Death Cloud ysh-1
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Er spannte den Körper an und wartete darauf, dass Maupertuis die Klinge für den finalen Stoß zurückziehen würde, um dann zur Seite zu gleiten und vielleicht noch einmal zu entkommen. Aber stattdessen hob Maupertuis seine linke Hand in die Höhe. Drähte und Schnüre spannten und krümmten sich wie Sehnen, und dann glitt etwas aus dem linken Ärmel des Barons. Einen Moment lang dachte Sherlock, es wäre ein Messer. Aber die Spitze war irgendwie merkwürdig. Sie sah aus wie eine Metallscheibe mit einem gezackten Rand.
In der Dunkelheit hinter dem Baron fing etwas zu surren an. Die Scheibe begann sich zu drehen und schickte funkelnde Lichtblitze in alle Richtungen. Sherlock konnte spüren, wie ihm Luft ins Gesicht strömte, als der Baron die Sägezahnscheibe näher und näher an sein rechtes Auge brachte.
Verzweiflung überkam ihn. Er war dem Baron nicht gewachsen. Gegen diesen Gegner würde er nicht mehr lange überleben.
Aber er musste Virginia retten.
Der Gedanke trieb ihn zu einer letzten Kraftanstrengung. Er wand sich, zog seinen Arm aus dem Jackenärmel und fiel in dem Moment auf die Bodenfliesen, als die Scheibe auf die Wand traf. Funken und Steinchen stoben in alle Richtungen, während sich die rotierende Scheibe kreischend in den Stein fräste und eine flache Furche hinterließ. Fluchend versuchte der Baron, den Säbel wieder zwischen den beiden Ziegelsteinen herauszuziehen.
Wenn Sherlock den Baron nicht mit seinen Fechtkünsten besiegen konnte, würde er ihn eben mit der Kraft seines Verstandes bezwingen müssen. Er musste nur eine verwundbare Stelle finden, etwas, das er ausnutzen konnte. Und es musste etwas mit der Art zu tun haben, in der Maupertuis sich bewegte. Oder besser gesagt: bewegt wurde.
Das war sein Schwachpunkt. Erneut versuchte Sherlock, mit dem Schwert die Seile und Schnüre zu durchtrennen, die Maupertuis aufrecht hielten. Aber der Baron hatte damit gerechnet und parierte Sherlocks Klinge mühelos mit der rotierenden Scheibe in seiner linken Hand, während sein rechter Arm die Klinge aus dem Mauerwerk zerrte.
Im Zurückweichen wäre Sherlock beinahe über die Überreste des Stuhles gestolpert, den das Schwert des Barons zertrümmert hatte. Durch das Klacken, das entstand, als Sherlock mit dem Fuß gegen die Holzstücke stieß, begann sich so etwas wie ein Plan in seinem Kopf abzuzeichnen. Ohne weitere Zeit zu verschwenden, das Ganze vollends zu durchdenken, bückte er sich und hob mit der linken Hand das größte Teil auf. Ein Stück, das aus einem Großteil einer Armlehne, einem Teil der Sitzfläche und einem eingekerbten Stuhlbein bestand. Als der Baron den Säbel auf Sherlocks ungeschützte Stirn niedersausen ließ, riss Sherlock in letzter Sekunde das Trümmerstück hoch, und die Klinge des Barons fraß sich tief in das Holz. Bevor Maupertuis es herausziehen konnte, schob Sherlock das Holzstück mit aller Kraft nach hinten, bis sich das Schwert des Barons über dessen Kopf befand. Mit der Rückseite der Hand kam Sherlock gegen eines der Seile, die Maupertuis stützten. Sherlock drehte mit aller Kraft am Holzstück, wobei Maupertuis das Schwert fast aus der Hand gewunden wurde, und klemmte es hinter ein paar anderen Seilen fest, bevor er das Holz zurückrotieren ließ. Zwischen den Seilen verfangen, hing das Holzstück und mit ihm das Schwert des Barons nun nutzlos in der Luft herum. Sherlock ließ los, griff erst eines und dann ein weiteres der verbliebenen Seile und Schnüre und verhedderte sie unter Aufbietung seiner letzten Kräfte mit dem Holzstück.
»Was tust du?«, schrie der Baron. Aber es war zu spät.
Die Seile hatten sich nun um Stuhllehne und -bein zu einem hoffnungslos festen Wirrwarr verschlungen. Hilflos baumelte Maupertuis in den Seilen. In der Dunkelheit am anderen Raumende boten die Diener all ihre Kräfte auf, doch vergebens. Die Seile ließen sich einfach nicht mehr von den Stuhlresten lösen.
Sherlock trat zurück. Er schwang das Schwert, hieb auf die Seile ein und durchtrennte fünf oder sechs davon. Von der enormen Zugspannung befreit, schossen sie mit lautem Sirren in verschiedene Winkel des Raumes davon. Die Arme des Barons fielen kraftlos herab, und sein Kopf neigte sich zur Seite.
»Dafür wirst du zahlen!«, zischte er.
»Schicken Sie mir die Rechnung«, erwiderte Sherlock gelassen. Er wandte sich zu Virginia um und wollte ihr zu Hilfe eilen. Aber stattdessen wurde er Zeuge, wie Virginia den scharfkantigen Eisenhelm der Ritterrüstung mit aller Wucht auf den Kopf von MrSurd krachen ließ. Ohnmächtig und blutüberströmt fiel der Narbenmann zu Boden.
»Gerade wollte ich dir zu Hilfe kommen«, sagte Sherlock.
»Komisch«, antwortete Virginia. »Ich dir auch.«
16
»Baron Maupertuis sei gepriesen«, seufzte Sherlock aus tiefstem Herzen,s als er die Tür zum Speiseraum hinter sich zuschlug. Da diese Tür kein Schloss hatte, warf er sein Gewicht gegen den Teakschrank, der daneben stand. Quietschend schrammten die Schrankbeine über die Fliesen, als sich das Möbelstück in Bewegung setzte.
»Ach, und warum bitteschön?«, blaffte Virginia und stemmte sich ebenfalls gegen den Schrank, um Sherlock zu helfen. Der Schrank glitt vor die Tür, die sich somit nicht mehr öffnen ließ. »Was soll der denn für uns getan haben?«
Auf der anderen Seite hatten Baron Maupertuis’ Diener offenbar die Tür erreicht, denn plötzlich öffnete sie sich einen Spalt weit und stieß gegen den Schrank. Sie rüttelten ein paar Mal dagegen, aber der Schrank rührte sich nicht von der Stelle.
»Er mag es, wenn es überall gleich aussieht, wo er lebt. Daher weiß ich auch, wo die Ställe sein müssten. Komm mit!« Er ging voraus und führte sie durch den hinteren Bereich des Hauses zu einer Außentür. Als er sicher war, dass sich keiner von Maupertuis’ Dienern draußen aufhielt, schlichen sich Virginia und er um eine Gebäudeseite des Châteaus und stießen dann tatsächlich auf die Ställe. Dem Sonnenstand nach zu urteilen, musste es spät am Morgen sein. Wie es aussah, hatte man sie mindestens eine Nacht lang betäubt gehalten, wahrscheinlich sogar länger.
In ihrer stets pragmatischen Art begann Virginia augenblicklich damit, die Pferde zu satteln. »Was sollen wir jetzt machen, Sherlock? Schließlich sind wir in einem fremden Land! Und wir sprechen noch nicht einmal die Sprache!«
»Um ehrlich zu sein, tu ich es«, erwiderte Sherlock und wurde rot.
»Tust du was?«
»Die Sprache sprechen. Jedenfalls ein wenig.«
Sie drehte sich zu ihm um und warf ihm einen seltsamen Blick zu. »Wie kommt’s?«
»Mütterlicherseits stammt meine Familie von einer französischen Linie ab. Mutter hat stets darauf bestanden, dass wir die Sprache lernen. Das ist unser Familienerbe, hat sie immer gesagt.«
Virginia streckte die Hand nach ihm aus, um seinen Arm zu berühren. »Du sprichst nicht viel von ihr«, sagte sie. »Du sprichst von deinem Vater und deinem Bruder, aber nicht von ihr.«
»Nein«, sagte er und spürte einen Kloß im Hals. Er wandte sich ab, damit sie ihm nicht in die Augen blicken konnte. »Tu ich nicht.«
Virginia zog nachdenklich den letzten Sattelgurt straff und beschloss, lieber das Thema zu wechseln. »Also, mal vorausgesetzt, wir sprechen die Sprache, wohin gehen wir dann? Sollen wir um Hilfe bitten?«
»Wir reiten zur Küste«, antwortete Sherlock. »Maupertuis hat Befehl gegeben, die Bienen freizulassen. Wenn wir sie nicht aufhalten, werden die Biester Menschen umbringen. Vielleicht nicht so viele wie Maupertuis denkt, aber einige britische Soldaten werden trotzdem sterben. Wir müssen verhindern, dass man sie freilässt.«
»Aber …«
»Eins nach dem anderen«, unterbrach Sherlock sie. »Lass uns erst zur Küste. Von da aus können wir meinem Bruder ein Telegramm schicken, oder was auch immer. Ich lass mir schon was einfallen.«
Virginia nickte. »Dann mal in den Sattel, großer Fechtmeister.«
Er grinste. »Du warst auch ziemlich großartig da drinnen.«
»Ja, nicht wahr«, sagte sie und erwiderte das Grinsen.
Sie bestiegen die Pferde und ritten gerade vom Château davon, als hinter ihnen Rufe ertönten und eine Alarmglocke zu läuten begann. Aber Sherlock wusste, dass sie eigentlich schon zu weit entfernt waren, um noch eingeholt zu werden.
Im nächsten Dorf machten sie Rast, um sich zu erk
undigen, wo sie waren. Sie waren beide hungrig, hatten aber kein französisches Geld. Und somit blieb ihnen nichts anderes übrig, als sehnsüchtig auf die in den Ladenschaufenstern hängenden Würste und die in Körben drapierten Brotstangen zu starren, die so lang wie Sherlocks Arme waren. Ein Bauer erzählte Sherlock, dass sie nur fünf Meilen von Cherbourg entfernt waren. Er wies ihnen den Weg zur richtigen Straße, und dann ging es im Galopp weiter.
Sie waren schon eine Weile geritten, als Virginia einen anerkennenden Blick zu ihm hinüberwarf. »Nicht schlecht«, lobte sie. »Du sitzt auf dem Tier, als wär’s ein Einrad und keine lebende Kreatur, aber trotzdem … nicht schlecht.«
Am Rande eines Birnbaumhaines hielten sie eine halbe Stunde später erneut an, um sich die Taschen voller Birnen zu stopfen. Dann setzten sie ihren Weg fort, während sie sich im Sattel die Früchte schmecken ließen und ihnen der Saft am Kinn hinunterlief. Die vorbeiziehende Landschaft war ihnen einerseits vertraut und unterschied sich andererseits doch sehr von dem, was Sherlock von England her gewohnt war. Das Pochen in seinem Kopf war fast so laut wie die auf den Boden hämmernden Pferdehufe. Was sollten sie nur tun, wenn sie Cherbourg erreicht hatten? Er musste sich unbedingt etwas einfallen lassen. Und zwar schnell.
Doch als sie Cherbourg erreichten, hatte er immer noch keine Idee.
Die Stadt lag an einem Hang, der zum Hafen und dem glitzernden Blau des Meeres hin abfiel. Als die Pferdehufe wenig später über Kopfsteinpflaster klapperten, zügelten sie die Pferde zu einem langsamen Trott, um sich einen Weg durch die dichten Menschenmengen zu bahnen, die in den gewundenen Straßen und Gassen Stände und Läden umlagerten.
Die Szenerie, die sich ihnen bot, hätte sich ebenso gut in jeder beliebigen Stadt in Südengland abspielen können, wenn man einmal von der Kleidung und dem Überangebot an allen möglichen Käsesorten an den Ständen absah.
Sie stiegen ab und banden die Pferde an einem Zaun fest. Sie ließen die Tiere nur ungern zurück, aber irgendjemand würde sich schon um sie kümmern. Sherlocks Sprachkenntnisse wurden aufs Äußerste getestet, als er sich erkundigte, ob sich ein Telegraphenamt in der Nähe befinde. Doch die Auskunft, die er bekam, war absolut niederschmetternd: Das nächste Telegraphenamt befand sich in Paris. Wie sollten sie Mycroft nun eine Nachricht schicken?
Also mussten sie sehen, dass sie so schnell wie möglich ein Schiff zurück nach England bekamen. Das war ihre einzige Hoffnung.
Sie machten das Büro des Hafenmeisters ausfindig und erkundigten sich nach Schiffen oder Booten, die nach England auslaufen würden. Laut Auskunft des Hafenmeisters gab es einige, und umständlich ging er mit ihnen die Namen durch. Bei vieren handelte es sich um kleinere Schiffe aus der Region, die Nahrungsgüter wie Käse, Fleisch und Zwiebeln zwischen England und Frankreich transportierten. Der Hafenmeister bot ihnen an, ein gutes Wort für sie bei den Kapitänen einzulegen. Das fünfte war ein britischer Fischkutter, der an diesem Morgen unerwarteterweise im Hafen festgemacht hatte.
Der Name des Kutters war MrsEglantine.
Den Namen zu hören, war, als würde man Sherlock einen Eimer kaltes Wasser ins Gesicht schütten. Ihm lief es eiskalt den Rücken hinunter, und einen Moment lang war er fest davon überzeugt, dass MrsEglantine – die Hauswirtschafterin seines Onkels und seiner Tante – die eigentliche Drahtzieherin hinter all dem Ganzen war. Doch dann gewann sein Verstand wieder die Oberhand.
Irgendjemand musste diesen Namen sozusagen als Signalflagge benutzt haben, um Sherlocks Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Und das hatte der- oder diejenige auch geschafft.
Die MrsEglantine hatte an einem Pier am Hafenrand angelegt. Es war ein kleinerer Kutter mit rundherum an den Außenbordwänden aufgehängten Fischernetzen, die von weitem wie Spinnennetze aussahen. Neben dem Landungssteg warteten Amyus Crowe und Matthew Arnatt auf sie.
Virginia lief ihrem Vater in die Arme. Er schwang sie hoch in die Luft und drückte sie dann fest an sich, während Sherlock Matty überglücklich auf die Schulter klopfte.
»Wie habt ihr gewusst, wo ihr uns findet?«, fragte er. »Und vor allem, in welchem Land ihr überhaupt suchen müsst?«
»Du scheinst zu vergessen, dass ich Fährtensucher von Beruf bin«, sagte Crowe. »Als du nicht ins Hotel zurückgekommen bist und als wir merkten, dass Ginny verschwunden war, haben wir versucht, eure Spuren zurückzuverfolgen. Ich hab Berichte über das Feuer im Rotherhithe-Tunnel gehört, und als ich ein bisschen herumgefragt habe, stellte sich heraus, dass ein Junge in deinem Alter gesehen worden war, wie er davonrannte. Mittlerweile hatte Matty den Droschkenkutscher aufgespürt, der Ginny zum Hafen gebracht hatte. Als wir dort angekommen sind, war Maupertuis’ Schiff schon in See gestochen. Aber wir haben einen Lademeister aufgestöbert, der sich daran erinnern konnte, euch an Bord gesehen zu haben. Oder besser gesagt, wie ihr an Bord geschleppt wurdet, wie er sich genau ausdrückte. Das Schiff war wie gesagt schon in See gestochen, doch er erinnerte sich daran, gehört zu haben, wie die Matrosen davon sprachen, dass es diesmal ja nur ein kurzer Trip über den Englischen Kanal nach Cherbourg werden würde. Also mieteten wir uns einen Fischkutter und fuhren hinterher, um nach euch zu suchen. Wir trafen unmittelbar nach Maupertuis’ Schiff hier ein. Entweder waren sie sehr langsam, oder sie haben unterwegs noch irgendwo haltgemacht, da bin ich mir nicht sicher.« Seine Stimme klang fest und bedächtig wie immer, und seine Worte verrieten nichts darüber, wie es in ihm aussah.
Aber Sherlock hatte den Eindruck, dass er irgendwie älter und müder wirkte. Er hatte den Arm immer noch um Virginias Schultern geschlungen und hielt sie fest an sich gedrückt, während Virginia keine Anstalten machte, sich aus der Umarmung zu lösen.
»Ich habe herausgefunden, dass der Baron hier in der Nähe ein Anwesen besitzt und war gerade dabei, eine Gruppe aus Einheimischen zu rekrutieren, als ihr aufgetaucht seid. Ein glückliches und nützliches Zusammentreffen unserer Wege, würde ich sagen.«
»Da haben Sie recht und jetzt wird mir einiges klar«, erwiderte Sherlock. »Wir haben uns zu dem Hafen begeben, der Maupertuis’ Château am nächsten liegt. Denn dort würde ja mit großer Wahrscheinlichkeit sein Schiff festmachen, und ihr wiederum seid seinem Schiff gefolgt. Die Chance, dass es uns irgendwann alle nach Cherbourg verschlägt, war also groß.« Er lächelte. »Das einzig Erstaunliche daran ist, dass ihr ein Schiff aufgetrieben habt, das nach der Hauswirtschafterin meines Onkels benannt wurde.«
»Ihr eigentlicher Name war Rosie Lee«, antwortete Crowe und musste nun seinerseits lächeln. »Ich dachte mir, ein etwas vertrauterer Name könnte deine Aufmerksamkeit erregen, solltest du in der Gegend sein und dich nach einer Rückkehrmöglichkeit nach England umsehen. Ich wollte sie eigentlich erst in Mycroft Holmes umtaufen, aber der Kapitän machte mir unmissverständlich klar, dass Schiffe und Boote nur weibliche Namen tragen.«
»Sie haben damit gerechnet, dass wir dem Baron entkommen?«
Crowe nickte. »Ich wäre enttäuscht gewesen, wenn ihr es nicht geschafft hättet. Schließlich bist du mein Schüler und Ginny mein Fleisch und Blut. Was wäre ich bloß für ein Lehrer, wenn ihr beide einfach dagesessen und nichts gegen eure Gefangenschaft unternommen hättet.« Seine Worte waren scherzhaft gemeint, und auf seinem Gesicht lag ein Lächeln. Dennoch meinte Sherlock in Crowe ein tiefes, unterschwelliges Gefühl des Unbehagens, ja vielleicht sogar der Angst zu verspüren, das sich durch ihr Auftauchen gerade erst zu verflüchtigen begonnen hatte.
Crowe streckte seine große Hand aus und drückte Sherlocks Schulter. »Du hast auf sie aufgepasst«, sagte er leise. »Dafür danke ich dir.«
»Ich weiß, dass alles, was Sie unternommen haben, um hierherzukommen, aus logischen Erwägungen erfolgte«, antwortete Sherlock ebenso leise, »und es hat alles funktioniert. Aber was, wenn es das nicht hätte? Was, wenn wir gar nicht entkommen wären oder einen anderen Weg eingeschlagen hätten oder wenn Sie sich an einem Hafenende befunden hätten, während wir am entgegengesetzten Ende ein anderes Schiff bestiegen hätten? Was dann?«
»Dann wären die Dinge anders gelaufen«, sagte Crowe. »Wir stehen hier zusammen, weil die Dinge so geschehen sind, wie sie es nun einmal sind. M
it Logik kannst du die Chancen zu deinen Gunsten verbessern, aber man muss immer auch mit dem Zufall rechnen. Dieses Mal hatten wir Glück. Das nächste Mal … Wer weiß?«
»Ich rechne nicht damit, dass es ein ›nächstes Mal‹ geben wird«, erwiderte Sherlock. »Aber wir müssen trotzdem die Pläne des Barons durchkreuzen.«
»Ach, und wie sehen die aus?«, fragte Crowe und verzog verwundert das Gesicht. »Einen Teil des Puzzles habe ich schon zusammengesetzt, aber nicht alles.«
Rasch berichteten Sherlock und Virginia von den Bienen, den vergifteten Uniformen und dem teuflischen Plan, einen beträchtlichen Teil der britischen Armee in ihren Garnisonen in England zu töten. Crowe war hinsichtlich der Effizienz des Planes ebenso skeptisch wie Sherlock, doch er stimmte darin überein, dass es zumindest einige Todesfälle geben würde und selbst ein einzelner Tod schon zu viel wäre. Die Bienen mussten aufgehalten werden.
»Aber wie finden die Bienen den Weg übers Meer nach England und dann weiter zu den Garnisonen?«, fragte Crowe.
»Ich habe in der Bibliothek meines Onkels einiges über Bienen gelesen«, antwortete Sherlock. »Bienen sind ganz erstaunliche Kreaturen. Sie können zwischen Hunderten verschiedener Düfte unterscheiden. Düfte von weitaus geringerer Konzentration, als sie ein Mensch wahrnehmen könnte. Auf der Suche nach diesen Düften können sie meilenweit fliegen. Ich wäre nicht überrascht, wenn es klappen würde.« Er hielt kurz inne, als ihm plötzlich etwas einfiel. »Er hat von einem Fort gesprochen. Als er seinem Gehilfen – diesem MrSurd – befohlen hat, die Bienen freizulassen. Das sollte von einem Fort aus passieren. Gibt es irgendwelche Befestigungen an dieser oder an der englischen Küste, die sie benutzen könnten?«
»Ist vielleicht nicht gerade die Art von Fort, an die du denkst«, meldete sich plötzlich Matty zu Wort.