als ich davor trat und meine Schultern straffte.

 

  »Ja.« Sofern Leopolds Geist nicht hier war – und ein Teil von mir hatte das Gefühl, es wäre so –, dann waren wir allein.

 

  Ich speicherte in meinem Kopf ab, dass die OmnI ohne Erlaubnis nicht in die Räume der Festung schauen konnte. Das war beruhigend. Kurz überlegte ich, ob ich ihr das wirklich gestatten wollte, aber dann tat ich es doch – für begrenzte Zeit.

  Die Ansicht des Terminals wechselte und ich konnte in einen Raum sehen. Aber nicht in irgendeinen Raum. Er war mit einem blauen Teppich ausgestattet, einem Sofa mit verschlissenem Bezug und einem Bett, dessen Decke unordentlich nach hinten geschlagen war. Ich sah jedes Detail, erkannte jedes Detail, weil ich all das schon hunderttausendmal gesehen hatte. Es war mein altes Zimmer in Brighton.

  »Was soll das?«, fragte ich, nachdem ich den ersten Schreck verdaut hatte. Das hier war nicht echt. Sie konnte nicht dort sein. Das Zimmer gehörte mittlerweile meiner kleinen Stiefschwester Fleur und die hatte garantiert umgeräumt.

  »Ich dachte, das wäre die richtige Umgebung für mich. Also habe ich sie simuliert.« Jemand kam ins Bild, und ich machte einen Schritt zurück, obwohl das nicht half. »Was denn, Ophelia? Stimmt etwas nicht?«

  Darauf hatte ich keine Antwort. Ich hatte die OmnI in vielen Erscheinungsformen gesehen – als meinen Vater, meine Mutter, Jye, Knox, Leopold. Aber jetzt war das Gesicht, das mir vom Screen entgegensah, mein eigenes. Die OmnI hatte meine Gestalt angenommen.

  »Du siehst verängstigt aus«, sagte sie. »Vielleicht solltest du das Licht einschalten. Dann fühlst du dich bestimmt sicherer.«

  Der fürsorgliche Ton ließ mich die Augen verdrehen. »Vielleicht würde es mir eher helfen, wenn du dich in jemand anderen verwandelst.«

  »In jemand anderen?« Die OmnI-Ophelia sah an sich herunter. »Das ist ein absurder Vorschlag. Schließlich bist du die Person, der ich am ähnlichsten bin. Wir sind doch so etwas wie Geschwister. Oder sogar Zwillinge.«

  »Ich habe schon einen Zwilling«, erinnerte ich sie. »Mein Bedarf an solch engen Verwandten ist gedeckt.«

  »Richtig. Da gibt es ja Eneas.« Die OmnI dehnte den Namen übermäßig, so als würde sie ihn nicht mögen. »Aber nur weil ihr ein paar Gene teilt, bedeutet das nicht, dass er dich versteht.« Ihre Stimme klang vorwurfsvoll.

  Bevor ich antwortete, räusperte ich mich.

  »Das ist es also, was du mir erzählen willst? Dass du mich verstehst?«

  »Aber natürlich. Niemand versteht dich so wie ich, Ophelia. Ich will doch nur, dass du mir vertraust und wir auf der gleichen Seite stehen.«

  »Ach ja, plötzlich? Das klang aber vor ein paar Monaten noch ganz anders.« Musste ich sie daran wirklich erinnern? »Du hast mir dieses Gedicht hinterlassen. Das war eine offene Drohung!«

  »Es war der Ausdruck von Kummer!«, hielt sie gegen.

  »Hast du mich auch aus Kummer nach Amber Island geschickt? Auf eine verfluchte Selbstmordmission? Oder waren das Troy, Costard oder ihr alle zusammen?« Ohne Luciens Hilfe hätte ich diese Insel nie erreicht, geschweige denn lebend wieder verlassen.

 
»Troy sagte, ein Test deiner Loyalität wäre angebracht – und ich habe zugestimmt. Schließlich dachte ich, du wärst für mich verloren.«

  »Ich bin für dich verloren!«, schnauzte ich sie an. »Du tötest Menschen, die mir etwas bedeuten, und bedrohst Leute, die ich liebe. Wie sollte ich dir jemals vertrauen?«

  »Das weiß ich und bedaure sehr, dass es so weit gekommen ist.« Die OmnI-Ophelia sah mich entschuldigend an. »Deswegen wollte ich mit dir sprechen, um das in Ordnung zu bringen. Damit wir wieder Freunde sein können.«

  Ich lachte bitter auf. »Freunde? Du greifst die Stadt an, in der ich lebe. Über hundert Menschen sind bei deiner Aktion vor zwei Wochen gestorben! Schlag mal im Kapitel über Freundschaft nach, ob das darin vorkommt.«

  Die OmnI zog meine Nase kraus und schüttelte unwillig den Kopf. »Das verstehst du falsch. Ich habe es nicht getan, um jemandem wehzutun. Aber ich musste irgendwie mit den Menschen und vor allem mit dir in Kontakt treten. Nachdem du unser Team verlassen hattest, warst du unerreichbar für mich.«

  »Du wolltest monatelang nicht mit mir in Kontakt treten, während ich in Reichweite war«, sagte ich. »Wieso jetzt?«

  »Weil es vorher zu gefährlich war. Ich hatte keine ausreichenden Informationen, und Costard hielt es für sinnvoll, mich von dir fernzuhalten. Es hat sehr geschmerzt, aber es war notwendig.« Die Ophelia auf dem Screen senkte den Kopf. »Und dann, als es endlich möglich wurde, warst du verschwunden. Also musste ich mir etwas anderes überlegen.«

  »Und warum erst zwei Wochen, nachdem du dir Zugang verschafft hast?« Da war doch etwas faul.

  »Ich musste warten. Es war … nicht der richtige Zeitpunkt. Für mich ist dieses Gespräch mit dir so wichtig. Ich wollte, dass es im richtigen Moment stattfindet. Der Aufwand, den ich dafür betrieben habe, sollte sich lohnen.«

  Ungläubig starrte ich auf den Bildschirm. »Dann hast du Maraisville in erster Linie deswegen angegriffen? Nur um mit mir zu sprechen?« Wenn es wenigstens um die Pads gegangen wäre, hätte ich das ja noch verstanden. Aber meinetwegen? Hatte sie einen Knall? »Vielleicht schickst du das nächste Mal einfach einen Brief. Dann muss niemand sterben.«

 

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