Ahead of All Parting

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Ahead of All Parting Page 6

by Rainer Maria Rilke


  ich muß begreifen, und wenn ich dran stürbe.

  Begreifen, daß du hier bist. Ich begreife.

  Ganz wie ein Blinder rings ein Ding begreift,

  fühl ich dein Los und weiß ihm keinen Namen.

  Laß uns zusammen klagen, daß dich einer

  aus deinem Spiegel nahm. Kannst du noch weinen?

  Du kannst nicht. Deiner Tränen Kraft und Andrang

  hast du verwandelt in dein reifes Anschaun

  und warst dabei, jeglichen Saft in dir

  so umzusetzen in ein starkes Dasein,

  das steigt und kreist, im Gleichgewicht und blindlings.

  Da riß ein Zufall dich, dein letzter Zufall

  riß dich zurück aus deinem fernsten Fortschritt

  in eine Welt zurück, wo Säfte wollen.

  Riß dich nicht ganz; riß nur ein Stück zuerst,

  doch als um dieses Stück von Tag zu Tag

  die Wirklichkeit so zunahm, daß es schwer ward,

  da brauchtest du dich ganz: da gingst du hin

  und brachst in Brocken dich aus dem Gesetz

  mühsam heraus, weil du dich brauchtest. Da

  trugst du dich ab und grubst aus deines Herzens

  nachtwarmem Erdreich die noch grünen Samen,

  daraus dein Tod aufkeimen sollte: deiner,

  dein eigner Tod zu deinem eignen Leben.

  Und aßest sie, die Körner deines Todes,

  wie alle andern, aßest seine Körner,

  und hattest Nachgeschmack in dir von Süße,

  die du nicht meintest, hattest süße Lippen,

  du: die schon innen in den Sinnen süß war.

  O laß uns klagen. Weißt du, wie dein Blut

  aus einem Kreisen ohnegleichen zögernd

  und ungern wiederkam, da du es abriefst?

  Wie es verwirrt des Leibes kleinen Kreislauf

  noch einmal aufnahm; wie es voller Mißtraun

  und Staunen eintrat in den Mutterkuchen

  und von dem weiten Rückweg plötzlich müd war.

  *

  Don’t be frightened if I understand it now;

  it’s rising in me, ah, I’m trying to grasp it,

  must grasp it, even if I die of it. Must grasp

  that you are here. As a blind man grasps an object,

  I feel your fate, although I cannot name it.

  Let us lament together that someone pulled you

  out of your mirror’s depths. Can you still cry?

  No: I see you can’t. You turned your tears’

  strength and pressure into your ripe gaze,

  and were transforming every fluid inside you

  into a strong reality, which would rise

  and circulate, in equilibrium, blindly.

  Then, for the last time, chance came in and tore you

  back, from the last step forward on your path,

  into a world where bodies have their will.

  Not all at once: tore just a shred at first;

  but when, around this shred, day after day,

  the objective world expanded, swelled, grew heavy—

  you needed your whole self; and so you went

  and broke yourself, out of its grip, in pieces,

  painfully, because your need was great.

  Then from the night-warm soilbed of your heart

  you dug the seeds, still green, from which your death

  would sprout: your own, your perfect death, the one

  that was your whole life’s perfect consummation.

  And swallowed down the kernels of your death,

  like all the other ones, swallowed them, and were

  startled to find an aftertaste of sweetness

  you hadn’t planned on, a sweetness on your lips, you

  who inside your senses were so sweet already.

  Ah let us lament. Do you know how hesitantly,

  how reluctantly your blood, when you called it back,

  returned from its incomparable circuit?

  How confused it was to take up once again

  the body’s narrow circulation; how,

  full of mistrust and astonishment, it came

  flowing into the placenta and suddenly

  was exhausted by the long journey home.

  *

  Du triebst es an, du stießest es nach vorn,

  du zerrtest es zur Feuerstelle, wie

  man eine Herde Tiere zerrt zum Opfer;

  und wolltest noch, es sollte dabei froh sein.

  Und du erzwangst es schließlich: es war froh

  und lief herbei und gab sich hin. Dir schien,

  weil du gewohnt warst an die andern Maße,

  es wäre nur für eine Weile; aber

  nun warst du in der Zeit, und Zeit ist lang.

  Und Zeit geht hin, und Zeit nimmt zu, and Zeit

  ist wie ein Rückfall einer langen Krankheit.

  Wie war dein Leben kurz, wenn du’s vergleichst

  mit jenen Stunden, da du saßest und

  die vielen Kräfte deiner vielen Zukunft

  schweigend herabbogst zu dem neuen Kindkeim,

  der wieder Schicksal war. O wehe Arbeit.

  O Arbeit über alle Kraft. Du tatest

  sie Tag für Tag, du schlepptest dich zu ihr

  und zogst den schönen Einschlag aus dem Webstuhl

  und brauchtest alle deine Fäden anders.

  Und endlich hattest du noch Mut zum Fest.

  Denn da’s getan war, wolltest du belohnt sein,

  wie Kinder, wenn sie bittersüßen Tee

  getrunken haben, der vielleicht gesund macht.

  So lohntest du dich: denn von jedem andern

  warst du zu weit, auch jetzt noch; keiner hätte

  ausdenken können, welcher Lohn dir wohltut.

  Du wußtest es. Du saßest auf im Kindbett,

  und vor dir stand ein Spiegel, der dir alles

  ganz wiedergab. Nun war das alles Du

  und ganz davor, und drinnen war nur Täuschung,

  die schöne Täuschung jeder Frau, die gern

  Schmuck umnimmt und das Haar kämmt und verändert.

  So starbst du, wie die Frauen früher starben,

  altmodisch starbst du in dem warmen Hause

  den Tod der Wöchnerinnen, welche wieder

  sich schließen wollen und es nicht mehr können,

  weil jenes Dunkel, das sie mitgebaren,

  noch einmal wiederkommt und drängt und eintritt.

  *

  You drove it on, you pushed it forward, you dragged it

  up to the hearth, as one would drag a terrified

  animal to the sacrificial altar;

  and wanted it, after all that, to be happy.

  Finally, you forced it: it was happy,

  it ran up and surrendered. And you thought,

  because you had grown used to other measures,

  that this would be for just a little while.

  But now you were in time, and time is long.

  And time goes on, and time grows large, and time

  is like a relapse after a long illness.

  How short your life seems, if you now compare it

  with those empty hours you passed in silence, bending

  the abundant strengths of your abundant future

  out of their course, into the new child-seed

  that once again was fate. A painful task:

  a task beyond all strength. But you performed it

  day after day, you dragged yourself in front of it;

  you pulled the lovely weft out of the loom

  and wove your threads into a different pattern.

  And still had courage enough for celebration.

  When it was done, you wished to be rewarded,

  like children when they have swallowed down the draught

  of bittersweet tea that perhaps will make them well.

  So you chose your own reward, being still so far

  removed from people, even then, that no one

 
could have imagined what reward would please you.

  But you yourself knew. You sat up in your childbed

  and in front of you was a mirror, which gave back

  everything. And this everything was you,

  and right in front; inside was mere deception,

  the sweet deception of every woman who smiles

  as she puts her jewelry on and combs her hair.

  And so you died as women used to die,

  at home, in your own warm bedroom, the old-fashioned

  death of women in labor, who try to close

  themselves again but can’t, because that ancient

  darkness which they have also given birth to

  returns for them, thrusts its way in, and enters.

  *

  Ob man nicht dennoch hätte Klagefrauen

  auftreiben müssen? Weiber, welche weinen

  für Geld, und die man so bezahlen kann,

  daß sie die Nacht durch heulen, wenn es still wird.

  Gebräuche her! wir haben nicht genug

  Gebräuche. Alles geht und wird verredet.

  So mußt du kommen, tot, und hier mit mir

  Klagen nachholen. Hörst du, daß ich klage?

  Ich möchte meine Stimme wie ein Tuch

  hinwerfen über deines Todes Scherben

  und zerrn an ihr, bis sie in Fetzen geht,

  und alles, was ich sage, müßte so

  zerlumpt in dieser Stimme gehn und frieren;

  blieb es beim Klagen. Doch jetzt klag ich an:

  den Einen nicht, der dich aus dir zurückzog,

  (ich find ihn nicht heraus, er ist wie alle)

  doch alle klag ich in ihm an: den Mann.

  Wenn irgendwo ein Kindgewesensein

  tief in mir aufsteigt, das ich noch nicht kenne,

  vielleicht das reinste Kindsein meiner Kindheit:

  ich wills nicht wissen. Einen Engel will

  ich daraus bilden ohne hinzusehn

  und will ihn werfen in die erste Reihe

  schreiender Engel, welche Gott erinnern.

  Denn dieses Leiden dauert schon zu lang,

  und keiner kanns; es ist zu schwer für uns,

  das wirre Leiden von der falschen Liebe,

  die, bauend auf Verjährung wie Gewohnheit,

  ein Recht sich nennt und wuchert aus dem Unrecht.

  Wo ist ein Mann, der Recht hat auf Besitz?

  Wer kann besitzen, was sich selbst nicht hält,

  was sich von Zeit zu Zeit nur selig auffangt

  und wieder hinwirft wie ein Kind den Ball.

  Sowenig wie der Feldherr eine Nike

  festhalten kann am Vorderbug des Schiffes,

  wenn das geheime Leichtsein ihrer Gottheit

  sie plötzlich weghebt in den hellen Meerwind:

  so wenig kann einer von uns die Frau

  *

  Once, ritual lament would have been chanted;

  women would have been paid to beat their breasts

  and howl for you all night, when all is silent.

  Where can we find such customs now? So many

  have long since disappeared or been disowned.

  That’s what you had to come for: to retrieve

  the lament that we omitted. Can you hear me?

  I would like to fling my voice out like a cloth

  over the fragments of your death, and keep

  pulling at it until it is torn to pieces,

  and all my words would have to walk around

  shivering, in the tatters of that voice;

  if lament were enough. But now I must accuse:

  not the man who withdrew you from yourself

  (I cannot find him; he looks like everyone),

  but in this one man, I accuse: all men.

  When somewhere, from deep within me, there arises

  the vivid sense of having been a child,

  the purity and essence of that childhood

  where I once lived: then I don’t want to know it.

  I want to form an angel from that sense

  and hurl him upward, into the front row

  of angels who scream out, reminding God.

  For this suffering has lasted far too long;

  none of us can bear it; it is too heavy—

  this tangled suffering of spurious love

  which, building on convention like a habit,

  calls itself just, and fattens on injustice.

  Show me a man with the right to his possession.

  Who can possess what cannot hold its own self,

  but only, now and then, will blissfully

  catch itself, then quickly throw itself

  away, like a child playing with a ball.

  As little as a captain can hold the carved

  Nikē facing outward from his ship’s prow

  when the lightness of her godhead suddenly

  lifts her up, into the bright sea-wind:

  so little can one of us call back the woman

  *

  anrufen, die uns nicht mehr sieht und die

  auf einem schmalen Streifen ihres Daseins

  wie durch ein Wunder fortgeht, ohne Unfall:

  er hätte denn Beruf und Lust zur Schuld.

  Denn das ist Schuld, wenn irgendeines Schuld ist:

  die Freiheit eines Lieben nicht vermehren

  um alle Freiheit, die man in sich aufbringt.

  Wir haben, wo wir lieben, ja nur dies:

  einander lassen; denn daß wir uns halten,

  das fällt uns leicht und ist nicht erst zu lernen.

  Bist du noch da? In welcher Ecke bist du?—

  Du hast so viel gewußt von alledem

  und hast so viel gekonnt, da du so hingingst

  für alles offen, wie ein Tag, der anbricht.

  Die Frauen leiden: lieben heißt allein sein,

  und Künstler ahnen manchmal in der Arbeit,

  daß sie verwandeln müssen, wo sie lieben.

  Beides begannst du; beides ist in Dem,

  was jetzt ein Ruhm entstellt, der es dir fortnimmt.

  Ach du warst weit von jedem Ruhm. Du warst

  unscheinbar; hattest leise deine Schönheit

  hineingenommen, wie man eine Fahne

  einzieht am grauen Morgen eines Werktags,

  und wolltest nichts, als eine lange Arbeit,—

  die nicht getan ist: dennoch nicht getan.

  Wenn du noch da bist, wenn in diesem Dunkel

  noch eine Stelle ist, an der dein Geist

  empfindlich mitschwingt auf den flachen Schallwelln,

  die eine Stimme, einsam in der Nacht,

  aufregt in eines hohen Zimmers Strömung:

  So hör mich: Hilf mir. Sieh, wir gleiten so,

  nicht wissend wann, zurück aus unserm Fortschritt

  in irgendwas, was wir nicht meinen; drin

  wir uns verfangen wie in einem Traum

  und drin wir sterben, ohne zu erwachen.

  Keiner ist weiter. Jedem, der sein Blut

  hinaufhob in ein Werk, das lange wird,

  *

  who, now no longer seeing us, walks on

  along the narrow strip of her existence

  as though by miracle, in perfect safety—

  unless, that is, he wishes to do wrong.

  For this is wrong, if anything is wrong:

  not to enlarge the freedom of a love

  with all the inner freedom one can summon.

  We need, in love, to practice only this:

  letting each other go. For holding on

  comes easily; we do not need to learn it.

  Are you still here? Are you standing in some corner?—

  You knew so much of all this, you were able

  to do so much; you passed through life so open

  to all things, like an early morning. I know:

  women suffer; for love means being alone;

  and artists in their work sometimes intuit

  that they must keep transforming, where they love.


  You began both; both exist in that

  which any fame takes from you and disfigures.

  Oh you were far beyond all fame; were almost

  invisible; had withdrawn your beauty, softly,

  as one would lower a brightly-colored flag

  on the gray morning after a holiday.

  You had just one desire: a years-long work—

  which was not finished; was somehow never finished.

  If you are still here with me, if in this darkness

  there is still some place where your spirit resonates

  on the shallow soundwaves stirred up by my voice:

  hear me; help me. We can so easily

  slip back from what we have struggled to attain,

  abruptly, into a life we never wanted;

  can find that we are trapped, as in a dream,

  and die there, without ever waking up.

  This can occur. Anyone who has lifted

  his blood into a years-long work may find

  *

  kann es geschehen, daß ers nicht mehr hochhält

  und daß es geht nach seiner Schwere, wertlos.

  Denn irgendwo ist eine alte Feindschaft

  zwischen dem Leben und der großen Arbeit.

  Daß ich sie einseh und sie sage: hilf mir.

  Komm nicht zurück. Wenn du’s erträgst, so sei

  tot bei den Toten. Tote sind beschäftigt.

  Doch hilf mir so, daß es dich nicht zerstreut,

  wie mir das Fernste manchmal hilft: in mir.

  that he can’t sustain it, the force of gravity

  is irresistible, and it falls back, worthless.

  For somewhere there is an ancient enmity

  between our daily life and the great work.

  Help me, in saying it, to understand it.

  Do not return. If you can bear to, stay

  dead with the dead. The dead have their own tasks.

  But help me, if you can without distraction,

  as what is farthest sometimes helps: in me.

  Uncollected Poems

  1911–1920

  [AN LOU ANDREAS-SALOMÉ]

  I

  Ich hielt mich überoffen, ich vergaß,

  daß draußen nicht nur Dinge sind und voll

  in sich gewohnte Tiere, deren Aug

  aus ihres Lebens Rundung anders nicht

  hinausreicht als ein eingerahmtes Bild;

  daß ich in mich mit allem immerfort

  Blicke hineinriß: Blicke, Meinung, Neugier.

  Wer weiß, es bilden Augen sich im Raum

  und wohnen bei. Ach nur zu dir gestürzt,

 

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