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Die Sterne werden fallen

Page 17

by Kiefer, Lena


  »Halt die Klappe«, rief ich laut und erntete dafür verstörte Blicke von zwei Passanten, an denen ich vorbeirannte. Nein, Lucien würde sich nichts antun. Er hatte fast sieben Jahre unter Phoenix’ Herrschaft bei den Schakalen ertragen, und da hatte es weiß Gott ausreichend Gelegenheit gegeben, seinem Leben ein Ende zu machen. Aber das hatte er nicht. Er hatte weitergemacht. Und das würde er jetzt auch, weil er wusste, dass es etwas gab, wofür es sich lohnte.

  Ach ja? Weiß er das wirklich? Die boshafte Stimme zählte auf.

  Er hat seine Eltern verloren.

  Er hat Amelie verloren.

  Er hat Leopold verloren.

  Er denkt, er hätte dich verloren. Dass du ihn im Stich lassen wirst, genau wie alle vor dir.

  Der Gedanke krallte sich an mir fest. Was, wenn Lucien glaubte, dass ich tatsächlich am liebsten wieder aus der Stadt verschwinden wollte? Würde ihn das dazu bringen, etwas Dummes zu tun?

  Meine Angst ließ mich noch einen Schritt zulegen, aber ich war zu schnell. Direkt vor der Festung kam ich aus dem Gleichgewicht, rutschte aus und knallte auf den harten Steinboden. Mein lauter Fluch rief die beiden Schakale herbei, die gemeinsam mit zwei Gardisten die Abendschicht hatten. Ein großer Mann und eine deutlich kleinere Frau kamen zu mir.

  »Alles in Ordnung?«, fragte die Frau mich besorgt.

  »Das interessiert euch doch sonst auch nicht!«, schnauzte ich sie an und erntete perplexes Schweigen. »Tut mir leid«, schob ich direkt nach. »Es ist einfach ein Scheißtag.« Ich rappelte mich auf und zeigte zum Eingang. »Kann ich ohne Check rein?«

  »Sicher. Ich schätze, die Zeiten, wo wir Angst vor dir haben mussten, sind vorbei.« Die Schakalin lächelte leicht.

  »Danke.«

  Die Wut hatte meine Angst kurz verstummen lassen, aber kaum betrat ich die hellen Räume des Juwels, kam sie mit doppelter Wucht zurück. Ich wollte nicht auf den Aufzug warten, also rannte ich die breite Haupttreppe nach oben und dann über den gläsernen Steg, der zum Fackelgang führte. Ilka Saric erwartete mich direkt am Eingang zum alten Gebäudering. Ich zog im Laufen meine Jacke aus und warf sie beiseite.

  »Ophelia. Das hat lange gedauert.« Zum ersten Mal, seit ich die Gardechefin kannte, sah ich so etwas wie Beunruhigung auf ihrem Gesicht.

  »Schneller ging es nicht. Was ist passiert?«

  »Ich weiß es nicht. Ich hatte den Hinweis eines Bediensteten bekommen, das Refugium sei verschlossen, und daraufhin eine Abfrage gemacht, wer dort drin ist. Dann habe ich an der Tür gefragt, ob er Hilfe braucht, aber er antwortete nur, ich solle verschwinden. Also habe ich alle Bediensteten aus der Etage abgezogen. Nicht auszudenken, wenn der König einen Nervenzusammenbruch hat und alle bekommen das mit.« Sie verzog das Gesicht.

  Beinahe hätte ich sie angefahren, ob die öffentliche Wirkung das Einzige war, was sie interessierte. Aber ich hatte ja das Gleiche gedacht.

  »Und sonst? Ist gar nichts zu hören gewesen?«

  »Doch, vorhin … vorhin wurde es laut. So als ob jemand die Möbel umräumt.«

  »Möbel? Oh nein … die Fenster!« Ich rannte los, in Richtung Refugium. Die Fenster in dem Raum waren so hoch gelegen, dass man nicht an den Griff kam, ohne irgendein Möbelstück darunter zu schieben. War es das, was er vorhatte? Aus dem Fenster dreißig Meter in den Tod zu springen?

  Saric schien zu spüren, dass es ernst war, denn sie hielt ihren WrInk vor den Scanner des Türschlosses, ohne dass ich sie dazu auffordern musste. Dann gab sie Eden ihren Autorisationscode und noch zwei weitere, um Luciens Schließbefehl aufheben zu können. Wir holten beide gleichzeitig Luft, bevor ich die Klinke der Tür herunterdrückte …

  … und noch im Rahmen geschockt stehen blieb.

  17

  Das Refugium war ein Schlachtfeld. Nein, schlimmer, es war ein Schlachtfeld, nachdem die Plünderer und Geier schon ihre Runden gedreht hatten. Mein panischer Blick fiel auf die Fenster – sie waren alle zu. Lucien war nicht gesprungen.

  Dafür hatte er ein unglaubliches Chaos angerichtet.

  Die schweren Vorhänge mit den Lilienstickereien waren heruntergerissen, die Stangen ragten wie ein überdimensionales Mikado in den Raum hinein. Kaum ein Buch stand noch in den Regalen: Sie waren allesamt herausgezogen und durch den Raum geschleudert worden und anschließend wild durcheinander gelandet – auf dem Teppich, dem Schreibtisch, dem Schachtisch, den umgeworfenen Sesseln. Zerfetztes Papier lag wie eine Aschedecke auf dem Boden, genau wie die Federn aus den Sofakissen. Leopolds geliebte Schachfiguren lagen dazwischen, verstreut wie Liliputaner nach dem Angriff eines Riesen.

  Ich konnte mir bildlich vorstellen, wie Lucien hier wütete. Wie er diesen Raum, den er so sehr hasste, in Schutt und Asche legte. Wie er seine Wut darüber, dass sein Bruder ihn verlassen hatte, an den Sachen ausließ, die für Leopold Symbole der Abkehr gewesen waren. Wie er die Bücher aus den Regalen riss, das Schachbrett vom Tisch fegte, die Kissen zerfetzte. Und wie das rein gar nichts besser machte.

  Vorsichtig trat ich einen Schritt in den Raum hinein.

  Da hörte ich es.

  Ein leises, aber zutiefst verzweifeltes Wimmern, nur unterbrochen von einem ebenso leisen Schluchzen. Es kam aus der Ecke hinter dem Schreibtisch. Mein Magen machte eine schmerzhafte Drehung.

  Ich wandte mich zur Tür. »Miss Saric?« Meine Stimme klang angegriffen, und ich musste ein paarmal schlucken, um überhaupt etwas sagen zu können. »Könnten Sie draußen warten? Ich kümmere mich um diese Sache.«

  »Natürlich.« Sie nickte und schloss die Tür hinter sich. Kaum war sie weg, atmete ich tief ein und ging zum Tisch.

  »Luc?«, fragte ich leise. Das Wimmern stockte für einen Moment. Ich nahm das zum Anlass, mir einen Pfad durch das Chaos zu bahnen und dann um den Schreibtisch herumzugehen. Und obwohl ich mich gewappnet hatte, obwohl ich auf das Schlimmste vorbereitet war, brach mir in der Sekunde das Herz, als ich ihn sah.

  Lucien saß auf dem Boden, eingepfercht in die schmale Nische zwischen Regal und Schreibtisch. Er hatte sich so klein gemacht wie nur irgend möglich – die Beine am Körper, die Arme um die Knie geschlungen, den Kopf zwischen die Schultern gezogen. Seine Finger krallten sich um die Figur des Schachkönigs und waren blutverschmiert, offenbar hatte er sich beim Verwüsten des Zimmers verletzt. Sein Zopf war aufgegangen und die goldbraunen Locken standen in alle Richtungen ab, seine Schultern bebten vor tiefem Kummer und grenzenlosem Schmerz. Er sah aus wie ein kleiner Junge, der völlig verzweifelt festgestellt hatte, dass er absolut allein war. Dass ihm niemand mehr geblieben war.

  Ich presste die Hand auf den Mund, damit mein Schluchzen erstickt wurde, aber er hätte es eh nicht gehört. In dem Moment, als ich neben ihm auf die Knie sank, schüttelte ihn erneut heftiges Weinen. Es tat mir so weh, als würde ein Messer in meiner Brust stecken.

  »Hey«, machte ich leise, und meine Hand schwebte über seinem Arm, weil ich Angst davor hatte, was passierte, wenn ich ihn berührte. Aber dann tat ich es doch und strich ganz zart über seine Haut. »Luc, was ist passiert?« Eine dämliche Frage. Ich wusste, was passiert war.

  »Er ist weg«, weinte Lucien leise, »sie sind alle weg.« Sein Schluchzen schluckte seine Worte fast vollständig. Er hob den Kopf und sah mich aus roten Augen voller Tränen an. »Warum, Ophelia? Warum sind sie alle weg? Was habe ich nur falsch gemacht?«

  »Du hast überhaupt nichts falsch gemacht«, widersprach ich sanft. »Im Gegenteil, du hast immer versucht, alles richtig zu machen.« Er hatte ohne Murren seine Schuld bei Phoenix abgeleistet, hatte seine Geschwister zusammengehalten, hatte sich trotzdem selbst bewahrt. Wie konnte er glauben, irgendetwas daran wäre falsch?

  »Ach ja? Amelie ist weg, und ich habe es nicht verhindert. Leopold ist tot, und ich habe es nicht verhindert. Dabei hätte ich es verhindern müssen. Ich hätte irgendetwas tun müssen, damit das alles nicht passiert. Dafür wurde ich ausgebildet, ich hätte …« Er brach ab, erneut zuckte sein Körper vor Kummer.

  Ich hielt es nicht länger aus, also wischte ich meine eigenen Tränen ab und rut
schte vorsichtig neben ihn in die Nische, um meine Arme um ihn zu legen. Für einen kurzen Moment hatte ich Angst, er würde sich dagegen wehren, aber dann flüchtete er in meine Umarmung und vergrub sein Gesicht an meinem Hals. Ich spürte seine Tränen auf meiner Haut.

  »Leopolds Tod war fürchterlich tragisch«, sagte ich leise und strich ihm über die wirren Locken. »Aber eher meine Schuld als deine. Und Amelie ist selbst dafür verantwortlich, dass sie fliehen musste. Sie hätte dich über ihren eigenen Hass stellen müssen, aber das hat sie nicht. Das darfst du vielleicht ihr vorwerfen, aber sicher nicht dir.«

  »Ich vermisse sie, ich vermisse sie beide so sehr«, schluchzte Lucien. »Ich habe ihnen nie gesagt, dass ich sie liebe, als sie noch da waren. Leopold und ich haben uns bei unserem letzten Gespräch sogar fürchterlich gestritten! Und jetzt sind sie weg, und ich habe Angst, sie wussten gar nicht, wie wichtig sie mir waren.«

  »Das stimmt nicht. Ich bin sicher, das haben sie ganz genau gewusst.«

  »Wie kannst du da sicher sein?«

  »Weil ich weiß, wie es ist, von dir geliebt zu werden. Es ist unmöglich, das nicht zu wissen, wenn es so ist.«

  Meine Worte brachten ihn erneut zum Weinen, und ich spürte, dass er das irgendwie brauchte. Also hielt ich ihn fest in meinen Armen und streichelte ihm weiter über den Kopf, im immer gleichen Rhythmus. Dabei murmelte ich leise in sein Ohr, wie wichtig er mir wäre und wie sehr ich ihn liebte – genau wie er es damals bei mir gemacht hatte, in dem kleinen Häuschen an der Küste, am Morgen nach Amber Island. Weil man manchmal nicht mehr brauchte als das.

  Nach und nach spürte ich, wie das Schluchzen weniger, das Weinen schwächer wurde, und irgendwann machte Lucien einen tiefen Atemzug, der mir sagte, dass es ihm besser ging. Er löste sich von mir, sah mich an und strich dann mit den Fingerspitzen über meine tränennasse Wange, als würde er jetzt erst merken, dass ich neben ihm saß.

  »Du bist hier«, sagte er wie vor zwei Wochen unten in der Festung, aber diesmal hatte es so viel mehr Bedeutung. Genau wie meine Antwort.

  »Ich bin hier«, flüsterte ich leise und küsste ihn sanft auf den Mund. »Und ich verspreche dir, ich werde nie wieder weggehen. Es war ein Fehler, nicht direkt mit dir zu kommen. Es tut mir leid.«

  Lucien sah geradeaus auf das Regal und presste die Lippen zusammen. »Mir tut es leid, dass ich gesagt habe, du hättest mich im Stich gelassen. Du warst da draußen und hast für unsere Freiheit gekämpft, während ich hier rumgesessen und rein gar nichts dafür getan habe.«

  »Das ist nicht wahr und das weißt du auch.«

  »Ja, ich weiß es. Aber ich fühle es nicht.« Er schüttelte den Kopf. »Ich wollte nie ein Schakal sein, aber ich wurde dazu gezwungen, also habe ich das Beste daraus gemacht. Und jetzt wurde ich dazu gezwungen, König zu sein – nur lässt sich daraus nichts Gutes machen. Im Gegenteil, ich werde zu jemandem, der bald nichts Gutes mehr in sich hat. Morgen früh um sieben werden 53 Soldaten auf meinen Befehl hin sterben.« Er schnaubte. »Das fühlt sich an, als würde ich sie eigenhändig hinrichten.«

  Ich sah ihn an. »Dann gib den Befehl nicht.«

  »Was?« Er schaute auf.

  »Gib den Befehl nicht«, wiederholte ich mit Nachdruck. »Dein Gespür war immer schon deine stärkste Waffe, also setz sie ein. Wenn alle deine Berater sagen, es wäre sinnvoll, hör auf deinen Bauch. Und wenn der sagt, es ist nicht sinnvoll, dann mach das, was du für richtig hältst. Du bist der König, verdammt noch mal. Du entscheidest.«

  Lucien stieß einen tiefen Seufzer aus, und als er mich ansah, war es endlich wieder genau der Blick, den ich kannte und liebte. »Ich habe dich so vermisst, Stunt-Girl. Dich und alles, was du sagst und tust.«

  Mein Gesicht verzog sich zu einem Lächeln.

  »Ich dich auch. Mehr, als du dir vorstellen kannst.«

  Ich lehnte meinen Kopf an seine Schulter und er verschränkte seine Finger mit meinen. Eine Weile schwiegen wir und spürten der Ruhe nach, die zwischen uns eingekehrt war. Ich atmete aus und war unendlich erleichtert, als ich es bemerkte: Die Mauer war weg. Wir hatten uns wieder.

  »Hast du das ernst gemeint?«, fragte Lucien mich irgendwann. »Dass du nicht mehr weggehen willst?« Sein Blick war nicht mehr ängstlich, aber ich sah die Vorsicht darin.

  »Ja, habe ich. Ich bleibe, solange du mich hier haben willst.« Ich schob ihm ein paar verirrte Locken aus der Stirn. »Allerdings musst du mir einen Job geben, sonst drehe ich durch.«

  »Einen Job?« Seine Stimme wurde unbeschwerter und er spielte mit den Fingern meiner Hand. »Du meinst, so richtig mit offiziellem Titel?«

  »Es muss nicht offiziell sein und schon gar nicht mit Titel. Aber ich will etwas tun. Ich habe jetzt zwei Wochen hier herumgesessen und es war die Hölle. Ich brauche eine Aufgabe.«

  »Wie wäre es mit Königin?«, grinste er.

  Ich prustete. »Also, das nun wirklich nicht.«

  »Okay, dann vielleicht … Spezialberaterin des Königs?« Seine Stimme glitt eine Spur tiefer und er berührte meine Nase mit seiner.

  Jetzt war ich es, die grinste. »Klingt irgendwie unanständig.«

  Er musste lachen, und dieses befreite Lachen war das Schönste, was ich in der letzten Zeit gehört hatte.

  »Man kann es dir auch nie recht machen, Stunt-Girl.«

  »Doch. Du schon.« Ich meinte es ehrlich. Aber bevor ich mehr sagen konnte, lagen schon Luciens Lippen auf meinen und jedes weitere Wort wurde unnötig.

  Und so saßen wir da auf dem Boden im Refugium, mitten im größten Chaos, und küssten uns, als wäre es der romantischste Ort der Welt. Als könnte nichts uns etwas anhaben. Das letzte Mal, als ich dieses Gefühl gehabt hatte, waren wir beide sehr viel freier gewesen als jetzt. Aber ich wollte daran glauben, dass diese Freiheit noch nicht verloren war. Genauso wenig wie wir.

  Viel später in dieser Nacht ließen wir das verwüstete Refugium hinter uns und machten uns auf den Weg in Luciens Räume. Ich spürte die schwere Müdigkeit, die an mir zog, aber es war auch Entspannung. Als ich im Bett lag und mich in Luciens Arme kuschelte, hatte ich die Ahnung, dass ich heute gut schlafen würde. Allerdings musste ich vorher noch eine Sache loswerden.

  »Ich muss dir etwas beichten«, begann ich zögernd. Es hatte keinen Zweck, das aufzuschieben. Auch wenn es dieses wohlig-warme Gefühl zerstören könnte.

  »Okay, wovon willst du dich diesmal runterstürzen?«, fragte Lucien amüsiert.

  »Ausnahmsweise von nichts.« Ich atmete ein. »Ich habe gestern Nacht mit der OmnI gesprochen.«

  Lucien setzte sich auf. Plötzlich war er wieder hellwach.

  »Und das sagst du mir erst jetzt?«, stieß er aus, ruderte aber sofort zurück. »Entschuldige. Du hattest ja keine Gelegenheit dazu. Wie hast du mit ihr gesprochen? Und worüber? Wie hat sie es hier reingeschafft?«

  Ich berichtete ihm wie schon meiner Mutter, was die OmnI gesagt und wie sie am Ende eine amtliche 180-Drehung hingelegt hatte. Außerdem erzählte ich ihm alles, was ich über meine Vergangenheit und die Freundschaft zur OmnI erfahren hatte.

  »Das klingt, als wäre sie irgendwie verwirrt«, war Luciens erster Kommentar dazu.

  »Habe ich auch gesagt.« Ich nickte. »Aber meine Mum meint, es könne auch ein Manipulationsversuch der OmnI sein, um mich endlich in ihre Nähe zu locken.«

  »Klar, möglich wäre es. Von Costard wird das kaum ausgehen, er ist nur ein Mensch und kann sie auf diese Art wohl nicht beeinflussen.«

  »Das schon, aber er ist nicht einfach irgendein Mensch, sondern ihr Vater, wenn du so willst. Er könnte ihr auf die emotionale Schiene kommen, sodass sie nicht mehr weiß, wie sie reagieren soll. Und er hat schon früher in ihre Programmierung eingegriffen, damit sie sich nicht mehr an gewisse Dinge erinnert.«

  »Nehmen wir an, er hat das wieder getan«, sagte Lucien, »und alles, was sie vor diesem Umschwung in eurer Unterhaltung gesagt hat, ist sein Werk. Was will er dann damit erreichen? Das Gespräch schien ja darauf abzuzielen, dich zu ihr zu holen.«

  »Da bin
ich mir gar nicht mehr so sicher«, sagte ich. »Ja, sie hat so was gesagt, aber vielleicht nur, weil sie wusste, ich erwarte es von ihr. Aber eigentlich wollte sie vor allem, dass ich auf dich einwirke. Vielleicht glaubt Costard, ich hätte genug Einfluss, um auf diesem Weg eine Kapitulation deinerseits zu erreichen. Das hat er schon einmal gedacht.«

  Lucien stieß die Luft aus. »Das ist alles so grauenhaft verworren. Es gibt einfach keine normalen Probleme mehr, sondern nur noch unlösbare.« Er verlagerte sein Gewicht und ich schmiegte meine Wange an seine Schulter. »Warum hat Leo sie nur nicht gleich zerstört«, murmelte er. »Wenn er das getan hätte, wäre er noch am Leben.«

  Da konnte ich nicht widersprechen, also schwieg ich, und wir waren für den Moment damit zufrieden, dass keiner etwas sagen musste.

  »Ophelia?«, fragte Lucien dann aber leise. Seine Finger streichelten meinen Rücken.

  »Ja?« Ich war zu müde, um mich darüber zu wundern, dass er meinen Namen benutzte.

  »Wenn ich dir etwas sage, versprichst du mir, dass du nicht über mich lachst? Oder mich für verrückt hältst?«

  »Ich weiß längst, dass du verrückt bist«, gab ich zurück.

  »Auch wieder wahr.« Er lachte kurz.

  »Also, sag schon. Was gibt es Verrücktes?«

  Er holte Luft, einmal, zweimal. »Manchmal habe ich das Gefühl, als wäre Leopold noch da.« Er stieß die Worte schnell aus, als würden sie ihm den Hals verbrennen.

  Ich hob den Kopf. »Das ist doch normal. Nur weil jemand stirbt, heißt das ja nicht, dass man ihn vergisst. Ich bin neulich selbst ins Refugium gegangen und es war, als sei er nur kurz rausgegangen.«

  »Du verstehst nicht, was ich meine.« Es klang nicht wie ein Vorwurf, eher wie eine Korrektur. »Ich meine, ich habe das Gefühl, dass er noch lebt. Als wäre er noch da, nur eben nicht … hier.«

  Ich setzte mich auf.

  »Luc«, begann ich sanft. »Du kennst die Berichte vom Absturz. Alle Biosignaturen waren inaktiv, auch seine. Die Schakale haben das dreimal gecheckt, damit ihnen kein Fehler unterläuft. Er kann nicht mehr am Leben sein.«

 

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