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Die Sterne werden fallen

Page 34

by Kiefer, Lena


  Sie war leer.

  Ich scrollte nach unten und dann wieder hoch, aber es war kein Text zu sehen, keine Bilder, keine sonstigen Inhalte. Erst das mit den EarLinks und nun so was? Irgendetwas stimmte hier nicht.

  »Hast du wirklich geglaubt, dass es so einfach wird?«

  Ich ließ das Pad fallen, als eine Stimme ertönte – in meinem Ohr. Das war nichts Neues, ich trug seit Monaten fast ständig EarLinks. Aber diese Stimme verschaffte mir einen ausgewachsenen Panikanfall. Was war mit dem Morbus? Waren wir aufgeflogen?

  »Du solltest es aufheben.«

  Als ich hinuntersah, wo das Pad zwischen den kurzen Grashalmen lag, erkannte ich darauf das Gesicht, das zu der Stimme gehörte: Exon Costard. Ich beugte mich hinunter und hob das Pad auf, meine Hand zitterte. Fest krampfte ich die Finger um die Kante des Geräts. Der Schmerz half gegen die Panik.

  Und plötzlich erkannte ich die Chance, die sich mir bot.

  Sofort setzte ich mich in Bewegung zur Tür. Wenn Costard gerade eine Verbindung zu meinem Pad hergestellt hatte, konnte man sie zurückverfolgen, und dann wussten wir, wo die OmnI war! Ich musste nur ins Lagezentrum und dort jemanden bitten, das Pad anzuzapfen und –

  »Halt«, sagte er barsch.

  Ich stoppte.

  »Bleib, wo du bist. Wir müssen uns unterhalten und dabei möchte ich keine Zuhörer.« Sein Gesicht in dem Ausschnitt kam näher heran. »Ich habe kurzfristig dein Pad und darüber auch deine InterLinks übernommen. Das bedeutet, ich kann dich nicht sehen, aber das, was du siehst. Mach, was ich sage, oder du trägst die Konsequenzen.«

  Die Drohung schluckte den Wunsch, ihm Widerworte zu geben.

  »Was haben Sie mit Lucien und den anderen beiden gemacht?«, fragte ich und hasste es, wie hilflos ich dabei klang.

  Costard schnalzte mit der Zunge. »Ich glaube, du hast die Regeln dieses Gesprächs nicht verstanden, Ophelia. Du stellst hier keine Fragen. Ich rede und du hörst zu. Und wenn ich fertig bin, dann darfst du mir eine Antwort geben. Ist das angekommen?«

  Ich nickte widerwillig, weil er das an meinem EyeLink-Bild erkennen konnte.

  »Gut. Setz dich hin.« Die Bank war nur zwei Schritte entfernt. Ich ging dorthin und folgte dem Befehl. Die Kälte des Holzes drang durch den Stoff meiner Hose. Ich umklammerte das Pad noch fester.

  Das Bild von Costard schien zu schwanken, offenbar war er aufgestanden und bewegte sich jetzt aus dem Raum hinaus. Ich erhaschte einen Blick auf ein paar Behälter mit roten Nummern, dann war er auch schon draußen.

  »Was wird das?«, fragte ich. »Wollen Sie mir Ihr neues Zuhause zeigen?« Es war jetzt deutlich zu erkennen, dass es irgendeine Art militärische Einrichtung war, aber lange verlassen. Rostige Wasserflecken und graue Buchstaben an den Wänden erinnerten mich an den Bunker, in dem die OmnI bei unserer letzten persönlichen Begegnung untergebracht gewesen war. Ich prägte mir alles genau ein – waren das kyrillische Schriftzeichen? –, als Costard mich wieder ansprach.

  »Versuch erst gar nicht, Rückschlüsse zu ziehen, wo wir sind«, sagte er, als hätte er nicht nur Zugang zu meinen Links, sondern auch zu meinen Gedanken. »Wir sind in ein paar Stunden wieder weg und die OmnI ist nicht hier. Wir haben allerdings ein paar andere Gäste, die du kennen könntest.«

  Er lief weiter, und meine Angst packte mich erneut, als er in einen weiteren Gang einbog und vor einer vergitterten Tür zum Stehen kam. In dem Raum dahinter war es düster. Ich sah brackiges Wasser auf dem Boden und zwei stämmige Männer links und rechts neben der Tür. Costard gab ihnen einen Wink und sie schlossen auf: Ich wappnete mich innerlich. Panik und Hoffnung vermischten sich zu einem schmerzhaften Mix.

  Costard trat näher.

  »Lucien!« Es war nicht leicht zu erkennen, aber er war es. Er stand neben zwei anderen, der Größe nach Dufort und Deverose, an der Wand, die Hände hinter dem Rücken, wahrscheinlich waren sie fixiert. Sein Gesicht konnte ich nicht sehen, es gab zu wenig Licht. Aber ich erkannte seine Statur. Und er stand aufrecht, also war noch nicht alles verloren. Ich konnte ihn retten, wenn ich nur ein bisschen Zeit bekam. Nur hast du die nicht, wenn Costard ihm jetzt etwas antut.

  »Er kann dich nicht hören«, sagte Costard kalt. »Und er kann auch nichts sagen, denn wir haben ihnen den Mund gestopft.« Ich konnte nicht sehen, was Costard tat, aber das Pad machte einen Schwenk und dann hörte ich wieder seine Stimme. »Fangt mit ihm an.«

  Starr vor Sorge sah ich zu, wie einer der Handlanger auf die drei Männer zuging. Nein, nicht auf alle drei, sondern auf Lucien. Etwas klirrte, offenbar Ketten, dann schlugen sie laut gegen die Wand, als sie abfielen. Costards Mann packte seinen Arm und zog ihn vor in Richtung Tür. Ich keuchte auf, als das Licht Luciens Züge traf.

  Es war, als hätte ich einen anderen Menschen vor mir. Lucien wirkte ausdruckslos und gebrochen, hatte eine Schramme an der Stirn und leere Augen. Die Typen stießen ihn in die Pfützen am Boden und fesselten seine Hände hinter dem Rücken. Dann holte der eine aus und schlug zu. Mitten in Luciens Gesicht.

  Ich war gelähmt vor Entsetzen, eine Sekunde, zwei. Dann funktionierte mein Gehirn wieder.

  »Nein!«, schrie ich. »Hey! Stopp! Hört sofort damit auf!«

  Immer und immer wieder brüllte, flehte und schrie ich, dass sie ihn in Ruhe lassen sollten, ohne Erfolg. Niemand gab etwas auf meine Befehle, außer Costard hörte mich ja nicht einmal jemand. Trotzdem schrie ich weiter, während ich hilflos dabei zusah, wie sie Lucien das Leben aus dem Leib prügelten – und Deverose und Dufort an der Wand gefesselt waren, Letzterer an seinen Ketten riss und durch den Knebel die übelsten Flüche ausstieß. Aber wir konnten alle nichts tun. Wir konnten nur zusehen, was man Lucien antat, der immer wieder zu Boden fiel und hochgerissen wurde, der vor Schmerzen aufstöhnte und schließlich Blut spuckte, bevor er bewusstlos zusammenbrach. Ich war starr vor Abscheu, Angst und Wut. Mein Körper gehorchte mir nicht mehr.

  »Das ist genug.« Costard winkte seine Handlanger von Lucien weg, der in einer der Pfützen lag, außer Reichweite von Dufort und Deverose. Ich rief wieder etwas, wollte ihnen sagen, dass ich sie rausholen würde, aber natürlich hörten sie mich auch jetzt nicht. Costard ging weg, das Schloss krachte metallisch, die Dunkelheit verschluckte die Gefangenen in der Zelle. Ich wollte mit der bloßen Kraft meiner Gedanken dortbleiben, aber ich hatte keine Wahl. Costard nahm mich mit, weg von Lucien, weg von der Hoffnung, ihm helfen zu können. Ich merkte erst jetzt, dass mir Tränen über die Wangen liefen.

  »Nun, Ophelia. Ich würde dich fragen, ob dir diese Vorstellung gefallen hat. Aber du bist wohl gerade nicht in der Lage, zu erkennen, wie gelungen sie war.«

  Ich ging in die Knie, drückte meine Hand auf den Magen und musste würgen, aber es kam nichts heraus. Diese Bilder konnte ich so nicht loswerden, auch wenn mein Körper es wollte. Rote Angst überflutete meine Gedanken. Und Hass.

  »Sie haben die intelligenteste Macht der gesamten Welt an Ihrer Seite und entscheiden sich für rohe Gewalt?«, stieß ich hervor. »Was ist daran bitte gelungen?!« Wie hatte ich diesen Mann früher bewundern und ihn für ein Genie halten können? Er war nichts weiter als ein Tyrann.

  »Oh, ich habe die OmnI um ihre Meinung gebeten, und du hast recht, sie hatte ein paar wirklich sehr ausgeklügelte Szenarien vorbereitet, um dich dazu zu bringen, mitzuspielen. Aber ihre Berechnungen haben schließlich ergeben, dass du am besten darauf anspringst, wenn wir jemandem wehtun. Erst wollten wir den Schwächsten in der Gruppe nehmen, diesen Deverose. Den Nicht-Schakal, den Nicht-Soldaten, jemanden, der keine Gewalt gewohnt ist. Nur wäre das nicht effektiv gewesen. Vergiss nicht, wir kennen dich genau, Ophelia. Wir wissen, was deine Schwachstelle ist.«

  Ich schwieg, stumm geworden angesichts so viel Grausamkeit. Kurz schoss mir durch den Kopf, dass es ein Fake sein könnte. Aber das half nicht – allein die Möglichkeit, dass es echt sein könnte, reichte aus.

  »Nun, ich schätze, die Botschaft ist angekommen. Wenn du versuchst, die OmnI mit einem drittklassigen Virus zu vernichten, dann revanchieren wir uns dafür.« Costard s
chnaubte. »Nicht zu fassen, dass du so dumm sein konntest. Glaubst du, ich kenne die Handschrift deiner Mutter nicht? Dass ich nicht weiß, wie sie arbeitet? Ich habe sie zu dem gemacht, was sie ist! Sie kann mich nicht überlisten und die OmnI schon gar nicht!«

  Damit bestätigte er, was ich schon befürchtet hatte: Wir waren gescheitert. Unser einziger Weg, die OmnI zu besiegen, war zur Sackgasse geworden, Costard hatte sie soeben endgültig zugemauert. Was konnte ich jetzt noch tun? Ich hatte meinen Trumpf aus der Hand gegeben. Einen zweiten gab es nicht.

  »Warum haben Sie ihn am Leben gelassen?«, fragte ich dünn. »Wieso hat sie ihn nicht töten lassen, genau wie Leopold?«

  Costards Gesicht nahm einen gierigen Ausdruck an. »Weil er nützlich ist.«

  »Nützlich?«, klammerte ich mich an alles, was ich finden konnte, um Lucien zu retten. »Er ist in Gefangenschaft nicht nützlich. Ohne Zugriff auf seine Ressourcen ist der König machtlos.«

  Mein Gegenüber ließ ein boshaftes Lachen hören. »Du denkst, wir haben ihn entführt, weil er etwas für uns tun soll? Himmel, Ophelia. Hat dir die Liebe denn wirklich jeden Funken Verstand aus dem Kopf gepustet?«

  Die Beleidigung prallte an mir ab. »Verraten Sie mir doch einfach Ihren grandiosen Plan«, sagte ich kalt und zog mich wieder auf die Bank zurück. »Dann sparen wir beide Zeit.«

  »Also gut.« Er setzte sich zurecht. »Wir wollten Lucien nicht in unserer Gewalt haben, weil er der König ist. Wir wollten ihn, weil du alles für ihn tust. Natürlich hätten wir auch dich schnappen und ihn damit erpressen können, aber die Familie de Marais ist zu unberechenbar. Wer weiß, ob er dich nicht geopfert hätte, um das Land zu retten.« Das war ziemlich unwahrscheinlich, aber ich hatte keinen Grund, Costard vom Gegenteil zu überzeugen. Also schwieg ich und er redete weiter. »Es ist ganz einfach. Wenn du nicht möchtest, dass ich zurück in diesen ungemütlichen Raum gehe und dafür sorge, dass dein Liebster sein schwaches Lebenslicht vollends aushaucht, dann musst du etwas für mich tun.«

  Die Stille, die seinen Worten nachfolgte, war kälter als die Luft hier draußen. Ich atmete ein.

  »Was?« Ich wollte es gar nicht fragen, ich wollte es nicht wissen. Aber die Angst um Lucien drängte die Frage heraus.

  »Nun, das ist einfach. In Luciens Abwesenheit bist du die höchste Macht in unserem Land. Als solche hast du volle Entscheidungsgewalt.«

  Das konnte er nur wissen, wenn er immer noch Augen und Ohren in Maraisville hatte. Und plötzlich verstand ich: Die OmnI hatte darauf spekuliert, dass ich an die Macht kam. Sie hatte genau das geplant, als sie Lucien entführte: mich in diese Position zu bringen.

  »Und?« Ich sagte es so neutral wie möglich.

  »Und? Du weißt doch, was wir wollen. Vollen Zugriff auf alle Ressourcen und die Kapitulation von Maraisville. Das ist keine schwere Entscheidung, Ophelia. Verkünde das Ende der Abkehr, gib die RTCs auf, und du kannst mit Lucien zusammen sein, bis ihr alt und grau seid. Zumindest, wenn er sich erholt.«

  »Ja, oder bis uns die OmnI umbringt, weil Menschen ihr nur im Weg sind.«

  »Jetzt redest du schon wie er«, sagte Costard abfällig. »Man sollte meinen, dass du weitsichtiger bist als Leopold de Marais.«

  Ich schnaubte. »Ich glaube nicht, dass es jemals einen Menschen geben wird, der weitsichtiger ist als Leopold de Marais. Sie sind es jedenfalls nicht, wenn Sie glauben, Sie könnten die OmnI im Zaum halten.«

  Was dachte er denn, was mit ihm selbst passieren würde, wenn sie erst einmal unbegrenzten Zugriff hatte – dass er dann immer noch etwas zu sagen haben würde? Wer war hier denn nun dumm?

  Costards Augen nahmen einen ungesunden Glanz an. »Aber liebe Ophelia, das ist doch längst geschehen. Was glaubst du, warum ich heute mit dir spreche und nicht sie?«

  Es war ein Bluff. Es musste einer sein. Die OmnI ließ sich nicht beherrschen, das war ja das Gefährliche an ihr. Wenn Costard tatsächlich einen Weg gefunden hatte, sie auf Dauer einzugrenzen, hätten wir dieses ganze Theater nicht spielen müssen.

  »Ach ja?«, fragte ich ungläubig. »Das glaube ich Ihnen nicht.«

  »Es ist mir völlig egal, ob du mir glaubst oder nicht. Alles, was du tun sollst, ist das Militär und die Schakale von den RTCs und den MerchPoints abzuziehen, deine Sachen zu packen und mit allen anderen die Stadt zu verlassen, damit wir dort übernehmen können. Ich denke allerdings, Luciens Räume sind mir zu klein. Ich werde wohl in die von Leopold einziehen.«

  »Vergessen Sie es«, zischte ich.

  »Okay. Dann vergiss du den Mann, den du liebst.«

  Mein Magen krampfte sich erneut zusammen. Ich musste irgendwie Zeit gewinnen. Wofür das gut sein sollte, wusste ich im Moment nicht. Aber ich brauchte Zeit.

  »Ich … ich kann so etwas nicht allein entscheiden«, sagte ich. »Schließlich bin ich nur so eine Art Übergangslösung.«

  »Natürlich«, antwortete Costard spöttisch. »Ich bin ein großzügiger Mensch, deswegen gebe ich dir sechs Stunden, um zumindest die Truppen von dem RTC in Paris abzuziehen und mir damit zu zeigen, dass du mein Angebot annimmst. Danach sprechen wir weiter. Wenn du allerdings irgendein krummes Ding drehst oder meiner Aufforderung nicht nachkommst, werden die beiden netten Herren von vorhin ihre Pause beenden und mit der Arbeit weitermachen. In dem Fall hoffe ich, du hast ein hübsches Foto von Lucien, damit du dich an ihn erinnern kannst.«

  Ohne Vorwarnung kappte er die Verbindung, verschwand von meinem Pad und aus meinem Ohr. Ich sank auf den Rasen, zitternd vor Kälte und Panik, ohne eine Ahnung, was ich jetzt tun sollte. Sechs Stunden waren nicht genug, um eine Strategie zu entwickeln – wenn Lucien überhaupt so viel Zeit blieb. Wir suchten seit zwei Tagen nach den dreien, wie sollte ich da auf die Schnelle einen Weg finden, sie zu befreien? Oder, noch wahnsinniger, die OmnI zu vernichten, jetzt wo der Morbus gescheitert war? Nein, ich brauchte mehr Zeit. Und die konnte ich nur gewinnen, indem ich Costard vorerst gab, was er verlangte.

  »Jeanne Travere«, sagte ich in die Stille hinein. Der Kanal ging auf.

  »Ophelia?«, meldete sich die Chefin des Militärs. Ich holte tief Luft.

  »Sie müssen etwas für mich tun.«

  »Natürlich. Worum geht es?«

  »Bereiten Sie Ihre Truppen darauf vor, sich vom RTC in Paris zurückzuziehen.«

  33

  Travere widersprach nicht. Sie gab nicht zu bedenken, was für ein Wahnsinn es wäre, das RTC in Paris der OmnI und Costard zu überlassen. Sie fragte nur, ob ich mir völlig sicher sei, was das betraf. Ich bejahte und bat um ihre Anwesenheit im Lagezentrum, dann war das Gespräch auch schon beendet. Ich wunderte mich ein wenig, aber ihre Reaktion war mir lieber als Diskussionen.

  Gerne hätte ich weiter hier gesessen, die Augen geschlossen und gewartet, dass dieses schreckliche Kapitel in meinem Leben vorbeiging und sich alles nur als Albtraum herausstellen würde. Aber den Gefallen tat mir die Realität nicht. Da drin wartete eine Besprechung, die alle Krisenmeetings der letzten Wochen wie einen Kindergeburtstag aussehen ließ. Außerdem war mir kalt. Und Lucien brauchte meine Hilfe dringender denn je.

  Ich rappelte mich auf, wischte mir Grashalme und feuchte Erde von der Hose und ging zur Tür, hielt meinen WrInk an den Scanner. Nichts tat sich. Wo normalerweise ein leises, elektronisches Surren erklang, herrschte Stille. Ich zog am Griff – ein sinnloses Unterfangen –, dann versuchte ich, Eneas zu erreichen, aber er antwortete nicht. Auch mein Vater, meine Mutter oder Travere waren nicht mehr erreichbar. Meine Links und der WrInk schienen offline zu sein. Was war das jetzt wieder für ein Spiel?

  Sofort kam mir Saric in den Sinn. Sie und die Garde waren immer noch die Wächter über die Festung. Hatte sie das eingefädelt, um mir heimzuzahlen, dass ich sie des Verrats beschuldigt hatte?

  Ich sah mich um, ob es einen anderen Weg raus gab, aber wenn ich mich nicht zwei Stockwerke hinauf zum Refugium hangeln wollte oder drei Etagen in die Tiefe klettern, saß ich fest. Wieder probierte ich es über die EarLinks. Wieder keine Verbindung. Verärgert zog ich die Brauen zusammen. Ich hatte
keine Zeit für einen solchen Mist.

  Gerade dachte ich darüber nach, es mit der Klettertour zu versuchen, als hinter mir ein Geräusch ertönte: Die Tür ging auf.

  Erleichtert drehte ich mich um.

  »Gott sei Dank, ich dachte schon, ich müsste –« Der Rest blieb mir im Hals stecken. Vor mir standen zwei Männer, komplett in Schwarz und maskiert. Sie sagten kein Wort, sondern ließen nur die Tür zufallen und kamen auf mich zu.

  »Was wollt ihr?«, fragte ich barsch, aber man hörte meine Angst. Ich bekam keine Antwort und sie rückten weiter in meine Richtung vor, als wäre ich ein Tier, das sie fangen wollten. Das war kein Rettungstrupp für eine ausgesperrte Interims-Regentin. Das war ein Killerkommando. Ging Saric etwa so weit, um mich loszuwerden?

  »Ich befehle euch, mich in Ruhe zu lassen!« Ich wich nach hinten Richtung Balustrade zurück.

  »Wir nehmen von Ihnen keine Befehle entgegen.« Der eine zog sich die Maske vom Gesicht und ich erkannte ihn. Aber er war nicht von der Garde. Es war ein Soldat. Und das bedeutete, ich verdankte diesen Besuch nicht Saric. Sondern der Frau, die vermutlich Nummer 5 in der Rangfolge war.

  »Sollt ihr mir wenigstens etwas von Travere ausrichten, bevor ihr mich tötet?«, fragte ich bitter. Kein Wunder, dass die Militärchefin meine Entscheidung während unseres Gesprächs nicht infrage gestellt hatte. Es war nie der Plan gewesen, ihr Folge zu leisten. Ich hätte hoffen können, dass sie mich nur einsperren wollte, aber ich kannte diese Welt mittlerweile ganz gut. Mich zu inhaftieren wäre ein Risiko, solange jemand mit Einfluss mich befreien könnte, wie Echo oder meine Mutter. Wenn man mich umbrachte, war man jedes Risiko los.

  »Travere kann nicht zulassen, dass Sie dieses Land der OmnI und Exon Costard überlassen. Die dummen Entscheidungen eines kleinen Mädchens dürfen nicht alles gefährden, was wir aufgebaut haben.«

  »Weiß sie auch, dass sie damit das Leben des Königs riskiert?« Vielleicht war das meine Chance. Ich hatte Travere nicht gesagt, was auf dem Spiel stand. Oder dass Lucien lebte und in Costards Gewalt war.

 

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