Die Sterne werden fallen

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Die Sterne werden fallen Page 39

by Kiefer, Lena


  Weil er das RTC nie wollte.

  Der Gedanke war so klar wie reines Eis, so hell wie ein Blitz in pechschwarzer Nacht. Ich hatte ihn nicht gesehen, nicht erkannt, ich war zu konzentriert auf die Rettungsmission gewesen. Aber jetzt trieb er einen kalten Keil in meinen Magen. Ich schnappte nach Luft und presste schnell die Hand auf den Mund, um Lucien nicht zu wecken. Dann sprang ich aus dem Bett, zog mir eilig etwas an, lief so leise wie möglich aus dem Raum und zum Terminal im Wohnzimmer.

  Mit flatternden Fingern rief ich die Karte auf, die unten im Lagezentrum permanent angezeigt wurde – mit den Bewegungen unserer Truppen und denen von Costards ReVerse-Leuten. Auf den ersten Blick war daran nichts Beunruhigendes, denn die Karte sah so gut aus wie nie: Die Teams von ReVerse waren nahezu verschwunden. Nur einige kleine, schwache rote Flecken zeigten an, wo sie früher gewesen waren.

  »Aber sie sind noch da«, murmelte ich, während ich die Umkreisparameter für Maraisville checkte, die turnusmäßig jede Veränderung im Fünfzig-Kilometer-Radius anzeigten. Normalerweise war dort nur wenig zu sehen – verirrte Spaziergänger, Wandergruppen oder mal ein Rudel Rehe oder Wölfe. Aber während ich mich durch die Einträge scrollte, endete die Liste plötzlich. Sie hörte einfach auf. Ich starrte auf die letzte Zeile, eine Meldung über drei Personen, die am nördlichen Rand des Bereichs gesichtet wurden. Das war vor zwei Stunden gewesen. Danach hatte es keinen Eintrag mehr gegeben, was noch nie vorgekommen war – zwei Stunden lang nichts und niemand in der Sicherheitszone. Da war etwas faul.

  Costards Stimme meldete sich in meinem Gedächtnis.

  Ich denke allerdings, Luciens Räume sind mir zu klein. Ich werde wohl in die von Leopold einziehen.

  Die Kälte, die mich befallen hatte, ließ mich plötzlich zittern, und ich rieb mir die Arme, als ließe sie sich so vertreiben. Am liebsten hätte ich mir die NanoLinks aus dem Kopf gekratzt, um mich vor der Erkenntnis zu schützen, die wie ein Messer in meine Eingeweide drang. Aber es war unmöglich.

  Sie wollen Maraisville.

  Das hatte Phoenix sagen wollen, bevor er gestorben war – dass die OmnI kurz davor war, in Maraisville einzudringen. Sie stand vor dem Tor, nicht physisch, aber in all ihrer virtuellen Gewalt. Während wir Leopold und Lucien gerettet hatten und ich das Militär zur Bewachung der RTCs losgeschickt hatte, war ReVerse klammheimlich angerückt, um diesen einen Schlag zu wagen, der über Sieg und Niederlage entscheiden würde. Costard war es leid zu warten, also würde er alles auffahren, was ihm zur Verfügung stand, um sich die Stadt einzuverleiben und ihre Bewohner zu töten. Denn dass er uns töten würde, daran hatte ich keinen Zweifel. Die Menschen der Stadt mit all ihrem Wissen waren eine Gefahr für ihn, sie einfach nur zu vertreiben oder zu clearen würde er nicht riskieren. Und deswegen waren wir dem Untergang geweiht. Wie der Rest der Menschheit, wenn die OmnI Zugriff auf Maraisvilles Systeme bekam.

  Ich löste meinen Blick von dem Screen, dachte fieberhaft nach. Was sollte ich tun? Was nützte mir dieses verdammte verbesserte Gehirn, wenn es am Ende doch gegen die OmnI keine Chance hatte? Denn obwohl ich jetzt wieder die volle Kapazität meiner Intelligenz nutzen konnte, war ich ihr nicht ebenbürtig.

  Plötzlich erstarrte ich.

  Aber es gibt eine andere Möglichkeit.

  Phoenix hatte recht gehabt: Wir hatten keine zweite OmnI, um gegen sie anzutreten. Aber wir hatten etwas, das dem sehr nahekam.

  Mich.

  Die OmnI hatte mich auserkoren. Sie war mit mir aufgewachsen, sie hielt mich für den einzigen Menschen, der ihr das Wasser reichen konnte. Jetzt war sie zwar wütend auf mich, weil ich sie verraten hatte. Aber selbst wenn sie mich nicht mehr an ihrer Seite wollte, würde sie nicht widerstehen können, sich das zu holen, was in meinem Kopf war: meine Gedanken, meine Gefühle, meine Erinnerungen an unsere gemeinsame Zeit. Die ich selbst nicht mehr hatte, aber ich konnte ja so tun, als hätte ich sie zurück.

  Meine Eltern hatten davon gesprochen, eine ebenbürtige KI zu simulieren, um die OmnI in Angriffsmodus zu versetzen – und ihr so den Morbus unterzuschieben, der sie vernichten würde. Aber dafür würden sie zu lange brauchen, wenn sie es überhaupt schafften. Also blieb nur ich. Ich würde der OmnI als Köder dienen. Dazu musste ich mich nur mit ihr verbinden und sie mit etwas infizieren, gegen das sie sich nicht wehren konnte. Und was soll das bitte sein?, fragte eine Stimme in meinem Kopf. Du bist ein Mensch und sie ist ein technisches Wesen.

  Ich brauchte nur ein paar Sekunden, um die Antwort zu erkennen, denn ich erinnerte mich daran, wie meine Mutter den Morbus geplant hatte: Es musste ein Gedanke, ein Problem sein. Ein so komplexes Problem, dass der Versuch einer Lösung die neuronale Struktur zerstörte, die wir teilten – wie eine Gehirnwäsche. Wenn ich sie auf dieser Ebene angriff, dann war es egal, dass ich ein organisches Wesen war und sie ein technisches, weil wir eben doch genug Gemeinsamkeiten hatten. Mit diesem Kniff würde ich ihr Ende besiegeln. Es war ein sicheres Ding, die Lösung für alle Probleme. Ein Todesurteil.

  Aber nicht nur für sie. Ist dir das klar?

  Ich sank auf den Stuhl vor dem Schreibtisch, als sie mir tatsächlich bewusst wurde: die Gewissheit, dass diese Begegnung auch meinen Tod bedeutete. Wenn ich die OmnI mit einer Gedankenabfolge infizieren wollte, musste sich mein neuronales Netz nicht nur mit ihrem verbinden, sondern ich musste diese Gedanken an das unlösbare Problem bei mir selbst aktivieren. Und dann würde ich wie sie in eine tödliche Endlosschleife geraten und mein Gehirn auf jeden Fall überlasten. Auch wenn ich mittlerweile wusste, wie widerstandsfähig ich sein konnte – das würde ich nicht überleben. Ohne NanoLinks in meinem Gehirn hätte ich vielleicht darauf gehofft. Aber so wusste ich, es war unmöglich.

  Für einige Augenblicke saß ich einfach nur da, barfuß im Dunkeln, mein Herz schlug gegen meine Rippen und der Puls dröhnte in meinen Ohren.

  Ich werde es trotzdem tun. Es war die einzige Möglichkeit. Eine andere fiel mir nicht ein. Ich musste die OmnI zerstören. Das war ich der Welt schuldig.

  Allerdings würde ich vorher noch die Stadt schützen und ihr genug Zeit verschaffen, damit sie nicht überrannt wurde. Denn wenn seit zwei Stunden keine Einträge mehr im Umkreislog aufgetaucht waren, bedeutete das, sie waren bereits auf dem Weg hierher, um der OmnI Zugang zu verschaffen. Dass Maraisvilles Schutzmechanismen das auf Dauer verhindern könnten, glaubte ich nicht mehr. Also würde ich es anders versuchen.

  Ich musste dafür Edens Sicherungsprotokolle übergehen und auch so ziemlich jedes andere, aber man hatte mir meine Berechtigungen noch nicht entzogen und deswegen war es leicht. Als ich die Programmierung abgeschlossen hatte, ließ ich die Hände sinken und atmete aus. In diesem Moment der Stille wurde mir klar, dass ich mich entschieden hatte. Ich würde mich opfern und damit einigen Menschen Leid antun, aber dafür so viele mehr retten. Nachdem alles mit mir begonnen hatte, würde es auch mit mir enden.

  Dazu musste ich sie nur noch finden. Es war pure Ironie, dass alles, was uns monatelang nicht gelungen war, nun so einfach war wie zwei und zwei zusammenzuzählen. Nicht nur, weil ich jetzt so gut kalkulieren konnte, sondern auch weil sich Costards Pläne geändert hatten und er seine Vorsicht fallen lassen musste. Er würde zwar nicht versuchen, den Kern der OmnI nach Maraisville zu transportieren, das wäre zu gefährlich, sollten wir seine Truppen bombardieren. Aber es reichte, wenn die OmnI eine stabile Schnittstelle in der Nähe von Maraisville bekam, einen Zugangspunkt, an dem sie sich für ihren Zugriff auf die Stadt bereithalten konnte.

  Wieder rief ich eine Karte der Gebiete westlich von Maraisville auf, die am wenigsten bewaldet und am meisten besiedelt waren. Ein RTC gab es hier nicht, auch keine Versorgungszentren. Aber es musste etwas geben, ein Gebäude mit der richtigen Beschaffenheit und den Möglichkeiten einer Anbindung …

  »Ha!«, machte ich halblaut. Es war ein altes Wasserwerk an einem See, etwa achtzig Kilometer entfernt, längst stillgelegt, aber als Schnittstelle für die Nachrichtenübermittlung in die südlichen Gebiete immer noch aktiv. Damit war es perfekt für die OmnI: nur vier Eingänge, die richtige Infrastruktu
r für den Zugriff auf Maraisville, dazu massiver Beton – und sie hatte eine Schwäche für alte Industriegebäude. Das musste es sein.

  Ich prägte mir die Karte einen Moment ein, dann ging ich zu dem anderen Terminal, auf dem ich den Algorithmus für Luciens Aufenthaltsort programmiert hatte, und machte mich an das Design meines persönlichen Morbus. Es war eine Reihe unlösbarer Probleme, eine Mischung, die genau unsere Art zu denken angreifen würde. Mit einem neuronalen Interface würde ich diese in mein Gehirn übertragen und schließlich aktivieren, wenn ich vor der OmnI stand. Nicht vorher, sonst würde ich sterben, bevor sie vernichtet war.

  Ich brauchte nicht lange und lud die Daten auf einen kleinen Speicherwürfel. Dann schaltete ich das Terminal ab und steckte den Würfel ein. Prüfend warf ich einen Blick durch die Fenster auf die Stadt, doch noch war alles friedlich. Lautlos schlich ich mich ins Ankleidezimmer, streifte Einsatzkleidung über und band mir einen Zopf. Dann faltete ich meine grüne Jacke ordentlich zusammen, legte sie in eines der Fächer und ging zurück ins Schlafzimmer. Luciens Atmen war leise zu hören.

  Für ein paar Sekunden erlaubte ich mir den Luxus, auf der Bettkante zu sitzen und ihn zu beobachten. Er schlief, sein Körper hob und senkte sich in regelmäßigen Abständen, sein Gesicht war so entspannt, wie man es sonst nie sah. Mein Hals schnürte sich zu, als ich ihm eine Locke aus der Stirn schob und er sich im Schlaf bewegte. Sollte ich ihn wecken? Ihm sagen, was ich vorhatte? Oder ihn schlafen lassen und es jemand anderem auferlegen, ihm später zu berichten, was mit mir passiert war?

  Ich rang mit mir, kämpfte mit den Tränen und meiner Liebe zu diesem verrückten Kerl, der mein Leben auf jede nur erdenkliche Weise besser gemacht hatte. Aber schließlich drückte ich ihm nur einen hauchzarten Kuss auf die Stirn und ließ mich von dem Schmerz quälen, den sein leises Murmeln in mir auslöste. Dann stand ich auf. Ich war zu feige, es ihm zu sagen – zu feige, ihm ins Gesicht zu sehen, wenn ihm klarwurde, dass er mich verlieren würde. Mit drei eiligen Schritten flüchtete ich also aus dem Zimmer und zog die Tür leise ins Schloss. Tränen liefen mir über die Wangen, aber ich gab keinen Laut von mir. Stattdessen straffte ich die Schultern und machte den ersten Schritt, dann noch einen, bis ich draußen auf dem Flur war. Erst dort atmete ich aus und ein stummer Schluchzer schüttelte mich. Aber ich durfte jetzt nicht trauern oder leiden. Ich hatte eine Mission. Die wichtigste Mission meines Lebens.

  Es dauerte einige Augenblicke, bis ich mich gefasst hatte. Dann wandte ich mich nach rechts. Ich war vielleicht zu feige, Lucien zu sagen, was passieren würde, aber deswegen musste ich trotzdem mit jemandem darüber reden: jemandem, der genau verstand, was es bedeutete, eine so folgenschwere Entscheidung zu treffen.

  Erst wollte ich zum Refugium gehen, aber dann erinnerte ich mich an Luciens Worte, dass Leopold in nächster Zeit sicherlich genug von düsteren Räumen haben würde. Bei dem Gedanken an Lucien drückten erneut Tränen gegen meine Kehle. Ich tat mein Bestes, sie herunterzuschlucken.

  Statt zum gläsernen Steg zu gehen, lief ich also den Flur des Juwels entlang und klopfte schließlich an die Tür zu Leopolds Privaträumen. Warum ich davon ausging, dass er nachts um ein Uhr noch wach sein würde, wusste ich nicht. Aber es überraschte mich nicht, als jemand »herein« rief. Eilig schloss ich die Tür hinter mir und durchquerte das Entree.

  »Ophelia.« Leopold saß auf einem Sessel, ein Pad in der Hand, und lächelte, als er mich sah. Seine Sachen sahen etwas zu groß für ihn aus, aber davon abgesehen, wirkte er ziemlich fit. »Ist es heute ein guter Abend?«

  Ich musste widerwillig grinsen. »Ich fürchte, nein.«

  »Oh je. Ich habe schon geahnt, dass du mich nun doch umbringen wirst, weil dir das Regieren so einen Spaß gemacht hat.« Nur er schaffte es, nach einer monatelangen Gefangenschaft und meinem Attentatsversuch solche Scherze zu reißen.

  »Ich war versucht«, sagte ich. »Aber dann müsste ich auch Lucien beseitigen. Und so ein Spaß war es dann irgendwie doch nicht.«

  Er lachte. »Ja, wem sagst du das.«

  »Wie geht es dir?« Ich sah ihn aufmerksam an. Eigentlich hatte ich keine Zeit dafür, aber es war das letzte Mal, dass ich mit ihm sprach. Ich wollte sichergehen, dass er in Ordnung war.

  Leopold sah auf seine Hände. »Es wird wohl eine Weile dauern, bis ich diese Monate vergessen kann. Aber ich bin am Leben und das nur deinetwegen. Habe ich mich dafür schon bedankt?«

  »Nicht nötig«, sagte ich. »Das war ich dir mehr als schuldig.«

  »Nein, das warst du nicht.« Er sah zu mir hoch. »Besuchst du mich aus einem bestimmten Grund oder bist du nur zufällig hier vorbeigekommen?«

  »Nein, nicht zufällig«, sagte ich und legte meine Hände auf die Rückenlehne des anderen Sessels. »Ich wollte erst ins Refugium, aber dann dachte ich, du bist vermutlich eher hier.«

  »Ja, ich glaube, das Refugium muss zukünftig ohne mich auskommen. Außerdem kam mir vorhin jemand entgegen.« Sein Blick ging von mir zum Sofa, und erst da bemerkte ich, dass er nicht allein war. Dort in den Kissen, unter einer Wolldecke, lag Lynx und schlief. »Ich konnte ihn gerade noch davon abhalten, bei euch hereinzuplatzen, um euer Sofa zu belagern.«

  Ich wurde rot, als ich daran dachte, was der Kleine dort vorgefunden hätte. »Danke«, räusperte ich mich. »Das bringt dir sicher ein paar Punkte auf der Dad-Skala ein.«

  »Hoffen wir es. Schließlich habe ich da eine ganze Menge aufzuholen.« Leopolds liebevolles Lächeln in Richtung seines Sohnes wandelte sich in einen fragenden Ausdruck, als er zum ersten Mal zu bemerken schien, wie ich angezogen war. Dann musterte er mein Gesicht sehr eingehend, als wolle er es lesen. »Du bist nicht hier, um einen kleinen Plausch zu halten, richtig?«

  »Nein.« Ich schüttelte den Kopf. »Ich bin hier, um mich zu verabschieden.«

  »Verabschieden? Aber waru–«

  In diesem Moment ging das Licht aus. Nicht nur im Raum, auch draußen vor den Fenstern in der Stadt. Es dauerte eine Sekunde, dann sprang die viel schwächere Notbeleuchtung im Zimmer an. Leopold stand auf.

  »Was hat das zu bedeuten?«, fragte er, als wisse er genau, dass ich ihm darauf eine Antwort geben konnte.

  »Es bedeutet, sie ist hier.«

  »Sie? Die OmnI?« Schockiert sah er mich an.

  Ich nickte. »Ich habe vor zehn Minuten einen Abschaltmodus programmiert, der greift, sobald sie einen der Zugangspunkte zur Stadt nutzen will. Das Militär und seine Waffensysteme sind noch aktiv, allerdings nur lokal bedienbar. Genau wie die Kommunikationskanäle innerhalb der Festung. Alles andere ist abgeschaltet, damit sie es erst gar nicht infiltrieren kann. Das verschafft euch genug Zeit, Maraisville zu verteidigen, bis ich sie erledigt habe.«

  »Erledigt? Was soll das heißen? Willst du allein gegen sie antreten?« Er musterte mich. »Das willst du. Und du wirst nicht zurückkommen.« Es war beeindruckend, wie schnell er ganz ohne verbessertes Gehirn aus meiner Mimik herauslesen konnte, dass es eine Mission ohne Wiederkehr sein würde. »Nein, kommt nicht infrage. Es gibt andere Optionen –«

  »Nein«, schnitt ich ihm das Wort ab. »Es gibt keine andere Option. Das ist die einzige saubere Lösung mit minimalen Opfern. Du bist ein unglaublich guter Anführer, Leopold, deswegen weißt du, wie recht ich habe. Ich muss das machen. Damit diese Welt wieder eine Chance hat.« Ich lächelte, als ich auf die Worte anspielte, die er mir entgegengehalten hatte, als ich bereit gewesen war, ihn zu töten.

  »Ich könnte wenigstens ein Team mitschicken. Einige Schakale, die dir den Rücken freihalten.«

  »Um die OmnI zu warnen und zu riskieren, dass sie sich meinem Zugriff entzieht? Nein. Du wirst hier jeden Schakal brauchen, wenn das vorbei ist. Und ich will kein Leben außer meinem eigenen riskieren.«

  Er schüttelte den Kopf, als versuche er zu begreifen, was ich ihm gerade gesagt hatte.

  »Weiß es Luc?«, fragte er dann leise.

  »Nein. Sonst wäre ich doch kaum hier, oder?« Eine Träne hatte es doch nach draußen geschafft und ich wischte sie weg. »Du weißt, wie er ist. Er würde es nicht zu
lassen.«

  Leopold nickte zutiefst traurig. Er wusste genau, was ich meinte. »Soll ich … soll ich ihm etwas sagen? Etwas ausrichten, irgendeine Nachricht …«

  Ich schluckte. »Sag ihm, dass … dass ich nicht unbedingt die einsame Insel gebraucht hätte. Sein Haus an der Küste wäre mir genug gewesen.« Ich wollte nicht weinen, aber jetzt brach es doch aus mir heraus. Leopold kam herüber und nahm mich in die Arme, aber sein Trost machte es nur noch schlimmer, deswegen entzog ich mich ihm.

  »Mach’s gut, Leopold. Erkläre es bitte den anderen, meiner Familie, vor allem meinem Bruder, und auch Jye …« Ich hörte mit der Aufzählung auf, bevor die Tränen wieder zu fließen begannen. Stattdessen legte ich die Hand auf mein Herz. »Lang lebe der König. Und alle, die ihm folgen.« Mein letzter Blick galt Lynx, dann drehte ich mich um und rannte förmlich hinaus. Trotzdem bekam ich mit, wie Leopold an sein Terminal eilte, um das Militär zu informieren. Jetzt zählte jede Minute.

  Im Laufschritt durchquerte ich die schwach erhellten Flure und nahm eine der Treppen hinunter in die Festung, weil die Aufzüge ohne Eden nicht funktionierten. Es würde nicht lange dauern, bis jeder in Maraisville auf den Beinen war, und bis dahin musste ich weg sein. Ich brauchte nicht viel, nur eine Waffe und ein paar Ersatzmagazine, dazu musste ich nicht ins Depot, sondern konnte sie mir in Duforts Büro holen.

  Wenn ich dann auf dem Weg noch ein neuronales Interface mitgehen ließ, damit ich meinen persönlichen Morbus hochladen und mich mit der OmnI verbinden konnte, war ich gerüstet.

  Die bläuliche Notbeleuchtung tauchte die Gänge der Festung in sehr spärliches Licht. Duforts Büro fand ich aber auch blind – was nötig war, weil meine Sicht immer wieder von Tränen verschleiert wurde. Irgendwann gab ich es auf, sie wegzuwischen, und in dem Moment tauchte die richtige Tür vor mir auf. Ich öffnete sie mit meinem WrInk, ging zielstrebig zu dem Schrank, in dem der Schakalchef seine Ersatzwaffen aufbewahrte. Eine steckte ich in den hinteren Hosenbund, die zweite in das Holster an meinem Gürtel. Dann nahm ich eine der Taschenlampen und leuchtete mit ihr die Regalböden ab, bis ich die Magazine fand. So, dann nur noch ein Interface. Bestimmt finde ich eines in den Ausrüstungslagern in der Nähe.

 

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