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Die fröhliche Wissenschaft (German Edition)

Page 18

by Friedrich Wilhelm Nietzsche


  296.

  Der feste Ruf. – Der feste Ruf war ehedem eine Sache der äussersten Nützlichkeit; und wo nur immer die Gesellschaft noch vom Heerden-Instinct beherrscht wird, ist es auch jetzt noch für jeden Einzelnen am zweckmässigsten, seinen Charakter und seine Beschäftigung als unveränderlich zu geben, – selbst wenn sie es im Grunde nicht sind. "Man kann sich auf ihn verlassen, er bleibt sich gleich": – das ist in allen gefährlichen Lagen der Gesellschaft das Lob, welches am meisten zu bedeuten hat. Die Gesellschaft fühlt mit Genugthuung, ein zuverlässiges, jederzeit bereites Werkzeug in der Tugend Dieses, in dem Ehrgeize jenes, in dem Nachdenken und der Leidenschaft des Dritten zu haben, – sie ehrt diese Werkzeug-Natur, diess Sich-Treubleiben, diese Unwandelbarkeit in Ansichten, Bestrebungen, und selbst in Untugenden, mit ihren höchsten Ehren. Eine solche Schätzung, welche überall zugleich mit der Sittlichkeit der Sitte blüht und geblüht hat, erzieht "Charaktere" und bringt alles Wechseln, Umlernen, Sich-Verwandeln in Verruf. Diess ist nun jedenfalls, mag sonst der Vortheil dieser Denkweise noch so gross sein, für die Erkenntniss die allerschädlichste Art des allgemeinen Urtheils: denn gerade der gute Wille des Erkennenden, unverzagt sich jederzeit gegen seine bisherige Meinung zu erklären und überhaupt in Bezug auf Alles, was in uns fest werden will, misstrauisch zu sein, – ist hier verurtheilt und in Verruf gebracht. Die Gesinnung des Erkennenden als im Widerspruch mit dem "festen Rufe" gilt als unehrenhaft, während die Versteinerung der Ansichten alle Ehre für sich hat: – unter dem Banne solcher Geltung müssen wir heute noch leben! Wie schwer lebt es sich, wenn man das Urtheil vieler Jahrtausende gegen sich und um sich fühlt! Es ist wahrscheinlich, dass viele Jahrtausende die Erkenntniss mit dem schlechten Gewissen behaftet war, und dass viel Selbstverachtung und geheimes Elend in der Geschichte der grössten Geister gewesen sein muss.

  297.

  Widersprechen können. – Jeder weiss jetzt, dass Widerspruch-Vertragen-können ein hohes Zeichen von Cultur ist. Einige wissen sogar, dass der höhere Mensch den Widerspruch gegen sich wünscht und hervorruft, um einen Fingerzeig über seine ihm bisher unbekannte Ungerechtigkeit zu bekommen. Aber das Widersprechen-Können, das erlangte gute Gewissen bei der Feindseligkeit gegen das Gewohnte, Ueberlieferte, Geheiligte, – das ist mehr als jenes Beides und das eigentlich Grosse, Neue, Erstaunliche unserer Cultur, der Schritt aller Schritte des befreiten Geistes: wer weiss das? –

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  Seufzer. – Ich erhaschte diese Einsicht unterwegs und nahm rasch die nächsten schlechten Worte, sie festzumachen, damit sie mir nicht wieder davonfliege. Und nun ist sie mir an diesen dürren Worten gestorben und hängt und schlottert in ihnen – und ich weiss kaum mehr, wenn ich sie ansehe, wie ich ein solches Glück haben konnte, als ich diesen Vogel fieng.

  299.

  Was man den Künstlern ablernen soll. – Welche Mittel haben wir, uns die Dinge schön, anziehend, begehrenswerth zu machen, wenn sie es nicht sind? – und ich meine, sie sind es an sich niemals! Hier haben wir von den Aerzten Etwas zu lernen, wenn sie zum Beispiel das Bittere verdünnen oder Wein und Zucker in den Mischkrug thun; aber noch mehr von den Künstlern, welche eigentlich fortwährend darauf aus sind, solche Erfindungen und Kunststücke zu machen. Sich von den Dingen entfernen, bis man Vieles von ihnen nicht mehr sieht und Vieles hinzusehen muss, um sie noch zu sehen – oder die Dinge um die Ecke und wie in einem Ausschnitte sehen – oder sie so stellen, dass sie sich theilweise verstellen und nur perspectivische Durchblicke gestatten – oder sie durch gefärbtes Glas oder im Lichte der Abendröthe anschauen – oder ihnen eine Oberfläche und Haut geben, welche keine volle Transparenz hat: das Alles sollen wir den Künstlern ablernen und im Uebrigen weiser sein, als sie. Denn bei ihnen hört gewöhnlich diese ihre feine Kraft auf, wo die Kunst aufhört und das Leben beginnt; wir aber wollen die Dichter unseres Lebens sein, und im Kleinsten und Alltäglichsten zuerst.

  300.

  Vorspiele der Wissenschaft. – Glaubt ihr denn, dass die Wissenschaften entstanden und gross geworden wären, wenn ihnen nicht die Zauberer, Alchymisten, Astrologen und Hexen vorangelaufen wären als Die, welche mit ihren Verheissungen und Vorspiegelungen erst Durst, Hunger und Wohlgeschmack an verborgenen und verbotenen Mächten schaffen mussten? Ja, dass unendlich mehr hat verheissen werden müssen, als je erfüllt werden kann, damit überhaupt Etwas im Reiche der Erkenntniss sich erfülle? – Vielleicht erscheint in gleicher Weise, wie uns sich hier Vorspiele und Vorübungen der Wissenschaft darstellen, die durchaus nicht als solche geübt und empfunden wurden, auch irgend einem fernen Zeitalter die gesammte Religion als Uebung und Vorspiel: vielleicht könnte sie das seltsame Mittel dazu gewesen sein, dass einmal einzelne Menschen die ganze Selbstgenügsamkeit eines Gottes und alle seine Kraft der Selbsterlösung geniessen können: ja! – darf man fragen – würde denn der Mensch überhaupt ohne jene religiöse Schule und Vorgeschichte es gelernt haben, nach sich Hunger und Durst zu spüren und aus sich Sattheit und Fülle zu nehmen? Musste Prometheus erst wähnen, das Licht gestohlen zu haben und dafür büssen, – um endlich zu entdecken, dass er das Licht geschaffen habe, indem er nach dem Lichte begehrte, und dass nicht nur der Mensch, sondern auch der Gott das Werk seiner Hände und Thon in seinen Händen gewesen sei? Alles nur Bilder des Bildners? – ebenso wie der Wahn, der Diebstahl, der Kaukasus, der Geier und die ganze tragische Prometheia aller Erkennenden?

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  Wahn der Contemplativen. – Die hohen Menschen unterscheiden sich von den niederen dadurch, dass sie unsäglich mehr sehen und hören und denkend sehen und hören – und eben diess unterscheidet den Menschen vom Thiere und die oberen Thiere von den unteren. Die Welt wird für Den immer voller, welcher in die Höhe der Menschlichkeit hinauf wächst; es werden immer mehr Angelhaken des Interesses nach ihm ausgeworfen; die Menge seiner Reize ist beständig im Wachsen und ebenso die Menge seiner Arten von Lust und Unlust, – der höhere Mensch wird immer zugleich glücklicher und unglücklicher. Dabei aber bleibt ein Wahn sein beständiger Begleiter: er meint, als Zuschauer und Zuhörer vor das grosse Schau- und Tonspiel gestellt zu sein, welches das Leben ist: er nennt seine Natur eine contemplative und übersieht dabei, dass er selber auch der eigentliche Dichter und Fortdichter des Lebens ist, – dass er sich freilich vom Schauspieler dieses Drama's, dem sogenannten handelnden Menschen, sehr unterscheidet, aber noch mehr von einem blossen Betrachter und Festgaste vor der Bühne. Ihm, als dem Dichter, ist gewiss vis contemplativa und der Rückblick auf sein Werk zu eigen, aber zugleich und vorerst die vis creativa, welche dem handelnden Menschen fehlt, was auch der Augenschein und der Allerweltsglaube sagen mag. Wir, die Denkend-Empfindenden, sind es, die wirklich und immerfort Etwas machen, das noch nicht da ist: die ganze ewig wachsende Welt von Schätzungen, Farben, Gewichten, Perspectiven, Stufenleitern, Bejahungen und Verneinungen. Diese von uns erfundene Dichtung wird fortwährend von den sogenannten practischen Menschen (unsern Schauspielern wie gesagt) eingelernt, eingeübt, in Fleisch und Wirklichkeit, ja Alltäglichkeit übersetzt. Was nur Werth hat in der jetzigen Welt, das hat ihn nicht an sich, seiner Natur nach, – die Natur ist immer werthlos: – sondern dem hat man einen Werth einmal gegeben, geschenkt, und wir waren diese Gebenden und Schenkenden! Wir erst haben die Welt, die den Menschen Etwas angeht, geschaffen! – Gerade dieses Wissen aber fehlt uns, und wenn wir es einen Augenblick einmal erhaschen, so haben wir es im nächsten wieder vergessen: wir verkennen unsere beste Kraft und schätzen uns, die Contemplativen, um einen Grad zu gering, – wir sind weder so stolz, noch so glücklich, als wir sein könnten.

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  Gefahr des Glücklichsten. – Feine Sinne und einen feinen Geschmack haben; an das Ausgesuchte und Allerbeste des Geistes wie an die rechte und nächste Kost gewöhnt sein; einer starken, kühnen, verwegenen Seele geniessen; mit ruhigem Auge und festem Schritt durch das Leben gehen, immer zum Aeussersten bereit, wie zu einem Feste und voll des Verlangens nach unentdeckten Welten und Meeren, Menschen und Göttern; auf jede heitere Musik hinhorchen, als ob dort wohl tapfere Männer, Soldaten, Seefahrer sich eine kurze Rast und Lust machen, und im tiefsten
Genusse des Augenblicks überwältigt werden von Thränen und von der ganzen purpurnen Schwermuth des Glücklichen: wer möchte nicht, dass das Alles gerade sein Besitz, sein Zustand wäre! Es war das Glück Homer's! Der Zustand Dessen, der den Griechen ihre Götter, – nein, sich selber seine Götter erfunden hat! Aber man verberge es sich nicht: mit diesem Glücke Homer's in der Seele ist man auch das leidensfähigste Geschöpf unter der Sonne! Und nur um diesen Preis kauft man die kostbarste Muschel, welche die Wellen des Daseins bisher an's Ufer gespült haben! Man wird als ihr Besitzer immer feiner im Schmerz und zuletzt zu fein: ein kleiner Missmuth und Ekel genügte am Ende, um Homer das Leben zu verleiden. Er hatte ein thörichtes Räthselchen, das ihm junge Fischer aufgaben, nicht zu rathen vermocht! ja, die kleinen Räthsel sind die Gefahr der Glücklichsten! –

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  Zwei Glückliche. – Wahrlich, dieser Mensch, trotz seiner Jugend, versteht sich auf die Improvisation des Lebens und setzt auch den feinsten Beobachter in Erstaunen: – es scheint nämlich, dass er keinen Fehlgriff thut, ob er schon fortwährend das gewagteste Spiel spielt. Man wird an jene improvisirenden Meister der Tonkunst erinnert, denen auch der Zuhörer eine göttliche Unfehlbarkeit der Hand zuschreiben möchte, trotzdem, dass sie sich hier und da vergreifen, wie jeder Sterbliche sich vergreift. Aber sie sind geübt und erfinderisch, und im Augenblicke immer bereit, den zufälligsten Ton, wohin ein Wurf des Fingers, eine Laune sie treibt, sofort in das thematische Gefüge einzuordnen und dem Zufalle einen schönen Sinn und eine Seele einzuhauchen. – Hier ist ein ganz anderer Mensch: dem missräth im Grunde Alles, was er will und plant. Das, woran er gelegentlich sein Herz gehängt hat, brachte ihn schon einige Male an den Abgrund und in die nächste Nähe des Unterganges; und wenn er dem noch entwischte, so doch gewiss nicht nur "mit einem blauen Auge". Glaubt ihr, dass er darüber unglücklich ist? Er hat längst bei sich beschlossen, eigene Wünsche und Pläne nicht so wichtig zu nehmen. "Gelingt mir Diess nicht, so redet er sich zu, dann gelingt mir vielleicht jenes; und im Ganzen weiss ich nicht, ob ich nicht meinem Misslingen mehr zu Danke verpflichtet bin, als irgend welchem Gelingen. Bin ich dazu gemacht, eigensinnig zu sein und die Hörner des Stieres zu tragen? Das, was mir Werth und Ergebniss des Lebens ausmacht, liegt wo anders; mein Stolz und ebenso mein Elend liegt wo anders. Ich weiss mehr vom Leben, weil ich so oft daran war, es zu verlieren: und eben darum habe ich mehr vom Leben, als ihr Alle!"

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  Indem wir thun, lassen wir. – Im Grunde sind mir alle jene Moralen zuwider, welche sagen: "Thue diess nicht! Entsage! Ueberwinde dich!" – ich bin dagegen jenen Moralen gut, welche mich antreiben, Etwas zu thun und wieder zu thun und von früh bis Abend, und Nachts davon zu träumen, und an gar Nichts zu denken als: diess gut zu thun, so gut als es eben mir allein möglich ist! Wer so lebt, von dem fällt fortwährend Eins um das Andere ab, was nicht zu einem solchen Leben gehört: ohne Hass und Widerwillen sieht er heute Diess und morgen Jenes von sich Abschied nehmen, den vergilbten Blättern gleich, welche jedes bewegtere Lüftchen dem Baume entführt: oder er sieht gar nicht, dass es Abschied nimmt, so streng blickt sein Auge nach seinem Ziele und überhaupt vorwärts, nicht seitwärts, rückwärts, abwärts. "Unser Thun soll bestimmen, was wir lassen: indem wir thun, lassen wir" – so gefällt es mir, so lautet mein placitum. Aber ich will nicht mit offenen Augen meine Verarmung anstreben, ich mag alle negativen Tugenden nicht, – Tugenden, deren Wesen das Verneinen und Sichversagen selber ist.

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  Selbstbeherrschung. – Jene Morallehrer, welche zuerst und zuoberst dem Menschen anbefehlen, sich in seine Gewalt zu bekommen, bringen damit eine eigenthümliche Krankheit über ihn: nämlich eine beständige Reizbarkeit bei allen natürlichen Regungen und Neigungen und gleichsam eine Art Juckens. Was auch fürderhin ihn stossen, ziehen, anlocken, antreiben mag, von innen oder von aussen her – immer scheint es diesem Reizbaren, als ob jetzt seine Selbstbeherrschung in Gefahr gerathe: er darf sich keinem Instincte, keinem freien Flügelschlage mehr anvertrauen, sondern steht beständig mit abwehrender Gebärde da, bewaffnet gegen sich selber, scharfen und misstrauischen Auges, der ewige Wächter seiner Burg, zu der er sich gemacht hat. Ja, er kann gross damit sein! Aber wie unausstehlich ist er nun für Andere geworden, wie schwer für sich selber, wie verarmt und abgeschnitten von den schönsten Zufälligkeiten der Seele! Ja auch von aller weiteren Belehrung! Denn man muss sich auf Zeiten verlieren können, wenn man den Dingen, die wir nicht selber sind, Etwas ablernen will.

  306.

  Stoiker und Epikureer. – Der Epikureer sucht sich die Lage, die Personen und selbst die Ereignisse aus, welche zu seiner äusserst reizbaren intellectuellen Beschaffenheit passen, er verzichtet auf das Uebrige – das heisst das Allermeiste –, weil es eine zu starke und schwere Kost für ihn sein würde. Der Stoiker dagegen übt sich, Steine und Gewürm, Glassplitter und Skorpionen zu verschlucken und ohne Ekel zu sein; sein Magen soll endlich gleichgültig gegen Alles werden, was der Zufall des Daseins in ihn schüttet: – er erinnert an jene arabische Secte der Assaua, die man in Algier kennen lernt; und gleich diesen Unempfindlichen hat auch er gerne ein eingeladenes Publicum bei der Schaustellung seiner Unempfindlichkeit, dessen gerade der Epikureer gerne enträth: – der hat ja seinen "Garten!" Für Menschen, mit denen das Schicksal improvisirt, für solche, die in gewaltsamen Zeiten und abhängig von plötzlichen und veränderlichen Menschen leben, mag der Stoicismus sehr rathsam sein. Wer aber einigermaassen absieht, dass das Schicksal ihm einen langen Faden zu spinnen erlaubt, thut wohl, sich epikureisch einzurichten; alle Menschen der geistigen Arbeit haben es bisher gethan! Ihnen wäre es nämlich der Verlust der Verluste, die feine Reizbarkeit einzubüssen und die stoische harte Haut mit Igelstacheln dagegen geschenkt zu bekommen.

  307.

  Zu Gunsten der Kritik. – Jetzt erscheint dir Etwas als Irrthum, das du ehedem als eine Wahrheit oder Wahrscheinlichkeit geliebt hast: du stösst es von dir ab und wähnst, dass deine Vernunft darin einen Sieg erfochten habe. Aber vielleicht war jener Irrthum damals, als du noch ein Anderer warst – du bist immer ein Anderer –, dir ebenso nothwendig wie alle deine jetzigen "Wahrheiten", gleichsam als eine Haut, die dir Vieles verhehlte und verhüllte, was du noch nicht sehen durftest. Dein neues Leben hat jene Meinung für dich getödtet, nicht deine Vernunft: du brauchst sie nicht mehr, und nun bricht sie in sich selbst zusammen, und die Unvernunft kriecht wie ein Gewürm aus ihr an's Licht. Wenn wir Kritik üben, so ist es nichts Willkürliches und Unpersönliches, – es ist, wenigstens sehr oft, ein Beweis davon, dass lebendige treibende Kräfte in uns da sind, welche eine Rinde abstossen. Wir verneinen und müssen verneinen, weil Etwas in uns leben und sich bejahen will, Etwas, das wir vielleicht noch nicht kennen, noch nicht sehen! – Diess zu Gunsten der Kritik.

  308.

  Die Geschichte jedes Tages. – Was macht bei dir die Geschichte jedes Tages? Siehe deine Gewohnheiten an, aus denen sie besteht: sind sie das Erzeugniss zahlloser kleiner Feigheiten und Faulheiten oder das deiner Tapferkeit und erfinderischen Vernunft? So verschieden beide Fälle sind, es wäre möglich, dass die Menschen dir das gleiche Lob spendeten und dass du ihnen auch wirklich so wie so den gleichen Nutzen brächtest. Aber Lob und Nutzen und Respectabilität mögen genug für Den sein, der nur ein gutes Gewissen haben will, – nicht aber für dich Nierenprüfer, der du ein Wissen um das Gewissen hast!

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  Aus der siebenten Einsamkeit. – Eines Tages warf der Wanderer eine Thür hinter sich zu, blieb stehen und weinte. Dann sagte er: "Dieser Hang und Drang zum Wahren, Wirklichen, Un-Scheinbaren, Gewissen! Wie bin ich ihm böse! Warum folgt mir gerade dieser düstere und leidenschaftliche Treiber! Ich möchte ausruhen, aber er lässt es nicht zu. Wie Vieles verführt mich nicht, zu verweilen! Es giebt überall Gärten Armidens für mich: und daher immer neue Losreissungen und neue Bitternisse des Herzens! Ich muss den Fuss weiter heben, diesen müden, verwundeten Fuss: und weil ich muss, so habe ich oft für das Schönste, das mich nicht halten konnte, einen grimmigen Rückblick, – weil es mich nicht halten konnte!"

  310.

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nbsp; Wille und Welle. – Wie gierig kommt diese Welle heran, als ob es Etwas zu erreichen gälte! Wie kriecht sie mit furchterregender Hast in die innersten Winkel des felsigen Geklüftes hinein! Es scheint, sie will Jemandem zuvorkommen; es scheint, dass dort Etwas versteckt ist, das Werth, hohen Werth hat. – Und nun kommt sie zurück, etwas langsamer, immer noch ganz weiss vor Erregung, – ist sie enttäuscht? Hat sie gefunden, was sie suchte? Stellt sie sich enttäuscht? – Aber schon naht eine andere Welle, gieriger und wilder noch als die erste, und auch ihre Seele scheint voll von Geheimnissen und dem Gelüste der Schatzgräberei zu sein. So leben die Wellen, – so leben wir, die Wollenden! – mehr sage ich nicht. – So? Ihr misstraut mir? Ihr zürnt auf mich, ihr schönen Unthiere? Fürchtet ihr, dass ich euer Geheimniss ganz verrathe? Nun! Zürnt mir nur, hebt eure grünen gefährlichen Leiber so hoch ihr könnt, macht eine Mauer zwischen mir und der Sonne – so wie jetzt! Wahrlich, schon ist Nichts mehr von der Welt übrig, als grüne Dämmerung und grüne Blitze. Treibt es wie ihr wollt, ihr Uebermüthigen, brüllt vor Lust und Bosheit – oder taucht wieder hinunter, schüttet eure Smaragden hinab in die tiefste Tiefe, werft euer unendliches weisses Gezottel von Schaum und Gischt darüber weg – es ist mir Alles recht, denn Alles steht euch so gut, und ich bin euch für Alles so gut: wie werde ich euch verrathen! Denn – hört es wohl! – ich kenne euch und euer Geheimniss, ich kenne euer Geschlecht! Ihr und ich, wir sind ja aus Einem Geschlecht! – Ihr und ich, wir haben ja Ein Geheimniss!

 

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